„Aus tiefster Überzeugung für eine neue Form von Bildung“: Die EdTech-Szene ist von Idealismus angetrieben (ein Problem?)

7

Von Volker Jürgens

BIELEFELD. Weiblich, Informatikerin und/oder Geisteswissenschaftlerin, aus Berlin, berufserfahren – und von Idealismus angetrieben: So sieht, überspitzt, eine typische Person aus, die in Deutschland ein EdTech-Unternehmen gründet. Der „EdTech Startup Monitor“, den die Founders Foundation und der Startup-Verband nun vorgelegt haben, beleuchtet die Startup-Landschaft in der Bildungsbranche so detailreich wie noch nie. In der Umfrage wird deutlich, welch großes Potenzial die Innovationskraft der Szene für die Bildung in Deutschland besitzt – und welche Gefahren lauern.

Ed-Tech-Gründer*innen wollen helfen, mit Innovationen die Bildung zu verbessern. Illustration: Shutterstock

Ein gehöriger Schuss Idealismus gehört dazu. Wer heutzutage daran geht, ein sogenanntes EdTech-Unternehmen zu gründen – das Kürzel steht für Educational Technology und bezeichnet den Einsatz technologischer Lösungen und digitaler Innovationen im Bildungsbereich – unterscheidet sich im Schnitt von anderen Jungunternehmern hinsichtlich der Motivation und dem Weg zur Gründung schon recht deutlich.

So entscheiden sich mit 58 Prozent die Mehrheit spät für den Schritt, nämlich erst nach dem Berufseinstieg (deutlich mehr als in der allgemeinen Startup-Szene, wo die Mehrheit direkt nach Ausbildung oder Studium in die Selbstständigkeit springt). Weitere Besonderheiten: Die Szene ist vergleichsweise stark weiblich geprägt. Der Gründerinnenanteil ist dort mit 36 Prozent doppelt so hoch wie im Schnitt aller Branchen. Und: Der Anteil an studierten Informatiker*innen und Geisteswissenschaftler*innen liegt deutlich über dem Durchschnitt – der an Betriebswirt*innen erkennbar darunter.

„EdTech ist ein Spezialsektor mit Eintrittsbarrieren“

Dafür steht bei 57 Prozent der bildungsengagierten Jungunternehmerinnen und -unternehmer dann auch nicht das Geld, sondern die eigene Vision und eine ausgeprägte inhaltliche Begeisterung für das Thema im Vordergrund – ein hoher Wert (verglichen mit den 47 Prozent unter allen Gründerinnen und Gründern). Die erkennbar starke intrinsische Motivation führt zu einer hohen Identifikation mit dem Unternehmensziel. Die sorgt dafür, dass 92 Prozent der EdTech-Gründerinnen und Gründer wieder gründen würden.

Das ist eine erstaunlich hohe Zahl. Denn die Rahmenbedingungen auf dem Bildungsmarkt sind, gelinde gesagt, herausfordernd. Insbesondere das Geschäft mit Schulen gilt für Unternehmen, die nicht seit Jahrzehnten dort etabliert sind (also nicht über tradierte Vertriebswege verfügen), als womöglich härtester Markt in Deutschland. Gerade hier erscheint kaufmännisches Knowhow als unabdingbar.

Schon die Struktur ist aus Anbietersicht aberwitzig: gesplittet in 16 Bundesländer und versehen mit einer Nachfrageseite, die sich in Lehrkräfte, Schulleitungen, Schulträgern und Schulverwaltungen aufteilt – mit jeweils unterschiedlichen Interessen. Wen spricht man an, um ihn oder sie vom eigenen Produkt zu überzeugen? Nutzer (Lehrerinnen und Lehrer) und Besteller (Schulträger) sind meist nicht identisch. Schulleitungen hängen als Entscheider noch dazwischen. Im Zweifelsfall müssen alle gewonnen werden – ein riesiger Kommunikationsaufwand, den gerade junge Unternehmen kaum leisten können. Zumal Entscheidungsprozesse sich hinziehen, was das Marketing im Bereich B2G (also vom „Business“ ans „Government“, wie es im Geschäftsdeutsch heißt) zu einem Marathon macht.

Das spiegelt sich auch in der Umfrage. Der Vertrieb ist für 65 Prozent der EdTech-Startups die zentrale Herausforderung. Hauptproblem ist dabei aus Sicht vieler Gründerinnen und Gründer, dass institutionelle Kunden wie Schulen und Hochschulen sehr zurückhaltend bei der Einführung von innovativen Lösungen sind (89 Prozent). Überhaupt wird das Umfeld als bräsig wahrgenommen. Neun von zehn deutschen Startup-Gründerinnen und -Gründern kritisieren das Digitalisierungstempo des Bildungssektors in Deutschland.

Die Situation wird durch einen fragmentierten Markt und unterschiedliche gesetzliche Vorgaben seitens der Bundesländer sowie eine besonders komplexe Kundenlandschaft noch zusätzlich erschwert: Unternehmen kaufen Lösungen für Mitarbeitende, Schulen für Lehrkräfte und Lernende sowie Eltern für ihren Nachwuchs. Diese herausfordernde Marktstruktur spiegelt sich auch in den Umsätzen wider: EdTech-Startups erzielen 40 Prozent im B2C-Bereich, also direkt mit Endnutzern („Consumer“) und bisher nur 22 Prozent im B2G-Bereich, also mit öffentlichen Kunden. Bei Startups allgemein sind es nur 19 Prozent im B2C- und 6 Prozent im B2G-Sektor.

Weiteres Erschwernis: Investoren sind deutlich zurückhaltender, wenn es um Startups im Bildungsbereich geht als in anderen Branchen. Externe Finanzierung ist für viele Startups eine wichtige Grundlage für Wachstum. „Besonders bei EdTech-Startups zeigen sich jedoch Finanzierungshürden. Im Vergleich zum Gesamtschnitt werden EdTechs weniger oft von Business Angels (24 Prozent im Vergleich zu 32 Prozent allgemein) und Venture Capital Akteuren unterstützt (4 Prozent im Vergleich zu 19 Prozent allgemein)“, so heißt es in der Studie. Kein Wunder. „Bevor sie investieren, müssen sich Investoren erst spezifisches Fachwissen zu der komplizierten Kundenstruktur, langen Vertriebs-Zyklen und zusätzlichen bürokratischen Hürden insbesondere bei institutionellen Kunden aneignen.“ Und dann werden viele auch das Risiko scheuen. Fazit: „EdTech ist ein Spezialsektor mit Eintrittsbarrieren.“

Dafür ist das Ansehen in der Szene hoch. Für 39 Prozent der Startup-Gründerinnen und Gründer ist Bildung eine der wichtigsten Zukunftsbranchen – nur Gesundheit schneidet noch besser ab (44 Prozent). Zugleich sind 86 Prozent der Ansicht, dass gute Bildung ohne eine umfassende Digitalisierung in der heutigen Zeit kaum möglich ist. Ein EdTech-Unternehmen zu gründen, gilt also als hip. Gut so – denn die Herausforderungen, vor denen die Jungunternehmerinnen und -unternehmer auf dem Bildungsmarkt stehen, wären durchaus dazu angetan, jegliche Innovationskraft zu lähmen. Zulasten der Bildung in Deutschland. Denn gerade die vom Lehrkräftemangel gebeutelten Schulen bräuchten dringend bedarfsgerechte Unterstützungsangebote aus der Bildungswirtschaft.

Wie es im Erfolgsfall aussehen kann, wenn Angebot und Bedarf „matchen“, macht das junge Berliner Unternehmen Inklusion Digital in diesen Tagen vor: Das hat eine Förderplan-App namens Splint entwickelt, die vom Schulministerium Nordrhein-Westfalen gerade in einem großangelegten Feldversuch getestet wird. Die ersten Ergebnisse sind überaus vielversprechend: Lehrkräfte berichten von bemerkenswerten Entlastungseffekten durch das digitale Tool bei ihrer Arbeit mit sonderförderbedürftigen Schülerinnen und Schülern (News4teachers berichtete). Mit Niedersachsen hat Inklusion Digital bereits das erste Bundesland dazu gebracht, sämtliche Schulen mit der App auszustatten – und auch dort sind die Reaktionen positiv. Win-win, wie es auf Neudeutsch heißt.

Insgesamt lassen sich laut Studie in Deutschland aktuell 493 solcher EdTech-Startups identifizieren. Mit 29 Prozent der Unternehmen liegt Berlin als Unternehmensstandort klar vorn – gefolgt von München, Hamburg, Köln und Düsseldorf. Trotz des föderalen Bildungssystems in Deutschland konzentriert sich mehr als die Hälfte der deutschen EdTech-Startups in diesen fünf Großstädten – und damit auf nur vier Bundesländer.

„EdTech-Gründer:innen sind ‘Überzeugungstäter’: Sie setzen sich aus tiefster Überzeugung für eine neue Form von Bildung ein und bleiben hartnäckig“

„Startups sind treibende Kraft bei der Digitalisierung unseres Bildungssektors. 80 Prozent haben einen Fokus auf digitale Geschäftsmodelle wie Apps und Online-Lernplattformen – sie setzen hier also einen nochmal deutlicheren Schwerpunkt als Startups allgemein (64 Prozent). Besonders Online-Plattformen spielen eine zentrale Rolle (34 Prozent)“, so heißt es in der Studie. Und: „EdTech-Startups decken die gesamte Bildungslandschaft ab.“ Mit 41 Prozent konzentriere sich der größte Teil auf den Marktsektor Beruf und Weiterbildung – sowohl für Unternehmenskunden als auch für Privatpersonen. 38 Prozent entwickelten Lösungen für Schulen, Kitas und Hochschulen und weitere 21 Prozent widmeten sich dem Bereich lebenslanges Lernen.

„EdTech-Gründer:innen sind ‘Überzeugungstäter’: Sie setzen sich aus tiefster Überzeugung für eine neue Form von Bildung ein und bleiben hartnäckig – auch wenn die Hürden der Bürokratie manchmal stärker scheinen als der Veränderungswille im Bildungssektor“, sagt Dominik Gross, Geschäftsführer der Founders Foundation, die Startups berät und unterstützt. „Dass mehr als 90 Prozent wieder gründen würden, zeigt: Der Antrieb unsere Bildung zu revolutionieren, ist wahnsinnig groß. Und den brauchen wir, um auch in Zukunft gut und zeitgemäß ausgebildete Menschen in Deutschland zu haben, die unsere Gesellschaft und Wirtschaft antreiben.“ Kann man getrost so unterschreiben.

Der Autor Volker Jürgens war selbst Geschäftsführer eines IT-Unternehmens in der Bildungsbranche. Er ist heute als Fachjournalist tätig.

Hohe Einstiegshürden, chaotische Politik: Warum Bildung der wohl härteste Markt in Deutschland ist – eine Analyse

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

7 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Fräulein Rottenmeier
1 Monat zuvor

„Splint“ ist für die einzelne Schule unerschwinglich und unser Schulträger möchte es lieber nicht anschaffen….genau wie Fobizz und andere wirklich gute Apps und Plattformen….
Anstelle dessen werden bei uns gerade kilometerweise Kabel durch Schulgebäude verlegt und hunderte von Löchern gebohrt, so dass die Schule aussieht wie ein Schweizer Käse…..aber das Geld muss weg bis Ende des Jahres….ob das sinnvoll ist oder nicht….

Hysterican
1 Monat zuvor

“Aus tiefster Überzeugung für eine neue Form von Bildung“

Ach, wie anrührend ist das denn?

BildungsMARKT ist der Begriff,der das Phänomen m.M.n. besser umschreibt.

Gesamtgesellschaftlich ist der Nieder- bzw Untergang des deutschen Bildungssystems mittlerweile erkannt worden (noch wird ein Großteil der Verantwortung den LuL zugeschoben – aber die realfaktische Erkenntnis, dass nicht genug Mittel und verbesserte Arbeitsbedingungen eingesetzt wurden, wird sich dann auch noch in die Breite tragen – sofern die Poitik das zulassen wird) … unsere natürliche Ressource liegt nicht unter unseren Füßen, sondern ist in unseren Köpfen zu suchen und hoffentlich zukünftig zu finden.

Dass bei der derzeitigen rückständigen Ist-Situation in fast allen Bereichen des Bildungswesens absehbar – quasi als “last anker-Variation – entweder massiv Finanzmittel locker gemacht werden oder der leise Untergang droht, lässt “Marktfühlende” wach werden, um sich gute Startpositionen zu sichern.
Wer jetzt nicht bereits “Ideen zur Lösung” entwickelt, wird – wenn es soweit ist – nicht rechtzeitig aus den Löchern kommen, um anständig Reibach machen zu können.

Sorry, da bin ich mittlerweile vollkommen in der Marktrealität angekommen – ohne jeglichen Illusionen von Interessen im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen anzuhängen.

Bildung
1 Monat zuvor
Antwortet  Hysterican

Das primäre Problem Interesse dieser Unternehmen ist doch Geld zu verdienen. Was bleibt da noch zu sagen.

Hysterican
1 Monat zuvor
Antwortet  Redaktion

Ihr wisst doch:
“we are only in it for the money“
….wie Frank Zappe es schon so schön formuliert hat.

ich finde im Übrigen, dass man mit Geld schöne Dinge machen kann … und mit viel Geld sehr schöne Dinge ….

Philine
1 Monat zuvor

Mich würde einmal interessieren, welchen Begriff von Bildung die technikaffinen Idealisten überhaupt vertreten. Am überzeugendsten fände ich dessen fundierte Definition im Rahmen einer Auseinandersetzung mit der christlich-humanistischen Tradition in Philosophie und Pädagogik.

Einer
1 Monat zuvor

Im Artikel fehlt ein absolut entscheidendes KO-Merkmal eines EdTech-Gründers. Eigene, aktive Erfahrungen im Bildungsbereich!

Wenn ich keine Ahnung habe vom KFZ-Bau, kann ich sehr viele Ideen und Konzepte einbringen, die alle Murks sind. Dort fällt es auch direkt auf, weil die Entscheider und Förderer solcher Ideen Ahnung vom KFZ-Bau haben. Im Bildungsbereich kann ich Ideen und Produkte entwickeln, weil ja jeder Mensch mindesten 10 Jahre in der Schule war, und dann spreche ich einfach die entscheidenden Stellen bei Ministerien und Behörden an und schon kann ich mein Produkt prima verkaufen. Die aktiven Lehrer müssen sich dann damit rumschlagen, dass das Produkt/Konzept nur theoretisch einen echten Nutzen hat und rein praktisch im alltäglichen, pädagogischen Geschäft nur Mehrarbeit verursacht.

EdTech-Produkte, an denen kein Lehrer bei der Entwicklung eingebunden war, sind vollkommen wertlos. Und zwar nicht nur durch eine kleine Befragung, sondern vollständig eingebunden