Leserrezension: Die »unerhörten« Eltern. Eltern zwischen Fürsorge und Selbstsorge

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BERLIN. Eltern von behinderten Kindern wünschen sich überwiegend die Wahl zwischen Regel- und Förderschule, hat jüngst eine Studie der Konrad-Adenauer Stiftung ergeben. Wichtigstes Ziel sei ihnen die Selbstständigkeit ihres Kindes – und die Erwartung, dass es eine Arbeit finden kann, die ihm später Spaß macht.

Wer sein Kind in eine Regelschule schicke, stelle die gesellschaftliche Integration in den Mittelpunkt. Wer sein Kind in die Förderschule schickt, möchte nicht, dass das Kind permanent das Gefühl des Scheiterns erlebe, so die Stiftung. Bei der Wahl der richtigen Schule fühlten sich Eltern allerdings häufig alleingelassen und überfordert.

Passend zu diesem Zusammenhang die aktuelle Leserrezension: Jutta Schöler über „Die »unerhörten« Eltern. Eltern zwischen Fürsorge und Selbstsorge“ von Reinhard Burtscher Dominique Heyberger und Thomas Schmidt:

Das vorliegende Handbuch ist aus einem Forschungsprojekt entstanden, das die Situation von älter werdenden Eltern von erwachsenen Kindern mit Behinderung beachtet. Diese älter werdenden Eltern sind bisher von der Behindertenhilfe kaum bemerkt und beachtet worden – sie blieben mit ihren Sorgen und Erwartungen bisher zumeist unerhört.

Inklusion hat viele Aspekte, die über die Schule hinausgehen. Foto: Norwood (Charity) / Wikimedia-Commons (CC BY-SA 3.0)
Inklusion hat viele Aspekte, die nicht nur die Schule betreffen. Foto: Norwood (Charity) / Wikimedia-Commons (CC BY-SA 3.0)

Aus der Zusammenarbeit mit diesen Eltern ist ein Handbuch entstanden, das sich an die Professionellen in der Behindertenhilfe wendet. Dabei gehen die Autoren von der Grundannahme aus: „Nicht das erwachsene Kind mit Behinderung wird mit dem Älterwerden der Eltern zum Problem, problematisch sind vielmehr die unzureichenden Vorkehrungen und mangelnden Hilfen in der Gesellschaft.“ (S. 23)

Zentrale Forschungsmethode war die „Partizipative Projektentwicklung“. Es wurde „Elterncafés“ angeboten. In einem Nachbarschaftsheim konnten sich die Eltern zum Erfahrungsaustausch treffen und es wurden moderierte Gespräche angeboten zu den Themen, die die Eltern zuvor in Interviews als für sie derzeit besonders relevant benannt hatten.

Die Eltern wünschten u.a. Informationen zu wohnortnahen, entlastenden Angeboten, zur Mitgestaltung und Mitbestimmung von Angehörigen, zu kleinen Wohneinheiten und zu aktiver Freizeitgestaltung. (siehe S. 44)

Konkret werden die Methoden und Medien vorgestellt, mit denen es gelungen ist, mit den Eltern ins Gespräch zu kommen, sie mit ihren eigenen Anliegen zu hören. Mit den oft resignierten, stillen ungehörten Eltern konnten neue Wege gesucht werden.

Sehr hilfreich ist u.a. die Liste der „Türöffner“ und „Türschließer“ für ein Erstgespräch mit den älter werdenden Eltern von erwachsenen Kindern mit Behinderung. (S. 94-97) Die Ergebnisse der so möglich gewordenen Gespräche sind in beispielhaft und sehr einfühlsam beschriebenen biografischen Rekonstruktionen und in einer systematischen Auflistung der Bedürfnisse und Wünsche zusammengefasst worden.

Zielgruppe für dieses sehr empfehlenswerte Handbuch sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Verantwortlichen der bisher existierenden Einrichtungen der Behindertenhilfe.

Fazit: „Ein strukturell abgesichertes Angebot für älter werdende Eltern von erwachsenen Söhnen und Töchtern mit Behinderung ist unbedingt erforderlich.“ Jutta Schöler

Mehr über das Buch: Reinhard Burtscher; Dominique Heyberger; Thomas Schmidt: Die »unerhörten« Eltern. Eltern zwischen Fürsorge und Selbstsorge. Marburg : Lebenshilfe-Verlag, 2015 – 143 Seiten, 18,00 €

zum Bericht: Studie zur Inklusion: Eltern von behinderten Schülern wollen die Wahl zwischen Regel- und Förderschule

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