DÜSSELDORF. Nordrhein-Westfalen will neue Wege gehen. Zum Schuljahresauftakt kündigte Schulministerin Dorothee Feller (CDU) nicht nur an, die Förderung der Basiskompetenzen stärken zu wollen, sondern auch den Sprachstand der Kinder vor Schulbeginn zukünftig systematisch erfassen zu lassen. Das Besondere dabei: Alle Kinder sollen nach den gleichen Maßstäben getestet werden – zunächst analog, später in einem digitalen Verfahren. Ein Testlauf startet zeitnah.
Nordrhein-Westfalen will die Basiskompetenzen an den Grundschulen stärken: Ab dem zweiten Halbjahr des kommenden Schuljahres soll es dort in jeder Jahrgangsstufe jeweils eine Unterrichtsstunde mehr für Deutsch und Mathematik geben. Das kündigte Schulministerin Dorothee Feller in Düsseldorf an. Dazu sollen bisher variable Förderstunden verbindlich den beiden Fächern zugeordnet werden. Damit werden von Klasse 1 bis 4 fast durchgehend sechs Stunden Deutsch und fünf bis sechs Stunden Mathematik pro Woche unterrichtet.
„Mit der Lesezeit von 3×20 Minuten haben wir bereits im vergangenen Schuljahr begonnen, diese Basiskompetenzen gezielt zu stärken. Auf diesem Weg gehen wir konsequent weiter voran und erhöhen dazu in einem weiteren Schritt in der Grundschule die Stundenzahl in den Fächern Deutsch und Mathematik“, so Feller. „Mit dem Lesen, Schreiben und Rechnen werden die unverzichtbaren Grundlagen für alle weiteren Bildungs- und Lebenswege unserer Schülerinnen und Schüler gelegt.“
Wissenschaftlich erprobt
Feller kündigte außerdem ein neues Testverfahren an, das den rund 2.800 Grundschulen im kommenden Herbst zur Verfügung gestellt werden soll, um den Sprachstand der Kinder bei der Anmeldung systematisch zu erfassen. Das Instrument sei von der Universität Halle-Wittenberg entwickelt worden, wissenschaftlich erprobt und praktisch bereits bei den Grundschulanmeldungen in Berlin und in Brandenburg im Einsatz, erläuterte Feller.
«Zur Wahrheit gehört, dass die Kinder heute mit großen unterschiedlichen Sprachkenntnissen eingeschult werden», sagte Feller. «Wenn aber ein nennenswerter Teil der neu eingeschulten Kinder nicht gut genug Deutsch spricht und versteht, um im Unterricht mitarbeiten zu können, dann können unsere Lehrkräfte das allein auf Dauer nicht auffangen.»
Künftig würden alle Kinder nach den gleichen Maßstäben getestet. «Es bedeutet eine Entlastung für die Lehrkräfte, die keine eigenen Tests mehr erarbeiten müssen», sagte Feller. Noch gibt es allerdings keine staatlich organisierte verbindliche Förderung für die getesteten Kinder. Dazu müsse erst eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, erläuterte die Ministerin.
Nach dem Test erhalten die Eltern die Ergebnisse mit der Aufforderung, die Monate bis zum Schulbeginn zu nutzen, um Förderlücken zu schließen. Beim Rechnen sei das leichter als etwa sprachlich innerhalb eines halben Jahres auf Stand zu kommen, räumte Feller ein. Die Eltern sollen Hinweise auf Übungsmaterial und auf Unterstützungsmöglichkeiten erhalten.
Sie könnten sich auch mit den Kitas besprechen, sagte die Ministerin. Feller appellierte an die Eltern: «Nehmen Sie alle Förderangebote wahr.» Manche Schulen hätten bereits Absprachen mit den Kitas ihrer Umgebung für vorschulisches Lernen. Allerdings: Aus datenschutzrechtlichen Gründen dürften die Testergebnisse nur mit Zustimmung der Eltern an die Kitas weitergegeben werden.
Der Einstieg in die flächendeckenden Tests wird noch mit händisch ausgefüllten Materialien erfolgen. Ebenfalls in diesem Herbst soll aber an rund 130 Grundschulen schon ein digitales Diagnose- und Förderinstrument erprobt werden, das dann ein Jahr später flächendeckend ausgerollt werden soll. Mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) werde dabei sofort eine systematische Auswertung hinterlegt – etwa mit einem Diagramm der Stärken und Schwächen der getesteten Kinder, erläuterte Feller. Im März bereits war dazu ein entsprechender Modellversuch in Hagen angelaufen (News4teachers berichtete).
KI nutzen, aber keinen Roboter vor die Klasse stellen
Ebenfalls auf die Basiskompetenzen zielt ein Pilotprojekt zum Einsatz von KI im Unterricht ab, das im September starten soll und von der Landesregierung mit über einer Million Euro gefördert wird. Gemeinsam mit der Universität Siegen und mit Unterstützung eines mittelständischen IT-Unternehmens aus NRW sollen 25 Projektschulen in den kommenden drei Jahren konkrete Unterrichtseinheiten für die Fächer Deutsch und Mathematik entwickeln. «Sie sollen zeigen, wie KI sinnvoll im Unterricht eingesetzt werden kann, um die Basiskompetenzen zu fördern», erklärte Feller. «Keine Sorge: Es soll kein Roboter vor der Klasse stehen.»
Die Vermittlung der Basiskompetenzen sei nicht zuletzt wichtig für die vielen jungen Menschen, die neu nach NRW zuwandern oder vor Krieg und Gewalt flüchten. «Im vergangenen Schuljahr haben landesweit mehr als 100.000 Kinder und Jugendliche in der sprachlichen Erstförderung Deutsch gelernt», berichtete Feller. «Zum neuen Schuljahr sind über 30.000 von ihnen aus der Erstförderung in Regel-Schulklassen übergegangen.»
Manche hätten noch nie eine Schule besucht und müssten neben der deutschen Sprache Lesen, Schreiben und das lateinische Alphabet lernen. «Wie viele Kinder und Jugendliche das genau betrifft, werden wir ab diesem Schuljahr systematisch erfassen», kündigte Feller an. «Wir gehen nach ersten Schätzungen von einer fünfstelligen Zahl aus.» Neben den bereits vorhandenen Förderangeboten werde es in den nächsten Tagen einen Praxisleitfaden zur Alphabetisierung geben.
Schulministerin hält an Lehrer-Abordnungen fest
Feller ging bei der traditionellen Pressekonferenz zum Schuljahresauftakt auch auf den jüngsten Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster zu Lehrer-Abordnungen an unterversorgte Schulen in NRW ein. Das Gericht hatte die umstrittene Praxis in der vergangenen Woche in zwei Fällen mit der Begründung gestoppt, die Auswahlkriterien seien nicht sachgerecht gewesen (News4teachers berichtete auch darüber).
Grundsätzlich habe das Gericht aber bestätigt, dass Beamte mit einer Versetzung oder temporären Abordnung rechnen müssten, stellte die Ministerin klar. Klare Auswahlkriterien gebe es bereits. Bei der Abordnungsauswahl im Regierungsbezirk Münster sei es aber zu einem Anwendungsfehler gekommen. «Münster wird daraus lernen und wird das auch entsprechend handhaben», sagte Feller. Leichtfertig sei die Bezirksregierung nicht vorgegangen. Es sei aber zu prüfen, ob die Kommunikation und das Werben für die zum Wohle einer landesweit gleichmäßigen Unterrichtsversorgung notwendigen Abordnungen gut gewesen seien.
Der Verband Lehrer NRW warnte: «Der Lehrkräftemangel lässt sich nicht mit der Brechstange bekämpfen.» Abordnungen könnten nur eine Notlösung sein. Im Hinblick auf die Attraktivität des Lehrberufs wirkten sie kontraproduktiv. Immerhin bleibe der Lehrkräftemangel angesichts von mehr als 6.000 unbesetzten Stellen die größte Herausforderung. Ähnlich äußerten sich auch weitere Lehrerverbände. News4teachers / mit Material der dpa
Also überprüfen, welche Kinder den Richtwert nicht erreichten (bspw. weil die Eltern sie nicht genug unterstützten) und dann davon ausgehen, dass diese Kinder – irgendwie – gefördert werden, dass sie den Anforderungen genügen…
Es werden hoffentlich auch Pläne für das Szenario entwickelt, dass sich die Probleme nicht in Wohlgefallen auflösen?
In der FAZ habe ich heute einen Artikel gelesen, dass der durchschnittliche Wortschatz von zwei Jahre alten Kindern im Jahre 1907 noch zwischen 200 und 300 Wörtern gelegen hat und heute nur noch 50 Wörter beträgt.
Sorry, aber das ist keine seriöse Angabe. Weder erfüllt die zitierte Arbeit eines Psychologen von 1907 die Kriterien heutiger empirischer Bildungsforschung – noch wird als Beleg eine empirische Bildungsstudie benannt, sondern schlicht die Behauptung aufgestellt, “Kinderärzte” hätten das festgestellt.
Richtig ist: Zweijährige Kinder haben heute Logopäden zufolge einen durchschnittlichen Wortschatz von 250 Wörtern (was dem angegebenen Wert von 1907 entspricht; es gibt demnach also die behauptete Verschlechterung nicht) – der Mindestwortschatz, den ein zweijähriges Kind haben sollte, wird mit 50 angegeben. Ein Wert darunter lässt eine Sprachentwicklungsstörung vermuten. Wir haben dafür (anders als der FAZ-Kommentar) auch eine seriöse Quelle: https://www.sprachgold-online.de/post/wieviele-w%C3%B6rter-sollte-mein-kind-sprechen-k%C3%B6nnen
Mitunter wird auch in der FAZ gerne die Ideologie verbreitet, “früher war alles besser”. Hier geht es, der Vollständigkeit halber, zum dem Kommentar: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/warum-eltern-mit-kindern-sprechen-ueben-sollten-statt-am-handy-zu-sein-19917290.html
Herzliche Grüße
Die Redaktion
Wie bitte? Dann besuchen Sie mal eine Krippe und lassen sich schnell von den Kindern beeindrucken. Auch wenn ich die Betreuungsform “Krippe” wirklich nicht für besonders kindgerechr halte, kann ich das nicht unwidersprochen stehen lassen. Allein schon, wie viele Arten von Gemüse und Früchten die Kinder dort benennen können.
An der Aussprache hapert es zwar schon mal. Vor allem “Physalis” bietet sich zum Lispeln wirklich an. 😉
Bertolt Brecht könnte heute den Herrn Keuner als “Herr KI” bezeichnen.
Die Antwort auf die Frage “Was tun Sie, wenn Sie einen Menschen lieben?” passt. “Ich mache einen Entwurf von ihm und sorge dass er ihm ähnlich wird. Wer? Der Entwurf? Nein, sagte Herr K., der Mensch.”
Vielleicht sollte es gar keinen Pädagogen-Slang mehr geben. Dann müssten Politiker mehr nachdenken und die üblichen Phrasen – wie “systematische Förderung”, “Basiskompetenzen” und “Förderlücken” durch konkrete Gedanken ersetzen.