BERLIN. Klar ist: Die Digitalisierung verändert rasant unser Leben. Klar ist auch: Die Diskussion darüber, wie Schulen darauf reagieren sollen, steht – trotz “Digitalpakt” – erst am Anfang. Der Autor, Medienwissenschaftler und promovierte Sprachwissenschaftler Dr. Frederik Weinert meldet sich jetzt mit einem Buch zu Wort, in dem er (so auch der Titel des Werks) “Digitalkunde als Schulfach” fordert. Ist das wirklich notwendig? Im folgenden Gastbeitrag, der aus Auszügen aus dem Buch zusammengesetzt ist, erklärt Weinert seine Position.
Hier lässt sich das Buch bestellen (kostenpflichtig).
Es lebe die Digitalisierung. Vor allem die große Politik stimmt das Loblied auf die digitale Zukunft an: schnelles Internet, digitale Behördengänge und Apps für die vermeintliche Erleichterung des alltäglichen Lebens. Endlich meldet sich auch die Bildungspolitik zu Wort, denn sie möchte etwas vom Cyber-Kuchen abhaben. Die große Politik reagiert und stellt WLAN und Tablets für Deutschlands Schulen in Aussicht, um das fliegende Klassenzimmer endlich ins digitale Klassenzimmer umzuwandeln.
Der Medienpädagogik reicht das nicht. Digitalkunde als Schulfach muss eingeführt werden. Bei der Digitalkunde handelt es sich um ein medienpädagogisches Digitaltraining, das die Kinder und Jugendlichen auf den achtsamen Umgang mit den digitalen Medien und das Berufsleben optimal vorbereitet. Schließlich hat die zunehmende Digitalisierung auch viele Schattenseiten: Abo-Fallen, Cyber-Kriminelle und andere digitale Fallstricke. (…)
Der Medienwissenschaftler Frederik Weinert ordnet in seinem Buch “Digitalkunde als Schulfach” die Digitalkunde in den medienpädagogischen Kontext ein, erklärt die inhaltliche Innovation des neuen Schulfachs und macht praktische Vorschläge für den Schulunterricht.
Teil I: Interdisziplinärer Teil
Neue Medien und die digitale Pubertät
Medienwelten von Kindern und Jugendlichen
Die Sozialen Medien als Milieu
Medien als Modell von Wirklichkeit
Teil II: Integrativer Teil
Digitalisierung, E-Learning und Kulturkritik
Medienerziehung und Werte
Teil III: Schulpraktischer Teil
Digitalkunde als tetradisches Schema
Digitalkunde als schulpädagogische Idee
Das Vier-Phasen-Modell
Wer mit 16 bereits Apps programmieren kann und Agenturen in Sachen Social Media berät, ist gefragt. Viele Teenies üben sich als journalistische Blogger, unterhaltsame Entertainer auf YouTube oder populäre Influencer auf Instagram und beherrschen die digitalen Medienwerkzeuge aus dem Effeff. Hier tun sich echte Karrierechancen auf, doch den meisten Kindern und Jugendlichen sind die Risiken und Gefahren nicht bewusst. Eine durchdachte schulische Digitalbildung – sprich Digitalkunde als Schulfach – bereitet die Kids einerseits auf ihre Medienfreizeit und andererseits auf das Berufsleben vor.
(…)
Wenn sich Kinder und Jugendliche in virtuellen Räumen aufhalten, ist das viel mehr als stupides ‚Gedaddel‘ am Smartphone oder Computer. Viele Kids verwirklichen sich im Internet selbst und streben nicht selten eine Digitalkarriere an. Die virtuelle Selbstverwirklichung erlebt freilich viele Abstufungen, doch im Vordergrund steht immer der künstlerische oder schöpferische Aspekt.
Die einen programmieren Apps und Websites im (klischeehaften!) dunklen Kämmerlein, die anderen inszenieren sich als schillernde Social-Media-Models und Mode-Gurus, um zu Influencern aufzusteigen – und wieder andere machen ‚Karriere‘ in Games, also in Spielwelten. Der Landwirftschaftssimulator ist kurioserweise eines der beliebtesten Spiele auf der PlayStation, was eine bemerkenswerte Widersprüchlichkeit zeigt: In Spielwelten geben sich die Spieler fleißig, um vom Klein1.3 zum Großbauern aufzusteigen, in Wirklichkeit löst aber schon das Schälen der Kartoffeln ein Murren aus.
Es gibt aber auch eine andere Erklärung: Zur Selbstverwirklichung gehört die Kombination aus Spaß und Erfolg. Wer mit 14 Jahren in der freien Zeit gerne Programmiercodes schreibt oder Grafiken mit hochprofessionellen Bildbearbeitungsprogrammen erstellt, macht augenscheinlich etwas richtig. Teenager, die mit 16 Jahren schon 10.000 Fans auf Instagram haben, steuern vielleicht auf eine Influencer- Karriere zu, lassen sich vielleicht aber auch nur blenden. Und Erfolg in Computerspielen gibt den Kids das Gefühl, sich mit anderen auf Augenhöhe zu messen und sich (spielintern) weiterzuentwickeln. Wichtig ist, den Selbstverwirklichungstrieb in digitalen Welten zu verstehen und mediendidaktisch umzusetzen. Digitalkunde bedeutet, gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen schöpferisch zu arbeiten.
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Wer sich in einer Filterblase befindet, merkt das oftmals gar nicht. In einer solchen Blase dominieren bestimmte Themen, die aus diesem Grund als wichtiger oder wahrhaftiger empfunden werden. Dieser Prozess wird durch das Salience-Modell bestätigt. Pädagogisch wertvolle Medienerziehung hat die Aufgabe, Kinder und Jugendliche für den Umgang mit medialen Falschinformationen und suggestiven Manipulationen zu sensibilisieren. Doch sind unterschiedliche Meinungen nicht das Prinzip des Pluralismus? Und sind demokratische Werte nicht Auslegungssache? Ein Verweis auf die parteipolitische Diversität in Deutschland genügt. In den Sozialen Medien – der rasch fortschreitenden Digitalisierung sei Dank – werden die Kinder und Jugendlichen beinahe minütlich mit neuen Meinungen konfrontiert. Und auch sie selbst beteiligen sich in Online-Chats, Gruppen und Foren. Das ist gelebte Demokratie, und das ist erlebbare Demokratie, die wie so vieles im Leben Spuren hinterlässt. (…)
Medienerziehung und Werte sind wichtige Bestandteile des Digitalkundeunterrichts (…). Im klassischen Schulunterricht wird die Vermittlung von Demokratie vernachlässigt. Das belegen aktuelle Studien. Digitales Lernen und demokratisches Erleben sind eng miteinander verknüpft, was den Digitalkundeunterricht so wertvoll macht. In den Sozialen Medien treffen viele Meinungen aufeinander. Verschiedene Ansichten, Respekt und Pluralismus sind wichtige Merkmale einer Demokratie. Digitalkunde als Schulfach nutzt die Chancen der Digitalisierung, um die Schülerinnen und Schüler zu demokratischen Wesen heranzubilden. Welche Arten von Medienerziehung sind für den schulpraktischen Unterricht besonders geeignet? Hier gibt es verschiedene Ansätze wie die behütend-pflegende Medienerziehung oder die handlungs- und interaktionsorientierte Medienerziehung, die unter digitalkundlichen Aspekten neu überdacht werden.
(…)
Ein Schulfach Digitalkunde ist dringend notwendig. Es legt mit seiner medienpädagogischen Säule den Grundstein für andere Schulfächer und bereitet die Schülerinnen und Schüler – und auch die Lehrkräfte – auf den Aufenthalt in Global Village vor. Digitales Lernen findet tagtäglich statt. Was ist ein Hoax, und wie erkenne ich ihn? Was bedeutet Phishing? Und auf welche Weise erkennen Kinder und Jugendliche Sponsored Storys und versteckte Werbung in den Sozialen Medien? Digitale Medienerziehung ist die Grundbedingung, um die hochmodernen Endgeräte sachdienlich und bildungsfördernd nutzen zu können. Ja, der Bund möchte die Schulen digitalisieren. Fünf Milliarden Euro sollen ab 2019 über fünf Jahre verteilt an die Schulen fließen. Ohne mediendidaktisches Konzept wird das nichts nützen. Das digitale Netz mit all seinen technischen und sozialkommunikativen Elementen ist mit einem gigantischen Puzzle vergleichbar, das aus unzählbar vielen Teilen besteht. Je mehr Teile gefunden, verstanden und richtig zusammengesetzt werden, desto verständlicher wirkt das Ausmaß des digitalen Netzes, das schon lange kein Dorf mehr ist, sondern vielmehr ein Universum, das sich ausdehnt, ausdehnt – und – ausdehnt.
Hier lässt sich das Buch bestellen (kostenpflichtig).
Im Buch von Frederik Weinert kommt Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, zu Wort. Er schreibt zur Debatte um ein neues Fach “Digitalkunde”:
“Es ist nichts Neues, dass sich die Lebensbedingungen für Menschen ändern – immer schon sind Kinder und Jugendliche anders aufgewachsen als ihre Elterngeneration. Neu sind heute allerdings die Rasanz, Dynamik, Totalität und Radikalität dieses Umbruchs, maßgeblich verursacht durch die technische Entwicklung der Digitalisierung unserer Gesellschaft.
Ob Computer, Streamingdienste, soziale Netzwerke, Smartphones oder Online- Games – digitale Medien sind aus der Welt von Kindern und Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Während die Medien, mit denen beispielsweise ich selbst aufgewachsen bin wie Bücher, Zeitungen, Fernsehen und Radio massiv an Bedeutung für Jugendliche verlieren, bestimmen das Internet und digitale Medien zunehmend die Erfahrungswelt Jugendlicher. Die Diskussion darüber, in welcher Weise sich die Schule heute diesen Herausforderungen stellen muss, wurde in der Vergangenheit vielfach verengt auf die Frage der technischen Ausstattung von Schulen. Dabei geht es tatsächlich um viel mehr, nämlich um die entscheidende Frage, wie es den Lehrkräften heute gelingen kann, Kinder und Jugendliche, die vielfach völlig veränderte Wahrnehmungsroutinen entwickelt haben, für eine Welt fit zu machen, in der Digitalisierung vor keinem Lebens- und Gesellschaftsbereich halt macht und integrativer Bestandteil der eigenen Realitätswahrnehmung ist.
Gefordert ist also ein positiver, produktiver Ansatz, der Kinder und Jugendliche in ihrer Handlungskompetenz stärkt, sowohl was ihre Fähigkeit angeht, Risiken und Gefahren zu erkennen, als auch die Fähigkeit, die positiven Chancen und Möglichkeiten sinnvoll zu nutzen. Digitale Mündigkeit bzw. digitale Souveränität muss ein zentrales Bildungsziel in unserer modernen Gesellschaft sein. (…)
Ob es wirklich notwendig und zielführend ist, Digitalkunde in Form eines neuen Unterrichtsfaches zu etablieren oder sie sich, wie die Beispiele zeigen, auch sehr gut in die bestehende Fächerstruktur integrieren lässt, ist eine Frage, die ich als Lehrerverbandsvertreter offenlassen möchte.”
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.
Nach Überfliegen des Artikels entspricht dem Fach Digitalkunde ein anständiger Informatikunterricht, der über die Mefiennutzung hinausgeht. Wer soll das unterrichten? Und warum soll jeder Schüler programmieren lernen?
Ich habe den Artikel so verstanden, dass die Schüler in diesem Fach den kritischen Umgang mit allem, was das Internet anbietet, lernen sollen. Sie sollen lernen, sich mit dem was es gibt, auseinanderzusetzen und sich eine Meinung zu bilden. Das finde ich wichtig! Wie oft werden youtuber unreflektiert als Vorbilder genommen. Früher ging es um Schlagerstars und Co, heute geht es um Youtuber. Es geht um das Suchtpotential von Spielen, Gefahren des Chats, das Leben in einer virtuellen Welt mit erschwertem Ausstieg, die Vereinsamung in der realen Welt, die unbewusste Beeinflussung durch personifizierte Werbung, aber auch um die positive Nutzung des Internets und vieles mehr. Ich finde es wichtig, dass all diese Dinge in der Schule angesprochen werden. Es ist die Frage, wie man diese Aspekte im Lehrplan unterbringt oder ob man diese Probleme in einem aufbauenden Curriculum von Schuljahr zu Schuljahr projektartig anspricht.
Hallo Markus lol