Gymnasiasten bekommen Mittleren Abschluss geschenkt – fast alle

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SCHWERIN. Der Landtag von Meckenburg-Vorpommern. hatte beim neuen Schulgesetz mehr Beratungsbedarf als üblich und die Verabschiedung um mehrere Monate verschoben. Doch an der Kritik von Opposition und Lehrerverbänden hat das nichts geändert. In der Streitfrage, ob Gymnasiasten ohne Prüfung nach der 10. Klasse den Mittleren Abschluss zuerkannt bekommen sollen, gab es einen Kompromiss.

Hartes Ringen ums Schulgesetz: Bettina Martin, Bildungsministerin von Mecklenburg-Vorpommern. Foto: Regierungsportal M-V / Ute Grabowsky

Nach fast einem Jahr Beratung hat der Landtag in Schwerin am Mittwoch mit den Stimmen der SPD/CDU-Koalition ein neues Schulgesetz für Mecklenburg-Vorpommern beschlossen. Der Abstimmung war eine kontroverse Debatte vorausgegangen. Dabei hatten die Oppositionsfraktionen von AfD und Linke ihre Kritik am neuen Gesetz erneuert. Vorschläge und Forderungen des Bündnisses für gute Schule, das Lehrerverbände, Eltern- und Schülerrat als Reaktion auf das Gesetzesvorhaben gegründet hatten, seien zum Großteil ignoriert worden, beklagten Sprecher der Opposition. Die Linksfraktion, die vergeblich weitere Beratungen im Bildungsausschuss und eine dritte Lesung im Plenum beantragt hatte, nahm aus Protest nicht an der Schlussabstimmung teil.

Mit dem neuen Gesetz liege nun ein zeitlicher Fahrplan vor für die Umsetzung der Inklusion, das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderungen, hob Bildungsministerin Bettina Martin (SPD) hervor. «Wir wollen, dass alle Kinder und Jugendlichen die bestmögliche Förderung an den Schulen erhalten», sagte sie. Die Schulen bekämen bis 2028 und damit deutlich länger Zeit als zuvor geplant, sich auf die neuen Anforderungen einzustellen.

Förderschulen bleiben enthalten – manche jedenfalls

Ein Teil der Förderschulen bleibt entgegen früheren Plänen erhalten. Das Gesetz ermöglicht es, die Klassenstufen 1 und 2 für bedürftige Schüler auf insgesamt drei Jahre auszudehnen. Noten werden nicht erteilt. Auch in weiterführenden Schulen ist jahrgangsübergreifender Unterricht möglich. Praxisorientierte Schulangebote wie Produktives Lernen, 9+ oder das freiwillige 10. Schuljahr sollen stärker genutzt werden, damit mehr Schüler einen Abschluss schaffen. Neben Studien- wird es an Gymnasien künftig auch Berufsberatung geben.

In letzter Minute einigten sich SPD und CDU noch auf eine Regelung zur Anerkennung der Mittleren Reife für Schüler, die nach Klasse 10 das Gymnasium verlassen. Erreichen sie einen Notendurchschnitt von mindestens 3,9, erwerben sie damit automatisch die Mittlere Reife, die in der Regel für eine Facharbeiterausbildung erforderlich ist. Wer schlechter ist, kann eine Realschulprüfung ablegen.

Im ersten Entwurf war noch vorgesehen, die Mittlere Reife jedem Gymnasiasten nach erfolgreichem Abschluss von Klasse 10 zuzubilligen, ohne festgeschriebenem Mindestdurchschnitt. «Mit dieser Regelung hätte die CDU auch gut leben können. Neun Bundesländer halten es schon so», sagte der CDU-Abgeordnete Marc Reinhardt. Die SPD hatte aber auf der Änderung bestanden. Auch der Verband Deutscher Realschullehrer hatte gegen die geplante Regelung protestiert (News4teachers berichtete).

Schutz der Schüler vor Mobbing im Gesetz festgeschrieben

Bildungsministerin Martin wies in der Debatte Kritik am neuen Schulgesetz zurück und forderte die Opposition zur Zustimmung auf. Beim 2016 geschlossenen Inklusionsfrieden hätten die Abgeordneten gezeigt, dass sie bei einem so wichtigen Thema wie Bildung auch parteiübergreifend Lösungen finden können. «Ein solches Vorgehen wird von den Menschen erwartet», mahnte Martin. Sie verwies zudem darauf, dass Mecklenburg-Vorpommern als erstes Bundesland den Schutz der Schüler vor Mobbing und sexualisierter Gewalt im Gesetz festschreibe.

Linksfraktionschefin Simone Oldenburg warf der Regierungsfraktionen vor, mit dem neuen Schulgesetz wichtige Vereinbarungen aus dem Inklusionsfrieden nicht einzuhalten. Im Urteil der Fachleute erhalte das Gesetz ein «grottenschlechtes Urteil». So fehlten unter anderem die schülergebundene Stundenzuweisung, die Festschreibung einer gesunden Schulspeisung an allen Schulen oder auch eine Senkung der Klassengrößen. «Das Gesetz bleibt ein ganz schlecht Ding», sagte Oldenburg. Zudem beklagte sie ein «unparlamentarisches Verfahren», da letzte Änderungen am Gesetz erst kurz vor der Beschlussfassung mitgeteilt worden seien.

Nach den Worten des AfD-Abgeordneten Jörg Kröger konnte «Geburtsfehler» des Schulgesetzes trotz verlängerter Beratungen nicht behoben werden. Er sprach sich dafür aus, die Förderschulen in bisherigem Umfang zu erhalten. Dort könnten sich Sonderpädagogen gezielt um Kinder kümmern, die mehr Hilfe benötigen.

GEW: Land hat Chance verpasst, Schulen für die Inklusion auszustatten

Die GEW übte ebenfalls Kritik am Gesetz. «Inklusion bedeutet für die Mehrheit der Abgeordneten und die Landesregierung offensichtlich noch immer, dass Sonderstrukturen, die vorher als Förderschulen existiert haben, nun auf Dauer an Regelschulen – und dort auch nur an ausgewählte Standorte – verpflanzt werden», erklärte der GEW-Landesvorsitzende Maik Walm. Das Land verpasse die Chance, die Schulen finanziell und personell so auszustatten, dass eine wohnortnahe und inklusive Beschulung ermöglichen können. dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Bekommen Gymnasiasten den Mittleren Abschluss geschenkt? Realschullehrer sind empört

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Küstenfuchs
4 Jahre zuvor

Liebe Redaktion,
das Wort „geschenkt“ im Titel empfinde ich als völlig daneben. Ich kenne die genauen Bestimmungen in MV nicht, in SH jedoch ist es schon lange so, dass der Mittlere Schulabschluss mit der Versetzung in die Oberstufe zuerkannt wird und das aus gutem Grund:

In SH setzt sich die Note in einem Fach zu 2/3 aus der Note für das 10. Schuljahr und zu 1/3 aus der Note aus der schriftlichen Arbeit zusammen.
Da die Noten im MSA-Abschluss auf mittlerem Niveau und die Noten am Gymnasium auf erhöhtem Niveau gegeben werden (die Gym-Noten werden um eine Note nach oben gerechnet), wird ein Schüler des Gymnasiums bei Versetzung praktisch keine 5 auf MSA-Niveau haben.
Die Forderung nach einer Prüfung ist daher reiner Populismus und zudem eine nach einer versteckten Arbeitszeiterhöhung durch zusätzliche Abnahme von sinnlosen Prüfungen.
Dies sollten sie mit der Formulierung „geschenkt“ nicht noch befeuern!

Küstenfuchs
4 Jahre zuvor
Antwortet  Redaktion

Sorry, aber ich bin nicht „Sofawolf“, auch kein Zweitaccount von ihm.

Ich will meinen Standpunkt noch einmal verkürzt klarstellen: Wer in die Oberstufe versetzt wird, bekommt in über 99% aller Fälle einen Mittleren Schulabschluss, egal ob er eine Prüfung macht oder nicht.

Wozu dann der Aufwand, diese Prüfungen durchzuführen?

Und um in den „Genuss“ der Prüfungsfreiheit zu kommen, muss ein Schüler erstmal bis in der Oberstufe des Gymnasiums kommen. Der Philologenverband will nicht seinen Schülern die Prüfung ersparen, sondern den Kollegen die sinnlose Zusatzarbeit.

Palim
4 Jahre zuvor
Antwortet  Küstenfuchs

Und warum müssen die anderen Schulen dann die zusätzliche Arbeit leisten, wenn doch ein Zeugnis mit einem bestimmten Notenschnitt am Gymnasium ausreicht?

Könnte man dies an den anderen Schulen nicht ebenso umsetzen und die „sinnlose Zusatzarbeit“ streichen?

Küstenfuchs
4 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

Eine Prüfung ist nur dann sinnvoll, wenn de facto auch jemand durchfallen kann. Wie ich oben schon darlegte, passiert dies aber bei in die Oberstufe versetzten Schülern nicht (zumindest passierte es in S-H nicht, in M-V kenne ich die Bedingungen nicht genau).

Lehrer arbeiten ohnehin schon zu viel, warum noch künstlich die Arbeitszeit nach oben setzen, wenn diese Arbeit keinerlei Sinn ergibt? Gerade in der Prüfungszeit, in der Abiturkorrekturen wöchentliche Arbeitzeiten jenseits der 70 Stunden produzieren?