Exemplarischer Fall? Private Internetschule für kranke Schüler wirft Gebauer Wortbruch vor

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BOCHUM. Ist das ein exemplarischer Fall, wie die Bildungspolitik in Deutschland mit Privatschulen umgeht? Die Web-Individualschule mit kranken Schülern aus ganz Deutschland hat mit Abschlussprüfungen zentral an einem Ort gerechnet. Doch das soll jetzt plötzlich, nach 20 Jahren Betrieb, nicht mehr möglich sein. Die Schule wirft der nordrhein-westfälischen Schulministerin vor, sich nicht an eine Zusage zu halten. Das Düsseldorfer Ministerium widerspricht – doch Gebauer kündigt plötzlich eine staatliche Lösung an.

Plötzlich soll’s eine staatliche Fernschule geben: NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). Foto: Land NRW

Die Web-Individualschule als reine Internetschule für kranke Kinder aus ganz Deutschland wirft dem Düsseldorfer Schulministerium bei den im Mai anstehenden Abschlussprüfungen Wortbruch vor. Die fast 70 Jugendlichen sollten nun überraschend an verschiedenen Orten in NRW geprüft werden, sagte Schulleiterin Sarah Lichtenberger. Eltern seien von den Bezirksregierungen in Arnsberg, Münster, Köln und Düsseldorf informiert worden, dass man dort für ihre Prüfungsanträge zuständig sei. Das entspreche nicht der Zusage von Nordrhein-Westfalens Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). Das Ministerium in Düsseldorf wies das zurück.

«Die Familien sind verunsichert und verärgert. Das ist ungerecht unseren kranken Schülern gegenüber, und wir können so nicht arbeiten», sagte Lichtenberger. Der Schule sei zugesichert worden, dass die «Externenprüfungen» für alle zentral über die Bezirksbehörde in Arnsberg laufen sollten. Nun stehe etwa eine Lehrerin, die seit längerem vier Schüler unterrichte und eng betreue, vor der Frage, wen sie bei der Prüfung begleite – allen Vieren seien unterschiedliche Orte zugeteilt worden.

Warum es es ein solches staatliches Angebot mehr als zwei Jahre nach Beginn der Pandemie noch nicht gibt, dazu sagt Gebauer nichts

In der Webschule werden Kinder und Jugendliche bereits seit 2002 einzeln online unterrichtet, denen wegen psychischer oder körperlicher Erkrankung kein regulärer Schulbesuch möglich ist – ein Angebot, das trotz Corona bislang kein Bundesland zuwege gebracht hat. Zuletzt waren von der Webschule jedes Jahr bis zu rund 100 Schüler zum Haupt- oder Realschulabschluss geführt worden. Sie müssen laut Schulleitung auch bei den Prüfungen eng betreut werden und brauchen teilweise ganz besondere Bedingungen am Prüfungsort. In einem Gastbeitrag auf News4teachers hatte die Leiterin ihre Schule im vergangenen April vorgestellt.

Es sei organisatorisch nicht möglich, alle Prüfungen in einer einzigen Bezirksregierung durchzuführen, hieß es auf Anfrage aus dem Ministerium. Das habe man der Webschule auch nicht zugesichert. «Einige der Prüflinge, die von dem Institut digital auf ihre Prüfungen vorbereitet wurden, haben daher in anderen Bezirksregierungen entsprechend ihres Wohnortes einen Antrag auf Zulassung zur Externenprüfung gestellt.» Das Schulministerium habe Vertretern der Webschule in einem Gespräch am 1. Februar nicht in Aussicht gestellt, dass alle zugelassenen Prüflinge ihre «Externenprüfung» am selben Ort durchführen könnten.

«Gleichwohl sind die Bezirksregierungen sehr darum bemüht, die Prüflinge des Instituts auf möglichst wenige Prüfungsorte zu verteilen», betonte das Ministerium. Gebauer hatte der staatlich nicht anerkannten Web-Schule versprochen, dass man Schülern aus allen Bundesländern 2022 zwar noch ein letztes Mal die «Externenprüfung» ermöglichen werde. Die Bezirksregierung Arnsberg könne aber «nicht dauerhaft Abschlussprüfungen für das gesamte Bundesgebiet organisieren». Nach 2022 gelte: Rückkehr zum Wohnortprinzip, «wonach Abschlussprüfungen im jeweiligen Heimatbundesland abgelegt werden».

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Man wolle «im staatlichen Bildungssystem» künftig ein digitales Alternativangebot zum regulären Schulbesuch schaffen – für jene, denen etwa wegen schwerwiegender gesundheitlicher Gründe kein Schulbesuch möglich sei, hatte die Ministerin erläutert. Ziel sei, Schülern «frei von kommerziellen Interessen perspektivisch eine Rückkehr in den Präsenzunterricht zu ermöglichen oder sie, wo dies nicht möglich ist, erfolgreich zu Abschlüssen zu führen.» Warum es in Nordrhein-Westfalen ein solches staatliches Angebot mehr als zwei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie noch nicht gibt, dazu sagte sie nichts.

«Gerade die Kinder, die besondere Herausforderungen haben, brauchen mehr Unterstützung»

Die Eltern eines Web-Schülers aus Baden-Württemberg mit Autismus und Schulangst wollen nun mit einem Eilverfahren beim Verwaltungsgericht Arnsberg erreichen, dass er seine Abschlussprüfung doch in Arnsberg machen kann, schilderte Lichtenberger. Ihm habe man vor einer Woche völlig unerwartet mitgeteilt, dass er der Bezirksregierung Köln zugeordnet sei. Der Eilantrag der Eltern sei nun raus. Man hoffe auf Präzedenzfall-Charakter, sodass nicht jeder Betroffene einzeln ein Verfahren anstrengen müsse.

SPD-Bildungsexperte Jochen Ott sagte, dass Anmeldungen für die Prüfungen nun auf verschiedene Bezirksregierungen aufgeteilt werden, sei neu und entspreche nicht Gebauers vorherigen Aussagen. «Gerade die Kinder, die besondere Herausforderungen haben, brauchen mehr Unterstützung», mahnte der Vize-Fraktionschef. «Die Schulministerin schützt hingegen die Bürokratie, der die Kinder zu viel Arbeit sind.»

Grünen-Schulpolitikerin Sigrid Beer forderte, die Unsicherheiten für die Prüflinge müssten umgehend beseitigt werden. «Es ist heuchlerisch, wenn die Ministerin im Schulausschuss des Landtags im Februar noch davon spricht, dass es zu den grundlegenden Aufgaben eines Staates gehöre, die Schwächsten in unserer Gesellschaft nach Kräften zu unterstützen, um genau den jungen Menschen im März den Boden unter den Füßen wegzuziehen.»

Womöglich hat die private Web-Individualschule ein Defizit der aktuellen Bildungspolitik vor der Landtagswahl im Mai allzu augenfällig werden lassen. News4teachers / mit Material der dpa

Macht Mühe: Warum die Bürokratie einer besonderen Schule den Saft abdreht

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8 Kommentare
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Georg
1 Jahr zuvor

Die Schule soll halt Ersatzschule werden. Dann darf sie selbst Prüfungen abnehmen.

dickebank
1 Jahr zuvor
Antwortet  Georg

Die Schule ist eine Ergänzungsschuleschule. Die Kosten für die NRW-Schülöerschaft werden ja übernommen. Es geht darum, dass eine große Zahl der Schülerschaft eben nicht in NRW beheimatet ist und das Land deshalb weigert, die Kosten alleine weiter zu tragen.
Des Weiteren sind für die Prüfungsabnahme der Externen die zuständigen Mittelbehörden des Landes zuständig. Die Schulabteilung der Bezirksregierung Arnsberg, die für Bochum zuständig ist, müsste also eine Vielzahl von Prüfungskommissionen zusammen stellen. Das Personal dafür müsste sie von SekII-Schulen in ihrem Zuständigkeitsbereich abziehen. Das Problem ist nur, dass dieses Personal von den eigenen Schulleitungen nicht freigestellt werden kann, da dieses ja zur gleichen Zeit das NRW-weite Zentralabi abnehmen und innerhalb der Fristen korrigieren und bewerten muss.

Ausnahmsweise habe ich im konkreten Fall sogar Verständnis für die Entscheidung der obersten Schulbehörde in NRW.

Wechsel
1 Jahr zuvor

Na, ja- jetzt mit dem Mallorca- Skandal wird`s doch wohl reichen in NRW für den Regierungswechsel…..

Klaus Lehmkuhl
1 Jahr zuvor
Antwortet  Wechsel

Hoffentlich kommt dabei keine Ampel heraus mit Gebauer als Schulministerin …

Anne
1 Jahr zuvor
Antwortet  Klaus Lehmkuhl

Darauf läuft es wohl hinaus, auf große Koalition wird man sich nicht einigen können. Allerdings sollten wohl SPD und Grüne aus dem Ampelzoff in Berlin gelernt haben, dass die FDP jedem auf der Nase rumtanzt. Wüst scheint das zu ignorieren, noch am WE hat er verkündet, dass die FDP sein Wunschpartner wäre. Wenn ihm das mal nicht auf die Füße fällt.

dickebank
1 Jahr zuvor
Antwortet  Wechsel

Wird aber keine Auswirkungen haben hinsichtlich des Bescheides an die Internetschule. Die Begründung finden Sie in meiner Erwiderung an @Georg.

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Wechsel

@ Wechsel: Den Regierungswechsel in NRW hatte es doch gerade bei der letzten Landtagswahl gegeben, schon vergessen? Da war die Stimmung eindeutig gegen die grüne Schulministerin Löhrmann. Wo bleibt der Nachweis, dass rot-grün alles besser kann? Ich kann das nicht erkennen. So eine Art „Mallorca-Skandal“ gab es doch auch in Rheinland-Pfalz mit der grünen Ministerin Spiegel.

Klugscheisser
1 Jahr zuvor

„Ziel sei, Schülern «frei von kommerziellen Interessen perspektivisch eine Rückkehr in den Präsenzunterricht zu ermöglichen oder sie, wo dies nicht möglich ist, erfolgreich zu Abschlüssen zu führen.“

Wieder ein Hoch auf den Präsenzunterricht.
Was erlaubt sich eine Schule erfolgreichen Fernunterricht, wo man sich doch politisch geeinigt hat, dass es diesen nicht gibt.