Papst a. D. macht Sexualerziehung in Schulen für Missbrauch durch Priester verantwortlich

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ROM. Josef Ratzinger, als Benedikt XVI. mittlerweile emeritierter Papst, hat „die 68-er“ sowie die Sexualaufklärung in Schulen für den Missbrauchsskandal in der Katholischen Kirche verantwortlich gemacht. Was der Heilige Vater a. D. verschweigt: Zahlreiche Missbrauchsfälle durch Priester sind auch schon vor 1968 aktenkundig.

Benedikt XVI hat seinen Rücktritt angekündigt. (Foto: Broc / Wikimedia Commons (CC-BY-3.0)
Benedikt XVI, hier noch alos Papst, sieht die Kirche als Opfer eines „seelischen Zusammenbruchs“. Foto: Broc / Wikimedia Commons (CC-BY-3.0)

„Die Sache beginnt mit der vom Staat verordneten und getragenen Einführung der Kinder und der Jugend in das Wesen der Sexualität“, so beginnt Benedikt XVI. seinen Aufsatz. „In Deutschland hat die Gesundheitsministerin Frau Strobel einen Film machen lassen, in dem zum Zweck der Aufklärung alles, was bisher nicht öffentlich gezeigt werden durfte, einschließlich des Geschlechtsverkehrs, nun vorgeführt wurde. Was zunächst nur für die Aufklärung junger Menschen gedacht war, ist danach wie selbstverständlich als allgemeine Möglichkeit angenommen worden.“ Weiter schreibt der Papst a. D.: „Ähnliche Wirkungen erzielte der von der österreichischen Regierung herausgegebene ‚Sexkoffer‘. Sex- und Pornofilme wurden nun zu einer Realität bis dahin, daß sie nun auch in den Bahnhofskinos vorgeführt wurden.“

„Sexkoffer“ für Schulen

Was Benedikt meint: Der Film „Helga – Vom Werden des menschlichen Lebens“, 1967 auf Veranlassung der damaligen Bundesgesundheitsministerin Käte Strobel (SPD) produziert, wurde mit fast fünf Millionen Kinobesuchern in der Bundesrepublik in einem Jahr und weltweit etwa 40 Millionen Zuschauern zu einem riesigen Publikumserfolg. Im Film sind Grafiken, anatomische Modelle, vier Sekunden lang nackte Menschen sowie eine echte Geburt zu sehen, was immer wieder dazu führte, dass Zuschauer in Ohnmacht fielen. Das Rote Kreuz musste deshalb die Vorführungen begleiten. Der „Sexkoffer“ war tatsächlich ein Medienkoffer für Sexualerziehung, der 1989 an Österreichs Schulen verteilt wurde.

Benedikt schreibt wörtlich: „Zu den Freiheiten, die die Revolution von 1968 erkämpfen wollte, gehörte auch diese völlige sexuelle Freiheit, die keine Normen mehr zuließ. Die Gewaltbereitschaft, die diese Jahre kennzeichnete, ist mit diesem seelischen Zusammenbruch eng verbunden. In der Tat wurde in Flugzeugen kein Sexfilm mehr zugelassen, weil in der kleinen Gemeinschaft der Passagiere Gewalttätigkeit ausbrach.“ Diese sexuelle Freiheit habe dann auch zu Zügellosigkeiten in der Kirche geführt – und zur Pädophilie und zum Kindesmissbrauch. Benedikt schreibt von einem „Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie“, der die Kirche „wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft machte“.

Konkret: „In verschiedenen Priesterseminaren bildeten sich homosexuelle Clubs, die mehr oder weniger offen agierten und das Klima in den Seminaren deutlich veränderten. In einem Seminar in Süddeutschland lebten Priesteramtskandidaten und Kandidaten für das Laienamt des Pastoralreferenten zusammen. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten waren Seminaristen, verheiratete Pastoralreferenten zum Teil mit Frau und Kind und vereinzelt Pastoralreferenten mit ihren Freundinnen zusammen. Das Klima im Seminar konnte die Vorbereitung auf den Priesterberuf nicht unterstützen.“

In einer von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen Studie zum Missbrauch durch Geistliche wurden laut „Spiegel“ Zehntausende Akten für die Zeit zwischen 1946 und 2014 ausgewertet. Demnach habe es bei 1670 Klerikern Hinweise auf Beschuldigungen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger gegeben. 3677 Kinder und Jugendliche seien als Opfer dieser Taten dokumentiert worden. Auch außerhalb Deutschlands seien Fälle von sexuellem Missbrauch durch Priester schon lange vor 1968 dokumentiert. Agentur für Bildungsjournalismus

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Von der Sexualkunde zur sexuellen Bildung: Seit nunmehr 50 Jahren ist Sexualität ein Unterrichtsthema – und noch immer umstritten

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christian
5 Jahre zuvor

O si tacuisses…
mir ist ja klar, dass im reaktionären Teil der Katholischen Kirche solche Denkmuster unterwegs sind, aber dass ein so gelehrter Kopf wie Ratzinger so blind für die Realität der kirchlichen Schuld sein kann, ist hochpeinlich.

Heinz
5 Jahre zuvor

Armer, seniler, alter Mann.

ysnp
5 Jahre zuvor

Völlig realitätsfremd, frauen- und sexualfeindlich. Fast zum Fremdschämen. Hätte Benedikt lieber geschwiegen. Er hat alles viel schlimmer gemacht und dem schwindenden Ansehen der katholischen Kirche noch mehr geschadet.
Ich erinnere daran, dass in jenen Jahren die katholische Kirche verbreitete, dass Geschlechtsverkehr nur zum Zweck des Kindersegens in Ordnung wäre.
Eine Berücksichtigung der weiblichen Sexualität? Da haben sich die Verantwortlichen der katholischen Kirche nie dafür eingesetzt. Nein, im Gegenteil: Sie hat die sogenannte „Reinheit“ von Maria als erstrebenswertes Ideal hochgehalten. Die Frau als Verführerin war immer ein Thema der konservativen Theologen. Sexuelle Bedürfnisse (vor allem der Priester) wurden als negativ bewertet und man sollte diese bekämpfen. (Ich meine jetzt die normalen Bedürfnisse.)
Es gibt in Bezug auf sexuellen Missbrauch in der kath. Kirche ganz andere Aussagen, denen ich Glauben schenke:
Dadurch, dass die Priester nicht heiraten dürfen, zieht das auch in dieser Richtung problematische Männer an.

christian
5 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Ihre Andeutung, dass der Zölibat ein wichtiger Grund für Kindesmissbrauch sein müsste, halte ich bei aller Zustimmung zur Kritik an Ratzinger für unzutreffend.
Das statistische Bundesamt betont in jedem Jahresbericht, dass der Missbrauch in allen gesellschaftlichen Gruppen vorkommt, dass die meisten Fälle in Familien und durch Verwandte stattfinden, dass fast 30% der Täter minderjährig sind und dass jährlich etwa 12000 Fälle zur Anzeige bzw. Ermittlung kommen, wovon die Taten zölibatärer Kirchenleute im Promille-Bereich liegen.
Wenn die böse katholische Sexualmoral der Grund sein sollte, sind die über 11000 anders gelagerten Fälle kaum zu erklären. Kurz gesagt: Kritik an Ratzingers Unfug ist notwendig, eine Reduktion des Themas auf den Kirchenraum ist gefährlich, weil so allzu viele Fälle (Stichwort „Rotherham“) unter den Tisch fallen…

flunra39
5 Jahre zuvor

Gut für alle säkularen Humanisten, dass dieser Herr, der bei seiner Abdankung erklärt hatte, er wolle in Zukunft schweigen, seine Versprechen erneut nicht einhalten konnte: Kaum jemand verkleinert die Macht und verbliebene Omnipotenz der Kirche in den Augen der Öffentlichkeit schneller und besser als Ratzinger.

Melani
4 Jahre zuvor

Das Zölibat hat aber auch *Vorteile*!
Diese erörtert in einer Privat-Offenbarung in ders Heiligen Stadt bei dem URL:
.
https://www.wiwi.uni-siegen.de/merk/stilling/downloads/nachtod_theo_jst/zoelibat_nutzen.pdf
.
Für den Privatgebrauch darf man sich das kostenlos, anonym und sicher downloaden.