BERLIN. Die Zahl der Keuchhusten-Infektionen in Deutschland ist auf einen neuen Höchststand gestiegen. Im Jahr 2016 registrierte das Robert Koch-Institut (RKI) 22.119 Fälle – mit Abstand die meisten seit dem Beginn der bundesweiten Meldepflicht im Jahr 2013. In Gemeinschaftseinrichtungen wie Kindertagesstätten oder Schulen begünstigen enge Kontakte eine Übertragung von Krankheitserregern. Erkrankungen durch Grippe-Viren oder den Norovirus haben in den letzten Wochen den Betrieb in etlichen Schulen vor allem im Osten und im Süden Deutschlands beeinträchtigt.
Vor vier Jahren waren es bundesweit rund 12.600 Patienten pro Jahr, 2015 rund 14.000. «Wir sehen hier wahrscheinlich beides: eine Krankheitswelle, aber auch eine zunehmend bessere Erfassung», sagte Wiebke Hellenbrand, Infektionsforscherin am RKI. Impflücken begünstigten Ansteckungen. Besonders gefährlich ist Keuchhusten (Pertussis) für Säuglinge. 2016 starben in Deutschland drei Babys an der Infektion – das sind untypisch viele.
Seit Jahresbeginn wurden bereits 1554 neue Keuchhusten-Patienten an das RKI gemeldet. Hellenbrand kann nur vermuten, dass die Welle auch mit einem typischen Zyklus der Erregers zu tun hat: In Ostdeutschland werden Pertussis-Infektionen bereits seit 2002 erfasst. Höhepunkte waren die Jahre 2007 und 2012 – die Zeit könnte also wieder reif sein.
Der Schrecken, den Keuchhusten vor der Schutzimpfung seit den 1930er Jahren hatte, ist fast vergessen. Damals seien in Deutschland 10 000 Säuglinge pro Jahr an der hochansteckenden Infektion gestorben, so Hellenbrand. Die Bakterien verbreiten sich durch Husten, Niesen oder Sprechen über winzige Tröpfchen aus dem Nasen-Rachen-Raum.
Bei der Einschulung waren nach den jüngsten RKI-Daten für 2014 fast 97 Prozent der Kinder in Ostdeutschland und 95 Prozent in Westdeutschland gegen Keuchhusten geschützt. Ganz anders bei den Erwachsenen – da ist es je nach Lebensalter nur jeder fünfte bis zehnte. Bei jungen Eltern hat ein Drittel einen Impfschutz, bei Schwangeren ein Fünftel. Dabei gelten Familien mit kleinen Kindern als Hauptrisikogruppe.
Impfung muss aufgefrischt werden
«Keuchhusten ist bei der Bevölkerung und auch bei Hausärzten noch nicht vollständig im Bewusstsein», sagte Hellenbrand. Dazu kommt, dass die Impfung ihre Tücken hat. Sie muss immer wieder aufgefrischt werden. «Aber wir haben nichts besseres.»
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Allein bei Kleinkindern sind es vier Teilimpfungen gegen Keuchhusten. Dazu kommen zwei Auffrischungen, einmal im Kindes-, einmal im Jugendalter. Für Erwachsene wird ein Pertussis-Schutz zusammen mit der Auffrischung für Tetanus und Diphtherie empfohlen – aber vielfach einfach vergessen. «Wahrscheinlich reicht der empfohlene Abstand von zehn Jahren auch nicht aus», sagte Hellenbrand. Erlischt der Impfschutz, können sich Menschen auch nach überwundener Infektion erneut anstecken.
Ist eine junge Mutter nicht geimpft, hat ihr Baby bis zur ersten Immunisierungsmöglichkeit im Alter von zwei Monaten keinen Schutz. Es gebe deshalb Überlegungen, Schwangeren die Impfung generell zu empfehlen, sagte die Expertin. Zumindest kommt die Keuchhusten-Forschung mit der Meldepflicht nun weiter voran. «Wir hatten noch nie so viele Daten.» dpa
In einem Elternbrief der Stadt Kiel, der 2015 nach dem Auftreten von Fällen in Kieler Schulen verteilt wurde, heißt es: „Keuchhusten ist eine durch Bakterien (Bordetella pertussis) ausgelöste, sehr ansteckende Infektionskrankheit der Atemwege. Die Bakterien vermehren sich auf den Schleimhautzellen der Atemwege und führen dort zu lokalen Gewebeschäden. Infektionen mit B. parapertussis können ebenfalls zu einem keuchhustenartigen Krankheitsbild führen, das aber meist leichter und kürzer als bei einer Erkrankung durch B. pertussis verläuft.
Die Übertragung erfolgt ausschließlich von Mensch zu Mensch durch Tröpfcheninfektion, also unter anderem durch Husten, Niesen, Küssen oder Sprechen. Etwa 90 Prozent der Kontaktpersonen eines Patienten, die nicht immunisiert sind, erkranken. Oft übertragen auch Erwachsene, die nicht erkennbar krank sind, oder Geimpfte die Bakterien auf Kinder.“