Unter den Landesregierungen ist offenbar ein Wettbewerb um schnelle Schul- und Kita-Öffnungen ausgebrochen – nur Söder bremst

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BERLIN. Noch vor wenigen Wochen schienen sich alle einig: An normalen Unterricht in den Schulen mit vollen Klassen wird noch lange nicht zu denken sein – und an einen schnellen Regelbetrieb in den Kitas auch nicht. Jetzt scheint aber doch alles schneller zu gehen. Ein föderaler Wettbewerb um die schnellsten und umfassensten Lockerungen bei Schulen und Kitas scheint ausgebrochen zu sein.  Ein einzelner Ministerpräsident hält öffentlich dagegen und mahnt zur Vorsicht: Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU).

Lässt sich nicht aufs nächste Schuljahr festlegen: Bayerns Mininsterpräsident Markus Söder (CSU) – hier auf der Münchner Sicherheitskonferenz im vergangenen Jahr. Foto: Mueller /MSC – Wikimedia Commons (CC BY 3.0 DE)

Der Streit über das Tempo bei Schul- und Kitaöffnungen hat in der vergangenen Woche weiter Fahrt aufgenommen. Mehrere Bundesländer haben inzwischen angekündigt, dass zumindest an Grundschulen die Schüler bald nicht mehr getrennt, sondern wieder in voller Klassenstärke unterrichtet werden sollen. Kritiker wiesen vor diesem Hintergrund auf mögliche gesundheitliche Gefahren hin. Befürworter hoben dagegen hervor, welche negativen Folgen ein dauerhaft eingeschränkter Schul- und Kitabetrieb für Kinder und Jugendliche haben könnte. Auch die Frage, ob es wenigstens nach den Sommerferien an den Schulen wieder halbwegs normal weitergehen soll, bleibt umstritten.

MEHRERE LÄNDER GEHEN VORAN

Sachsen hatte schon am vergangenen Montag als erstes Bundesland Grundschulen und Kitas im eingeschränkten Regelbetrieb wieder geöffnet. Statt auf kleine Gruppen und Abstandsregeln zu setzen, werden Gruppen und Klassen voneinander getrennt. Schleswig-Holstein hatte nun am Mittwoch ebenfalls entschieden, dass dort alle Grundschüler ab dem 8. Juni wieder zur Schule gehen sollen – ohne Abstandsregeln. Ab Mitte Juni peilt auch Sachsen-Anhalt für Grundschüler wieder einen Betrieb in gesamter Klassenstärke an. In Baden-Württemberg ist das ab Ende Juni geplant. Auch vollständige Kita-Öffnungen rücken vielerorts immer näher (News4teachers hat mehrfach umfassend über die Ankündigungen berichtet – hier über das Beispiel Baden-Württemberg).

Als Bremser tritt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf. „Schön wäre ein Regelbetrieb“, sagte Söder in dieser Woche mit Blick auf das kommende Schuljahr einem Bericht von nordbayern.de zufolge. „Vielleicht geben es die Infektionszahlen auch her.“ Falls nicht, müsse man weiterhin Maßnahmen ergreifen. Eine Prognose sei aber derzeit nicht möglich. Söder mahnte deshalb zur Vorsicht. Wenn man nicht wisse, was einen erwarte, sei es klüger, Schritt für Schritt zu gehen, statt ins Ungewisse zu springen.

ANSTECKUNGS- UND INFEKTIONSGEFAHR

Unklar bleibt, welche gesundheitlichen Risiken eine beschleunigte Öffnung in der Corona-Pandemie birgt. «Die Wahrheit ist, dass wir aktuell eine Studienlage haben, die keine echten Schlüsse zulässt, inwieweit Kinder zur Verbreitung des Virus beitragen», sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn der «Augsburger Allgemeinen» (Donnerstag). «Da gibt es sehr unterschiedliche Bewertungen – und das macht es besonders schwer, politische Entscheidungen zu treffen.»

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sorgt sich um die Gesundheit von Erzieherinnen und Lehrkräften. Je größer die Kita-Gruppe oder die Lerngruppe in der Schule, desto größer sei die Gefahr für die Gesundheit der Pädagogen, sagte die Landesvorsitzende der GEW in Schleswig-Holstein, Astrid Henke.

Der Deutsche Philologenverband forderte regelmäßige Tests für Schüler und Lehrer. «Was für die Fußballer recht und billig ist, muss für Lehrer und Schüler erst recht richtig und gerecht sein», sagte die Verbandsvorsitzende Susanne Lin-Klitzing.

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Solche Tests – auch in Kitas – sollen nach den Plänen der Bundesregierung künftig verstärkt möglich sein, selbst wenn Menschen keine Symptome zeigen. Angeordnet werden müssen sie von den örtlichen Gesundheitsämtern. «Die Ausweitung macht Sinn», sagte die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentliche Gesundheitsdienstes, Ute Teichert. «Wir wollen ja nicht überrascht werden. Wir wollen keine zweite Welle.» Sie verwies aber darauf, dass Tests immer nur eine Momentaufnahme seien. «Ein negativer Test heißt ja nicht, dass der oder diejenige in ein paar Tagen nicht doch infiziert sein könnte.» Man müsse dann regelmäßig testen.

NEGATIVE FOLGEN FÜR KINDER UND JUGENDLICHE

Den gesundheitlichen Bedenken bei einer schnellen Öffnung stehen auf der anderen Seite große Bedenken mit Blick auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen bei weiter eingeschränktem Kita- und Schulbetrieb gegenüber: «Die Schäden durch unterbliebene Bildung, unterbliebene Förderung sind immens», sagte FDP-Chef Christian Lindner. Das Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, sprach in der «Welt» von einem «schweren Eingriff» in die Lebenswelt und Grundrechte von Kindern und Jugendlichen und von einer Beeinträchtigung ihrer psycho-sozialen Entwicklung. Gesundheitsökonom Martin Karlsson warnte bei n-tv vor massiven Folgen für das spätere Erwerbsleben der Kinder.

Nach Ansicht des Grundschulverbands sollten die Erwartungen bei einer schnellen Rückkehr zu voller Klassenstärke dennoch nicht zu groß sein. Zwar werde Betreuung gewährleistet, «aber ob Bildungssituationen daraus entstehen können, bleibt fraglich», sagte die Vorsitzende Maresi Lassek. Die Kinder würden, um Mindesthygienestandards zu erfüllen einen «antiquierten Unterricht erleben, der Kontakte, soziales Miteinander und vieles, was lebendiges Lernen und Schule ausmacht und wie sie Schule kennen, unterbindet».

SPÄTESTENS NACH DEM SOMMERFERIEN ALLES WIEDER NORMAL?

Nach Einschätzung mehrerer Bildungsexperten sollten die Schulen nicht mit Normalbetrieb im nächsten Schuljahr planen. Eine 22-köpfige Kommission um den Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Kai Maaz, hat für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung Empfehlungen aufgestellt. «Die Planungen des neuen Schuljahres sollten nicht von einer Wiederkehr des gewohnten „schulischen Regelbetriebs“ ausgehen», heißt es darin.

Das steht allerdings Äußerungen aus einzelnen Bundesländern entgegen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) oder Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hatten für das nächste Schuljahr wieder einen regulären Schulbetrieb in Aussicht gestellt. Die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) hatte die Zielvorgabe gemacht, im Sommer an Schulen und Kitas wieder zum Normalbetrieb zurückzukehren. Von Jörg Ratzsch, dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Immer mehr Länder streichen die 1,50-Meter-Abstandsregel in Grundschulen – Spahn: Sichere wissenschaftliche Grundlage fehlt

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7 Kommentare
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Gümnasiallehrer a.D.
3 Jahre zuvor

Da macht der Söder eben sehr gute Politik. Eigentlich wäre auch eine Öffnung in seinem Naturel, aber als Vorsichtiger und mit Bedacht handelnder, zumindest erweckt er diesen Eindruck, wird er eben politisch weiter kommen. Das hat LaLaLaschet schon die Kanzlerschadt gekostet, so stürmisch zu sein. Und andere Parteien neben der CDU/CSU werden es schwer haben im nächsten Bundestagswahlkampf, jede Wette.

dickebank
3 Jahre zuvor

Nein, da spielt Söder der späte Beginn der Sommerferien in BY in die Hände. Er kann ohne Weiteres locker zwei Wochen nach den anderen Bundesländern seine Schüler*innen in die Schulen zurückkehren lassen und diese haben dann noch mehr Unterrichtstage als die der anderen Bundesländer. Hinzu kommt dass die Bayern gerade Pfingsferien haben.

Ob Laschet die Lockerungen zu forsch voran treibt, ist nicht der ausschlaggebende Punkt. Die Frage ist, warum lässt er sich derart von den wenigen FDP-Minister*innen in seinem Kabinett auf der anse herumtanzen.
Vize- MinPrä Stamp ist zuständig für das Tötungsdelikt in einer Kita, die vor allen unter Corona-Bedingungen fragwürdige Unterbringung von Geflüchteten in Landesunterkünften, die Bedingungen für einen wie auch immer gearteten Kita-betrieb.
Y.G. verrent sich in einem Kleinkrieg, um die Zahl der Lehrkräfte an Schulen durch Aufhebung der Bedingungen für die Risikogruppen zu erhöhen, macht aber keinerlei Vorgaben, wie denn der Unterricht für die in einem rollierenden system in die Schulen zurück kehrenden Schüler*innen aussehen soll. Einzige Vorgabe bis jetzt, die SuS sollen keien Nachteile erleiden und gehen ins näcjste Schuljahr über. Entgegen den Warnungen des RKI, der Bundesregierung, der WHO usw., dass das Virus auch im nächsten Jahr nicht „besiegt sein wird, gibt es derzeit wenig Überlegungen, wie denn der Schulbetrieb nach den in drei Wochen beginnenden Sommerferien gestaltet werden kann. Inhaltliche, landesweite Vorgaben für einen digital gestützten Fernunterricht stehen in den Sternen.
A.P. als Wirtschafts- und Digitalisierungsminister versemmelt als erstes die IT-gestützte Vergabe der Sofort-Hilfen des Landes, um dann mehr oder weniger unter zu tauchen. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur in einem der dichtbesiedelsten Ballungsräume im Herzen von Europa ist schlich und einfach gesagt „unter aller Sau“.
Allen Dreien ist nur eines gemeinsam, ihr vorauseilender Gehorsam gegenüber der Bundes-FDP und deren „lieber schlecht regieren als gar nicht regieren“ Chr. L., der immer Angst davor hat, dass die Parteifreun*innen Kubicki und Teuteberg angesichts des Absturzes über dei Klippe der Fünf-Prozent-Hürde fest hinter ihm stehen.

Palim
3 Jahre zuvor

Söder verhält sich so, wie sonst auch in der Schulpolitik: abwartend.
So kann man schauen, welche Entwicklungen sich in anderen BL ergeben,
und hätte Zeit, die Lehrkräfte vorzubereiten und mit einzubeziehen.

Das zeigt sich auch bei anderen Sachverhalten, z.B. Ganztag, Inklusion oder der Umstellung auf Kompetenzen oder der Lehrkräfte-Ausbildung.
Das Vorgehen hat Licht- und Schattenseiten.

Grundschullehrer
3 Jahre zuvor

Abwartend zu sein, muss man sich als Bundesland auch erstmal leisten können. Bayern kann das und tut es auch. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen den Eltern wieder mit Hilfe von Schul- und Kitabetreuung ihre Berufstätigkeit zügig ermöglichen müssen. Viele Menschen im Osten sind prekär beschäftigt und haben keine finanziellen Rücklagen. Schnell kann das politische Klima kippen, wie man in der Vergangenheit auch immer wieder zu sehen bekam. Das wissen Haseloff und co. und reagieren entsprechend. Infektionen an Schulen oder anderen Einrichtungen sind da wohl aus politischer Sicht eher das kleinere Übel.

dickebank
3 Jahre zuvor
Antwortet  Grundschullehrer

Die Bayern sind halt zukünftig prekär beschäftigt. Dass BMW und Audi Beschäftigungsquoten wie vor Corona erreichen werden, ist dann erst einmal auszuschließen.

In ST, SN und TH ist die Grundeinstellung zur Ganztagsbetreuung halt eien andere als in BY.

Was Söder ebenfalls nutzt ist, dass der Koaltionspartner eben ein Schoßhündchen ist. Aiwanger hat eben nichts dem Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz als medialem Dauerbrener entgegenzusetzen.

Grundschullehrer
3 Jahre zuvor

„In ST, SN und TH ist die Grundeinstellung zur Ganztagsbetreuung halt eien andere als in BY.“ Das ist ein Grund, die Einstellung (von vielen auch als ein „Erbe des DDR-Bildungs- u. Erziehungssystem gesehen). Ein anderer Punkt ist, dass die große Mehrheit der Menschen im Osten auf zwei volle Einkommen angewiesen ist, um über die Runden zu kommen. Bayern ist von solchen Verhältnissen Lichtjahre entfernt.

dickebank
3 Jahre zuvor
Antwortet  Grundschullehrer

Nicht unbedingt ist BY da besser gestellt. Die Besonderheit ist halt, dass es in BY viele Beschäftigte gibt, die aus einem landwirtschaftlichen Betrieb kommen, den sei als Nebenerwerbslandwirte führen.

Und jetzt die besonderheit der Arbeitsgesetzgebung:
Wird ein Nebenerwerbslandwirt arbeitslos, da er seinen Job in der Wirtschaft verliert, ist er automatisch wieder Vollerwerbslandwirt.

Nebenerwerbslabdwirtschaft funktioniert nur, wenn generationenübergreifend organisiert. DAas schließt die Kinderbetreuung eben mit ein sowie dei Gewissheit, dass alle anderen, die anders handeln, eben Rabnmütter sein müssen. Wenn Kindergarten, dann nur um die Grundwerte des christlichen Abendlandes weiter zu geben.

Und in den Städten leben eh nur „Zugereiste“ … (BY hat halt nur 7 Großstädte.)