STUTTGART. Die verbindliche Ganztagsschule wird im Südwesten zur Regelschule. Mittelfristig sollen in Baden-Württemberg 70 Prozent der Grundschulen und Förderschulen im Ganztagsbetrieb laufen. Zahlreiche Schulträger haben bereits ihr Interesse an der Umstellung angemeldet. GEW und Städtetag plädieren indes für einen fließenden Übergang.
Die GEW schlägt beim Ausbau der Ganztagsgrundschule zwei unterschiedliche Wege vor. «Es gibt zwei Motive für die Wahl einer Ganztagsgrundschule: Entweder wollen die Eltern am Nachmittag eine verlässliche Betreuung ihres Kindes oder sie wollen einen pädagogisch durchstrukturierten Ganztagsbetrieb, der die Abhängigkeit der Bildungschancen von der sozialen Herkunft abbauen hilft», sagte GEW-Landeschefin Doro Moritz. Mit einer deutlichen Unterscheidung je nach Bedürfnissen der Eltern könnten die knappen Ressourcen effizient eingesetzt werden. Es könnten auch an einer mindestens zweizügigen Grundschule beide Angebote parallel laufen.
Nach fast fünf Jahrzehnten soll die Ganztagsschule vom kommenden Schuljahr als Regelschule an drei oder vier Tagen jeweils sieben oder acht Stunden eingerichtet werden können. Bis zu zwölf Lehrerwochenstunden soll es dafür zusätzlich geben. Das entsprechende Gesetz soll am kommenden Mittwoch in den Landtag eingebracht werden. Von rund 2400 öffentlichen Grundschulen im Land bieten bislang nur 373 im Modellversuch eine Ganztagsbetreuung an. Dem Ministerium liegen deutlich mehr als 150 Anträge für das kommende Schuljahr vor.
Die sogenannte Monetarisierung, die den Ganztagsgrundschulen ermöglicht, bis zur Hälfte des Geldes für zusätzliche Lehrerstellen in anderes Personal zu stecken, lehnt Gewerkschafterin Moritz ab. «Wir können keine qualitativ hochwertigen Zusatzangebote für die Schulen mit diesen Mitteln bestreiten.» Es stelle sich die Frage, wen man am Nachmittag überhaupt für die Schulen einkaufen könne. «Da gibt es nicht so viele Profis, die zu dieser Tageszeit nicht berufstätig sind». Die Monetarisierung ermögliche auch kein Konzept aus einem Guss, weil man viele Personen für Einzelstunden einkaufen müsse. Zudem drohten prekäre Arbeitsverhältnisse.
Der Ganztagsbetrieb müsse eine gute Grundausstattung mit Lehrern und sozialpädagogischen Fachkräften haben, die allerdings durch externe Personen zum Beispiel aus Vereinen unterstützt werden könnten. Moritz: «Wenn man will, dass in einem konservativem Land wie unserem Ganztagsschule auf Akzeptanz stößt, dann muss der Ganztag gut sein.»
Die GEW-Chefin warnte vor Schnellschüssen bei der Einrichtung von Ganztagsschulen. Die Kommunen als Schulträger machten Druck, weil das Land jetzt auch die Verantwortung für Angebote in der Mittagszeit – ohne Mittagessen – übernimmt. Bislang finanzierten Städte und Gemeinden bei den bestehenden Ganztagsschulen das sogenannte Mittagsband inklusive Mittagessen. Je schneller die Kommunen Anträge auf Ganztagsbetrieb stellten, desto mehr Geld könnten sie einsparen. «Doch eine pädagogisch anspruchsvolle Ganztagsschule braucht Vorbereitung und sehr viel qualifizierte Unterstützung durch den Schulträger.»
Das Konzept, dass kleine Grundschulen Ganztagsgruppen mit mindestens 25 Kindern aus unterschiedlichen Klassenstufen bilden können, lehnt die GEW ab. «Das verhindert einen rhythmisierten Ganztag, denn die Kinder müssen am Morgen in ihren jeweiligen Klassen den Unterricht besuchen und der Ganztag setzt dann für die klassenübergreifende Gruppe erst am Nachmittag ein», sagte Moritz.
Unter Rhythmisierung wird der über den Tag verteilte Wechsel von Phasen der An- und Entspannung verstanden, so dass nicht zwei starre Blöcke von Unterricht am Morgen und außerunterrichtlicher Aktivität am Nachmittag entstehen.
Der Städtetag betonte, man müsse bei Einführung der Ganztagsgrundschule zunächst Abstriche bei der Rhythmisierung hinnehmen. In der Übergangsphase müssten alle Beteiligten Geduld üben und darauf vertrauen, dass Land und Kommunen den Ausbau der Ganztagsgrundschulen qualitativ und quantitativ vorantreiben wollten, sagte Bildungsdezernent Norbert Brugger.
Bei der Einführung der Ganztagsschule solle es überdies fließende Übergänge geben, damit das Elternwahlrecht erhalten bleibe. «Manche Eltern wollen einfach keinen Ganztag für ihre Kinder, etwa weil sie am Nachmittag außerschulische Aktivitäten vorhaben», so Brugger.
Eine Komplettumstellung könne nur erfolgen, wenn die Schule die Eltern aller Kinder der Klassen 1 bis 4 von der verbindlichen Ganztagsgrundschule überzeuge. «Das dürfte aber der Ausnahmefall sein», meinte Brugger.
Aus Sicht des Städtetags seien zwei Szenarien des sukzessiven Wechsels denkbar: Im Schuljahr 2014/15 könne der Ganztagsbetrieb in allen ersten Klassen verbindlich, in den restlichen drei Klassenstufen wahlweise angeboten werden.
Im übernächsten Schuljahr könnten dann nur noch die dritten und vierten Klassen in Wahlform laufen, so dass die Schule im Schuljahr 2017/18 komplett auf den verbindlichen Ganztagsbetrieb umgestellt sei. Nach dem gleichen Muster sei auch eine Kombination aus verbindlicher Ganztagsschule und bisheriger Halbtagsgrundschule möglich. Diese Alternativen zum sofortigen verbindlichen Ganztagsbetrieb entsprächen auch den vielfach geäußerten Wünschen der Schulträger vor Ort. (News4teachers mit Material der dpa)
zum Bericht: Ganztagsschulen im Südwesten bekommen gesetzliches Fundament