GEW startet Petition für gleichwertige Alternative zum Religionsunterricht

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HAMBURG. Die GEW Hamburg hat eine öffentliche Debatte losgetreten, die das Selbstverständnis von Schule im 21. Jahrhundert berührt: Soll es in Schulen für Kinder der Klassen 1 bis 6 endlich eine gleichwertige Alternative zum Religionsunterricht geben – verpflichtend, flächendeckend und mit klarer Kommunikation gegenüber Eltern? Mit einer Petition auf der Plattform OpenPetition fordert die Bildungsgewerkschaft genau das.

“Nicht mehr zu rechtfertigen”. Foto: Shutterstock

„Wir fordern, dass alle Hamburger Grundschulen sowie die Klassenstufen 5 und 6 ein alternatives Unterrichtsfach Philosophie/Ethik anbieten müssen – ein Fach, das sich mit Sinn- und Existenzfragen sowie grundlegenden Werten des Zusammenlebens befasst“, sagt Sven Quiring, Vorsitzender der GEW Hamburg. Das neue Fach, das sich in anderen Bundesländern längst etabliert habe, soll kein Ersatz sein – sondern eine gleichwertige Alternative für Familien, die keiner Religionsgemeinschaft angehören.

Rund 50 Prozent der Hamburger Bevölkerung seien konfessionsfrei – die Schule aber hinke dieser gesellschaftlichen Realität hinterher. „Das im Grundgesetz und im Hamburger Schulgesetz verankerte Recht der Eltern, über die Teilnahme ihrer Kinder am Religionsunterricht zu entscheiden, wird ausgehöhlt, wenn keine echte Alternative zur Wahl steht“, heißt es in der Petition der GEW.

„Weder die Schulbehörde noch die Schulen informieren die Eltern über ihr grundgesetzlich geschütztes Recht auf Abmeldung vom Religionsunterricht“

Die Gewerkschaft listet in der Begründung Probleme auf, die in der Schulpraxis angeblich auftreten. Im Wortlaut: „Die Anträge der Eltern gehen über die Tische der Schulleitungen. Diese setzen sich dann mit den Eltern in Verbindung, damit der Antrag wieder zurückgezogen wird. Leider ist diese Vorgehensweise nicht die Ausnahme, sondern kommt vielen Fällen vor. Melden Eltern ihr Kind trotzdem vom Religionsunterricht ab, bleiben die Kinder in dieser Zeit oft ganz ohne Unterrichtsangebot, werden vor die Tür geschickt oder bestenfalls mit wenig anspruchsvollen Ersatzaufgaben beschäftigt. Eltern ohne Religionszugehörigkeit sehen sich so genötigt, ihr Kind in den Klassen 1 bis 6 lieber im Religionsunterricht zu lassen. Weder die Schulbehörde noch die Schulen informieren die Eltern über ihr grundgesetzlich geschütztes Recht auf Abmeldung vom Religionsunterricht.“

„Wenn über 50 Prozent der Bevölkerung keiner Religionsgemeinschaft mehr angehören, ist es nicht mehr zu rechtfertigen, dass es für Grundschüler*innen keine echte Wahlfreiheit gibt“, sagt Karin Hufert, Co-Sprecherin des Arbeitskreises Philosophie und Religion der GEW Hamburg. Die Gewerkschaft will die Petition deshalb aktiv in die Stadtgesellschaft tragen – mit Plakaten, Flyern und Elternansprache. Ziel: mindestens 10.000 Unterschriften bis Herbst 2025.

Ein verpflichtendes Alternativfach Philosophie oder Ethik, wie es in anderen Bundesländern üblich ist, könne gerade im frühen Kindesalter einen wertvollen Beitrag zur Wertebildung leisten, argumentiert die GEW. Im Fokus: die Auseinandersetzung mit Fragen nach Gerechtigkeit, Mitgefühl, Toleranz, Identität oder Zusammenleben. Anders als der konfessionell gebundene Religionsunterricht könne ein Ethikunterricht religiöse, weltanschauliche und kulturelle Perspektiven gleichberechtigt nebeneinanderstellen.

„Die Kinder von heute wachsen in einer pluralistischen Gesellschaft auf. Schule muss das abbilden“, so Quiring. Gerade angesichts wachsender gesellschaftlicher Spannungen sei ein Ort nötig, an dem Kinder lernen, über Werte zu sprechen – unabhängig von ihrer religiösen oder weltanschaulichen Prägung.

Dass das geht, zeigen andere Bundesländer: In Berlin ist das Fach Ethik ab Klasse 1 für alle Schüler*innen verpflichtend – unabhängig davon, ob sie zusätzlich am Religionsunterricht teilnehmen. In Brandenburg, Thüringen oder Hessen existieren Wahlpflichtsysteme, in denen Ethik und Religion gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Hamburg dagegen bleibt bisher beim sogenannten „Religionsunterricht für alle“, der de facto von Religionsgemeinschaften verantwortet wird. Eine klare Trennung zwischen Bildung über Religionen und Bildung im Glauben ist dabei für viele Eltern und Lehrkräfte kaum noch nachvollziehbar – meint die GEW.

„Wir brauchen mehr Personal, mehr Qualifikation, mehr Zeit für Zusammenarbeit – und ein Angebot, das wirklich allen Kindern gerecht wird“

Die Petition der GEW bringt einen lange schwelenden Konflikt zurück in die öffentliche Debatte: Welche Rolle soll Religion in der Schule spielen? Und wie gelingt ein zeitgemäßer, pluraler Werteunterricht, der allen Kindern offensteht – nicht nur denen mit konfessionellem Hintergrund? „Wir brauchen mehr Personal, mehr Qualifikation, mehr Zeit für Zusammenarbeit – und ein Angebot, das wirklich allen Kindern gerecht wird“, fasst Sven Quiring die Forderung zusammen.

Für Lehrkräfte ist die Debatte auch deshalb relevant, weil sie tagtäglich mit den praktischen Folgen der aktuellen Regelung konfrontiert sind: fehlende Ressourcen für alternative Angebote, Unsicherheit im Kollegium, Unklarheiten in der Kommunikation mit Eltern. Viele wünschen sich Klarheit – und ein verbindliches, gut ausgestattetes Alternativfach, das nicht zwischen Tür und Angel organisiert werden muss. News4teachers 

Hier geht es zur Petition. 

GEW: Religionsunterricht ist nicht mehr zeitgemäß (und bindet zu viele Ressourcen)

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22 Kommentare
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Unfassbar
10 Tage zuvor

Was hat diese Petition mit der Kernaufgabe einer Gewerkschaft zu tun? Aus meiner Sicht wenig bis nichts.

Mary-Ellen
10 Tage zuvor

Zu Beginn der weiterführenden Schule meines Sohnes gab es dieses Angebot: Man hatte die Wahl zwischen dem Fach Religion und dem Fach Werte und Normen.

Wir haben uns für Letzteres entschieden und waren damit sehr zufrieden.

Es beinhaltete, wie im obigen Artikel benannt, die Vermittlung grundlegender Werte des Zusammenlebens; zwar ähnlich, wie es auch viele Kirchen vermitteln möchten, jedoch ohne deren religiöse Verbrämung.

Nach einem halben Jahr wurden wir von vielen Eltern beneidet, deren Kinder am Religionsunterricht teilnahmen, da diese angeblich zu Hause seitenweise Bibelinhalte lesen und z.T. auswendig lernen mussten, ihnen somit viel Zeit für die Nacharbeitung anderer Fächer fehlte.

(Ob es noch heute so ist – keine Ahnung – ist 20 Jahre her.)

Teacher Andi
9 Tage zuvor
Antwortet  Mary-Ellen

In Bayern ist Religion sogar Vorrückungsfach und es gibt Fälle, in denen Schüler wegen Religion die Klasse wiederholen mussten. So etwas ist alles andere als nachvollziehbar. Ich glaube, die Mehrheit würde gerne auf Religion in der Schule verzichten, angesichts der vielen Religionsausrichtungen, die wir mittlereile im Land haben, auch nicht mehr durchführbar.

Philine
9 Tage zuvor
Antwortet  Teacher Andi

Die Kinder können doch zu Ethik wechseln – ist allerdings auch Vorrückungsfach.

Teacher Andi
9 Tage zuvor
Antwortet  Philine

Aber sicher wesentlich sinnvoller ……

Hysterican
9 Tage zuvor

Wussten Sie schon, dass laut Google pdf die 4.schnellst wachsende Religion ist?

Eingabe:
Wie konvertiere ich zu…

Angebot von Google:
Wie konvertiere ich zum Islam?
Wie konvertiere ich zum Katholizismus?
Wie konvertiere ich zum Judentum?
Wie konvertiere ich zu pdf?

Whatever that means…?

potschemutschka
9 Tage zuvor
Antwortet  Hysterican

🙂

Philine
9 Tage zuvor

Wo kommen die vermittelten Werte denn her? Aus dem luftleeren Raum oder aus der christlich-jüdischen Prägung Europas? Diese Frage ist übrigens keine Scheinfrage, sondern beschäftigt mich, seit ich Ethik unterrichte (ca. 20 Jahre).

Bla
9 Tage zuvor
Antwortet  Philine

Bestenfalls aus Menschlichkeit und Empathie.
Dazu brauch ich auch keinen Glauben an eine Weltreligion (auch nicht an mehrere …).

Philine
8 Tage zuvor
Antwortet  Bla

Um Menschlichkeit und Empathie als zentrale Werte zu begreifen braucht es einen “Ramen”, ein Denksystem, in dem begründet wird, warum dies erstrebenswert und “besser” sein soll als reiner Egoismus (damit wäre man in etwa bei Sartre). Ich bin bei meinen (unbeholfenen) Reflexionsprozessen doch immer wieder auf religiöse bzw. transzendente Bezüge zurückgekommen. Aber – wie geschrieben – eine definitive Antwort habe ich nie gefunden.

Teacher Andi
6 Tage zuvor
Antwortet  Philine

Die Kirche hat sich zu einem lukrativen Geschäftmodell entwickelt, und wenn es um Geld geht, hört da das Wertedenken dieser Organisation in Richtung Menschlichkeit und Empathie auf. Es gelten nur eigene Interessen. Mehrfach erlebt.
Es ist höchste Zeit, Kirche und Staat zu trennen, auch finanziell.

Mary-Ellen
6 Tage zuvor
Antwortet  Teacher Andi

Stimme teilweise zu, habe mit Religion auch herzlich wenig am Hut.
(Bin “vorgeschädigt” durch katholische Erziehung in der Kindheit…es wurde viel mit Erzeugung von Angst- und Schuldgefühlen gearbeitet.)
Eine Ausnahme sehe ich allerdings.
Die ein oder andere karitative Einrichtung macht schon Sinn.

laromir
9 Tage zuvor
Antwortet  Philine

Auch die antike Gesellschaft vor Jesus und Co hatte schon Werte. Auch nicht religiöse Bevölkerungsgruppen haben und hatten schon immer ihre gesellschaftlichen Regeln.

Von daher liegt der Wunsch nach Orientierung nach gemeinschaftlichen Regeln des Zusammenlebens wohl irgendwo im Menschen begründet. Diese werden dann (je nach Kultur, Religion, etc.) eben anders ausgestaltet, von einigen religiös (“weil Gott das eben so will”) und von anderen eben anderes (z.B. ganz rational, es ist eben ziemleich doof für mich, wenn jeder jedem alles klauen dürfte, somit lassen wir einfach am besten alle)

Philine
8 Tage zuvor
Antwortet  laromir

Also, wenn ich so die Nachrichten ansehe, gelingt mir der Glaube (?) an die rationale Kompetenz der Menschheit leider nicht.

Mary-Ellen
7 Tage zuvor
Antwortet  Philine

Hat vermutlich mit der neuen “Religion” namens “Konsum” zu tun….

Teacher Andi
6 Tage zuvor
Antwortet  Mary-Ellen

Wobei dei Kirche diesem Zeitgeist durchaus auch zustrebt. Macht und Geld.

Mary-Ellen
6 Tage zuvor
Antwortet  Teacher Andi

Möchte den Gläubigen nicht zu nahe treten, aber in manchen konfessionellen Bereichen wirkt es auf mich tatsächlich wie eine Männer-ABM…

potschemutschka
9 Tage zuvor

Aus obigem Artikel:
“Melden Eltern ihr Kind trotzdem vom Religionsunterricht ab, bleiben die Kinder in dieser Zeit oft ganz ohne Unterrichtsangebot, werden vor die Tür geschickt oder bestenfalls mit wenig anspruchsvollen Ersatzaufgaben beschäftigt.”

Das erinnert mich an ein Gespräch mit Bekannten Mitte der 90er Jahre. Die flüchteten als gläubige Protestanten kurz vor Mauerfall mit schulpflichtigen Kindern in einen katholischen Teil der BRD. Dort wurde nur kath. Reli-Unterricht angeboten und sie meldeten ihre Kinder dort ab. Diese “Freistunden” verbrachten die Kinder dann meist auf dem Schulhof mit den wenigen muslimischen Schülern.
Ich dachte damals, das wäre ein Einzelfall (kleine Dorfschule oder so). 🙂

Marie
9 Tage zuvor
Antwortet  potschemutschka

Tja, wo sollen auch die zusätzlich notwendigen Lehrer herkommen? X Reliklassen=X Relilehrer, nicht X+1. An sowas banales denkt natürlich keiner, wenn er mal eben so ein zusätzliches Fach fordert oder auch nur eine „Auffanggruppe“ für nicht-Reli-Kinder.

Nadine
7 Tage zuvor
Antwortet  Marie

Interessanterweise wurde einer Freundin, die Philosophie auf Lehramt studiert hat, nach dem Referendariat von der ADD (RLP) bei einer Informationsveranstaltung bzgl. Lehrerstellen gesagt, dass Ethik nicht benötigt wird und sie eher wegen ihres zweiten Fachs eingestellt werden würde.
Zeitgleich hatte unsere Tochter am Gymnasium ein ganzes Jahr lang keinen Ethikunterricht – angeblich aus Mangel an Ethiklehrern…

Nadine
7 Tage zuvor
Antwortet  potschemutschka

Ich glaube, dass dies leider keine Einzelfälle sind.

Wir meldeten unsere Tochter im Jahr 2016 mit Grundschuleintritt weder zum evangelischen, noch zum katholischen Religionsunterricht an.
Ethik gab es per se nicht im Angebot, so dass sie mit zwei Schülern, die in Deutsch Förderunterricht erhalten sollten, vor dem Büro der Direktorin saß. Ursprünglich hatte die Direktorin die Aufgabe übernommen, diesen Unterricht zu erteilen – unsere Tochter übernahm dies teilweise, da die Direktorin nicht immer Zeit hatte…

In der zweiten Klasse wollte sie dann mit den Freundinnen am katholischen Unterricht teilnehmen – das ging nur kurz gut, da der Unterricht von einem katholischen Pfarrer gehalten wurde, der ihr mit seinen Geschichten Angst machte.
Daher entschied sie sich für den Wechsel zum evangelischen Unterricht – der wurde von ihrer Klassenlehrerin gehalten, die sie sehr mochte.

Natürlich hatten wir die Anfrage bzgl. Ethikunterricht an die Direktorin gestellt – diese wimmelte uns ab, dass dies eben an ihrer Schule nicht vorgesehen sei – sicherlich auch eine Frage der Ressourcen, denn an einer anderen GS in der gleichen Stadt gab es Ethikunterricht.
Wobei ich mich gut erinnere, dass mehrere Eltern gerne Ethik für ihre Kinder gehabt hätten, sie aber mangels Angebot dann in den Religionsunterricht gesteckt haben.
Vielleicht hätte man sich nur vehementer für Ethik einsetzen sollen.

Ich befürworte es sehr, dass es eine Alternative zum Religionsunterricht geben sollte!

Teacher Andi
6 Tage zuvor
Antwortet  potschemutschka

Voll die Nächstenliebe, oder?