Erfurt. In einem Schulgarten beobachten Kinder, wie aus einem Samen eine Pflanze wird, erfahren, dass Gemüse Arbeit macht und entdecken Gartenbewohner. Pädagogen halten diese Art des Lernens für wertvoll. Als Unterrichtsfach gibt es das aber bisher nur in Thüringen.
Feuerbohnen klettern ein rostendes Metallgitter hoch, daneben entfalten sich dicke Zucchini-Blätter und ein mit Kinderhänden bemaltes Schild weist darauf hin, dass hier auch Möhren wachsen. Das Beet mit diesem Gemüse steht auf dem Schulhof der Montessori-Integrationsschule in Erfurt und gehört in diesem Schuljahr zur «Spatzenklasse», die sich um Bohnen, Zucchini und Möhren kümmert. Jede Klasse hat zwei Beete. Für die Sechs- bis Elf-Jährigen ist der Schulgarten im Sommer eine Art Klassenzimmer, die Arbeit in den Beeten Unterricht.
Denn anders als in allen anderen Bundesländern ist der Schulgarten an Thüringer Grundschulen nicht nur ein Projekt einer Arbeitsgruppe oder Teil der Freizeitbeschäftigung, sondern ein richtiges Schulfach. Das Fach ist ein Relikt aus Zeiten der DDR, wo Schulgarten ebenfalls Pflicht-Unterricht war. Überlebt hat es aber nur in Thüringen.
An den meisten Schulen werden in der dritten und vierten Klasse in dem Fach Noten vergeben, es gibt Lernziele im Lehrplan und Schulgarten-Lehrer haben in der Regel eine spezielle Ausbildung in dem Fach genossen – mit entsprechender Fachdidaktik.
Yvonne Balsam ist eine solche Schulgarten-Lehrerin. Noten gibt es an der Montessori-Grundschule aber nicht. Auf einer Tafel im Schulhof schreibt Balsam jeden Tag, was ansteht: Diesmal gießen im Gewächshaus, Erde auflockern, Unkraut jäten. Sechs Kinder entscheiden sich fürs Erde auflockern, sechs für das Unkrautjäten. Balsam erklärt, wie man Erdbeeren richtig erntet ohne die Hälfte zu übersehen, beantwortet Fragen zum Umgang mit Gartenwerkzeug und lässt die Jungen und Mädchen Gemüse und Beerensträucher bestimmen.
Anhand einer etwa einen Meter hoch gewachsenen blühenden Radieschen-Pflanze zeigt sie, was Kreuzblütler sind und vergleicht sie mit Schmetterlingsblütlern – den Erbsen im Nachbarbeet.
Dass Schulgarten in Thüringen ein verpflichtendes Unterrichtsfach ist, sei ein Glück, sagte Balsam. «Weil es die Kinder wirklich gerne machen und sie lernen unheimlich viel – auch über Nachhaltigkeit.» Viele Kinder heutzutage würden Gemüse nur noch aus dem Supermarkt kennen.
«Wir reagieren mit dem Schulfach natürlich auch auf eine gesellschaftliche Entwicklung», sagt Katy Wenzel, Mitarbeiterin an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt. Naturerfahrungen gehörten längst nicht mehr zum Alltag vieler Kinder – erst recht nicht in den Städten. Dabei sollten Kinder verstehen, wie Nahrungsmittel entstehen und welche Arbeit dahinter steckt. Das gehöre zur Allgemeinbildung.
Ihrer Meinung nach sollte Schulgarten am besten überall ein Pflicht-Schulfach sein – nicht nur in Thüringen. Nur dann, so argumentiert sie, sei das Gärtnern im Lehrplan verankert und gebe es auch Gewähr, dass Schulgärten überhaupt angelegt werden und Geld dafür zur Verfügung gestellt wird.
Zwar gebe es auch in anderen Bundesländern und in allen Schulformen Schulgärten. «Aber die beruhen ja dann immer auf dem Engagement einzelner Lehrkräfte.»
Etwas skeptischer ist die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Schulgarten, Dorothee Benkowitz. Sie finde es gut, dass sich Thüringen das Fach Schulgarten beibehalten habe, es sei etabliert und es gebe keinen Grund, es abzuschaffen.
«Das Fach Schulgarten ist damit auf Augenhöhe mit anderen Fächern», sagt die Professorin an der pädagogischen Hochschule Weingarten (Baden-Württemberg). Allerdings fände sie es nicht richtig, das Fach zur Pflicht zu machen, wenn an einer Schule gar keine Motivation vorhanden wäre.
«Für uns wäre eigentlich der ideale Schulgartenunterricht der, der sich mit dem ganzen Schulleben vernetzt, dass jedes Fach die Möglichkeit nutzen kann, den Schulgarten als Lernort für sich zu erschließen», sagte Benkowitz. So könne man etwa ein Kräuterbeet auch französisch beschriften oder sich von den Pflanzen für den Kunstunterricht inspirieren lassen. «Die Kinder bekommen im Schulgarten die Möglichkeit, erfahrungsbasiert zu lernen – anhand eigener Beobachtungen», sagt sie.
An der Montessori-Grundschule haben die Schülerinnen und Schüler inzwischen nicht nur den Boden gelockert und Unkraut bekämpft, sondern auch reichlich Erdbeeren geerntet. Gemüse und Früchte aus dem Garten werden gegessen oder verarbeitet – zum Beispiel zu Marmelade. Gegen Spenden werden die Gartenprodukte auch an Eltern abgegeben, was wiederum dem Garten zu Gute kommt. (Stefan Hantzschmann, dpa)
“«Das Fach Schulgarten ist damit auf Augenhöhe mit anderen Fächern», sagt die Professorin an der pädagogischen Hochschule Weingarten (Baden-Württemberg). Allerdings fände sie es nicht richtig, das Fach zur Pflicht zu machen, wenn an einer Schule gar keine Motivation vorhanden wäre.”
Was ist denn DAS für eine Argumentation?
Wenn man das konsequent weiterdenken würde … dann würde es ganz viele Fächer nicht mehr geben, denn an manchen Schulen soll es ja SuS geben, die gar keine Motivation haben für Mathe oder lernintensive Fächer wie Fremdsprachen.
Würde es dann einzig vielleicht noch Sport oder alternativ E-Sport (= der sportliche Wettkampf mit Computerspielen) geben? Vielleicht noch “TikTok & du”?
Was ist mit Schulen an denen die SuS gar keine Motivation für irgendetwas haben (und dementsprechend auch beim in den letzten Monaten als Allheilmittel gehypten Präsenzunterricht gar nicht mehr erscheinen)?
“«Für uns wäre eigentlich der ideale Schulgartenunterricht der, der sich mit dem ganzen Schulleben vernetzt, dass jedes Fach die Möglichkeit nutzen kann, den Schulgarten als Lernort für sich zu erschließen», sagte Benkowitz. So könne man etwa ein Kräuterbeet auch französisch beschriften oder sich von den Pflanzen für den Kunstunterricht inspirieren lassen.”
Auch schön. (Nee, ist nur Ironie.)
Fächerübergreifendes Arbeiten findet schon statt, aber: “Pssssst!”
Warum MUSS das jetzt schon wieder maximal ausgeschlachtet werden mit französischen Beschriftungen? (Kunst ist über Malen und Gestalten ein anderer Lernkanal, das funktioniert gut und man setzt es auch schon mal als Einzelaufgabe in anderen Fächern ein.) Genügt es nicht, mal ein Fach zu haben, in dem ich ganz viele Dinge (auch aus dem Alltag) im natürlichen Umfeld (= Beet) wiederfinde und auch ganz PRAKTISCH und MIT ALLEN SINNEN etwas ERFAHREN und darum vernetzt und besser LERNEN kann?
An welchen praktischen Unterrichtserfahrungen aus dem Schulunterricht (an wie vielen Schulen) hat Frau Dorothee Benkowitz denn ihre Argumentation ausgerichtet?
Schade, dass immer alles so wahnsinnig überfrachtet wird.
Muss das so sein?
Ist dadurch an den Schulen in den letzten Jahrzehnten IRGENDETWAS wirklich besser geworden? (Nein, hoffnungslos überfrachtete Curricula sind nicht “besser”, auch das hat Corona deutlich gemacht, für alle, die es vorher noch nicht wussten.)
In Waldorfschulen gibt es dieses Fach seit hundert Jahren, und zwar nicht nur in der Grundstufe.
An unserer Schule ist Schulgarten das 5.Rad des Unterrichts. Sollten mal alle Lehrer da sein, sollte noch Zeit übrig sein vom regulären Sachunterricht, sollte das Wetter mitspielen, sollte… Erst dann können wir eventuell, wenn die 30- köpfige Klasse geteilt werden kann, erst dann können wir in den Schulgarten. Ansonsten verunkrautet er so vor sich hin. Geachtet wird die Arbeit auch nur bedingt, es ist ja “nur” Schulgartenunterricht. Übrigens wollen sich auch viele nicht die Hände schmutzig machen, schließlich hat man hinterher noch weiteren Unterricht. Lass das doch die Fachkraft machen, egal wie alt sie bereits ist. Tja, irgendwann sind auch die Alten nicht mehr da.
Ich glaube, Milla, Sie beschreiben die Situation um den Schulgarten sehr treffend. Alles andere, auch das im Artikel, ist Schönfärberei.
Das Fach Schulgarten sollte flächendeckend eingeführt werden. Die Kinder könnten viele zusätzliche Kompetenzen erwerben und es würde einen Beitrag zur Nachhaltigkeitsbildung leisten.
Und was soll stattdessen gestrichen bzw. reduziert werden? Lesern und Schreiben? Rechnen? In meiner Schulzeit gab’s den Schulgarten für die Sekundarstufe, als Teil des Biologieunterrichts.
Eben, was soll dafür gestrichen werden? Was kann weg, ist also verzichtbar? Oder soll das Fach Schulgarten noch oben draufgesattelt werden?
Ansonsten ist das doch reine Phrasendrescherei: “viele zusätzliche Kompetenzen” + “Beitrag zur Nachhaltigkeitsbildung”.
Schulgartenunterricht ist am besten nur in Halbklassen zu leisten oder aber einfach als eine (wahlobligatorische) AG?
Ich hatte früher auch Schulgarten, 3. und 4. Klasse. Eine Gruppe Schulgarten, die andere Gruppe Werken, im Wechsel. Ich fand beide Fächer wirklich toll. Ruhig mal die Hände schmutzig machen und etwas Eigenes ernten. (Den Gewürzständer, den wir damals im Werkunterricht aus Holz selbst gesägt und verziert haben, haben meine Eltern immer noch.) Außerdem ist es neben der ganzen kopflastigen Lernerei einfach mal schön gewesen, etwas zu erschaffen, mit allen Sinnen tätig zu sein. Schade, dass es beide Fächer heute so nicht mehr gibt.
So war es bei mir auch, allerdings hatte ich noch von det 1. – 4. Klasse Schulgarten, Handarbeit, Kochen und Werken im Wechsel. Ganz ehrlich, ich fand es klasse und habe dabei viel gelernt.
Mein Sohn hatte nichts davon in der Grundschule und ich fand es unglaublich schade. Natürlich machen wir diese Dinge auch daheim, aber beiweitem nicht alle Familien können oder wollen das leisten.
Ich hatte Schulgarten als Pflichtfach (DDR) und habe es gehasst. Wir haben in einer Kleinstadt gewohnt, aufgewachsen in einem kleinen Dorf mit großem Garten. Mein Opa hat so gut wie alles was es so gibt an Obst und Gemüse angepflanzt und ich habe immer geholfen, ich fand es toll. Der Schulgarten war damit nicht zu vergleichen. Meistens standen wir Schüler vor einem Beet und die Lehrerin hat geredet und erklärt. Dann mussten wir Unkraut rupfen und evtl. gießen. Ein sehr sinnloses Fach. Im Winter hatten wir dann Nadelarbeit, fand ich mindestens genau so schlimm. 2 wirklich überflüssige Fächer m.E. ansonsten fand ich Schule toll im Osten.
Wir (4. Klasse Förderschule Lernen) integrieren die Arbeit im Schulgarten gerne in den Unterricht. Nachhaltigkeit war Thema in HSU. Upcycling diverset Abfall Produkte führte soweit, dass wir die Tischplatten alter Tische zu einem Hochbeet zusammen bauten (> Kompetenzerwerb in Sachen Geometrie, Werken, Sorgfalt, …) .Kompostwirtschaft ist selbstverständlich auch dabei. Naturbeobachtungen erleben die Kinder als spannend. Die Früchte verarbeiten wir selbst. Die Kinder sind sehr stolz auf ihre Leistungen, die auch noch lecker schmecken. Sie nehmen auch die nötige Disziplin in Kauf, wenn wir mit der ganzen Klasse arbeiten.