Machtmissbrauch an Universitäten: “Nur die Spitze des Eisbergs ist sichtbar”

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MAINZ. Von unzulässiger Mehrarbeit über Mobbing bis zu sexuellen Übergriffen: Missbrauch von Macht an Hochschulen ist kein Einzelfall. Eine Tagung an der der Johannes Gutenberg-Universität Mainz widmet sich nun dem Thema.

„Die Machtstrukturen an Universitäten begünstigen den Missbrauch.” Foto: Shutterstock

Machtmissbrauch an Universitäten sei kein neues Problem, aber es werde zunehmend sichtbar. Mobbing, Demütigungen, die unzulässige Übertragung von Aufgaben und sexuelle Übergriffe stellten ein relativ weit verbreitetes und strukturell verankertes Phänomen dar. Obwohl es sich nicht um Einzelfälle handele, die von Machtmissbrauch betroffen sind, drängen die Fälle nur selten an die Öffentlichkeit. „Die Machtstrukturen an Universitäten begünstigen den Missbrauch und verhindern gleichzeitig eine Veröffentlichung“, sagt Professorin Cornelia Schweppe von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die zum Thema forscht – und nun eine Tagung zum Thema organisiert. „Die Betroffenen haben Angst, ihre Lage bekannt zu machen, weil sie negative Konsequenzen fürchten.“

Von Machtmissbrauch können ihr zufolge alle Personen an Universitäten betroffen sein. Einem besonderen Risiko ist der sogenannte akademische Mittelbau ausgesetzt, der zum Großteil von befristeten Verträgen und von einzelnen Professoren oder Professorinnen abhängig ist. Viele Bausteine seiend nötig, um Machtmissbrauch aufzudecken und zu unterbinden

Die Strukturen an den Universitäten trügen mit ihren Hierarchien und Abhängigkeiten zum Risiko für den Missbrauch von Macht bei, wozu etwa auch die unrechtmäßige Aneignung geistigen Eigentums zähle. Obwohl dies bekannt sei, werde dem nur zögerlich und unzureichend begegnet. Es gibt bislang kaum geeignete Maßnahmen, um Machtmissbrauch abzubauen. Nach Einschätzung von Cornelia Schweppe wird es keine einfachen Lösungen geben. „Ich denke, es muss an vielen Stellschrauben gedreht werden, um dem Problem zu begegnen; das Problem ist komplex“, sagt die Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik.

Die Veränderung der Arbeits- und Betreuungsstrukturen von wissenschaftlichen Mitarbeitenden sei eine dieser Stellschrauben, um ihre Abhängigkeit von einzelnen Professorinnen beziehungsweise Professoren zu verringern. Genauso wichtig sei die Verbesserung von Maßnahmen, die die Offenlegung und Aufklärung von Machtmissbrauch fördern und ermöglichen. Transparente und leicht zugängliche Beschwerdewege und verbesserte Kontrollinstanzen wären ein wichtiger Schritt. Ebenso müsse über die Stärkung von Unterstützungs- und Hilfestrukturen für Betroffene von Machtmissbrauch nachgedacht werden, denn die Konsequenzen sind gravierend. Machtmissbrauch beeinträchtigt die körperliche und seelische Gesundheit und schadet häufig den Karrierewegen. Klar sei: „Nur die Spitze des Eisbergs ist sichtbar.“

“Wer sich die Mühe macht, mit Gleichstellungsbeauftragten oder Personalräten zu sprechen, hört von einer erschreckenden Menge an Fällen von Machtmissbrauch und Ausbeutung”

Rund 170 Professorinnen und Professoren aus ganz Deutschland hatten im vergangenen Jahr einen offenen Brief zum Thema verfasst – und unter anderem an das Bundesbildungsministerium geschickt. Darin heißt es: „Die Strukturen des deutschen Wissenschaftssystems sind eine Einladung zum Machtmissbrauch. Wir haben es dabei mit einem Eisberg zu tun, von dem nur eine kleine Spitze zu sehen ist: Denn Konsequenzen sind extrem rar, und nur selten werden Fälle von Machtmissbrauch im Wissenschaftssystem überhaupt (ob intern oder gerichtlich) verfolgt. Kaum häufiger sind die Fälle, in denen solches Geschehen überhaupt öffentlich wird. Deutlich zahlreicher aber sind die Geschichten, von denen ‚man mal gehört hat‘, ohne Genaueres zu wissen. Und wer sich die Mühe macht, mit Gleichstellungsbeauftragten oder Personalräten zu sprechen, hört von einer erschreckenden Menge an Fällen von Machtmissbrauch und Ausbeutung. Zu solchen Fällen gehören beispielsweise die ungerechtfertigte Übertragung von eigentlich professoralen Aufgaben an Mitarbeitende, deren systematische Überlastung mit Arbeit, die willkürliche Ausübung professoraler Entscheidungsgewalt (z.B. über Reise- und Projektmittel), die Aneignung von geistigem Eigentum Mitarbeitender, sexuelle Belästigung, Nötigung und Ähnliches. Die wenigsten Vorfälle werden gemeldet, nur in Ausnahmefällen kann den Betroffenen geholfen werden. Das Problem ist kaum sichtbar, aber es ist da, und jeder weiß es.“

Zu der Tagung „Machtmissbrauch an Universitäten“ werden am 11. Oktober in Mainz rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen Ebenen des Wissenschaftssystems und von allen Fächern erwartet. News4teachers / mit Material der dpa

“Asymmetrische Beziehungen”: Hochschulen wollen Machtmissbrauch in der Wissenschaft bekämpfen

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Unfassbar
9 Tage zuvor

Geht es bei der Debatte auch um möglichen Machtmissbrauch der Dozenten den Studenten gegenüber?