Was die Wirtschaft braucht: Bildung für die kreativen Denker von morgen – ein Gastbeitrag

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DÜSSELDORF. Non vitae sed scholae discimus – nicht für das Leben, für die Schule lernen wir. Das Zitat des Philosophen Lucius Annaeus Seneca, gut 2000 Jahre alt, gilt als Klage darüber, dass die Erziehung in der Schule kaum dazu geeignet sei, die jungen Menschen auf das Leben vorzubereiten. Gilt das heute vielleicht mehr denn je? Die Digitalisierung verändert Gesellschaft und Wirtschaft derzeit rasant. Kann Schule damit Schritt halten? Im folgenden Gastbeitrag lassen wir dazu einen Vertreter der Digitalwirtschaft zu Wort kommen, einer Branche also, die schon weit vorangeschritten ist in den zukünftigen Arbeitsprozessen: Martin Meusburger, Leiter der Bereiche Bildung & Forschung der Kollaborationsplattform Dropbox Business in Zentral- & Nordeuropa.

Die Digitalisierung der Schulen in Deutschland kommt jetzt mit Hochdruck. Foto: r. nial bradshaw / flickr (CC BY 2.0)
Wie soll die Schule auf die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft reagieren? Foto: r. nial bradshaw / flickr (CC BY 2.0)

Plädoyer für die Förderung von Kreativität und Technologie im Bildungssystem

Bildung heute – wirklich für unser „morgen“ gestaltet?

Aus meiner Sicht sind die heutigen Bildungsprogramme in erster Linie darauf ausgerichtet, dass die Heranwachsenden den Anforderungen einer teilweise vergangenen Gesellschaft gerecht werden können. Einem System, in dem man fleißige, folgsame Arbeiter heranzieht. Es handelt sich um eine Form von „Breitenbildung“ für alle. Ich wage die These, dass das in eine Sackgasse führen könnte, denn mit der Automatisierung von Aufgaben durch Technologien und künstliche Intelligenz werden – so prognostizieren renommierte Beratungsunternehmen – 15% bis 47% der Arbeitsplätze bis zum Jahr 2030 wegfallen. Umso dringender braucht es Menschen, die gelernt haben, sich komplexen Problemstellungen zu widmen und neue Lösungswege finden zu können. Hier sind nicht nur Schulen, sondern auch der tertiäre Bildungsbereich gefragt.

Ist es aufgrund dieser Tatsache nicht dringend notwendig, die Grundlage für den Aufbau des nötigen Wissens für die Zukunft in Frage zu stellen? Müssen wir nicht angesichts der großen technologischen Umbrüche unser tägliches Verhältnis zum Lernen und zur Arbeit neu erfinden?

Neues Arbeiten erfordert neues Lernen!

84% der deutschen Bundesbürger ab 16 Jahren geben an, dass digitale Kompetenzen im Schulunterricht einen höheren Stellenwert einnehmen sollten. Das geht aus einer Umfrage des deutschen Digitalverbandes bitkom von Februar 2018 hervor. Mit dem Digitalpakt und vielen weiteren Maßnahmen ist Deutschland schon auf einem guten Weg. Lehrkräfte setzen mehr und mehr digitale Werkzeuge ein, um Kinder bei der Entwicklung und Förderung ihrer Kreativität zu unterstützen. Das ist auch die Vision der Europäischen Union. Die öffentlichen Grundsätze der Europäischen Kommission arbeiten seit 15 Jahren darauf hin, die Rolle von Schul- und Ausbildung zu stärken, indem sie Kreativität als bedeutsame Kompetenz definieren. Ziel aller unterrichteten Fächer soll sein, authentische Menschen heranzubilden, die in der Lage sind, ihr ganzes Leben lang Neues zu lernen. So zielte das Europäische Jahr der Kreativität und Innovation in Europa 2009 darauf ab, Kreativität langfristig über die bildenden Künste hinaus durch den Einsatz digitaler Technologien zu erweitern. Eine gute Sache, die aber fokussierter vorangetrieben werden sollte.

Der französische Soziologe Patrice Flichy bestätigt diese Erkenntnis: Dank digitaler Technologien können Schüler lernen, später selbstständiger zu arbeiten sowie berufliche Tätigkeiten und die Entwicklung ihrer Leidenschaften miteinander in Einklang zu bringen. Die Arbeitswelt ändert sich mit dem technologischen Wandel rasant, wodurch auch völlig neue Vereinbarkeiten von Arbeits- und Berufsleben möglich sind. Das traditionelle Mitarbeitermodell wird durch die Verbreitung digitaler Kollaborationsplattformen verändert.

Angestellte stellt man an, oder etwa nicht?

„Angestellte – die heißen so, weil man sie morgens anstellt und abends wieder abstellt und dazwischen aufpasst, dass sie nichts anstellen“. Das ist ein, wie ich finde, sehr gelungenes Zitat aus dem Film Die stille Revolution. Die Mitarbeiter der Zukunft sind freier in der Gestaltung ihrer Arbeitszeiten und Arbeitsräume. Und ich bin überzeugt, dass beide Seiten durch Technologie gewinnen: Mitarbeiter können sich ihre Zeit so einteilen, dass sie Kreativität und Produktivität in Einklang bringen, während die Unternehmen die kreative Lösungsfähigkeit in ihren Teams wecken, etwas was eben nicht durch Künstliche Intelligenz substituierbar ist.

Bereits heute und im zunehmenden Maße werden zukünftig Menschen gebraucht, die nicht nur auswendig lernen und Regeln befolgen können, sondern Querdenker und innovative Köpfe, die aktiv unsere Zukunft mit Hilfe von Technologie mitgestalten werden. Führungskräfte geben dann eher Orientierung, helfen mit Struktur und beim Lösen von Blockaden. Strenge Kontrolle und Hierarchien lösen sich bestmöglich auf.

Technologie als kreativer Möglichmacher

Ist es eine Utopie, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen und davon leben zu können? Auf jeden Fall kommen wir diesem Traum mit der stetigen Entwicklung neuer Werkzeuge und Arbeitsmethoden ein großes Stück näher. Um die kreativen Denker von morgen auszubilden, entstehen viele regulatorische und technologische Initiativen. Beispielsweise hat die Europäische Kommission kürzlich ein neues Instrument namens SELFIE, Self-reflection on Effective Learning by Fostering the use of Innovative Educational Technologies, für die Selbstreflexion über effektives Lernen durch die Förderung des Einsatzes innovativer Bildungstechnologien eingeführt. Es soll Schulen helfen zu beurteilen, wie sie digitale Technologien zum Lehren und Lernen nutzen.

Ein guter Start, aber noch weit entfernt vom Ziel. Auf dem Weg dahin können wir alle etwas beitragen. Eltern, Schüler und Unternehmen sollten aktiv einfordern, dass diese Idee von kreativen Denkern Realität wird. Technologie ist bei weitem keine Bedrohung, sondern ein enormes Kapital: Es sollte kein Zweifel bestehen, dass irgendwann jede Schule über eine Bibliothek verfügt, die mit den besten digitalen Werkzeugen ausgestattet ist, um den kreativen Köpfen von morgen zu dienen.

Zur Person
Martin Meusburger. Foto: dropbox

Martin Meusburger leitet seit als „Head of Sales“ die Bereiche Bildung & Forschung für die Kollaborationsplattform Dropbox Business in Zentral- & Nordeuropa. Dabei unterstützt er zahlreiche Bildungseinrichtungen, insbesondere Hochschulen, bei der Digitalisierung ihrer Prozesse, beispielsweise dem Ausbau ihrer Cloud-Strategien. Der gebürtige Österreicher hat einen Master in Business Administration & E-Business Management und lebt seit 3 Jahren in Dublin. Im Laufe seiner Karriere hat er Stationen in Südkorea, Polen und auch den USA absolviert.

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

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Quadratkuh
5 Jahre zuvor

„Non vitae sed scholae discimus“ heisst auf Deutsch „nicht für das Leben, für die Schule lernen wir“, und nicht umgekehrt.

Krokodilstreichler
5 Jahre zuvor
Antwortet  Quadratkuh

Es wäre wohl besser, jeder Abiturient müsste Latein gelern haben.

Milch der frommen Denkungsart
5 Jahre zuvor

Soviel zum notorischen Kulturkampf der Redaktion gegen Latein als Gymnasialfach – si tacuisset …

Carsten60
5 Jahre zuvor

Latein hin – Latein her, aber stört sich niemand daran, dass hier ein Vertreter der Digitalwirtschaft verkündet, dass wir mehr digitale Geräte in den Schulen haben sollen? Und das mit der Begründung von „mehr Kreativität“ und „Selbstreflexion über effektives Lernen durch die Förderung des Einsatzes innovativer Bildungstechnologien.“

AvL
5 Jahre zuvor
Antwortet  Carsten60

Kreativität aber bedeutet nachhaltig manuelle Fähigkeiten zu entwickeln, und diese lassen sich nicht auf der Grundlage der Anwendung eines Computers entwickeln, sondern bedürfen der Entwicklung der Feinmotorik durch verbunden Schriftsysteme und der manuellen Entwicklung bildnerischer Fähigkeiten auf Papier, Pappe, der Tafel, oder mit den Werkstoffen Holz , Ton und Lehm oder von verarbeitbaren Metallen und Holzgegenständen, Stoffen, Fäden und anderem Material.

Quadratkuh
5 Jahre zuvor
Antwortet  Carsten60

@Carsten60 – ich bin auch Vertreter der „Digitalwirtschaft“, und halte den Artikel für ziemlich schwafelig und in Teilen auch unehrlich.
In den meisten Positionen in den meisten Unternehmen werden Menschen gebraucht, die die Arbeit machen, die ansteht, und zwar innerhalb der vorgegebenen Richtlinien. Für „Querdenker“ und „Kreativität“ ist da i.d.r. wenig Platz, egal ob man bei Mercedes-Benz oder bei Facebook arbeitet. Das ist die Konsequenz aus wirtschaftlichen und organisatorischen Gegebenheiten, und an sich auch nicht schlimm – die Unternehmen sollten nur so ehrlich zu sein, ihren Bewerbern zu sagen „bei uns müsst ihr schon das tun, was halt so zu tun ist, dafür bekommt ihr dann bezahlt“ anstatt von Kreativität zu blubbern. Und „Flexibilität“ lässt sich immer schön in den Raum werfen – aber richtet sich dieses Flexibilität nach den Bedürfnissen des Arbeitnehmers oder denen des Arbeitgebers? Diese stehen gerne mal im Gegensatz…

AvL
5 Jahre zuvor

Latein bildete dereinst die Grundlage der Entwicklung der deutschen Schrift, als Vorbild einer zu entwickelnden Schrift. Ohne diese Grundlage sähe die deutsche Schrift heute anders aus.

Quadratkuh
5 Jahre zuvor

Endlich war mein grosses Latinum mal zu was gut…
Mein alter Lateinlehrer hatte übrigens ein tolles Notensystem:
Hübsche Mädchen – 1
Andere Mädchen – 2
Jungs, die neben hübschen Mädchen sitzen – 3
Rest – 4
Ich hatte immer eine 4.

AvL
5 Jahre zuvor
Antwortet  Quadratkuh

Ich hatte Latein- und Altgriechisch nur als Teil eines Sprachkurses zur Vermittlung medizinischer Fachbegriffe.

Flexibilität und Kreativität können Sie in handwerklichen Berufen , sowie im musikalisch-en und künstlerischen Bereich entwickeln.
Die Digitalisierung hat mir im medizinischen Bereich sehr viel mehr Dokumentationsarbeit am Computer , das Ausdrucken von Formularen sowie deren Bearbeitung eingebracht, sodass zunehmend weniger Zeit für die Betreuung der Patienten bleibt. Hinzu kommen die unendlich vielen Dokumentations- und Zertifizierungs und Qualifizierungsarbeiten am und mit dem Computer.

Joñez
4 Jahre zuvor

Schön, dass es noch gebildete Menschen gibt, die den (gescheiterten) Versuch, Bildung zu demonstrieren, als solchen erkennen. Vielleicht kennt der Autor das schöne Märchen „Des Kaisers neue Kleider“?