Ein Kommentar von News4teachers-Herausgeber ANDREJ PRIBOSCHEK.
Es wäre eine relativ leichte Übung gewesen, zum Jahreswechsel schwarzzumalen und für 2018 ein neues Katastrophenjahr für die Bildung vorauszusagen. Und es stimmt ja: Die Ergebnisse der in den vergangenen Monaten erschienenen Vergleichsstudien waren bescheiden, die Inklusion gerät zum Desaster, der Lehrermangel wächst sich aus und die Schulpolitik macht sich mit einem Hin und Her nicht nur bei G8 lächerlich. „Warum berichtet News4teachers immer nur Negatives?“, hat mich eine Leserin unlängst gefragt – in den Schulen passiere doch auch so viel Erfreuliches. Nun, unsere Nachrichtenseite ist ein politisches Medium, und Politik widmet sich der Lösung von Problemen. Wo keine Probleme sind, muss auch die Politik nicht aktiv werden. Aber wer wollte bestreiten, dass es viele Probleme und großen politischen Handlungsbedarf an den Schulen gibt?
Das will ich auch jetzt nicht tun. Gleichwohl möchte ich gerne die implizite Aufforderung der Leserin aufgreifen und den Blick auf das richten, was in den Schulen ziemlich gut läuft – und zwar trotz der hohen Belastung der Lehrkräfte vor Ort. Das fängt beim großen Ganzen an: Noch nie hatten junge Menschen in Deutschland so viele Chancen wie heute. Die Jugendarbeitslosigkeit hierzulande ist, auch im internationalen Vergleich, auf einem beispiellosen Tiefststand. Gleichzeitig studieren so viele junge Menschen wie noch nie in Deutschland. Die Wirtschaft dieses Landes brummt, das hat auch mit dem hohen (Aus-)Bildungsstand der Beschäftigten zu tun. Und Hunderttausende von Flüchtlingskinder finden in den Schulen in Deutschland Halt und Perspektive.
Natürlich gibt es Klagen über angeblich nicht ausbildungsfähige Schulabgänger, über deren schlechtes Benehmen und vermeintlich nachlassende Rechtschreib- und Rechenfähigkeiten – Gemecker über den Nachwuchs ist offenbar eine zutiefst menschliche Eigenschaft; schon aus der Antike sind entsprechende Berichte überliefert („Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe.“ Keilschrifttext aus Chaldäa, um 2000 v. Chr.). Wie verzerrt so manche Wahrnehmung ist, lässt sich auch an einer nicht-repräsentativen Umfrage unter Personalverantwortlichen von Unternehmen ablesen. Fast die Hälfte von ihnen attestiert ihren Azubis fast durchweg mangelnde Ausbildungsreife – gleichzeitig geben diesselben Personalverantwortlichen an, dass fast alle der Lehrlinge in ihrem Betrieb die Ausbildung erfolgreich abschließen und zu 80 Prozent auch übernommen werden. Jammern gehört offenbar zum Handwerk.
Sicher ist so manche Kritik auch berechtigt. Nur: Das sollte uns nicht den Blick darauf verstellen, dass wir es mit einer Jugend zu tun haben, die höchst bodenständige Werte vertritt. Rebellion war vorgestern. Heute gilt in Deutschland: Teenager suchen den engen Schulterschluss mit ihren Eltern und Lehrern. Klaus Hurrelmann, der renommierteste Jugendforscher in Deutschland, spricht gegenüber der „Welt“ von einer „hochsensiblen jungen Generation, die alles blitzschnell aufnimmt und erfasst und enorm multitaskingfähig ist“. Die Kehrseite: „Sie ist nicht mehr so konzentriert, lässt sich schnell ablenken und besitzt ein kurzes Durchhaltevermögen.“ Die Digitalisierung zeigt Wirkung, klar.
Und trotzdem demonstrieren die heutigen 14- bis 17-Jährigen so viel Leistungsbereitschaft wie kaum eine Jugendgeneration vor ihnen. Wohl noch nie waren Jugendliche in Deutschland, auch dank hervorragender Fremdsprachenkenntnisse, so international ausgerichtet wie heute. Noch nie erreichten so viele Schüler das Abitur – keine schlechten Voraussetzungen für eine High-Tech- und Exportnation wie Deutschland. Die Quote der Schulabbrecher ist zuletzt zwar wieder leicht gestiegen (von 5,7 auf 5,9 Prozent, Daten von 2014 und 2015), liegt aber immer noch weit unter dem Niveau von vor gut zehn Jahren. Damals, 2006, blieben fast acht Prozent der Schüler ohne Abschluss, also rund ein Viertel mehr als heute. Und das alles sind auch Verdienste der Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland.
Selbst die schlechten Bildungsnachrichten der vergangenen Monate lassen sich mit Sorge, aber ohne Alarmismus lesen. Beispiel IGLU-Studie: Deutschland ist zwar im internationalen Vergleich von der Weltspitze ins Mittelmaß abgestürzt, aber nicht, weil die Leseleistungen der deutschen Viertklässler schlechter geworden wären. Vielmehr sind andere Staaten besser geworden. Im Schnitt liegen die Testergebnisse der Viertklässler in Deutschland seit 2001 stabil – und das, obwohl es hierzulande immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund gibt, somit also auch mehr aus ärmeren Familien, die nicht so fest in die Gesellschaft eingebunden sind. Und das, obwohl die Inklusion gerade Grundschul-Lehrkräfte an die Grenze ihrer Kraft bringt. Gleichwohl ist die Zahl der Viertklässler mit besten Leseleistungen sogar gestiegen. Ihr Anteil kletterte bei IGLU um 2,5 Punkte auf 11,1 Prozent. Und auch das alles sind Verdienste ihrer Lehrerinnen und Lehrer.
Ins positive Bild passt der wachsende Zuspruch von Elternseite. Das Bildungssystem wird aus Sicht der Väter und Mütter zunehmend gerechter – und Lehrkräfte werden von Eltern, immerhin, im Schnitt mit einer Note von 2,5 benotet, Schulen mit einer 2,4, wie die Jako-o-Bildungsstudie in diesem Jahr ergab. Selbst in Sachen Inklusion berichten die Eltern von durchaus positiven Erfahrungen. „Überraschend ist, dass die Meinungen der Eltern in vielen Bereichen deutlich positiver ausfallen, als man das angesichts häufig vorgetragener Klagen hätte erwarten können“, so hieß es bei der Präsentation der Studie von den Autoren. Allerdings: Die Bildungspolitik kommt schlechter weg – sie wird von den Eltern im Schnitt nur mit einer 3,3 benotet. Die Bevölkerung, so scheint es, sieht durchaus, wo die Verantwortlichen für all das zu finden sind, was in den Schulen nicht gut läuft.
An den Lehrerinnen und Lehrern liegt es jedenfalls nicht. Im Gegenteil: Ihr Engagement sorgt dafür, dass Deutschlands Schulsystem trotz aller Mängel noch immer zu den besten der Welt gehört – und die Perspektiven hervorragend sind. In diesem Sinne: Danke dafür. Und ein frohes 2018!