Systemfehler? Schulen wurden erst spät über Missbrauchsfall von Lügde informiert

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DÜSSELDORF. Im Missbrauchsfall von Lügde sind offenbar Schulen der Region erst spät über das Ausmaß der Taten informiert worden. Die Rufe nach einem besseren Schutz von Kindern werden lauter.

Im Fall des massenhaften Kindesmissbrauchs von Lügde kommen immer mehr Ungereimtheiten ans Licht. So informierten Behörden die Schulen nicht frühzeitig über die Verdachtsfälle. Vielmehr habe der beschuldigte Dauercamper die Grundschule seines Pflegekindes selber über die Ermittlungen wegen sexueller Übergriffe gegen ihn informiert. Das geht aus einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht des nordrhein-westfälischen Schulministeriums an den Landtag in Düsseldorf hervor.

Demnach rief der Mann die Klassenlehrerin des Kindes im November 2018 an und sagte ihr auch, dass das Kind in einer anderen Familie untergebracht sei. Gerüchte darüber waren der Grundschulleitung schon Tage zuvor zu Ohren gekommen. «Aus datenschutzrechtlichen Gründen konnte die Schulleitung durch das Kreisjugendamt darüber keine offizielle Bestätigung erhalten.»

Auf dem Campingplatz in Lügde im Kreis Lippe an der Grenze zu Niedersachsen soll der 56-jährige arbeitslose Dauercamper mit einem Komplizen über Jahre hinweg mehr als 40 Kinder missbraucht und dabei gefilmt haben. Inzwischen liegen die Anklagen gegen den 56-Jährigen und einen dritten Beschuldigten vor.

Der Hauptbeschuldigte soll sein Pflegekind eingesetzt haben, um andere Kinder anzulocken. Das Mädchen war seit Mitte 2016 in seiner Behausung untergebracht. 2017 war ihm die Pflegschaft übertragen worden – trotz mehrfacher Hinweise auf Pädophilie. Im November 2018 wurde das Mädchen vom Jugendamt Lippe in Obhut genommen. Im Dezember kam der 56-Jährige in Untersuchungshaft.

Schulen blieben außen vor

Auch andere Schulen wurden teilweise erst auf den Fall aufmerksam, als er öffentlich bekanntgegeben wurde. Mit Unterstützung einer Schulpsychologin und der Polizei sei am 1. Februar ein gemeinsamer Elternbrief an alle öffentlichen Schulen in Lügde verteilt worden. Eine Telefonhotline wurde geschaltet und ein Beratungsangebot vor Ort eingerichtet. Eine Schule in Paderborn erfuhr von dem Fall laut Bericht erst, als Ende Februar dort Ermittlungsbeamte erschienen, um einen Schüler zur Vernehmung abzuholen.

Der Landkreis Hameln auf niedersächsischer Seite will am Freitag sein neues Präventionskonzept vorstellen. Das dortige Jugendamt hatte den 56-jährigen auf Wunsch der Mutter als Pflegevater für das Mädchen eingesetzt, obwohl es Hinweise auf sexuell übergriffiges Verhalten des Mannes gegeben hatte.

In Hannover machte am Mittwoch die Initiative «Kinder von Lügde» in einer eindrücklichen Aktion auf das Leid der Kinder aufmerksam. Rund 50 Paar kleine Schuhe – Gummistiefel, Ballerinas und Turnschuhe in bunten Farben – stellte sie vor dem niedersächsischen Landtag auf. Jedes Paar steht symbolisch für ein Opfer der Missbrauchsserie auf dem Campingplatz in Lügde.

«Wir fordern, dass der Fall Lügde gut aufgearbeitet wird», sagte die Sprecherin Ina Tolksdorf. Sie forderte die Einrichtung einer Kinderschutzkommission sowie eines unabhängigen Missbrauchsbeauftragten auf Landesebene. Niedersachsens Landtagspräsidentin Gabriele Andretta (SPD) sagte: «Dieser schreckliche Fall hat uns allen gezeigt, dass wir besser hinsehen müssen.» Es werde konkrete Maßnahmen geben.

Auch in NRW prüft die Landesregierung, ob ein Beauftragter gegen Kindesmissbrauch nötig ist. Kinder- und Jugendminister Joachim Stamp (FDP) steht dem offen gegenüber. Die NRW-Landesregierung will im Juni oder Juli ein Konzept zur Stärkung des Kinderschutzes in NRW vorlegen. Ziel müsse sein, «dass alle Fälle sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch Aufklärung und konsequente Schutzmaßnahmen vermieden oder zumindest frühzeitig wahrgenommen werden», hatte Stamp kürzlich gesagt. Im Fall Lügde seien «einige schwer nachvollziehbare Entscheidungen» getroffen worden. dpa

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