DÜSSELDORF.“Und woran glaubst du?”, fragt mich die Kollegin lustlos und tippt mit ihrem Kugelschreiber auf dem Block herum. Wir befinden uns mitten in einer lehrergesundheitsfördernden Fortbildung mit einer angegrauten Schulpsychologin, die zwar für alles Verständnis, aber für nichts eine Lösung hat. Sie spiegelt und bestärkt uns, nickt wissend und gütig ob der vielzähligen Ansprüche, die auf uns herabregnen, kann uns aber nichts bieten außer Allgemeinplätzen und Tipps, die in jeder Frisörzeitschrift zu finden sind. Und jetzt auch noch Partnerarbeit. Gemeinsam sollen wir nach dem suchen, was uns hält. Ganz toll.
Gesprächsfetzen dringen an mein Ohr. Die Kolleginnen um uns herum glauben wahlweise an das Gute im Menschen oder den Lernwillen jedes Kindes. Erwartungsgemäß mustergültig. Ich will nach Hause.
“Und?”, dringt die Stimme meiner Kollegin an mein Ohr.
“Ich glaube an guten Sex”, antworte ich im Brustton der Überzeugung.
“An guten Sex und an Schokolade. Beides finde ich gleichermaßen wichtig, wobei ich ehrlicherweise anmerken muss, dass ich von einem der beiden etwas zu viel und vom anderen etwas zu wenig habe.”
Die Kollegin reißt ungläubig die Augen auf. Offensichtlich hatte sie mich auch dem mustergültigen Antwortstyp zugerechnet.
“Tatsächlich ist es so, dass ich das eine deutlich besser in meinen Alltag integrieren kann. Während beim anderen … tja, das ist echt manchmal schwierig mit der Zeitplanung! Ich hab Familie, weißt du? Abends bin ich SO müde, das kann sich kein Mensch vorstellen! Und jetzt, in der Heuschnupfenzeit ist das noch viel schlimmer. Die Allergietabletten mähen mich regelrecht nieder. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich in Konferenzen mit offenen Augen geistig irgendwo im Nirwana spaziere. Und morgens? Pfff! Mein Wecker reißt mich um 5.30 Uhr aus dem Tiefschlaf, das ist schon genug Interruptus. Schokolade hingegen steht ständig zur Verfügung und bewegen muss man sich auch nicht dabei.”
Mit einer Mischung aus Grunzen und Schnauben prustet die Kollegin ihre Erheiterung lautstark in den Raum. Sofort wenden sich uns neugierige Augenpaare zu. Leider nimmt auch die umherwandelnde Schulpsychologin unmittelbar Kurs auf unser fröhliches Stelldichein.
“Und?”, fragt sie in dieser großmüttelichen Gütigkeit, die mir schon seit 85 Minuten auf die Nerven geht. “Sie kommen gut voran, wie ich höre. Was haben Sie gefunden, das sie hält?”
Eine leichte Röte zieht mir die Wangen hinauf. Wann lerne ich dummes Huhn eigentlich endlich, mich in Gesellschaft angemessen zu verhalten? Ich möchte sofort im Boden versinken. Da kommt mir meine Kollegin zu Hilfe und stammelt unter Glucksen eine Antwort: “Bei der Stange. Toblerone. Also Stange. Frau Weh braucht regelmäßig … Schokolade und so.”
Die Kollegin japst kläglich nach der Luft, die ich gerade anhalte. Doch die Schulpsychologin ist begeistert und klatscht in die Hände: “Hören Sie zu, meine Damen, wir haben hier einen ganz wichtigen Aspekt: Die Sorge um sich selber! Seien Sie gut zu sich! Genießen Sie!”
Sich selber mitreißend wallt die Psychologin vor unseren Augen auf und ab, wirft die Arme in großer Geste und bestärkt uns wortgewaltig in unserem kläglichen Bemühen gut zu uns selber zu sein. Sie scheint sich zu vergrößern, zu verdoppeln, nein – sie bläst sich nahezu übermenschlich auf vor Überschwang. Schokolade, Yoga, Relaxen in der heißen Badewanne! Ein wahres Potpourri der Möglichkeiten schwirrt im Raum. Alles scheint ein erwägenswerter Weg zur Erleuchtung zu sein.
“Ich möchte auf der Stelle sterben!”, raunt mir die Kollegin zu, über deren Wangen nun Tränen fließen im verzweifelten Bemühen, das Lachen zu unterdrücken. Ich nicke stumm, während ich staunend Zeugin einer verbalen Erruption allererster Güte werde. Was für ein Geschwafel!
Noch völlig ergriffen von der Gewalt der eigenen Worte blickt die Schulpsychologin auf ihre Uhr und verkündet eine kleine Pause. Es war nun doch ein wenig anstrengend, nicht wahr?
“Lust auf einen Kaffee in Freiheit?”, fragt mich die Kollegin.
Wenig später sitzen wir in einem kleinen Café und schütteln gemeinsam die Köpfe über die unsinnige Veranstaltung. Eine von so vielen unsinnigen Veranstaltungen! Wir reden über den Job, die Familie und die Unmöglichkeit allem gerecht zu werden. Über Schokolade reden wir übrigens nicht. Die essen wir.
♡
P.S. Ich weiß, dass Schokolade keine Probleme löst.
Aber das tut ein Apfel ja auch nicht.
Witz, Charme und einen tiefen Blick in die Seele einer Grundschullehrerin erlaubt Frau Weh auf ihrem Blog “Kuschelpädagogik” und auf www.news4teachers.de. Frau Weh heißt im wahren Leben nicht Frau Weh, aber ihre Texte sind häufig so realitätsnah, dass sie lieber unter Pseudonym schreibt.
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Frau Weh, Sie haben mich köstlich unterhalten!
Zu Lehrerfortbldungen schreiben Sie zum Schluss: “Eine von so vielen unsinnigen Veranstaltungen!” Dieselbe Erfahrung habe ich auch gemacht. Trotzdem werden sie immer wieder als Allheilmittel empfohlen und nachgefragt.
Im Moment sind Inklusions-Fortbildungskurse en vogue. Mich würde interessieren, ob sich hier jemand nach so einem Kurs wirklich befähigter gefühlt hat?
Die Teilnehmer mit Sicherheit nicht. – Aber solche Veranstaltungen werden doch nur gemacht um einen Arbeitsnachweis für die vielen Kompetenzteams mit ihren vielen Moderatoren zu erbringen. Es muss ja nachgewiesen werden, wofür die ganzen Ermäßigungsstunden aufgewandt worden sind. Das Backen von “Allgemeinplätzchen” ist eben sehr arbeitsintensiv.
Würden nicht so viele Anrechnungsstunden auf irgendwelche unsinnigen Fortbildungsverantaltungen (Vorbereiten und Abhalten) entfallen, könnten z.B. Klassenleitungen, die gravierende Problemfälle zu bearbeiten haben, entsprechend zeitlich entlastet werden. Aber letzteres ist eben nicht gewollt.
Mir fällt dazu nur der Wahlspruch des Hosenbandordens ein – “Ein Schelm, der …”
Allgemeinplätzchen backen sich aber immer noch viel einfacher als wirklich hilfreiche Konzepte. Diese würden aber auch eine vielmonatige 1:1-Betreuung mitsamt Vor- und Nachbereitung erfordern. Das ist aber auch nicht gewollt. Nebenbei machen sich die Fortbildungsnachweise — egal wie gut oder schlecht sie sind — auch ganz gut in der Personalakte.
Nicht wenn man sich auf EDEKA eingestellt hat.
Ich wüsste nicht, dass ich jemals eine Anrechnungsstunde für die Vorbereitung einer Fortbildung erhalten hätte. Ich kenne auch niemanden, der dafür eine bekommt.
Doch, doch, für die Inklusions-FoBi wurden Multiplikatoren und im Anschluss auch Moderatoren geschult und sie bekommen diese Tätigkeit angerechnet.
Auch für die Beratung und für Fortbildung hinischtlich des Unterrichts mit Migranten gibt es Teams, die Anrechnung erhalten. Und es gibt Berater-Funktionsstellen, die mit Lehrkräften besetzt werden.
Sicherlich gibt es in den Bundesländern Unterschiede.
dickebanks Antwort auf Lenas Frage ist für mich entscheidend. Dass Multiplikatoren, Moderatoren und Kompetenzteams von Fortbildungskursen etwas haben, wird ja nicht bezweifelt.
Dann sollte ich auch mal nachfragen 🙂 Allerdings ging es bei den Fortbildungen von denen ich spreche nicht um Inklusion.
Ich verstehe viele Kollegen nicht, die solche Veranstaltungen freiwillig besuchen. Ich habe für mich vor ca. fünf Jahren beschlossen, nur noch per Dienstanweisung Fortbildungen zu besuchen (es sei denn, ich bin ganz sicher, dort etwas sinnvolles geboten zu bekommen).
Und wenn ich je wieder auf so einer Veranstaltung wie der von “Frau Weh” sein sollte, dann gibt es den verbalen Frontalangriff mit den Schlagworten “Zeitverschwendung”, “Zumutung” und (wenn es passt) “Schulflüchtling”. Und diese Abrechnung kommt ganz sicher nicht am Ende.
Was in Schleswig-Holstein (und sicher auch in anderen Bundesländern) für eine Verschwendung von Zeit und Geld betrieben wird, ist schlicht eine Unverschämtheit und ich scheue mich mittlerweile nicht mehr, diese ganz offen zu benennen.
Mir geht es genauso wie Küstenfuchs. Ich verstehe ebenfalls KollegInnen nicht, die freiwillig auf solche Fortbildungen gehen. Lehrergesundheit ist sicherlich keine Pflichtfortbildung und da habe ich kein Mitleid mit Frau Weh. ; – )
Ich selbst kann sagen, dass die meisten Fortbildungen, die ich im Grundschulbereich in Bayern freiwillig besucht habe, bisher gewinnbringend waren. Nur selten habe ich sie als Reinfall erlebt. Das kommt nur dann vor, wenn der/die ReferentIn zu sehr von sich selbst überzeugt ist. ; – ) (Ist manchmal bei nicht staatlichen Fortbildungen so.)
Wir haben wenige Pflichtfortbildungen, wir müssen allerdings eine gewisse Stundenzahl an Fortbildungen regelmäßig nachweisen. Bei den Pflichtfortbildungen geben sich die Multiplikatoren jede Mühe uns gewisse Themen nahezubringen. Da ist die Gefahr höher, dass einem schon wegen des Themas die Fortbildung nicht behagt.
Insgesamt bin ich ziemlich zufrieden mit den Fortbildungsangeboten, das in meinem Bundesland staatlich, von Verbands wegen, von Schulbuchverlagen und sonstigen Veranstaltern angeboten wird.