Söder will 50.000 digitale Klassenzimmer schaffen – ein Hirnforscher rät ab

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MÜNCHEN. In Bayern sollen 50.000 digitale Klassenzimmer eingerichtet werden. Das hat Ministerpräsident Söder in seiner ersten Regierungserklärung angekündigt. Ein renommierter Psychiater sieht darin den falschen Weg und rät stattdessen zu Papier und Stift.

Spitzer vermutet hinter der Digitalisierung vor allen Dingen eines: Profitinteresse. Foto: Udo Grimberg / Wikimedia Commons / BY-sa-3.0 de

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat den Zeitschriftenverlegern politische Unterstützung zugesichert und einen Mediengipfel in der Staatskanzlei angekündigt. «Meine volle Rückendeckung haben Sie», sagte Söder

bei der Jahrestagung des Verbands der Zeitschriftenverlage in Bayern. Wichtig sei ein fairer Wettbewerb in der Medienbranche. Beim Urheberrecht, Datenschutz und Kartellrecht seien heimische Medien gegen internationale Digitalriesen – nicht nur aus den USA – benachteiligt.

«Wenn am Ende das Geld entscheidet, welche Form von Freiheit in den Medien herrscht, dann gehen wir den falschen Weg», sagte Söder. Es komme darauf an, Arbeitsplätze in Bayern zu erhalten und zu verhindern, dass «am Ende nur noch zwei, drei große internationale Firmen alles bestimmen, sich in alles einkaufen können (…) und damit auch alle Standards bestimmen».

Einige Buhrufe erntete der gelernte Journalist, der seit einem Monat Regierungschef ist, als er sagte: «Ich selber lese keine Zeitung mehr klassisch, keine Zeitschriften mehr. Ich selber lese alles nur über iPad.» Und seine Kinder seien auch ganz ohne Zeitungslektüre überraschend gut informiert.

Smartphones machen krank

Der Hirnforscher Manfred Spitzer hatte zuvor vor gesundheitlichen Schäden digitaler Medien bei Jugendlichen gewarnt und eine andere Bildungspolitik gefordert: «Computer an Schulen machen die Schwachen noch schwächer, besser wird dadurch niemand.» Viele Studien zeigten, dass Printmedien für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen geeigneter seien. Wer etwas auf Papier lese, lerne besser. Smartphones dagegen machten krank, sagte Prof. Spitzer.

Der Ärztliche Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm mahnte mit Blick auf US-Konzerne wie Google, Facebook & Co.: «Dass wir die Gesundheit und die Bildung der nächsten Generation den Profitinteressen der fünf reichsten Firmen der Welt aus dem Silicon Valley überlassen, ist unverantwortlich.»

Die Aufsichtsratsvorsitzende der Funke-Mediengruppe, Julia Becker, knüpfte daran an und sprach sich für mehr Medienbildung an den Schulen aus: Kinder müssten lernen, «wie wichtig das Lesen und der Umgang mit Sprache tatsächlich ist». Nur wer Sprach- und Medienkompetenz erwerbe, könne Falschnachrichten von fundierten, gut recherchierten Beiträgen unterscheiden. dpa

Blättern statt Scrollen: Leseclubs für Kinder in digitalen Zeiten begünstigen schulischen und beruflichen Erfolg

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Ignaz Wrobel
5 Jahre zuvor

Spitzer liegt mit seiner Einschätzung über den Wert digitaler Medien für den Unterricht sehr gut.
Von allen möglichen Seiten wird versucht, auf die politischen Entscheidungsträger Einfluss pro digitaler Medien zu nehmen. Erstens kann man (Bertelsmann, Cornelsen etc.) damit gut Geld verdienen, und zum anderen entspricht es einem Modetrennt, sich gefühlsmäßig für die neue Medienwelt populistisch sich einzusetzen. Niemand hat vorher valide Untersuchungen über Nebenwirkungen und Risiken oder Vorteile der einzelnen Altersklassen durchgeführt. Genügend negative Hinweise über die bereits stark digitalisierte Medienwelt sollten jedem bekannt sein.
Da wird wieder unnötig Geld zum Fenster herausgeworfen werden, anstatt an den Arbeitsbedingungen der Lehrer und Schüler etwas zu ändern und zu verbessern. Man hängt sich einfach an einen Modetrennt an und geht populistisch als großer Macher auf Stimmenfang. Bald ist wieder Wahlkampf in Bayern, und da muss man sich von anderen abheben. Populismus pur ist angesagt.

Cavalieri
5 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Bertelsmann macht knapp die Hälfte des Umsatzes inzwischen im „digitalen Geschäft“:
http://gb2016.bertelsmann.de/reports/bertelsmann/annual/2016/gb/German/1020/bertelsmann-ist-di
gitaler.html
Gleichzeitig empfiehlt die Bertelsmannn-Stiftung ganz entschieden die Digitalisierung der Schulen. Was für ein Zufall! Diesem Modetrend (sic!) muss man wirklich nicht folgen.

xxx
5 Jahre zuvor
Antwortet  Cavalieri

Digitale Produkte machen einmal produziert keine Lager- oder Herstellungskosten. Daher ist die Marge dort sehr hoch und für die cfos sehr attraktiv. Um Kinder oder Bildung geht es Bertelsmann & co schon lange nicht mehr. Cornelsen, Klett usw. sind aber diesbezüglich nicht viel besser. Aber auch die Lehrmittelfirmen für Experimente drücken immer mehr digitale Sensorik auf den Markt, bei der die Schüler leider nicht mehr sehen, wie etwas passiert, man die Daten auch simulieren könnte.

sofawolf
5 Jahre zuvor

ZITAT: „«Computer an Schulen machen die Schwachen noch schwächer, besser wird dadurch niemand.» Viele Studien zeigten, dass Printmedien für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen geeigneter seien. Wer etwas auf Papier lese, lerne besser. Smartphones dagegen machten krank, sagte Prof. Spitzer.“

Eine interessante Aussage, die ich mir merken will.

xxx
5 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Das deckt sich mit meiner Erfahrung, weil sich gerade die weniger Lernwilligen durch den Computereinsatz stärker abgelenkt werden als die Lernwilligen.

Aufsteh'n, aufeinander zugeh'n
5 Jahre zuvor

In seinem Buch „Cyberkrank“ hat Spitzer dies fundiert dargelegt.
Zu beobachten ist allerdings, dass versucht wird, ihn mundtot zu machen. In Talkrunden wurde er als ewiger Bedenkenträger bezeichnet, unsachlich attackiert… – von einer stets vorhandenen Mehrzahl von geladenen Digitalisierungsbefürwortern einschließlich dem eigentlich zur Unparteilichkeit verpflichteteten moderierenden Journalisten. Bzw wird er nun gar nicht mehr eingeladen.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!…

Mir sträuben sich immer die Nackenhaare, wenn von der Digitalisierung in der Schule als „nicht zu umgehen“ oder „Da könne man nix tun!“ gesprochen wird, als wäre diese ein gott- bzw. naturgegebenes Ereignis.
Gehirn und Verstand einschalten, Erfahrungen austauschen, zu eigenen Ergebnissen kommen und das Ganze abwählen bzw. zu vernünftigen Entscheidungen in den Lehrerzimmern zu kommen, ist offensichtlich nicht erwünscht.
Warum wohl? Wem nützt es?… Die Fragen sind leicht zu beantworten!
Die Kinder und Jugendlichen sollten wieder in den Mittelpunkt der Bildung (-spolitik) rücken – mit ihren wirklichen Bedürfnissen, den echten, analogen(!) Fähigkeiten und Fertigkeiten!