Das ist so stark! Nach Mordkomplott von Schülern – Betroffener Lehrer meldet sich zurück: „Habe die Lust am Job nicht verloren!“

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DORTMUND. Ein ungeheurer Verdacht: Vor zwei Wochen sollte in Dortmund ein Lehrer sterben, weil einem Schüler die Benotung nicht gefiel. An der Schule hat sich die Stimmung wieder normalisiert. Und der Pädagoge macht weiter: Die Lust an seinem Job habe er nicht verloren.

Die Polizei ermittelt. Foto: pxhere

Nach Bekanntwerden des mutmaßlichen Mordkomplotts gegen einen Lehrer in Dortmund hat sich die Lage an dessen Schule wieder normalisiert. «Wir sind alle im Schulalltag wieder angekommen», sagte die Leiterin der Martin-Luther-King-Gesamtschule, Ellen Kreis, am Donnerstag – rund eine Woche, nachdem der Fall öffentlich bekannt geworden war. In den Klassen sei sofort über den Vorfall gesprochen worden. Man sei jetzt um eine schlimme Erfahrung reicher.

Zwei der drei Tatverdächtigen besuchen die Schule. Sie sind derzeit vom Unterricht suspendiert und dürfen die Schule nicht betreten. Über weitere Ordnungsmaßnahmen sei noch nicht entschieden worden, sagte Kreis.

Aus Unzufriedenheit über eine Benotung soll ein 16-Jähriger einen 17-jährigen Mitschüler und einen 18-jährigen ehemaligen Schulkameraden angestiftet haben, ihm zu helfen, den Pädagogen zu ermorden. Gemeinsam sollen sie den Mann vor zwei Wochen in einen Hinterhalt gelockt haben, um ihn zu erschlagen. Die Hämmer, die sie zu diesem Zweck dabei gehabt haben sollen, kamen jedoch nicht zum Einsatz – möglicherweise weil der Lehrer Verdacht schöpfte und vorsichtig war.

Laut Polizei sollen die Jugendlichen danach noch einen weiteren Anlauf geplant haben. Darauf deutete die Auswertung ihrer Handys hin. Gegen alle drei wird wegen versuchten Mordes und Verabredung zu einem Verbrechen ermittelt. Die beiden älteren Beschuldigten haben gestanden, der 16-Jährige bestreitet die Vorwürfe. Alle drei sind auf freiem Fuß.

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Der Lehrer hatte sich am Dienstag in einem Beitrag auf seiner Facebook-Seite zu der Tat und seinem Befinden geäußert (unten im Wortlaut). «Es geht mir wirklich gut», schreibt er darin. Er werde getragen von einer Welle der Zuneigung und Anerkennung. Niemand müsse Sorge haben, dass er die Lust an seinem Job verloren haben könnte, «dass ich Angst hätte, zur Arbeit zu gehen oder Schülern mit mehr Misstrauen begegnen würde». Ausdrücklich dankt er seiner Schule und der Schulleitung, die ihn «immer und jederzeit» unterstützt habe.

Er betont, dass er angesichts des veröffentlichten Namens des mutmaßlichen Haupttäters nicht «vom rechten Rand der Gesellschaft instrumentalisiert werden» wolle. «Was der Haupttäter getan hat, war absolut verwerflich. Aber ich weigere mich, es an seiner Nationalität oder seinem religiösen Bekenntnis festzumachen. Es war eine Frage seines individuellen Charakters.»

Zur Vorgeschichte der Tat schreibt er, dass er den Schüler habe darauf hinweisen müssen, dass er mit seinem Vorhaben, das Abitur zu erlangen, scheitern würde. «Wenn ein kleines Kind später einmal Astronaut werden möchte, dann darf man es träumen lassen, aber es kommt der Punkt, an dem es erkennen wird, dass es zu diesem Beruf vielleicht nicht reichen wird. Das muss man dann tragen. So ein Scheitern gehört zum Leben dazu und es beschädigt nicht unseren gesamten Wert als Mensch.»

Schulleiterin Kreis äußerte sich anerkennend über den Beitrag. «Das ist ein hundertprozentiger Pädagoge, mit Leib und Seele dabei.» Die Kolleginnen und Kollegen hätten den Beitrag alle sehr positiv aufgenommen. dpa

Das Schreiben auf Facebook im Wortlaut

Meine lieben Freunde, Schüler, Exschüler, Kollegen und Bekannte:

In Folge der vergangenen Ereignisse habe ich so unglaublich viel positive Rückmeldungen erhalten, dass ich es für nötig halte, an dieser Stelle ein paar Dinge zu posten, sozusagen eine Art FAQ meines Zustandes. Nehmt bitte zur Kenntnis, dass ich mich, so weit das möglich ist, nicht zu dem Fall als juristischem Vorgang, noch zu der Situation an deutschen Schulen, an der MLKG im Speziellen, äußern werde. Dies ist mir in beiden Fällen nicht möglich, weil es sich zum Einen um ein schwebendes Verfahren handelt und mir zum Anderen per Schulgesetz untersagt ist.

Erstens: Es geht mir wirklich gut! Ich werde gerade getragen von einer Welle der Zuneigung und Anerkennung, die jeder Mensch einmal in seinem Leben erfahren sollte. Es muss niemand Sorge haben, dass ich die Lust an meinem Job verloren haben könnte, dass ich Angst hätte, zur Arbeit zu gehen oder Schülern mit mehr Misstrauen begegnen würde.

Zweitens: Ich bin meinem gesamten Umfeld äußerst dankbar. Da denke ich natürlich als Erstes an meine Frau, meine engsten Freunde, aber eben auch an meine Schulleitung, meine aktuellen und unglaublich viele ehemalige Schüler sowie Freunde, von denen ich befürchtet hatte, ich hätte sie trotz der Möglichkeiten des Internets verloren. Da bekomme ich beispielsweise eine Anfrage eines ehemaligen Schulkameraden aus Fürstenfeldbruck in Bayern, ob es mir gut gehe. Noch einmal ganz deutlich für alle: Meine Schule, ganz besonders die Schulleitung, hat mich immer und jederzeit unterstützt. Meine Kollegen sind ein Traum.

Drittens: Ich möchte ausdrücklich der Polizei danken. Sie sind zunächst nur, wie es der mich vernehmende Beamte so lakonisch ausgedrückt hatte, die Ermittler. Es hat mir aber von Beginn an sehr gut getan, wie alle Beamten, mit denen ich zu tun hatte, meine Person im Blick behalten haben. Ich möchte mich an dieser Stelle von jedem Kommentar, der die Polizeiarbeit in meinem Falle verunglimpft, distanzieren!

Viertens: Ich möchte nicht vom rechten Rand der Gesellschaft instrumentalisiert werden. Ich weiß, dass viele ehemaligen Schüler jetzt mitlesen und, wie leider ein großer Teil der Gesellschaft, bei dem veröffentlichten Namen des, zumindest meiner Ansicht nach, Haupttäters daran denken, dass wir an unserer Schule und in Dorstfeld ein Problem mit „Migranten“ haben. Es wird bereits in vielen Beiträgen gefordert, endlich die Namen der beiden anderen Beteiligten zu veröffentlichen. Der Gesellschaft wird unterstellt, dass dies nur deshalb nicht geschehe, um die Folgen der verhassten Integration, der unsere Schule sich verschrieben hat, nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Euch muss ich sagen: Ihr könntet falscher nicht liegen.

Besonders erschrocken hat mich der Tatbeteiligte, der mich in seinem Leben nie kennen gelernt hat und der dennoch bereit gewesen war, mich zu erschlagen. Dieser Beteiligte und sein Vorname entsprechen nicht Euren Erwartungen. Ich habe unglaublichen Zuspruch von Deutschen, Polen, Türken, Kurden, Libanesen, Persern, Albanern und Afrikanern erhalten (und ich habe bestimmt noch einige Länder oder gar einen ganzen Kontinent vergessen). Damit ihr mich, aber auch die Politik meiner Schule versteht, möchte ich euch eine Geschichte erzählen: In einem Jahr an der MLK-Gesamtschule saßen in meinem Unterricht unter Anderem ein Deutscher (mit polnischen Wurzeln), ein Perser und ein Deutscher mit türkischen Wurzeln. Der eine ist mittlerweile in der Presse bekannt als führender Vertreter der Neonazis. Ich konnte mich dennoch mit ihm unterhalten, weil er während der Schulzeit bemerkt hat, dass seine von mir abgelehnten politischen Überzeugungen keinen Einfluss auf meine Behandlung seiner Person im Unterricht hatten. Der Perser hat unsere Schule auch aufgrund einer von meinen Noten ohne Abschluss verlassen. Dennoch ist er mit mir bis heute befreundet. Er hat mir, meiner Frau und meinem Sohn die Haare geschnitten, mir beim Umzug geholfen. Als er während seiner Ausbildung ein „Opfer“ brauchte, ließ ich mir von ihm die Haare schneiden. Seine Mutter hat dazu gekocht und ich wurde deshalb zu ihm nach Hause eingeladen. Der Türke hat von den Dreien am erfolgreichsten die Schule absolviert. Trotz schwieriger Umstände. Und er hat sich um Integration bemüht. Ohne Erfolg. Er hat mir noch im letzten Jahr gesagt: „Die Deutschen wollen den Kanaken, also kriegen sie den Kanaken, ich bin es leid.“ Ich bin Deutscher. Und wenn ich ihn brauche, ist er da. Sofort.

Alle drei haben etwas Wichtiges gelernt, auch der Neonazi: An unserer Schule müssen wir die Leistung bewerten. Und wir versuchen auch den Menschen zu bewerten. Und diese zwei Dinge sind nicht deckungsgleich. Ich konnte mit dem Neonazi reden, weil ich zunächst einmal anerkannt habe, was er schulisch geleistet hat. Er wusste, dass meine Ablehnung keine totale war. Der Perser ist zu meinem Freund geworden, weil er wusste, dass ich ihn als Mensch völlig unabhängig von seiner schulischen Leistung sehr geschätzt habe. Und der Türke weiß bis heute, dass ich nicht zu den Menschen gehöre, die ihm die Integration in unsere Gesellschaft verweigert haben.

Gerade das Verhalten des Persers nennt man Größe! Es gehört Einiges dazu, sich die Gründe für ein persönliches Scheitern einzugestehen und nicht auf die Menschen zu projizieren, die den Auftrag der Leistungsbewertung haben. Und wir reden hier von einem Hauptschulabschluss, nicht etwa von einem verpassten Abitur. Der Haupttäter hat, das möchte ich hier einmal klarstellen, von mir eine seiner drei besten Noten bekommen. Aber ich musste ihn darauf hinweisen, dass er mit seinem Vorhaben, das Abitur zu erlangen, scheitern würde. Wenn ein kleines Kind später einmal Astronaut werden möchte, dann darf man es träumen lassen, aber es kommt der Punkt, an dem es erkennen wird, dass es zu diesem Beruf vielleicht nicht reichen wird. Das muss man dann tragen. So ein Scheitern gehört zum Leben dazu und es beschädigt nicht unseren gesamten Wert als Mensch.

Selbst als Schule, die zunächst einmal Leistung bewerten und damit auch zuweilen einem Scheitern Ausdruck verleihen muss, versuchen wir da zu differenzieren. Am Häufigsten besuchen uns nicht die erfolgreichsten Schüler, sondern die, denen wir unsere menschliche Anerkennung zukommen lassen konnten und deren Umfeld das nicht in dieser Weise tat. Und das sind leider häufig Menschen mit Migrationshintergrund. Sie erfahren, dass sie bei uns willkommen waren und sind. Der Haupttäter hingegen war wie ein kleiner Junge, der Fußballstar bei Real Madrid werden will, beim Ortsverein nur auf der Ersatzbank sitzt und dem Trainer dafür die Reifen zersticht. Das hat nichts mit Migrationshintergrund oder Religion zu tun. Das ist eine Frage des Charakters. Was ich den Rechten vorwerfe, ist besonders die Vorstellung, dass es einen Wert an sich habe, Deutscher zu sein. Das sieht meine Schule nicht so und das sehe ich nicht so. Es ist eine Gnade, Deutscher sein zu dürfen, wenn wir es mit den Lebensbedingungen in anderen Teilen der Welt vergleichen. Seien wir dieser Gnade würdig, indem wir sie teilen mit denen, die sich darum bemühen an ihr Teil zu haben. Ich heiße nicht alles gut. Was der Haupttäter getan hat, war absolut verwerflich. Aber ich weigere mich, es an seiner Nationalität oder seinem religiösen Bekenntnis festzumachen. Es war eine Frage seines individuellen Charakters. Zeigt doch bitte einen anderen Charakter und beteiligt euch nicht an rechter Hetze. Es ist nicht in meinem Sinne und es wird in diesem speziellen Fall der Sachlage noch weniger gerecht, als ihr annehmt. Ihr würdet mir eine große Freude damit machen und ich habe doch gerade erfahren dürfen, dass es so viele Schüler und Exschüler gibt, auch solche, die mit dem rechten Rand sympathisieren, die mir in den vergangenen Tagen einfach eine Freude in Form ihrer Anteilnahme machen wollten.

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Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Neue Details zum Mordkomplott gegen Lehrer: Schüler sollen zweiten Versuch verabredet haben

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3 Kommentare
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Juri Winterberg
4 Jahre zuvor

Respekt! Ich wünsche ihm viel Kraft.

(Ich möchte künftig unter meinem ganzen Namen schreiben.)

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor

Lesenswert !

D. Orie
4 Jahre zuvor

Ein großer Mensch!