Warum müssen unsere Kinder eigentlich Sport treiben? Ein Plädoyer

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BERLIN. Der Anteil stark übergewichtiger Kinder steigt stetig an. Bundesweit leiden mittlerweile 15 Prozent der Mädchen und Jungen zwischen drei und 17 Jahren unter Übergewicht, sechs Prozent sogar unter Adipositas (News4teachers berichtete). Vielleicht ist es doch keine so schlechte Idee, unseren Kindern einen regelmäßigen Sport irgendwie zu ermöglichen – meint unser Gastautor Nils Kowalczek. Er muss es wissen: Kowalczek war früher selbst Leistungssportler, nämlich Torhüter der deutschen Hockey-Nationalmannschaft. Heute betreibt er ein Info-Portal für Eltern.

Sport steigert die Chance, dass ein Kind gesund aufwächst. Foto: Shutterstock

Sport ist gesund – was heißt das eigentlich?

Ich war selber früher Leistungssportler. Dass meine Kinder Sport treiben würden, war mir also von Anfang an klar. Nicht ganz klar war mir, wie viel Zeit das wirklich kosten würde. Mal von den Kosten ganz zu schweigen. Ich hatte ehrlicherweise keine Ahnung, wie viel Aufwand meine Eltern damals in meinen Sport gesteckt haben. Kurz vorm Training bin ich ins Auto gestiegen und nach dem Training wurde ich wieder nach Hause gefahren. Für das Fahrrad war die Distanz einfach nicht machbar. Am Wochenende fuhren sie mich wieder brav zu den Heim- und Auswärtsspieltagen. Klingt gar nicht so schlimm.

Heute weiß ich, dass viel mehr Aufwand dahinter steckt, als die paar Minuten Taxidienste. Das Ganze muss koordiniert werden mit dem Beruf, den Einkäufen, den Arztterminen, Handwerkern und nicht zuletzt auch noch mit den sportlichen Terminen des zweiten oder gar dritten und vierten Kindes. Außerdem gilt es zu bedenken, ob es sich lohnt, zwischendurch nach Hause zu fahren? Oder bleibt man gleich im Club und wartet auf sein Kind? Aber was tun mit dem Leerlauf, den man auch sinnvoller nutzen könnte?

Muss man Sport regelmäßig betreiben?

Da stellt man sich schon manchmal die Frage, ob es wirklich so sinnvoll war, die Kinder in einen Sportverein zu schicken. Und manchmal ertappt man sich bei dem Gedanken, dass es doch ganz schön wäre, wenn der Nachwuchs mal sagen würde, er hätte heute keine Lust auf den Sport. Oder vielleicht sogar, dass er ganz aufhören möchte mit dem Vereinssport. Warum auch nicht? Es wäre zumindest deutlich entspannter für uns Eltern und auch für den Geldbeutel. Klar, Sport ist gesund, das weiß ja jeder. Aber was heißt das eigentlich? Und reicht dazu nicht doch der Schulsport aus?

Schauen wir doch einmal in die Zahlen. Laut der KIGGS Langzeitstudie des Robert-Koch-Instituts sind in Deutschland etwa 15 % unserer Grundschüler übergewichtig und etwa 5 % sind adipös, also fettleibig. Aber mal Hand aufs Herz: das ist doch Babyspeck und verwächst sich noch, oder? Leider nein. Forscher der Uni Leipzig fanden heraus, dass fast 90 % der Kinder, die bereits im Kindergarten- oder Grundschulalter übergewichtig waren, dies auch noch als Jugendliche sind. Aktuell sind übrigens 50 % der Erwachsenen übergewichtig und 25 % sind adipös.

Der Mensch das Gewohnheitstier

Folge von Übergewicht ist unter anderem Bluthochdruck. Während im Jahr 1985 gerade einmal 1,5 % unserer Kinder Bluthochdruck hatten, so waren es 1993 schon 2,9 % und 2015, für mich regelrecht erschreckend, 10,3 %! Das fand das Robert-Koch-Institut in der Langzeitstudie ebenfalls heraus. Natürlich spielt hier auf der einen Seite die Ernährung eine große Rolle, aber auf der anderen Seite ist Bewegung, also Sport, ein weiterer Schlüssel zum Erfolg. Aber je später man mit Bewegung anfängt, umso schwerer fällt es einem. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.

„Wenn die Kinder abnehmen und Sport treiben, normalisiert sich in der Regel auch der Blutdruck“, sagte Professor Dr. med. Elke Wühl, Oberärztin der Sektion Pädiatrische Nephrologie am Zentrum für Kinder und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Heidelberg. Allerdings sollten Kinder dazu am besten täglich mindestens 60 Minuten Sport treiben und außerhalb der Schule maximal 2 Stunden sitzend verbringen. Okay, nur 2 Stunden … also abends keinen Disney-Film mehr.

Ich bin ja so im Stress

Eigentlich sollte das schon dafür reichen, dass uns Eltern wieder klar wird, warum Sport wichtig ist. Aber das war ja noch lange nicht alles. Laut dem DAK-Präventionsradar leiden 43 % unserer Schüler unter Stress. Das bedeutet, es werden Stresshormone wie Adrenalin, Insulin, Cortisol und Noradrenalin ausgeschüttet, der Puls steigt, die Muskulatur spannt sich an und die Atmung wird schneller. Ein uralter Reflex, der unseren Körper auf Flucht oder Kampf vorbereiten sollte. Beides ist in der Schule nur selten zielführend.

Bauen wir den Stress nicht ab, so führt dies zu Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen, Verdauungsbeschwerden, Verspannungen und Kopfschmerzen. Der beste Weg, Stress abzubauen, ist (Sie ahnen es schon) Sport. Während der Bewegung und Anstrengung schüttet der Körper Serotonine und Endorphine aus und beide bekämpfen Stresshormone. Außerdem wird die Blut- und Sauerstoffversorgung des Gehirns angeregt und Aufnahmefähigkeit und Konzentrationsvermögen werden verbessert. Resultat von regelmäßigem Sport ist dann nicht nur die Bekämpfung von Stress, sondern der Aufbau einer gewissen Stressresistenz.

Depressionen auf dem Vormarsch

Vielleicht ist es doch keine so schlechte Idee, unseren Kindern einen regelmäßigen Sport irgendwie zu ermöglichen? Falls jetzt jemand noch nicht davon überzeugt sein sollte, dann habe ich noch ein paar Zahlen.

Wussten Sie, dass zwischen 2 % und 4 % unserer Grundschüler an Depressionen leiden? Klingt nicht so viel? Finde ich schon. In den Grundschulen haben wir im Schnitt eine Klassenstärke von 21 Kindern. Das heißt, in etwa zwei von drei Grundschulklassen sitzt ein Kind mit Depressionen. Bei den weiterführenden Schulen, mit Klassenstärken von durchschnittlich 25 Kindern, sind es sogar 3,5 Kinder pro Klasse, denn 14 % unserer Jugendlichen leiden an Depressionen.

Aber was haben Depressionen denn mit Sport zu tun? In Norwegen fand man in der HUNT-Studie, einer Langzeitstudie, heraus, dass 1 bis 2 Stunden Sport pro Woche das Risiko, an Depressionen zu erkranken, deutlich senkt. Personen, die keinen Sport ausüben, erkrankten etwa 44 % häufiger.

Natürlich gibt Sport keine Garantie, dass man vor allen Gefahren gefeit ist. Aber die Chance, dass unsere Kinder gesund aufwachsen, steigt ungemein. Es gibt auch so viele tolle Sportarten, von denen man vielleicht noch nie etwas gehört hat. Da findet jeder etwas, was er auch in den Familienalltag integrieren kann. Zumindest mit etwas gutem Willen. Unsere Kinder sollten es uns wert sein.

Der Autor
Schwitzt immer noch gerne: Nils Kowalczek. Foto: privat

Nils Kowalczek war früher Hockey-Nationaltorwart und rief Anfang 2017 die Webseite www.tinongo.de ins Leben. Ein Portal, auf dem er aktuell zu fast 70 Sportarten typische Elternfragen durch die Sportverbände beantworten lässt und diese somit miteinander vergleichbar macht. Wann kann man mit dem Sport anfangen, welcher Zeitaufwand und welche Kosten kommen auf die Eltern zu und wie viele Vereine gibt es überhaupt. Daneben hält er auch Vorträge in Kindergärten und Grundschulen zum Thema, warum wir unseren Kindern Sport ermöglichen sollten und wie wir das am besten angehen.

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