„Wirtschaft“ in der Schule – Der schmale Grat zwischen BWL und Verbraucherbildung

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LORCH. Jungen Menschen eine angemessene Wirtschaftskompetenz zu vermitteln gehört mittlerweile weitgehend unbestritten zu den Aufgabe von Schule. Doch welche das ist und wie sie vermittelt werden soll, darum gehen die Meinungen auseinander. Von 2016/2017 gibt es in Baden-Württemberg das Pflichtfach „Wirtschaft Berufs- und Studienorientierung“.

Firmenchefin Josefa Wägner ist zufrieden. Die Geschäfte laufen gut. Der Umsatz liegt bei mehr als 12 000 Euro, die Lager sind leer geräumt. Eine Erfolgsstory – dabei ist Josefa Wägner gerade mal 17 Jahre alt.

Die Firma, die sie leitet, haben sie und ihre Mitschüler am Gymnasium Friedrich II. im baden-württembergischen Lorch im Rahmen des Programms Junior des Instituts der deutschen Wirtschaft gegründet. Stunden haben sie über Konzepten, Bilanzen und Umsetzung gesessen. Am Ende stand das Produkt: Das Kochbuch «Socialcookstar» mit Sterneköchen aus Baden-Württemberg. Mehr als 3 000 Euro Gewinn vor Steuern haben sie damit eingefahren – ein Teil davon geht an ein Projekt für Straßenkinder in Stuttgart. Solche Projekte sind selbst im wirtschaftsstarken «Ländle» nicht die Regel.

Auch Wirtschaftsverbände betonen, sie wollten keine „kleinen BWLer ausbilden“. Foto: AGmakonts / flickr (CC BY 2.0)
Auch Wirtschaftsverbände betonen, sie wollten keine „kleinen BWLer ausbilden“. Foto: AGmakonts / flickr (CC BY 2.0)

Bislang ist Wirtschaft in Baden-Württemberg an Gymnasien ein Wahlfach. Das soll sich ändern. Von 2016/2017 an wird im Südwesten «Wirtschaft Berufs- und Studienorientierung» als Pflichtfach flächendeckend an allgemeinbildenden weiterführenden Schulen unterrichtet. An 14 Schulen startet schon in diesem Herbst ein Testlauf. Bundesweit ist das Vorhaben einzigartig.

«Baden-Württembergs Ansatz hat durchaus Vorbildcharakter für die Bundesrepublik», sagt Dirk Loerwald, Professor für Ökonomische Bildung an der Uni Oldenburg. Auf Ebene der Kultusministerkonferenz gibt es bislang keine Initiative, das Fach flächendeckend einzuführen. Während Niedersachsen beispielsweise ein Pflichtfach Wirtschaft für die Realschule hat und es in Gymnasien Wirtschaft und Politik nennt, gibt es in Nordrhein-Westfalen seit Jahren das Fach Sozialwissenschaften, für Realschulen wird über ein Pflichtfach Wirtschaft diskutiert. «Von einer flächendeckenden Situation sind wir in Deutschland weit entfernt», sagt Loerwald.

Der Nutzen eines solchen Fachs ist auch umstritten. Die Arbeitgeber sprechen sich klar dafür aus. «In einem Sammelfach droht das Thema unterzugehen», sagt Donate Kluxen-Pyta, stellvertretende Leiterin der Abteilung Bildung bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Außerdem gebe es ohne Fach auch keine spezialisierte Lehrerausbildung.

Beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ist man zwar auch für mehr ökonomische Bildung. «Das kann aber nicht nur BWL und VWL sein», sagt Matthias Anbuhl, Abteilungsleiter Bildungspolitik des DGB in Berlin. «Wir sind für einen Fächerverbund», sagt Joachim Ruth, der beim DGB in Baden-Württemberg für bildungspolitische Themen zuständig ist. Damit werde Wirtschaft in einen sozio-ökonomischen Kontext eingebettet und auch Verbraucherbildung könne einbezogen werden.

Die Lorcher Schüler sind anderer Meinung: «Wenn man sieht, was man früher für Wirtschaft gehalten hat, merkt man, dass man nicht so richtig Ahnung hatte», sagt die Schülerin Verena Schatz. In der Mischung mit Gemeinschaftskunde sei Wirtschaft zu langweilig – zu oberflächlich, findet Felix Weber, der an der Schülerfirma mitgearbeitet hat. Das Gymnasium folgt seit 2008 einem Konzept für ökonomische Bildung, das neben normalem Unterricht Planspiele oder die Kooperation mit mittelständischen Firmen vorsieht.

Einige Firmen gehen noch weiter und haben die wirtschaftliche Bildung inzwischen selbst in die Hand genommen. Um ihren Fachkräftebedarf zu sichern, haben Daimler, Bosch, die Deutsche Bahn oder Audi eigene Bildungsprogramme ins Leben gerufen. Im Verbund «Wissensfabrik» bemühen sich mehr als 120 Unternehmen, Bildungspartnerschaften mit Schulen zu schließen.

In Baden-Württemberg, wo aktuell der neue Bildungsplan erarbeitet wird, beobachtet man das mit Argusaugen. «Schule darf keine Werbeveranstaltung werden. Im Gegenteil: Schule muss einer der letzten Bereiche im Heranwachsen unserer Kinder bleiben, der nicht auf Teufel komm raus marktkonform gestaltet wird», sagt Verdi-Landesbezirksleiterin Leni Breymaier.

Stefan Küpper, Bildungsabteilungsleiter bei Südwestmetall, beschwichtigt: «Wir wollen keine kleinen BWLer und Unternehmer heranzüchten», sagt er. Es gehe um einen breiten Ansatz. «Dazu gehören auch Gewerkschaften und Betriebsräte.»

Die Schüler aus Lorch haben das erst noch vor sich. Die größeren gesellschaftlichen Zusammenhänge der Volkswirtschaftslehre werden sie im kommenden Schuljahr kennenlernen. Dass ihre Firma mit mehr als fünf Mitarbeitern einen Betriebsrat hätte haben können, wissen sie inzwischen. Den für die Schülerfirma zu gründen, hätte die Sache aber kompliziert, grinst Felix Weber. An den 50 Cent Stundenlohn und den durchgearbeiteten Wochenenden hätte er wohl ohnehin nichts geändert. (Annika Graf, dpa)

Kultusministerkonferenz: Wirtschaftliche Bildung an allgemein-bildenden Schulen (pdf)
Schülerfirma SocialCookStar
Wissensfabrik – Unternehmen für Deutschland

zum Bericht: Lobbyismus an Schulen: Vorsicht vor Unterrichtsmaterial von der Wirtschaft
zum Bericht: Wirtschaft wird kein eigenes Pflichtfach in Rheinland-Pfalz

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