„Stammestrommel“ – die Medienkolumne: „Wie ich Technik individuell fördere“

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OBERHAUSEN. „Stammestrommel“, die Medienkolumne von Marco Fileccia, Lehrer in Oberhausen. Heute: „Wie ich Technik individuell fördere“ oder „Es muss nicht immer alles klappen.“

Kennen Sie das Gefühl, wenn Technik nicht das macht, was sie soll? Dieses Gefühl von Ausgeliefertsein an ein Ding, das – zum Beispiel beim Handy – zusammengesetzt ist aus 60 verschiedenen Stoffen mit so exotischen Namen wie Tantal (übrigens aus dem Erz Coltan gewonnen), Indium und Gallium (die Chemie-Kollegen mögen mir die „Exotik“ verzeihen)? Und dazu einer Software, die uns völlig unverständlich erscheinen würde, könnten wir sie sichtbar machen (hier bitte ich die Informatik-Kollegen um höfliche Rücksicht für „Unverständlichkeit“).

Ich habe den Anspruch eines „early adapter“. Das sind im Sprech von Beratungsunternehmen, die auch Worte wie „Interventionslogik“ in den Mund nehmen, diejenigen Menschen, die sich in die Schlange vor den Apple-Store stellen, um das neueste Modell am ersten Tage erwerben zu dürfen. Diejenigen, die ihr Gerät, sei es Handy, Tablet oder auch Laptop auffällig-unauffällig in der Lehrerkonferenz zur Bewunderung auslegen. Die mit Mini-Beamer in der Tasche rumlaufen ohne ihn zu verstecken. Ich bin also so einer. Der Gedanke, dass Schüler mit einem schmalen Budget mir technologisch voraus sind, ist irgendwie unerträglich und ich versuche es zu vermeiden. Wahrscheinlich – gespeist aus meiner Alltagserfahrung – bin ich ein Exot in deutschen Lehrerzimmern. Eigentlich schade… unserer Überzeugungskraft zur Medienerziehung täte es gut, den Geldbeuteln weniger.

Wohin entwickelt sich das Internet? Diese und andere Fragen treibt unseren Kolumnisten Marco Fileccia um. (Foto: privat)
Wohin entwickelt sich das Internet? Diese und andere Fragen treibt unseren Kolumnisten Marco Fileccia um. (Foto: privat)

Untrennbar verbunden mit „early adapter“ ist mein Dasein als frustrationstoleranter „Beta-Tester“. Das sind die armen Schweine, die etwas testen müssen, was noch nicht ganz ausgereift (eben „Beta“ und nicht „Alpha“) ist. Zwei Beispiele?

Podcasts. Sie sind seit Jahren mein unverzichtbarer Lernbegleiter. Durch sie kann ich orts- und zeitunabhängig auf dem Laufenden bleiben. Sie bringen mir als Politiklehrer die Nachrichten wann ICH will, als Geschichtslehrer die zeitgeschichtlichen Dokumentationen wann ICH will, als Biologie-Lehrer die neuesten Erkenntnisse aus der Wissenschaft in Wort und Bild (klaro: wann ICH will), als Informatiklehrer diye neuesten Trends inklusive der Kritik daran… undsoweiterundsofort. Eine praktische Sache, nicht mehr wegzudenken aus der Unterrichtsvorbereitung und dem Wege zu einem besseren Menschen. Doch Podcasts technisch zu bändigen, übersteigt meine Fähigkeiten und auch meine Fertigkeiten. Die KMK würde dafür sicherlich klug klingende Kompetenzen mit anschaulich anmutenden Aktivverben formulieren können wie… „Der Kollege gibt die Funktionsweise von Podcasts für seine eigenen Zwecke sinnhaft wieder“ oder „Der Kollege handhabt Podcasts zielgerichtet für seine eigenen Zwecke“. Ach ja… Anforderungsbereich III fehlt noch: „Der Kollege erkennt den Zusammenhang zwischen technischem Anspruch und der brutalen Wirklichkeit.“ Ich schaffe es einfach nicht meiner Software beizubringen, dass es durchaus mal vorkommt, dass ich eine Woche diese Podcasts nicht höre / sehe und danach trotzdem die neueste Folge haben möchte. Keine Chance! Sie wird abgeschaltet mit dem süffisanten Hinweis „Sie sind so unverschämt und haben diesen Podcast 7 Tage nicht angeschaut. Jetzt hat er auch keine Lust mehr! Möchten Sie ihn wiederhaben, drücken sie auf ein paar Knöpfe!“) Oder die an sich logische Tatsache, dass ich die neueste Folge VOR der älteren haben möchte. Wer es nicht glaubt, schaue hier:

FilecciaPodcast
Tücken der Technik: Die Sendung vom 27.5. ist älter als diejenige vom 26.5. (Screenshot: Fileccia)

Oder einfach Radiohören in Echtzeit. Natürlich und selbstverständlich habe ich meine Frequenzmodulation in Form der Ultrakurzwelle konsequent abgeschafft und auf Digital-Broadcasting umgestellt. Anders ausgedrückt: Radiohören über Digitalradio, kurz „DAB“ (neudeutsch „Digital Audio Broadcasting“) genannt. So weit so modern. Im Netz finden sich sofort 10 Gründe DAFÜR (so unter www.digitalradio.de), aber ich darf nun die Nachrichten später hören als meine Freunde mit dem guten, alten Radio… Wer es testen möchte, stellt sich beide Systeme nebeneinander und wundert sich über Echo statt Gleichklang. Oder Lokalfenster… die Programme aus der Nähe zu bestimmten Zeiten. Keine Chance! Gesendet wird ein einziges Programm.

An dieser Stelle wäre der richtige Platz für Verzweiflung oder Fatalismus. Aber dafür bin ich kein Lehrer geworden. Kein Ärzteschreck, der nachfragt was in der Spritze eigentlich drin ist, die gerade in meinen Arm einfährt. Oder Versicherungsschreck, der das Kleingedruckte auch wirklich liest oder derjenige, der an der Brottheke anfängt über Zusatzstoffe zu diskutieren, die Schlange im Nacken. Verzweiflung und Fatalismus widerspricht uns also. Was bleibt angesichts von Technik, die nicht tut, was sie soll? Briefe schreiben an den Hersteller mit der Androhung von Liebesentzug? Wer das versucht hat, kennt nun das kafkaeske Gefühlt sich mit totalen Institutionen anzulegen (die Kollegen für Sozialwissenschaften bitte ich hiermit ausdrücklich um Verzeihung für diese billige Vereinfachung).

Ich mache das, was meine Schulleiterin gerne hört: Individuelle Förderung und Inklusion. Wer sagt denn, dass mein Handy oder mein Radio es nicht verdient genau so akzeptiert zu werden, wie sie sind? Jeder hat Stärken, die es zu fördern gilt. Mein Handy kann beispielsweise sehr zuverlässig minutengenau die Phasen in Kooperativem Lernen messen und mir deren Ende per akustischem Signal anzeigen. Toll gemacht, kleines Handy! Natürlich gibt es Geräte, die vieles besser können. Aber behindert ist man nicht, behindert wird man. Also schaffe ich das Umfeld, damit mein Handy im Rahmen seiner Möglichkeiten das Beste leisten kann, als normaler Teil der Geräte-Gemeinschaft. Wenn es Podcasts nicht in der richtigen Reihenfolge spielen kann, na und? Deshalb ist es nicht weniger wert als das Handy der Kollegin, das den Notendurchschnitt einer Klasse noch vor ihr weiß!

Pädagogische Feinfühligkeit auch bei kalter Technik – mein Erfolgsrezept!

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