DÜSSELDORF. Über den praktischen Wert mancher Schulstunden kann man trefflich streiten – über den des Schwimmunterrichts eigentlich nicht. Doch ausgerechnet bei dieser lebenswichtigen Kompetenz hapert es an vielen Stellen.
Ertrinken ist ein stiller Tod – für Eltern ist das ein grauenvoller Gedanke. Viele setzen darauf, dass ihre Sprösslinge spätestens in der Grundschule lernen, sicher zu schwimmen. Doch der Blick von Experten hinter die Kulissen ist ernüchternd: Das Ziel, allen Kindern bis zum Ende der 4. Klasse mit dem derzeitigen Stunden-Deputat das Schwimmen beizubringen, sei «utopisch», urteilt Sportwissenschaftler Dirk Hoffmann von der Universität Duisburg Essen in einer Expertise an den nordrhein-westfälischen Landtag.
Im Sportausschuss war die Schwimmfähigkeit von Grundschülern nun Thema einer Sachverständigenanhörung. Titel: «Sicheres Schwimmen kann Leben retten.» Doch wie ist es darum bestellt?
Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) veröffentlichte im vergangenen Monat alarmierende Zahlen: Demnach stieg die Zahl der Badetoten in NRW 2015 auf den höchsten Stand seit neun Jahren. 70 Menschen ertranken. Die Bilanz der Experten: Viele Menschen können nicht ausreichend schwimmen oder überschätzen sich im Wasser.
Was können die Schulen tun? «Die Last der Verantwortung kann nicht allein den Schulen auferlegt werden», heißt es in einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen (Essen) an den Landtag. Tatsächlich beobachten aber viele Experten, dass Eltern dies zunehmend tun. Vor allem Kinder aus sozial schwachen Milieus und aus Migrantenfamilien werden demnach zuhause deutlich seltener ermuntert oder gar gefördert, Schwimmen zu lernen. Eine große Aufgabe für Politik, Schulen und Kommunen angesichts Zigtausender zugereister Flüchtlingskinder allein in NRW.
Wissenschaftlich eindeutige Zahlen über die Schwimmfähigkeit am Ende der Grundschulzeit gibt es nicht. Verschiedene Stichproben und kommunale Erhebungen ergaben ganz unterschiedliche Quoten. Das Robert-Koch-Institut kam nach einer wissenschaftliche Untersuchung zu dem Ergebnis, dass in Deutschland etwa jeder siebte Schüler im Alter zwischen 7 und 10 Jahren Nichtschwimmer ist. Eine Studie zur Nichtschwimmerquote bei elfjährigen Schülern in NRW ging dagegen 2006 sogar von fast 30 Prozent aus – also fast jeder Dritte aus dieser Gruppe.
Die Praktiker aus den Bädergesellschaften und dem Deutschen Sportlehrerverband beobachten jedenfalls, «dass immer weniger Kinder und Jugendliche sich sicher im Medium Wasser bewegen können». Die Gesellschaft für das Badewesen listet ein Konglomerat möglicher Ursachen auf: Zunahme allgemeiner motorischer Störungen bei Kindern, Übergewicht, vermehrter Medienkonsum.
Wann ist man überhaupt Schwimmer? Dafür gebe es keine verbindlichen Kriterien, kritisiert die FDP-Opposition, die das Thema auf die Agenda des Sportausschusses gebracht hat. Sportwissenschaftler sind sich einig: Sicheres Schwimmen am Ende der Grundschulzeit könne nicht länger mit dem Motivationsabzeichen «Seepferdchen» nach 25 Metern Schwimmen bescheinigt werden. Die Messlatte müsse stattdessen das Bronze-Abzeichen sein. Das heißt: unter anderem mindestens 200 Meter Schwimmen in höchstens 15 Minuten.
Da seien absolute Nichtschwimmer aber nicht in den im Lehrplan vorgesehenen 40 Unterrichtseinheiten mit je 30 Minuten Wasserzeit heranzuführen, stellt der Sportwissenschaftler Prof. Theodor Stemper von der Bergischen Universität Wuppertal fest. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse das Kontingent verdoppelt werden. Optimal sei es, je 20 mal 45 Minuten auf die Klassen 2 bis 4 aufzuteilen.
Viele Experten beklagen auch eine unzureichende Lehrer-Ausbildung. Schwimmen müsse in der universitären Ausbildung zum Pflichtprogramm gehören und mit einer Lehrbefähigung abgeschlossen werden, fordert der Deutsche Sportlehrerverband. Zudem sollte die Rettungsfähigkeit nachgewiesen werden. Die Bädergesellschaft Düsseldorf stößt ins gleiche Horn und warnt, Schwimmen sei durchaus als Risikosportart einzustufen, weil es hohe Gefahren für Anfänger berge.
Mehrere Wissenschaftler sprechen sich dafür aus, schon Kindergärten in die Aufgabe einzubinden, dem Nachwuchs Sicherheit im Wasser zu vermitteln. In Düsseldorf finanzieren Sport- und Jugendamt ein Vorschulschwimmprogramm. Die Bädergesellschaft spricht sich dafür aus, den Schwimmunterricht von den Klassen 3 und 4 auf die Klassen 1 und 2 vorzuverlegen, um später nachsteuern zu können. Dazu wäre aus Sicht der Experten auch ein Eintrag zur Schwimmfähigkeit auf dem letzten Grundschulzeugnis hilfreich. Wer am Ende der 4. Klasse immer noch keine «Wasserratte» ist, sollte zusätzliche Angebote erhalten – auch in Ferienkursen. Von Bettina Grönewald, dpa
Zum Bericht: Acht Prozent der Fünftklässler können nicht schwimmen
Überforderte Schulen?
Ja, stimmt. Angesichts geschlossener Hallenbäder und gestrichener Lehrerstunden ist es nicht ganz leicht, Kindern auf dem Trockenen das Schwimmen beizubringen. Dafür müsste die Unfallquote im Schwimmunterricht erheblich gesunken sein.
In unserer Gegend werden Schwimmbäder in Schulnähe geschlossen, und die Durchführung des Schwimmunterrichts wird sehr viel aufwendiger und uneffektiver (Busse müssen fahren). Da bleiben dann von einer Doppelstunde noch 30 min im Wasser. Im (bürgerlichen!) Normalfall kann das Schwimmenlernen viel leichter in der Familie organisiert werden, z.B. als Schwimmkurs in den Sommerferien.
Warum immer das Gejammere. Es ist nun mal so, Kinder ertrinken, weil sie nicht schwimmen können. In erster Linie sind dafür einmal die Eltern verantwortlich. Wenn diese doch wissen, dass ihr Kind nicht schwimmen kann, warum lassen sie diese dann in Gewässer? Höhere Steuern will auch niemand zahlen, um die Schwimmbäder zu finanzieren. Wie in einem Artikel hier aufgezeigt wurde ist schwimmen nicht das einzige Problem, das Kinder heutzutage haben. Motorisch unterentwickelt, gestresst usw.