Jüdische Kollegen im Stich gelassen – Lehrerverband: „Wir schämen uns“

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MÜNCHEN. Der Lehrerverband BLLV hat einen dunklen Fleck in seiner Geschichte. Jüdische Kollegen wurden während der Nazi-Zeit im Stich gelassen. Schüler sollen jetzt helfen, die Lebensgeschichten von jüdischen Lehrern in Bayern aufzuarbeiten.

Von der US-Armee befreite Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau 1945. Foto: United State Holocaust Memorial Museum / Wikimedia Commons
Von der US-Armee befreite Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau 1945. Foto: United State Holocaust Memorial Museum / Wikimedia Commons

Hermann Mandelbaum unterrichtete als Lehrer an der Israelitischen Realschule in Fürth den späteren US-Außenminister Henry Kissinger. Am 10. November 1938 wurde er von den Nazis verhaftet und zusammen mit Tausenden anderen ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Ende Dezember wurde er entlassen und floh mit seiner hochschwangeren Frau erst nach England, dann in die USA. In Philadelphia baute er sich ein neues Leben auf.

Die Schülerin Laura Thiele vom Ignaz-Taschner-Gymnasium in Dachau hat seine Geschichte aufgeschrieben. Sie ist eine von zwölf Schülern des Gymnasiums, die sich mit den Lebensgeschichten jüdischer Lehrer in Bayern befasst haben. Am kommenden Mittwoch werden drei von ihnen die Biografien vorstellen – bei einem Festakt des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) für die in der NS-Zeit ermordeten jüdischen Lehrer.

Nach dem Wunsch des BLLV sollen viele weitere Schüler dem Beispiel des Dachauer Gymnasiums folgen und sich auf die Spuren jüdischer Lehrer begeben. Es ist ein einmaliges Projekt, sagt BLLV-Präsident Klaus Wenzel. Und: «Wir schämen uns für das, was passiert ist.» Der Verband habe sich während der NS-Zeit nicht für seine jüdischen Mitglieder eingesetzt – ganz im Gegenteil. Während jüdische Kollegen vorher Freunde waren, seien sie während des NS-Regimes alleingelassen worden. «Wir wissen, dass der Verband in einer Epoche der Geschichte versagt hat und nicht das getan hat, was er hätte tun sollen.» Der heute 150 Jahre alte Verband habe damals «nicht ansatzweise Widerstand geleistet».

Nun sollen die verfolgten Kollegen, die damals im Stich gelassen wurden, einen Namen, ein Gesicht und eine Stimme bekommen. Schätzungsweise bis zu 900 jüdische Lehrer unterrichteten zwischen 1900 und 1942 in Bayern, 650 von ihnen sind bislang namentlich bekannt. Der BLLV hofft für das Projekt auf Unterstützung des Kultusministeriums. Personell seien die Aufgaben sonst nicht zu bewältigen.

Sabine Gerhardus, die auch für das Gedächtnisbuch für ehemalige Häftlinge im KZ Dachau verantwortlich ist, betreut jetzt auch das Schulprojekt. Sie hat die vorbereitende Recherche betrieben und will den Schülern, die ihre Facharbeiten zum Thema schreiben wollen, helfen. Sie betont: Es gehe nicht darum, die Juden als Opfer darzustellen, sondern in ihrer gesamten Lebensgeschichte. «Wir wollen das normale, das lebendige Leben der Juden in Bayern zeigen» – nicht nur Ausschnitte aus den Gräueltaten der Nazis. «Es ist ja auch die Erinnerung des kulturellen Lebens weg.» Es gehe nicht um eine «Geschichtsaufarbeitung für das Archiv», betonte auch der Sprecher der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Aaron Buck. «Die Auseinandersetzung der Schüler mit Einzelschicksalen macht erst den menschlichen und zivilisatorischen Abgrund deutlich.» BRITTA SCHULTEJANS; dpa
(21.4.2012)

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