WIESBADEN (Mit Kommentar). Die Hessen-FDP will mit einem Generationswechsel punkten: Nach Wirtschaftsminister Posch nimmt mit Kultusministerin Henzler das zweite Kabinettsmitglied über 60 den Hut – allerdings gegen ihren Willen.
Zwei FDP-Minister kündigen rund eineinhalb Jahre vor der Landtagswahl kurz hintereinander ihren Rücktritt an und machen Jüngeren Platz. Von dem frühzeitigen Generationenwechsel erhoffen sich die hessischen Liberalen Aufwind. Nach Wirtschaftsminister Dieter Posch (67) hat am Samstag Kultusministerin Dorothea Henzler (63) ihren Rückzug mitgeteilt. Sie entspreche damit dem Wunsch ihrer Partei, hätte aber gerne noch weitergemacht, heißt es in einer Mitteilung der Ministerin vom Bundesparteitag der FDP in Karlsruhe.
Nachfolgerin soll die Landtagsabgeordnete Nicola Beer (42) werden. Poschs Amt übernimmt voraussichtlich Fraktionschef Florian Rentsch (37). Die Entscheidungen sollen am Dienstag fallen. Europa-Staatssekretärin Nicola Beer war zuletzt für einen Vorstandsposten bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Gespräch.
Für die Oppositionsparteien SPD und Grüne zeigen die Rücktritte der FDP-Minister die Schwäche der schwarz-gelben Landesregierung. Nach Ansicht der Linken sind die markt- und neoliberalen Konzepte der FDP gescheitert. Der Landeselternbeirat bedauert, «dass Parteitaktik vor kontinuierlicher Schulentwicklung rangiert» und fürchtet Stillstand bei der Umsetzung wichtiger Projekte. Die Lehrergewerkschaft VBE nannte Henzlers Amtsführung «insgesamt glücklos».
Hessens FDP-Vorsitzender und Justizminister Jörg-Uwe Hahn (55) sagte in Karlsruhe, beide Minister hätten nach der Landtagswahl Ende 2013 nicht mehr antreten wollen. Daher plane er seit Wochen, die Partei neu aufzustellen. «Wir brauchen Kandidaten, die eine Perspektive für die Zukunft bieten.» Dann habe die FDP gute Chancen, die Landtagswahlen mit der CDU erneut zu gewinnen. «Ich habe mit vielen Mitgliedern gesprochen und gemerkt, dass die Entscheidung für eine Verjüngung der Ministerriege nicht umkehrbar ist», sagte Henzler. Die stellvertretende Bundesparteivorsitzende Birgit Homburger lobte, der Landesverband habe sich den Wechsel genau überlegt. «Das ist eine sehr vorausschauende Planung.»
«Ich fühle mich nicht zu alt für dieses Amt», sagte Henzler der Nachrichtenagentur dpa. Das Ansinnen der Partei habe sie «überrascht», sie beuge sich aber der Parteiräson.
Bis zu den Sommerferien wolle sie ihr Hauptprojekt – die Einführung Selbstständiger Schulen – weiter vorantreiben, sagte Henzler. Danach wolle sie bis zum Ende der Legislaturperiode als einfache Abgeordnete im Parlament sitzen. Hahn lobte ihre «herausragende Arbeit». Der Koalitionspartner CDU betonte, dass es kaum noch Unterrichtsausfall gebe. Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) zollte Henzler Dank und Respekt für drei Jahre an der Spitze «eines der wichtigsten und schwierigsten Ressorts der hessischen Landesregierung».
Die Bildungsgewerkschaft VBE warnte die Landesregierung, zu glauben, sie komme mit einem Personalwechsel über die Runden. «Was wir brauchen, ist eine Politik, die zum einen die versprochene Ruhe an die Schulen bringt, zum anderen die Ratschläge der professionellen Praktiker nicht ständig ignoriert», sagte der Landesvorsitzende Helmut Deckert laut Mitteilung. Der Landeselternbeirat fürchtet dagegen, dass der Personalwechsel Stillstand bei der Umsetzung wichtiger Projekte wie die Selbstständige Schule, Inklusion (Integration behinderter Schüler) und die Einführung von islamischem Religionsunterricht und Bildungsstandards sowie dem Ausbau der Ganztagsschulen und die Reform der Lehrerbildung.
Die SPD hingegen bezeichnete Henzler als «das zweite Mobbingopfer der Parteiführung an zwei Tagen». Offensichtlich lägen bei der hessischen FDP die Nerven blank. SPD-Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel sieht die Landesregierung vor dem Zerfall. «In der Sache ist das alles ein Desaster, die FDP befindet sich im freien Fall», sagte er dem Radiosender hr-info. «Das ist – glaube ich – ein Markenzeichen von Schwarz-Gelb, das es nur noch um Posten geht, aber nicht mehr um die Politik.
Nach Ansicht der Grünen «herrscht blanke Panik bei Schwarz-Gelb». Einen Tag vor ihrem Rücktritt habe Henzler noch trotzig erklärt, im Amt bleiben zu wollen. «Nur wenige Stunden später wurde sie von den eigenen Leuten endgültig zu Fall gebracht.» Grünen-Chef Tarek Al-Wazir sieht in dem Rückzug Henzlers einen Ausdruck für die Schwäche der Landesregierung. Die FDP tausche lediglich Köpfe aus und setzte ihre alte Politik fort, sagte er hr-info. Henzler sei mit ihren Versuchen der Schulreform und der Integration behinderter Schüler gescheitert. Ministerpräsident Volker Bouffier spiele überhaupt keine Rolle und erfahre nur, wen er neu zu ernennen habe. dpa
(22.4.2012)
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