Technisierung raubt Nachtschlaf – Experten fordern bessere Schlafkultur

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BERLIN. Erst die Industrialisierung und jetzt das Internet: Rund zwei Stunden Nachtschlaf haben die Menschen in den entwickelten Industrieländern in den letzten 120 Jahren durchschnittlich verloren. Dabei sei das individuelle Schlafbedürfnis Neurologen zufolge ebenso festgelegt, wie die Schuhgröße.

Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) Dr. Alfred Wiater hat eine bessere Schlafkultur angemahnt. Dazu sei eine konstante Aufklärung über die Gesundheitsgefährdung des permanenten Medienkonsums und der vorherrschenden 24-Stunden-Erreichbarkeit nötig, sagte Wiater im Rahmen der DGSM-Jahrestagung im westfälischen Halle. „Sich regelmäßig Medienauszeiten zu gönnen, bedeutet schon eine wesentliche Voraussetzung für die Verbesserung der Schlafqualität. Auch das Einhalten eines konstanten Schlaf-Wach-Rhythmus fördert diese“, so Wiater.

Das individuelle Schlafbedürfnis ist nicht veränderbar, doch die technische Entwicklung nimmt darauf nur wenig Rücksicht. Foto: emrahozaras / Pixabay (CC0)
Das individuelle Schlafbedürfnis ist nicht veränderbar, doch die technische Entwicklung nimmt darauf nur wenig Rücksicht. Foto: emrahozaras / Pixabay (CC0)

Die Psychologin Angelika Schlarb wies im gleichen Zusammenhang darauf hin, dass Erwachsene im Umgang mit Smartphone, Tablet & Co.an ihre Vorbildfunktion für Kinder und Jugendliche denken sollten: „Leider ist es eine typische Situation, dass eine Familie gemeinsam am Tisch sitzt, aber jeder schaut auf sein Handy und ein Gespräch findet nicht statt“. Wer also öfter mal sein Smartphone ausmacht und sich stattdessen unterhält, lebt ein positives Beispiel für die Kinder vor.

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Durchschnittlich benötige ein Kind im Grundschulalter 10 Stunden, ein Erwachsener 7 bis 8 Stunden Schlaf. Diese Zeit werde oftmals aufgrund von Reizeinwirkung, insbesondere durch Mediennutzung, nicht erreicht, bekräftigt auch DGSM-Vorstand und Geriater Helmut Frohnhofen.

Das blaue Licht der Bildschirme blockiere unser Einschlafhormon Melatonin. Diese Tatsache sei beunruhigend insbesondere im Zusammenhang mit Studien zum Leseverhalten von Kindern, die ermittelt hätten, dass Kinder kaum noch Bücher, sondern zumeist digital lesen. Kinder sind damit auch abends im Bett noch dem blauen Licht ausgesetzt. Schlafstörungen hinterlassen ihre Spuren, die erst nach vielen Jahren sichtbar werden, so Frohnhofen. „Wir haben das Wissen und die Möglichkeiten Gutes in puncto Schlaf zu tun. Diese müssen nun breit eingesetzt werden.“

Vor 120 Jahren schliefen die Menschen noch mindestens 9 Stunden durchschnittlich, jetzt seien es etwa 7. Je eine Stunde Nachtschlaf haben uns die Industrialisierung und das Internet geraubt. Heutzutage werde nach dem Rhythmus des sozialen Lebens geschlafen, nicht mehr nach dem individuellen Schlafbedürfnis. Die Erkenntnis, dass dieses genetisch festgelegt ist, wurde im letzten Jahr mit dem Nobelpreis für Medizin honoriert. Die benötigte Gesamtschlafmenge, so der Neurologe Peter Young „ist bei jedem Menschen anders, aber ebenso festgelegt wie etwa die Schuhgröße. Daraus haben wir gelernt, dass Schlaf nicht veränderbar ist. Wir haben ein Gen, dass uns sagt du musst so und so viel schlafen, wenn du nicht krank werden willst“. (pm)

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