Wechselunterricht! Forscher entwickeln Modell für sicheren Schulbetrieb

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GRAZ. Österreichische Wissenschaftler haben eine Modellrechnung entwickelt, die die Simulation von Szenarien für das Offenhalten von Schulen während einer Pandemie entwickelt. Zentrales Ergebnis: Mit einem den jeweiligen schulischen Bedingungen angepassten Maßnahmenmix sei ein sicherer Schulbetrieb durchaus möglich. Wechselunterricht scheint zumindest in weiterführenden Schulen allerdings derzeit unumgänglich zu sein.

Fazit der Forscher: Ohne Wechselunterricht ist bei Omikron kein sicherer Schulbetrieb an weiterführenden Schulen möglich. Illustration: Shutterstock

Die Diskussion schlägt hohe Wellen, nahezu durchgängig und beinahe unabhängig davon, welche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gerade gelten: Ist es verantwortungslos, Kinder während der Pandemie in die Schule zu schicken, oder gibt es Maßnahmen, welche Corona-Cluster so effizient verhindern, dass Schulen offenbleiben bzw. wieder öffnen können? Schon vor gut einem Jahr eine hochumstrittene Frage.

Forscherinnen und Forscher am Complexity Science Hub Vienna (CSH) der TU Graz wollte es genau wissen. Jana Lasser, Mitglied im Team des bekannten Komplexitätsforschers Peter Klimek, entwickelte daher ein eigenes Schul-Simulationsmodell, das die Verbreitungswege und -wahrscheinlichkeiten einer Coronainfektion in verschiedenen Schulsettings zeigt und das die Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen und Maßnahmenbündel durchspielt.

Für die Studie modellierte das CSH-Team die Delta-Virusvariante, die in Österreich bis vor Weihnachten die vorherrschende Variante war. „Wir können unser Modell aber jederzeit anpassen und verschiedenste andere Szenarien simulieren“, so Lasser.

Das Forschungsteam entwickelte und überprüfte das „Schul-Tool“ anhand von Daten zu 616 Corona-Clustern, die im Herbst 2020 an österreichischen Schulen aufgetreten waren. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, welche Maßnahmen an Schulen realistisch umgesetzt werden können, führten die Forschenden außerdem mehrere Interviews mit Schulleiterinnen und Schulleitern sowie mit Lehrerinnen und Lehrern.

Als Erstes definierten die Wissenschaftler unterschiedliche Schultypen anhand von Fragen wie „Wie viele Klassen hat eine Schule?“, „Wie groß sind die Klassen?“, „Wie viele Lehrerinnen und Lehrer gibt es an der Schule“. „Wir unterscheiden in unserem Modell Grundschule (Volksschule), Grundschule mit Nachmittagsbetreuung, Unterstufen, Unterstufen mit Nachmittagsbetreuung, Oberstufen, sowie Gymnasien mit Unter- und Oberstufe“, fasst Jana Lasser zusammen.

Als Nächstes ließen sie diese virtuellen Schulen unterschiedliche Maßnahmen ergreifen, um Cluster möglichst zu verhindern, beispielsweise das Tragen von Masken, regelmäßiges Lüften, regelmäßiges Testen der Kinder und Lehrkräfte sowie die Halbierung der Klassen. Außerdem konnten die Forscherinnen und Forscher verschiedene Durchimpfungsraten bei Lehrpersonal und Kindern simulieren.

Auf den richtigen Mix kommt es an
Ein klares Ergebnis der Arbeit: Maßnahmen und Maßnahmen-Pakete müssen an den Schultyp angepasst werden. Jana Lasser: „Mittelschulen und Gymnasien sind meist größer, haben mehr Kinder in den Klassen und wechselnde Lehrkräfte, daher gibt es deutlich mehr Ansteckungsmöglichkeiten – wie sich eine Infektion durch die Schule verbreitet, kann man in der zugehörigen Web-basierten Visualisierung, die wir auch entwickelt haben, schön beobachten.“ Die höhere Ansteckungswahrscheinlichkeit bedeute, dass größere Schulen mehr Maßnahmen brauchen als Volksschulen.

Unter Delta galt: Wenn 80 Prozent der Lehrkräfte geimpft waren, konnten Volksschulen und Unterstufen auch bei ungeimpften Kindern mit Lüften, Gesichtsmasken und Klassen-Verkleinerung die Reproduktionsrate R unter 1 halten. Eine erkrankte Person steckte mithin weniger als eine weitere an. War auch die Hälfte der Kinder geimpft, konnten mit diesen Maßnahmen auch alle anderen Schultypen den Wert R kleiner 1 halten – und damit relativ sicher öffnen. An größeren Schulen sollte beim Testen ein Fokus auf dem Lehrpersonal als möglicher Ansteckungsquelle liegen, so die Wissenschafler, da diese über den Tag verteilt viele Kontakte hätten und das Virus in verschiedene Klassen tragen könnten.

„Hier sehen wir die Wirksamkeit des sogenannten Schweizer-Käse-Modells“, erklärt Komplexitätsforscher Peter Klimek. „Keine einzige dieser Maßnahmen schützt hundertprozentig vor einer Ansteckung, aber mehrere zusammengefasst erhöhen den Schutz deutlich.“

Außerdem: „Die richtige Umsetzung der Maßnahmen ist das A und O“, so Klimek. „Schon eine kleine Abweichung – zum Beispiel, wenn seltener gelüftet wird oder ein paar Kinder nicht beim Testen mitmachen – reicht aus, um die Clustergrößen nicht ein bisschen, sondern sofort exponentiell wachsen zu lassen.“

Von allen Einzelmaßnahmen (außer dem Impfen) verhindere regelmäßiges Lüften in einer Klasse einen Cluster am besten – sofern wirklich alle 45 Minuten für fünf Minuten die Fenster geöffnet würden. Ebenfalls hoch wirksam sei Testen zwei- bis dreimal pro Woche; im Modell wurde mit Antigen-Tests gerechnet.

Die deutlich ansteckendere Omikron-Variante habe allerdings die Karten neu gemischt. „In den letzten Tagen hat mein Computer geglüht, weil ich mir das anlässlich der Veröffentlichung unseres Papers unbedingt auch noch ansehen wollte“, erzählt Jana Lasser. „Meine – jetzt natürlich noch nicht begutachteten – Ergebnisse zeigen, dass wir durch die stark erhöhte Infektiosität von Omikron alle verfügbaren Maßnahmen in allen Schultypen brauchen, um große Ausbrüche an Schulen zu verhindern. Nur Volksschulen können eine Maßnahme weglassen, zum Beispiel das Teilen von Klassen.“

Ihre Codes haben die Wissenschaftler frei ins Netz gestellt. „Gute Coderinnen und Coder könnten das Modell sogar für die eigene Schule maßschneidern. Die jeweiligen Zahlen – Infektiosität einer Krankheit, Zahl der Klassen, Kinder und Lehrkräfte, die einzelnen Maßnahmen – können nach Bedarf angepasst werden.“

Eine gut gemachte Visualisierung ihres Modells sieht Jana Lasser außerdem als perfektes Anschauungsmaterial für Eltern, Kinder, Schulleiterinnen und -leiter oder Behörden. „Es ist immer wieder eindrucksvoll zu sehen, wie schnell und auf welchen Wegen sich Viren in einer Gruppe verbreiten und wie sich die Ausbreitungsdynamik ändert, wenn einzelne oder mehrere Maßnahmen eingeführt werden. Damit könnte man viel Überzeugungsarbeit leisten“, ist die Wissenschaftlerin überzeugt.

Jetzt kommt auch aus der Grünen-Bundestagsfraktion die Forderung nach Wechselunterricht – von einem Kinderarzt

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Fragezeichen
2 Jahre zuvor

Was sicherlich nicht mit simuliert wurde sind die „Ausnahmen“ von der Maskenpflicht. Sportunterricht, Schwimmen, Mittagessen, Frühstückspause (im Klassenraum), und natürlich das morgendliche Testen. Solange solche Ausnahmen bestehen, ist die Maskenpflicht ziemlich löchrig. Auch dass die „Schnelltests“ bei Omikron erst später anschlagen als bei Delta wurde sicherlich noch nicht berücksichtigt.

Klugscheisser
2 Jahre zuvor
Antwortet  Fragezeichen

Und das nicht korrekte Maske tragen.

Dirk Z
2 Jahre zuvor
Antwortet  Fragezeichen

@Fragezeichen: Die Ausnahmen mit der Maskenpflicht ist wohl physikalisch wohl sehr komplex. Es hat sich wohl gezeigt, daß eine Maskenpflicht tatsächlich löchrig ist.
Wie mit soetwas umgehen: Für künftige Pandemiebewältigungen scheinen sich Masken tatsächlich weniger im praktischen Schulbetrieb zu eignen, grossflächig Infektionen zu vermeiden. Was in der Theorie und in Studien wohl funktioniert (beispielsweise FFP2-Masken-Wirksamkeitsstudie), kann man schlecht auf Schüler, die zudem genervt wegen der Massnahmen sind, übertragen. Da kommt es eben zu dem diffusen Trageverhalten und man muss erkennen- da lässt sich nichts optimieren.
Vielleicht muss man jetzt doch mal Richtung Schweden schauen, die es mit Luftfilter, kleinen Klassen und Abstand es ohne Masken geschafft haben bis heute durchzukommen. Für künftige Pandemien werden diese Aspekte sehr wichtig sein und Masken allenfalls für unvermeidbare temporäre Begegnungssituationen sinnvoll sein.
Bei der nächsten Panemie kann es sein, daß Masken besser schützen (weil bakterielle Infektionen) oder es bringt aufgrund des Virustypes überhaupt nichts, weil selbst FFP3-Masken den nicht abwehren können. Und für diesen letztgenannten Fall müssen die künftigen Pandemieabwehmassnahmen aufgesetzt werden.

kanndochnichtwahrsein
2 Jahre zuvor

Immerhin mal ein Ansatz.
Aber kümmert das jemanden?
Wird irgendwer daraus Schlüsse ziehen?

Mein Rückschluss wäre:
Allen Beteiligten viel deutlicher vermitteln, dass es nicht einfach „locker“ zugehen darf an Schulen.
Gruppen teilen, Abstände schaffen und Gruppen voneinander isolieren.
Dann könnte es vielleicht gehen.

Fürchte aber, für einen vernünftigen Umgang mit dem Thema ist es längst zu spät, die Zahlen sind längst zu hoch als dass wir noch was retten können.

Aus meiner Sicht hilft im Moment nur noch eins:
Mindestens vier Wochen die Schulen zumachen (Distanzunterricht soweit möglich), alle impfen die geimpft werden können und dann unter sichereren Bedingungen und eindeutigen Regelungen wieder anfangen.

Tachelesme
2 Jahre zuvor

Zu spät und angesichts der Alltags in der Schule sehr idealisierend. Ja, lüften ist immer gut, wenn man Fenster hat. Schulwege nicht berücksichtigt. Schwurbelnde SuS und LuL leider auch nicht.

Georg
2 Jahre zuvor
Antwortet  Tachelesme

Pubertierend finde ich häufiger als schwurbelnd. Für das Einhalten von Regeln ist ersteres mindestens so schlecht wie letzteres. Ersteres tun aber alle in einem bestimmten Alter.

Susi
2 Jahre zuvor

Es ist immerhin ein Anfang. Und es zeigt jetzt schon, dass nicht alle über einen Kamm geschoren werden können.

Ich bin gespannt, ob in Deutschland weitere Studien folgen und auf die Ergebnisse.

Für die Umsetzung sehe ich allerdings auch schwarz: Die KuMis wollen keine Veränderung und die meisten Eltern auch nicht. Die Digitalisierung wäre eine Chance, wenn sie nicht im administrativen Dschungel verwässert …

Kerstin
2 Jahre zuvor

Kanndochnichtwahrsein bringt es auf den Punkt.
Doch Einstellungen wie:Ich fürchte,da ändert sich nichts oder da ist es zu spät,
Sind nicht zielführend aber typisch .
Die Politik macht es ebenso,etwas feststellen,aber nichts ändern.
Mit unentschlossenen Eltern wird sich wohl an Schulen nichts ändern.
Dabei wäre Geschlossenheit der Weg zu Veränderungen.Unsere Kinder sollten uns es Wert sein.

A.H.
2 Jahre zuvor

Heute brauchten sich die Kinder, die am Fenster sitzen, zumindest zuhause nicht zu duschen, so hat es geschüttet.

Icke
2 Jahre zuvor

Na prima ,noch nee Machbarkeitsstudie .die einer aus seinem einsamen Büro über uns ausschüttet . Ich empfehle jedem dieser Schlauies 14 Tage Einsatz an der Schulfront .

Lex
2 Jahre zuvor

Es fehlt im Nachgang die Studie, die die Umsetzbarkeit der dargestellten Maßnahmen mit den aktuell verfügbaren oder abrufbaren Mitteln untersucht.