“Notnagel”: Philologen-Chefin sieht den Seiteneinstieg in den Schuldienst mit Sorge

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BERLIN. Kultusminister in Deutschland greifen in Zeiten des akuten Lehrkräftemangels immer öfter auf Quer- und Seiteneinsteigende zurück. Was kurzfristig hilft, den Stundenplan zu füllen, sorgt langfristig für tiefe Sorgenfalten bei Fachleuten wie Prof. Susanne Lin-Klitzing, Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbands (DPhV). Sie warnt: „Diese Entwicklung ist sehr bedenklich. Quer- und Seiteneinsteigende werden zu häufig ohne ausreichende fachliche und pädagogische Begleitung als Notnagel eingesetzt. Viele verlassen den Beruf schon nach wenigen Jahren wieder.“

“Riesiger Verlust”: Die Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes Prof. Susanne Lin-Klitzing. Foto: Foto: DPhV/Marlene Gawrisch

Nicht nur bei den Seiteneinsteigenden gibt es eine hohe Fluktuation. Auch im klassischen Lehramtsstudium gehen viele auf halbem Weg verloren. Lin-Klitzing verweist auf alarmierende Zahlen: „Mehr als 40 Prozent der Studierenden scheiden bereits während der ersten Phase der Lehrkräftebildung aus. Das ist ein riesiger Verlust für das System.“ Auch hier sieht sie Versäumnisse in der Struktur des Studiums und der Ausbildung: Wer sich durch das Studium kämpft, brauche Perspektive, Anerkennung und ein Arbeitsumfeld, das tragfähig ist. „Lehrkräfte müssen nicht nur fachlich stark, sondern auch pädagogisch professionell ausgebildet werden – nur so halten wir sie im System.“

Der DPhV fordert deshalb ein Umdenken: Weg von kurzfristigen Kompensationsstrategien, hin zu einer langfristigen Stärkung des Berufsbildes durch bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen. „Statt nachhaltiger Investitionen in die Ausbildung, Begleitung und Gesunderhaltung regulär ausgebildeter Lehrkräfte setzen viele Länder zunehmend auf schnelle Lösungen“, kritisiert Lin-Klitzing. Das gefährde auf Dauer nicht nur die Belastbarkeit der Kollegien, sondern auch die Bildungsqualität an den Schulen – insbesondere im Sekundarbereich I und II, wo die Anforderungen besonders hoch seien.

Damit der Lehrerberuf wieder an Attraktivität gewinnt, fordert der Philologenverband ein Bündel struktureller Maßnahmen, darunter:

  • Reduktion des Pflichtstunden-Deputats: Die Unterrichtsverpflichtung sei über Jahrzehnte gestiegen, nun brauche es eine echte Entlastung – nicht nur punktuell, sondern dauerhaft.
  • Bürokratieabbau: Lehrkräfte müssten sich wieder auf ihren Kernauftrag konzentrieren können – Bildung, nicht Verwaltung.
  • Gesundheitsvorsorge ernst nehmen: Ein Viertel der vorzeitig ausscheidenden Lehrkräfte tut das wegen Erschöpfung oder Burnout. Der Verband plädiert für bessere Angebote wie Altersteilzeit und Sabbatmodelle. Lin-Klitzing betont: „Nur auf den ersten Blick bedeuten unsere Vorschläge eine Verringerung der Lehrerstunden – tatsächlich gewinnen wir durch kluge Gesundheitsvorsorge aktiv Lebensarbeitszeit zurück.“

Die Kernforderung der DPhV-Vorsitzenden: „Oberstes Anliegen der Finanz- und Kultusministerien muss es sein, gut ausgebildete Lehrkräfte im System zu halten. Das wäre die beste Werbung für den Beruf.“ Wenn Arbeitsbedingungen und Ausbildungswege verlässlicher und attraktiver seien, bleibe der pädagogische Nachwuchs nicht nur länger im Studium – er bleibe auch dauerhaft im Beruf.

Laut aktueller Zahlen des Statistischen Bundesamts hatte im Schuljahr 2023/24 mehr als jede zehnte Lehrkraft an allgemeinbildenden Schulen keine anerkannte Lehramtsprüfung – konkret waren es rund 77.600 Personen, was 10,5 Prozent der insgesamt 739.500 Lehrkräfte entspricht. Zum Vergleich: Im Schuljahr zuvor lag der Anteil noch bei 9,8 Prozent. Besonders hoch ist der Anteil an berufsbildenden Schulen – dort unterrichten mittlerweile 16,6 Prozent ohne vollständige Lehramtsausbildung. News4teachers 

Immer mehr Quer- und Seiteneinsteiger unterrichten an Schulen – Lehrerverbände fordern Qualifizierung und Unterstützung

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2 Kommentare
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Katze
4 Tage zuvor

„Mehr als 40 Prozent der Studierenden scheiden bereits während der ersten Phase der Lehrkräftebildung aus. Das ist ein riesiger Verlust für das System.“ 

Empfehlung: Unbedingt die Lehrkräftebildung fachlich weiter abspecken und die jungen Menschen dort abholen, wo sie die Gymnasien mit laxer Arbeitsmoral, im Leistungsanspruch weichgespült, in der realistischen Selbstreflexion nur bedingt fähig sowie in Leistungsvermögen und -bereitschaft wohlwollend gepampert entlassen durften. Jetzt müssen eben die Hochschulen die entsprechenden Nachlieferungen bedienen. Motto: Ganz viel individuellen Zuspruch, bei weniger Anspruch verhindert manchen Abbruch. Auch auf Noten und Hausarbeiten sollte man weitestgehend verzichten.Sonst wird das nüscht, weil zu stressig.Teilnahme am Wettbewerb in komfortablem Ambiente zählt auch für Studenten. Ob jeder Student so auch ein outputfähiger Studierender wird???? Hauptsache egal!

Praxis
2 Tage zuvor

Natürlich muss man pädagogisch-didaktisch gut ausgebildet werden,das ist für mich die Grundvoraussetzung, logisch. Leider spielt das viel zu wenig eine Rolle und dann wundert man sich. Ich habe mir von älteren Kollegen viel abgeschaut.