Ist in Schleswig-Holstein der Lehrermangel nicht so schlimm? „Sind ein Lehrkräfte-Einwanderungsland“

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KIEL. Mit einem Bündel von Maßnahmen will die schleswig-holsteinische Landesregierung gegen einen drohenden Lehrermangel ansteuern. Die Strategie beginne bei der Berufsorientierung an den Schulen, umfasse alle Phasen des Studiums und beinhalte auch eine Entlastung der Lehrkräfte von Verwaltungsaufgaben, sagte Bildungsministerin Karin Prien (CDU) am Dienstag in Kiel. «Wir müssen ein Paket schnüren, das alle Bereiche erfasst.» Aus der Opposition kommt dennoch Kritik.

Freut sich über zuwanderne Lehrkräfte: Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Foto: Frank Peter / Land Schleswig-Holstein

Die Studierenden- und Absolventenzahlen seien durchaus gut, sagte Prien. «Wir sind inzwischen ein Lehrkräfteeinwanderungsland.» Die Entwicklung in den nächsten Jahren hänge aber davon ab, ob es gelinge, dass die Lehrkräfte in den richtigen Regionen, den richtigen Schularten und den richtigen Fächern tätig würden. In den Naturwissenschaften zum Beispiel müssten die Abbrecherzahlen sinken, sagte Prien.

Die Prognosen sagten zum Beispiel ein Überangebot von Absolventen für das Gymnasiallehreramt und ein Unterangebot für Gemeinschaftsschulen voraus. Deshalb plant die Regierung Anreize für das Arbeiten an Gemeinschaftsschulen und erweitert die Möglichkeit der freiwilligen Abordnung von Gymnasiallehrern auch auf die Abordnung an Gemeinschaftsschulen.

Der Einsatz von Lehrkräften aus dem Ausland, besonders aus der Ukraine, soll erleichtert werden. Derzeit sind 155 Lehrer aus der Ukraine als Unterstützungskräfte im Einsatz. Sie sollen Prien zufolge die Chance bekommen, dauerhaft im hiesigen Schuldienst tätig zu sein. An den Schulen im Land lernen aktuell gut 7000 Mädchen und Jungen aus der Ukraine.

Zudem appelliert die Landesregierung an Lehrer, Teilzeitkontingente freiwillig aufzustocken und nach Erreichen des Pensionsalters noch zwei Jahre weiterzuarbeiten. Derzeit gibt es im Land 337 Seniorlehrkräfte. Wer in einem Fach oder an einem Ort besonders gebraucht wird, soll eine Zulage bekommen können. Mit den Gewerkschaften und Verbänden will Prien auch über eine mögliche und gesondert zu vergütende Mehrarbeit für Vollzeitlehrer sprechen. Eine Vergrößerung der Schulklassen sei nicht geplant.

Geprüft wird auch, wie die monatliche Zulage von 250 Euro für Lehrer im Vorbereitungsdienst, die sich in den Kreisen Dithmarschen, Steinburg, Segeberg oder Herzogtum Lauenburg ausbilden lassen, gewirkt hat. Eventuell könne dies ausgeweitet werden, sagte Prien. Vorgesehen sind auch Einschränkungen bei der Möglichkeit, Sabbatjahre zu nehmen. Diese sollen künftig erstmals nach zehn Dienstjahren möglich sein und eine Wiederholung frühestens nach fünf Jahren. Bisher darf ein erstes Sabbatjahr nach zwei Jahren genommen werden, und Wiederholungen sind alle zwei Jahre erlaubt.

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Insgesamt sei die Lage an den Schulen alles andere als düster, betonte die Ministerin. Das Lehramtsstudium im Norden sei sehr beliebt. Von 22.600 Planstellen seien momentan 200 unbesetzt.

Die von Prien angebotenen Lösungen seien nicht so groß wie das Problem, kritisierte SPD-Bildungspolitiker Martin Habersaat. Etwa jede zehnte Lehrkraft an den Schulen sei keine fertig ausgebildete Lehrkraft. Wenn Prien angehenden Studierenden jetzt den «Quereinstieg» vom Gymnasium an die Gemeinschaftsschule ermöglichen wolle, löse sie damit ein Problem teilweise, das sie selbst verursacht habe. «Es war die Ministerin Prien, die die Ausbildung von Gymnasial- und Gemeinschaftsschullehrkräften gegen den Rat vieler Fachleute wieder trennte», merkte Habersaat an.

FDP-Fraktionschef Christopher Vogt kritisierte ein «Herumdoktern an Symptomen». Die Landesregierung müsse deutlich mehr tun. Prien wage sich vorerst nur an kleinere Maßnahmen, wobei zu fragen sei, warum diese nicht längst umgesetzt worden seien, meinte Vogt. «Die beiden großen Probleme sind doch, dass zu wenige angehende Lehrkräfte in den MINT- und den künstlerischen Fächern studieren und zu viele nach dem Studium in Kiel oder Flensburg wohnen bleiben wollen.» Diese Kernprobleme blieben ungelöst. «Es braucht stärkere Anreize, nach dem Lehramtsstudium in die Landkreise an der Westküste und im Hamburger Umland zu gehen und attraktive Studien- und Weiterbildungsangebote in den MINT-Fächern wie Mathematik und Physik sowie in Musik und Kunst.»

«Das Maßnahmenpaket der Allianz für Lehrkräftebildung ist ein erster Schritt in die richtige Richtung», kommentierte der Bildungspolitiker Malte Krüger von den mitregierenden Grünen. Die Landesregierung müsse Quer- und Seiteneinsteiger stärker in den Blick nehmen. Viele, die aus anderen Berufsfeldern in das Lehramt wechselten, seien hochmotiviert, würden aber oft nicht ausreichend auf ihrem Weg begleitet. «Ein Mentoringprogramm und eine Austauschmöglichkeit wären die richtigen Antworten auf die Verunsicherung der potenziell Interessierten.»

Aus Sicht der Gewerkschaft GEW sind viele vorgeschlagene Maßnahmen sinnvoll. Es fehlten aber Vorschläge, um Lehrkräfte zu entlasten. GEW-Landesvize Franziska Hense forderte mehr Studienplätze, eine schnelle Erhöhung der Ausbildungskapazitäten für den Vorbereitungsdienst und eine leichtere Anerkennung ausländischer Lehramtsabschlüsse. Zudem müssten als temporäre Notmaßnahme mehr Personen im Quer- und Seiteneinstieg qualifiziert werden. News4teachers / mit Material der dpa

KMK-Kommission sagt 20 Jahre Lehrermangel voraus – sie empfiehlt: Mehrarbeit für Lehrkräfte, Hybridunterricht, größere Klassen

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Lera
1 Jahr zuvor

Worin genau besteht jetzt die Entlastung?

Dil Uhlenspiegel
1 Jahr zuvor
Antwortet  Lera

… in Worten.

Realist
1 Jahr zuvor
Antwortet  Lera

Steht doch da:

„Entlastung der Lehrkräfte von Verwaltungsaufgaben“

Ich könnte mir z.B. vorstellen, dass Lehrkräfte keine Zeugniskonferenzen mehr vorbereiten müssen. Zeugnisse könnte man auch erst im Anschluss an die Konferenzen fertigstellen, da herrscht weniger Stress.

Oder das Lehrkräfte im Unterricht keine Anwesenheits- und Abwesenheitslisten mehr führen müssen. Auch das lässt sich heutzutage dank digitalem Klassenbuch bequem von zu Hause aus machen, was den Vormittag entlastet.

Auch bei Klassenreisen sehe ich Entlastungspotenzial: Warum vor der Klassenreise dem Geld der Mitfahrenden hinterherrennen? Das erzeugt nur ungute Gefühle und verdirbt die Vorfreude. Man könnte das Geld auch hinterher einsammeln. Wenn die Fahrt gut war, zahlen die Schüler sicher gerne und freiwillig. Auch das reduziert den wahrgenommen „Verwaltungsaufwand“ für Lehrkräfte.

Wenn Frau Prien möchte, stelle ich ihr gerne eine umfangreiche Liste von solchen „Entlastungsmaßnahmen“ zusammen, die in der Öffentlichkeit sicherlich gut ankommen…

Dil Uhlenspiegel
1 Jahr zuvor
Antwortet  Realist

SuS- und Elterngespräche am Wochenende. Auch das entzerrt den Schulwerktag mächtig … ich verstehe die LuL nicht, da lässt sich doch so viel Stress rausnehmen, wenn man es komplett in seine Freizeit verschiebt.

Realist
1 Jahr zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

Sehe schon die neue Werbekampagne der Glorreichen 16 für den Lehrerberuf:

„4-Tage-Woche in der „freien“ Wirtschaft zu stressig? Werden Sie Lehrkraft! Sie bekommen eine garantierte 6-Tage-Woche. So chillig, dass Sie nur noch einen freien Tag in der Woche brauchen, um sich zu erholen! Versprochen!“

Silja
1 Jahr zuvor
Antwortet  Lera

Die Kompensation für fehlende Lehrkräfte dürfen wir uns im Rahmen der schicken „neuen“ Experimentierklausel doch selbst ausdenken!
Natürlich muss das WIE erstmal von uns ausgearbeitet und beim Ministerium eingereicht werden. Aber wenn wir DAS erstmal geschafft haben, dann müssen wir DAS schonmal nicht mehr machen.

Dil Uhlenspiegel
1 Jahr zuvor

Insgesamt sei die Lage an den Schulen alles andere als düster. – Vgl.: Die Schulen sind sicher.

Canishine
1 Jahr zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

Die Schulen sind geradezu Bremsscheiben – Verzeihung: Brutstätten des Lehrernachwuchs‘.

GEW- nee!
1 Jahr zuvor

„…nach Erreichen des Pensionsalters noch zwei Jahre weiterzuarbeiten“. Also ich kenne nur Lehrkräfte, die so schnell es geht aus der Schule rausgehen.

Heideblume
1 Jahr zuvor
Antwortet  GEW- nee!

Man müsste dann die Arbeitsbedingungen für ältere Lehrkräfte dann aber erträglich machen. Ich kenne mehrere Fälle, wo diese mit über 60 an neue Schulen abgeordnet wurden, wo sie dann in Klassenstufen unterrichten mussten, wo sie niemals hinwollten. Wundert sich jemand darüber, dass diese Lehrkräfte dann nach kurzer Zeit die Pensionierung beantragten?

Kanzler27
1 Jahr zuvor

Zusatzstunden für Vollzeiter für etwa 23 Euro die Stunde ermöglichen. Sehr attraktiv. In unserer Lehrereinwanderungsschule haben wir 5 Vertreungslehrkräfte beschäftigt. Alle ohne pädagogischen Hintergrund.

GS in SH
1 Jahr zuvor

Wir alle kennen die Tricks in der Statistik!

Stellen gelten als besetzt, auch wenn die LK in Elternzeit oder langzeiterkrankt ist.
Stellen gelten als besetzt, auch wenn sie durch nicht-pädagogische Hilfskräfte: Ukrainerinnen mit rudimentären Deutschkenntnissen, wechselnde Praktikanten, FSJler, studentische Hilfskräften, Rentner aller Art, Bürokaufleuten usw. besetzt sind.

Allerdings können gerade Schulen in ländlichen Regionen weniger Hilfskräfte finden.

Besonders katastrophal sieht es in den GS aus! Viel zu viele Kinder pro Klasse (28 -30), kaum Gruppen- oder Fachräume, fehlende Förderschulkräfte, fehlende Integrationshelfer (Schulbegleiter), keine eigenen OGS-Räume, völlig unterbesetzte OGS….

Es gibt zwar die ein oder andere Vorzeigeschule, das ändert aber nichts an der Mehrheit!

potschemutschka
1 Jahr zuvor
Antwortet  GS in SH

Ja die Vorzeigeschulen, die man so manches Mal in den Medien sieht. Einfach toll! Da kommt man echt ins Träumen. Dumm ist nur, dass viele denken, die meisten Schulen in D sehen so toll aus! Warum besuchen unsere Oberen mitsamt den Medien nie normale Schulen, da wäre doch die Auswahl viel größer?

Lera
1 Jahr zuvor
Antwortet  potschemutschka

Da bleibt zu viel hängen: schlechte Presse, Infektionskrankheiten, faule Eier …

SonderBar
1 Jahr zuvor

Sie weiß anscheinend nicht wie die Lage IN den Schulen aussieht. Wenn seit Jahren dauerhaft immer ein Drittel eines Kollegiums krank ist und es kaum noch wirklich ausgebildete Lehrkräfte gibt, wie soll man dann ernsthaft nach der Pensionierung weiter arbeiten oder Teilzeit aufstocken.
Momentan braucht man übrigens eine Beurteilung mit sehr gut/gut, wenn man länger arbeiten will. Der Schulleiter muss eine Beurteilung schreiben, einen Unterrichtsbesuche machen und präzise begründen, WARUM die Lehrkraft unabkömmlich ist…. Finde den Fehler

GS in SH
1 Jahr zuvor
Antwortet  SonderBar

Und, nicht zu vergessen, die amtsärztliche Begutachtung, wenn man in den letzten 3 Schuljahren mehr als 10 Tage insgesamt wegen Krankheit gefehlt hat.

Andre Hog
1 Jahr zuvor
Antwortet  GS in SH

Habe dazu gerade einen Beitrag der Sendung PUR vom Bayr.Rundfunk gesehen, in der der Fall einer Lehrerin beschrieben wurde, die 2019 in Ruhestand gegangen ist. Dann hat man ihr 2020 wg des Lehrermangels eine 10nStundenStelle im Ruhestand angeboten, die sie begeistert angenommen hat…und kurz darauf einen weiteren Vertrag mit 4 Stunden.
Nach zwei Jahren hat sie nun von der Finanzbehörde Oberbayern die Aufforderung erhalten, dass sie die 9850.- Euri, die sie über diese 4 Stundenstelle in den letzten 2 Jahren hintzverdient hat zurückzahlen muss, weil sie über den maximal festgeschriebenen Zusatzverdienstsatz für Beamte im Ruhestand lag. Das Geld ist nun weg … die Stunden jedoch tapfer abgeleistet.

Die sind doch alle bekloppt!!

Last edited 1 Jahr zuvor by Andre Hog
Dirk Meier
1 Jahr zuvor

„Attraktive Weiterbildungsangebote in Mathematik und Physik“

Ich kenne das aus NRW: Während des Studienseminars besucht man ein halbes Jahr eine zweistündige Zusatzqualifikation in Mathematik und bearbeitet ein paar Hausaufgaben auf Schulniveau. Mit dieser „Qualifikation“ wird man dann mit den grundständig ausgebildeten Mathematiklehrkräften gleichgestellt und schon gibt es keinen Mangel mehr. Einfach toll!

Lera
1 Jahr zuvor

Warum sollte jemand nach SH „einwandern“?

Was genau bietet denn SH (von schlechtem Wetter mal abgesehen), das andere Bundesländer nicht haben?