Arme Schüler bekommen schlechtere Noten – bei gleicher Leistung

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BERLIN. Kinder aus sozial benachteiligten Familien bekommen bei gleicher Leistung in der Schule schlechtere Noten als Kinder aus sozial begünstigten Elternhäusern. Im Durchschnitt erhalten Mädchen bessere Noten als Jungen. Dies sind Ergebnisse einer aktuellen Studie im Auftrag der Vodafone-Stiftung.

Jungen bekommen schlechtere Noten als Mädchen. Foto:
Jungen bekommen schlechtere Noten als Mädchen. Foto: Greg Westfall / Flickr (CC BY 2.0)

 

Sowohl in der Grundschule als auch am Ende der gymnasialen Oberstufe konnte den Autoren zufolge nachgewiesen werden, dass nicht nur die Leistungen in die Schulnoten einfließen, sondern eben auch andere Faktoren wie der soziale Hintergrund der Schüler und das Geschlecht. Durchgeführt wurde die Studie mit dem Titel „Herkunft zensiert? Leistungsdiagnostik und soziale Ungleichheiten in der Schule“ von den Bildungsforschern Prof. Dr. Kai Maaz (Universität Potsdam), Prof. Dr. Ulrich Trautwein (Universität Tübingen) und Prof. Dr. Franz Baeriswyl (Universität Freiburg/Schweiz). Die Befunde basieren auf Daten der TIMSS-Übergangsstudie (Trends in International Mathematics and Science Study), der Berliner ELEMENT-Studie (Erhebung zum Lese- und Mathematikverständnis) sowie der TOSCA-Studie (Transformation des Sekundarschulsystems und akademische Karrieren) sowie aus einer aktuellen Übergangsstudie aus der Schweiz.

Standardisierter, schriftlicher Leistungstest

Um den Effekt der unterschiedlichen Faktoren wie Familienhintergrund und Geschlecht zu messen, verglichen die Wissenschaftler die Schulnoten mit den Ergebnissen eines standardisierten, schriftlichen Leistungstests, der sowohl mathematisch-naturwissenschaftliche als auch sprachliche Kompetenzen misst. Hier zeigte sich bei gleichem Testergebnis ein deutlicher Effekt des sozioökonomischen Hintergrunds auf die vergebenen Zensuren. Die Notenvergabe lässt sich zu 49,4 Prozent mit der Leistung der Schüler erklären, aber die Noten korrelieren auch mit dem sozialen Status der Eltern und dem elterlichen Bücherbesitz als Anzeichen für die Bildungsnähe.

Für die manchmal geäußerte Vermutung, dass die Schüler aus sozial schwachen Familien die schlechteren Noten bekommen, weil sie weniger Anstrengungsbereitschaft zeigen, konnten die Forscher keine Belege finden, betonten aber die Notwendigkeit, dieser Frage genauer nachzugehen.

Migrationshintergrund spielt keine Rolle

Die Annahme, dass Schüler mit Migrationshintergrund an der Übergangsschwelle von der Grundschule in die weiterführende Schule wegen ungerechter Notenvergabe benachteiligt werden könnten, wurde durch die Studie nicht bestätigt. Die Studie zeigt zudem, dass der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Notenvergabe in der vier- und der sechsjährigen Grundschule und in der Stichprobe aus der Schweiz gleich groß ausfällt.

Auch bei der Schulempfehlung ist der Einfluss der sozialen Herkunft feststellbar –  vor allem allerdings bedingt durch die nach sozialer Schichtzugehörigkeit unterschiedliche Leistung. Diese ist zum Beispiel auf häusliche Bedingungen und mangelnde Förderung durch die Eltern zurückzuführen. Zu immerhin 23,4 Prozent aber entsteht die soziale Ungleichheit durch die Einschätzung der Lehrkräfte, die je nach Schichtzugehörigkeit der Schüler unterschiedliche Schulempfehlungen vergeben, und dies bei gleicher Leistung im standardisierten Test und gleichen Noten.

Gefordert: Individuelle Förderung

Wenn Benotungen und die Einschätzung der Schule sozial neutral wären, könnte der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Übergangsempfehlung um die Hälfte reduziert werden, so die Wissenschaftler. Die Analysen zeigen, dass sich der Anteil der Arbeiterkinder, die ein Gymnasium besuchen, von derzeit 19,2 Prozent auf 28,5 Prozent erhöhen würde, wenn sie bei gleicher Leistung nicht mehr ungleich benotet würden.

„Die Studie zeigt, wie wichtig individuelle Förderung sozial schwacher Kinder ist, damit diese nicht schon in einem frühen Stadium ihrer Bildungslaufbahn wegen schlechterer Leistungen abgehängt werden“, sagte Mark Speich, Geschäftsführer der Vodafone Stiftung Deutschland. „Zudem sehen wir, dass auch Noten und Schulempfehlungen zur sozialen Ungleichheit beitragen. Die Konsequenz darf aber nicht Lehrerschelte sein. Vielmehr sollten die üblichen Formen der Leistungsdiagnostik und Übertrittsregelungen überdacht werden.“

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