Bischöfe für intensivere Auseinandersetzung mit der Sterbehilfe im Unterricht

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Stuttgart/Freiburg/Karlsruhe. Aktive Sterbehilfe ist bislang in Deutschland verboten. Kommende Woche will der Bundestag die Beratungen zu einer gesetzlichen Neuregelung aufnehmen. Besonders junge Menschen befürworten für Patienten mit tödlichen Krankheiten die Möglichkeit, Sterbehilfe durch einen Arzt in Anspruch zu nehmen. Kirchenvertreter sehen Schulen in der Verantwortung, das Gewissen von Schülern zu schärfen.

Schon in der Schule ist Sterbehilfe ein Thema – auch im Religionsunterricht. Gerade dort wünscht sich der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst eine intensivere Auseinandersetzung mit «aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen». «Es geht mir grundsätzlich darum, einen Meinungsbildungsprozess sehr früh und auf breiter Basis anzustoßen», sagte der Katholik. «Der Sterbeprozess ist ein Teil des Lebens. Es ist Aufgabe der Kirche, eine Kultur der Hilfe im Sterben zu entwickeln und diese auch zu vermitteln.» Der Erzdiözese Freiburg und den beiden Evangelischen Landeskirchen in Baden-Württemberg ist das Thema Sterbehilfe im Religionsunterricht ebenfalls wichtig, wie eine Umfrage ergab. Und auch die Schüler seien daran interessiert.

Der Bundestag will 2015 die Sterbehilfe gesetzlich neu regeln. Foto: Joachim Schlosser/flickr (CC BY-SA 2.0)
Der Bundestag will 2015 die Sterbehilfe gesetzlich neu regeln. Foto: Joachim Schlosser/flickr (CC BY-SA 2.0)

«Bereits kleine Kinder besitzen eine beachtliche Fähigkeit, existenziell gehaltvolle Fragen zu stellen», sagte Fürst und nannte die Fragen nach der eigenen Herkunft oder dem Warum des Sterbens. Die Auseinandersetzung mit dem Anfang und dem Ende des Lebens stehe schon im Orientierungsplan für die Kindergärten im Südwesten. «Außerdem ist Sterben und Tod im Lebensumfeld bei Kindern natürlich eine Realität und nicht nur ein abstraktes Thema, das ihnen begegnet.»

Ethisch fundierter würden die Diskussionen im jugendlichen Alter. «Hier wissen wir beispielsweise aus dem Berufsschulbereich, dass die Themen Sterben und Sterbehilfe zu denen gehören, die am meisten bearbeitet werden», sagte Fürst und ergänzte: «Und zwar deshalb, weil Schülerinnen und Schüler dieser Altersstufe dies ausdrücklich wünschen.» Ähnlich äußerte sich ein Sprecher der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Schon in den Klassen 9 und 10 werde das Thema Tod ausführlich behandelt, in der Oberstufe dann werde Sterbehilfe «heiß diskutiert». Wichtig sei, das Gewissen zu schärfen.

Aktive Sterbehilfe, also Tötung auf Verlangen, ist in Deutschland verboten. Beihilfe zur Selbsttötung wie das Besorgen von Gift für einen leidenden Todkranken ist hingegen nicht strafbar. Der Bundestag will 2015 einen neuen Anlauf für eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe unternehmen und an diesem Donnerstag darüber debattieren.

«Die Gesellschaft muss sich verstärkt mit dem Altern und dem Sterben auseinandersetzen», fordert auch der Freiburger Erzbischof Stephan Burger. «Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das kann die Kirche nicht alleine leisten», hatte er jüngst im «Offenburger Tageblatt» gesagt. Wenn Menschen von den Möglichkeiten wüssten, die es für Schwerstkranke durch optimale Pflege, Seelsorge, Hospiz-Helfer und Palliativ-Medizin gibt, und sicher sein könnten, dass diese auch für sie flächendeckend zur Verfügung stehen, würden Umfragen zum Thema Sterbehilfe nach seiner Überzeugung anders ausfallen.

Sein Amtskollege Fürst spricht sich für eine enge Zusammenarbeit von Bildungseinrichtungen und Einrichtungen der Altenhilfe und Pflege oder mit Hospizen aus. «Dadurch entsteht sicherlich ein intensiver und gleichzeitig bereichernder Austausch zwischen Schülern und Menschen in der letzten Phase ihres Lebens. Eine Meinungsbildung zum Thema Sterbehilfe würde dadurch sicher wichtige Impulse erfahren.»

Der Leiter des Referates Erziehung und Bildung in Schule und Gemeinde bei der Evangelischen Landeskirche in Baden, Christoph Schneider-Harpprecht, betont zudem die präventive Funktion. Das Thema Tod komme an Schulen immer wieder vor, etwa wenn eine Lehrkraft stirbt. «Unter diesem Gesichtspunkt sollte man die Auseinandersetzung zum Umgang mit Sterben intensivieren», sagte er.

Konkret bei der Sterbehilfe sollten Schüler sensibilisiert werden, damit sie ethisch mit den Aspekten umgehen könnten. «Da ist die Schule in der Verantwortung», sagt er. Denn dort könnten die Möglichkeiten systematisch durchdacht werden. «Und es ist distanzierter, als im unmittelbar betroffenen Familienkreis.»

In allen weiterführenden Schulen Baden-Württembergs ist das Thema Sterbehilfe im katholischen und evangelischen Religionsunterricht und im Ethikunterricht in die Gesamtthematik «Umgang mit Leiden und Tod» in Klasse 9/10 eingebettet. In der gymnasialen Oberstufe dieser Fächer wie auch im Fach Philosophie kann das Thema nach weiteren Angaben des Kultusministeriums vertieft werden, und zwar in den Themenbereichen Anthropologie und Ethik. Schon in der Grundschule gibt es Anknüpfungspunkte: Die Fragen nach dem Menschen, nach Leid und Tod sind in den Bildungsstandards der Religionslehren verortet.

Darüber hinaus könne in vielen anderen Fächern das Thema Sterbehilfe als Beispiel gewählt werden, hieß es. Beispiele seien Biologie (Was ist Leben?), Gemeinschaftskunde (Grundrechte, Menschenwürde), Wirtschaft (Sparvorgaben im Gesundheitswesen), Deutsch, Literatur (Lektüreauswahl) und Geschichte (Euthanasieprogramme im Dritten Reich). Lehrer aller Schularten sind laut Ministerium gehalten, aktuelle Fragen nach Möglichkeit im Unterricht aufzugreifen.

Das Landesinstitut für Schulentwicklung hat Materialien für den Unterricht etwa mit den Titeln «Medizintechnik» oder «Gerontologie» herausgegeben. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart hat eine Broschüre herausgegeben mit dem Titel «Grenzerfahrung Tod – Umgang mit Trauer in der Schule». (dpa)

Meldung: Drei Viertel der Deutschen befürworten Sterbehilfe durch einen Arzt (focus.de)

zum Bericht: Kirche in der Krise – Bischöfe hoffen jetzt auf die Schulen
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