„Fehlende soziale Reife“: Jeder vierte Auszubildende bricht die Lehre ab

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BERLIN. Immer mehr Jugendliche brechen ihre Lehre ab. Im Bundesdurchschnitt lag die Abbrecherquote 2010 bei 23 Prozent, im Jahr zuvor bei 22,1 Prozent. Das geht aus dem Datenreport zum jüngsten Berufsbildungsbericht 2012 hervor.

"Wir können es uns nicht leisten, Potenziale auf dem Arbeitsmarkt zu verschenken." Foto: ME-Arbeitgeber / Flickr  (CC BY 2.0)
„Wir können es uns nicht leisten, Potenziale auf dem Arbeitsmarkt zu verschenken.“ Foto: ME-Arbeitgeber / Flickr (CC BY 2.0)

Nirgendwo in Deutschland schmeißt ein so großer Anteil der Lehrlinge die Ausbildung hin wie in Mecklenburg-Vorpommern. 2010 lösten dort 31,5 Prozent der Azubis ihre Verträge vorzeitig. Nach Angaben des Bundesinstituts für Berufsbildung Bonn (BIBB) kam Sachsen-Anhalt mit 29,2 Prozent Vertragslösungen auf den zweitschlechtesten Platz, gefolgt vom Saarland (27,9) und Thüringen (27,7).

«Die Auszubildenden von heute sind die Fachkräfte von morgen», sagte Horst Schmitt, Sprecher der Regionaldirektion Nord der Bundesarbeitsagentur in Kiel. «Wir können es uns gesellschaftspolitisch und aufgrund der demografischen Entwicklung nicht leisten, dass wir Potenziale am Arbeitsmarkt verschenken.» Für ein Senken der Abbrecherquote sei eine frühzeitige Berufsorientierung in den Schulen wie auch durch die Eltern nötig, forderte Schmitt. Von den 350 Ausbildungsberufen in Deutschland seien vielen nicht mal ein Dutzend bekannt, bemängelte der Sprecher.

Nachhilfe zum Thema Konfliktbewältigung

Für lernschwächere Berufsschüler zahle die Bundesagentur «ausbildungsbegleitende Hilfen (abH)», um Lehrabbrüchen vorzubeugen, betonte Schmitt. Nachhilfe gebe es in Mathematik, Deutsch oder zum Thema Konfliktbewältigung. In Mecklenburg-Vorpommern etwa nutzten derzeit 350 Jugendliche diesen kostenlosen Unterricht. Vor einer Ausbildung seien auch sechs- bis zwölfmonatige Betriebspraktika als Einstiegsqualifizierung möglich.

Obwohl es mittlerweile in Mecklenburg-Vorpommern an Ausbildungsbewerbern mangelt – Ende August standen 1800 Suchenden noch mehr als 3200 unbesetzte Plätze gegenüber – geht laut Handwerkskammer Schwerin die Lösung der Ausbildungsverhältnisse dreimal so häufig von den Betrieben als von den Lehrlingen aus. Gründe seien mangelnde Leistungen und fehlende soziale Kompetenzen der Jugendlichen, erklärte eine Sprecherin. 2011 wurden im Handwerk Westmecklenburgs gut 14 Prozent der Lehrverträge vorzeitig gelöst. Immerhin jeder fünfte Abbrecher setzte seine Ausbildung in einem anderen Betrieb aber fort, wie es hieß.

Laut der Vereinigung der Unternehmensverbände (VUMV) wechselt etwa jeder dritte Lehrabbrecher bereits in der Probezeit in einen anderen Betrieb oder Beruf. Auch der Weg von einer überbetrieblichen Ausbildungsstätte in ein Unternehmen sei statistisch eine Vertragslösung. Dies bedeute aber nicht den Abbruch der Ausbildung, sondern eine Neuorientierung, sagte Hans-Günter Trepte, Geschäftsführer Berufsausbildung. «Es steht zum Schluss keiner auf der Straße.»

„Offen über Rahmenbedingungen informieren“

Eine bessere Berufsorientierung und klare Lernziele bereits in der siebten, achten Klasse forderte der Ausbildungsexperte der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwerin, Peter Todt. «Unternehmen müssen fair und offen über Rahmenbedingungen informieren.» Das Gastgewerbe etwa sollte bereits Schüler an Schnuppertagen über Schichtarbeit aufklären, um später Enttäuschung und Ausbildungsabbruch zu vermeiden, so Todt.

Bundesweit entfallen die meisten Lehrvertragslösungen mit über 40 Prozent auf Hotels und Gaststätten. Mangelnde soziale Reife von Schulabgängern macht Dehoga-Chef Matthias Dettmann mit für Lehrabbrüche verantwortlich. «Viele Jugendliche setzen sich nicht intensiv genug mit ihrem Wahlberuf auseinander», kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes.

Auf vorbereitende Schülerpraktika in der Landwirtschaft setzt der Bauernverband zur Nachwuchsgewinnung. Die Agrarbranche im Nordosten weist mit 33,9 Prozent eine überdurchschnittliche Abbrecherquote auf. «Viele unterschätzen die hohe Technisierung der Branche», erklärte Ausbildungsleiterin Rotraud Geiger. Vorurteile sollten während eines Praktikums vor Vertragsabschluss ausgeräumt werden. «Die Chemie im Betrieb muss stimmen», betonte Geiger. GRIT BÜTTNER; dpa (3.11.2012)

Zum Bericht: „Lehrstellenmarkt 2012: Entspannung Ja – aber kein Jubel“

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