STUTTGART. Wieder im vollen Klassenverband in der Schule lernen – das sollen bundesweit immer mehr Kinder und Jugendliche. Ein Bundesland nach dem anderen kündigt weite Schulöffnungen an. Die Inzidenzen sinken zwar, sind aber immer noch hoch. Flammt das Infektionsgeschehen wieder auf? Das bereitet Lehrern große Sorgen. Verbände warnen. Das Robert-Koch-Institut auch.
Lehrerverbände warnen bei weiteren Schulöffnungen vor möglichen Corona-Infektionen. «Eine Öffnung für Präsenzunterricht bei Inzidenzen über 50 ist fahrlässig», sagt etwa Matthias Scheider, Sprecher der baden-württembergischen GEW. Die entsprechenden Hinweise des Robert Koch-Institutes seien ernst zu nehmen. Tatsächlich empfiehlt das RKI oberhalb einer Inzidenz von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen kleinere Lerngruppen, also Wechselunterricht, um die Abstandsregel in den Klassenräumen einhalten zu können. Nach wie vor warnt die Bundesbehörde vor Ausbrüchen in Kitas und Schulen.
Wörtlich heißt es im aktuellen Lagebericht: „Die anhaltende Viruszirkulation in der Bevölkerung mit zahlreichen Ausbrüchen in Privathaushalten, Kitas und zunehmend auch in Schulen sowie dem beruflichen Umfeld erfordert die konsequente Umsetzung kontaktreduzierender Maßnahmen und Schutzmaßnahmen, insbesondere die regelmäßige und intensive Lüftung von Innenräumen sowie massive Anstrengungen zur Eindämmung von Ausbrüchen und Infektionsketten.“
«Die sinkenden Inzidenzen, weitgehend geimpfte Lehrerinnen und Lehrer und das Testkonzept bieten uns jetzt eine echte Chance»
Die Politik ist aber in entgegengesetzter Richtung unterwegs. Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) beispielsweise hat aktuell angekündigt, die Schulen könnten selbst bei einer Corona-Inzidenz von mehr als 50 bald wieder in den Regelbetrieb gehen. Bislang war geplant, dass bei Werten zwischen 50 und 100 nur Grundschulen sowie die Grundstufen der Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren und die Schulkindergärten zum Präsenzunterricht zurückkehren. Diese Regelung wird ab 11. Juni auf alle Schüler von Klasse fünf an ausgeweitet, die derzeit noch im Wechselunterricht sind.
Schopper: «Die sinkenden Inzidenzen, weitgehend geimpfte Lehrerinnen und Lehrer und das Testkonzept bieten uns jetzt eine echte Chance, dass wir auch an den Schulen zu mehr Normalität kommen.» Schopper nennt die Öffnung jedoch eine wichtige Perspektive für Familien. Viele Kinder und Jugendliche, aber auch ihre Eltern seien am Ende ihrer Kräfte, sagte sie den «Stuttgarter Nachrichten». Auch für die Lehrer und Schulleitungen sei eine Rückkehr zum Präsenzbetrieb unter Pandemiebedingungen ein erster Schritt im den gewohnten Schulalltag. GEW-Sprecher Schneider meint dazu: «Die neue Ministerin wiederholt die Fehler der alten.»
«Leider wird erneut der Gesundheitsschutz von in Schule Tätigen und Lernenden außen vor gelassen»
«Zwar gibt es ein großes pädagogisches Bedürfnis nach Präsenzunterricht bei Lehrern und Schülern, aber der Arbeits- und Gesundheitsschutz muss sichergestellt sein», sagt auch Philologen-Vorstandsmitglied Cord Santelmann. Die meisten Lehrer seien geimpft (eine Besonderheit in Baden-Württemberg – in den meisten anderen Bundesländern bekamen zunächst nur Erzieher, Grundschul- und Förderschullehrer einen Impftermin), die Schüler und ihre Familien aber nicht. Neben der Maskenpflicht müssten auch die Abstände zwischen den Schülern gewährleistet sein. Das sei gerade in der Unter- und Mittelstufe der Gymnasien mit vollen Klassen in kleinen Räumen schwierig. «Da muss dann gut überlegt werden, bei welcher Inzidenz Präsenzunterricht unter solchen Bedingungen verantwortbar ist», sagt der Vertreter des Zusammenschlusses der Gymnasiallehrer.
Auch in anderen Bundesländern äußern sich Lehrerverbände skeptisch gegenüber den Öffnungsplänen der jeweiligen Landesregierungen.
- Sven Christoffer, Vorsitzender von lehrer nrw, meint: „Die Pandemie-Situation ist nach wie vor sehr fragil. Daher fordern wir, im Einklang mit den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts sowie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, den vollen Präsenzunterricht erst dann wieder aufzunehmen, wenn die Inzidenzen stabil unter 50 liegen. Dies könnte in einigen Kommunen schon am 31. Mai der Fall sein, in anderen aber noch nicht. Daher sind je nach regionaler Entwicklung flexible Lösungen gefragt.“ Für Nordrhein-Westfalen hatten Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) angekündigt, die Schulen „bei stabilen Inzidenzwerten von unter 100“ ab dem 31. Mai landesweit für den Unterricht ohne Abstandsregel öffnen zu wollen.
- Der Brandenburgische Pädagogen-Verband (BPV) fordert: „Präsenzunterricht nicht um jeden Preis!“ Kritisch sieht der BPV vor allem, dass noch nicht allen Lehrkräften im Land die Möglichkeit einer Impfung hatten und dass aufgrund der vollen Klassen die von Virologen angemahnten AHA-Regeln nicht eingehalten werden können. Brandenburgs Bildungsministerin und KMK-Präsidentin Britta Ernst (SPD) hatte eine vollständige Öffnung der Schulen noch vor den Sommerferien in Aussicht gestellt, sollten sich die Inzidenzzahlen positiv entwickeln – (mal wieder) ohne konkret auf den Gesundheitsschutz für Schüler und Lehrkräfte einzugehen.
- Im Saarland ist man, wie in Nordrhein-Westfalen, schon einen Schritt weiter. Dort gibt es ebenfalls bereits ein Datum für weite Schulöffnungen: Nach den Pfingstferien ab dem 31. Mai sollen im Land wieder alle Schulen im Vollpräsenz-Betrieb öffnen. „Leider wird erneut der Gesundheitsschutz von in Schule Tätigen und Lernenden außen vor gelassen. Es ist frustrierend, immer wieder an alle Verantwortlichen zu appellieren, Rücksicht auf die nicht oder nicht vollständig geimpften Kolleginnen und Kollegen und Schülerinnen und Schüler zu nehmen – und nicht gehört zu werden“, sagt dazu Karen Claassen, Landesvorsitzende des Verbands Reale Bildung.
„Mit dieser Entscheidung wird eine Abstandshaltung in der Schule nicht mehr möglich sein. Selbsttestungen in Nieswolken mit etwa 20 bis 30 Personen, die dann in diesen Räumen arbeiten und lernen sollen, sind in keinem anderen öffentlichen Gebäude zugelassen. Mittagessen in voller Mensa, ohne Abstand und ohne Maske, sind auch nur in Schulen möglich“, so meint sie – und betont: „Diese Vorgehensweisen der Politiker sind nicht nachvollziehbar.“ News4teachers / mit Material der dpa
Frau Schopper sagt: “Die sinkenden Inzidenzen, weitgehend geimpfte Lehrerinnen und Lehrer und das Testkonzept bieten uns jetzt eine echte Chance, dass wir auch an den Schulen zu mehr Normalität kommen.”
Ich frage mich dazu:
Die sinkenden Inzidenzen – sinken sie bei den SuS?
weitgehend geimpfte Lehrerinnen und Lehrer – und die LuL, die nicht geimpft werden können, werden wie geschützt?
und das Testkonzept – im Vollbetrieb im Klassenzimmer?
bieten uns jetzt eine echte Chance – eine e c h t e Chance?
dass wir auch an den Schulen zu mehr Normalität kommen – Schulen werden länger als (alle?) anderen Einrichtungen keine Normalität erreichen: Altersgruppen, Durchmischung, enge Räume, ÖPNV, Selbstdisziplin, Zustand der Klassenzimmer/-fenster usw. Dies mus ehrlich gesagt werden und entsprechend ganz konsequent gehandelt werden. Die Ausrufung einer verfrühten Rückkehr zur Normalität ist im Sinne des Wortes verführerisch, denn es führt – das haben wir nun mehrfach erlebt in der Pandemie – allzu schnell wieder zum falschen Gefühl von Sicherheit und dann in der Tat aber sehr leicht zu noch größeren und hartnäckigeren Verschärfungen der Probleme.
Es ist einfach immer wieder zu schön um wahr zu sein.
Oder einfach zu wahr, um schön zu sein…
Wechselunterricht kann deutlich besser sein als volle Präsenz.
Vielleicht sollte man mal eine Umfrage unter den Schülern starten.
Mein Sohn, 15, sagte heute wieder, er sei viel motivierter in einer 15er Gruppe, da mündliche Mitarbeit einfacher sei als bei 30 Schülern. Seine Motivation liegt im Normalfall bei minus 10. Auch wäre er insgesamt besser auf Schule zu sprechen, wenn es immer einen Tag Pause von dem Hyperstress gebe. Die Aufgaben online seien für ihn viel entspannter zu ei er Tageszeit seiner Wahl zu erledigen.
Warum fragt man nicht mal die, die es betrifft und jammert immer nur über Lerndefizite. Hat schon mal jemand an die VORTEILE gedacht?
@Everdiena
Ja, jemand hat an die VORTEILE des Wechselunterricht gedacht – meine 7te Klasse. Die mögen ihre Klassenkameraden, möchten aber nicht mehr gemeinsam in der Masse unterrichtet werden.
(Im vergangenen Jahr fanden übrigens auch ausnahmslos alle Schüler:innen die kleinen Lerngruppen prima. Viel weinger Stress, kaum Ablenkung, kein permanentes Gerangel um die Klassenclown- oder Lehrerdisserrolle, kein ständiges Gestreite, das immer mindestens die Hälfte der U-Zeit zur Klärung braucht…. Wir konnten arbeiten. In aller Ruhe und mit Erfolgserlebnissen! .. Einziger Nachteil – kostet mehr. Was ich auf laaaaange Sicht gesehen sinnvoll investiert finde, aber welches KuMileinchen denkt an andere über längere Sicht nach?! Das können und machen sie nur für sich.)
Die Schülerinnen und Schüler können noch lange nicht geimpft werden. Die einzige Möglichkeit, die Herdenimmunität zu erlangen ist deswegen die durchgemachte Infektion der Kinder. Dies lässt sich jedoch mit geschlossenen Schulen oder Wechselunterricht eben nicht erreichen.
Gehts noch?Erkrankte oder Tote Eltern oder Kinder mit long covid nehmen Sie da gern in Kauf,oder wie? Oder war das Sarkasmus,wie ich hoffe?
@Maren
Ich verstehe den Kommentar von Mary anders.
Es handelt sich m.E. nach um eine sachliche Erklärung, nicht um eine Meinung.
Und in diesem Sinne gebe ich Mary Recht.
Verzeihen Sie, als alleinerziehende,ungeimpfte Mutter eines ungeimpften Grundschülers fehlt mir bei sowas die Sachlichkeit! Die Kinder sind keine Versuchskaninchen.
Es wird Zeit, dass Schulen als Arbeitsstätten in der Arbeitsstättenverordnung mit aufgenommen und explizit erwähnt werden.
Andernfalls begreifen es weder die Kultusminister noch die Gesundheitsminister und auch nicht die Bürgermeister.
Von Ministerpräsidenten ganz zu schweigen.
@Koogle
Daumen hoch!
Guter Punkt!
Die Zahlen zeigen recht deutlich, dass auch unter nur einmal geimpften die Infektionen deutlich abnehmen. Um die 40% sind mindestens einmal geimpft.
Die Zahlen Geimpfter, die sich infiziert haben, wurden vor einer Weile ja veröffentlicht. Wenn man das gegen die Gesamtzahlen des Zeitraums rechnet, in dem geimpft wurde, landet man bei einer Reduzierung auf etwa 1/15.
Von daher müsste man diese 40% bei der Gesamtzahl mit dem Faktor 1/15 bewerten. Damit ist die Gesamtmenge der Infizierbaren also nicht mehr 100% der Bevölkerung, sondern nur noch 60 + 40/15 = 62,66%. Anders gesagt, ist die Zahl, auf die sich dei Inzidenz bezieht, damit auf 1/1,6 gefallen. Entsprechend müsste man die Inzidenzen korrigieren, um das Risiko unter Ungeimpften zu beurteilen. Aus 100 wird dann 160.
Das ist vor allem in Umgebungen relevant, wo fast nur Ungeimpfte aufeinander stossen – sprich, Schule!
Die aktuelle Aufreisserei wird die 4. Welle erzeugen, ebenso wie die letzten beiden Aktionen dieser Art die 3. und die 2. Welle erzeugt haben. Gerade unter dem Aspekt, dass die indische Mutation schon da ist, ist das brandgefährlich. Sie wird zwar noch marginalisiert (“nur 2%”), aber auch da muss man nur schauen, wie das mit der englischen Mutation (B117) losging. Auch die war am Anfang marginal, jetzt macht sie fast alle Infektionen aus.
Das allerschlimmste ist aber: Mit dieser Durchseuchungstaktik unter SuS nimmt man nicht nur viele Langzeitschäden in Kauf (Tote sind eher unwahrscheinlich), sondern riskiert auch die Entstehung von Mutationen, gegen die die Impfungen wirkungslos sind. Das wäre dann “zurück zum Anfang!”. Das kann doch niemand ernthaft wollen!
Und man sollte immer wieder allen Entscheidern ganz deutlich sagen: “Überlebt ist nicht gesund!” Man darf die Folgen von Corona nicht nur an den Toten messen!
Es ist eine Schande, dass Schulen nach wie vor ohne Luftfilter geöffnet werden sollen. Wo bleibt der Aufstand der Anständigen? Was passiert mit allen Kindern unter 12 jahren im nächsten Herbst und Winter? Die Antwort will ich eigentlich gar nicht wissen. Man kannnicht oft genug darauf hinweisen; das Internet vergisst zum Glück nicht. Den Kindern (ich selbst habe welche in Kita und Schule im Bildungswunderland NRW) ist damit aber auch nicht geholfen. –
Ein klein wenig Mut macht eine Initiative von Eltern in Rheine in Sachen Luftfilter, welche gegen starke Widerstände (!!) von Politk und Verwaltung durchgesetzt hat, was seit 15 Monaten die Aufgabe von Frau Gebauer, Herrn Laschet und Herrn Dr. Stamp u. a. gewesen wäre.
Bitte hören ab Min. 10`20:
https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-westblick/audio-wdr–westblick-ganze-sendung–2514.html
An unserer Schule gab es seit Beginn des Wechselunterrichts keinen einzigen Fall, trotz Testungen. Die Lehrer sind geimpft, die Mensa ist seit September 2020 geschlossen, wer weiter zu Hause im Fernunterricht lernen möchte, darf das.
Wir würden uns über regulären Präsenzunterricht freuen … oder wieder kompletten Fernunterricht nach Stundenplan, der bei uns sehr gut organisert war. Aber der Wechselunterricht bringt aktuell die Lehrern und Schüler an die Belastungsgrenzen.
Mir scheint, es werden in den Selbsttestungen in Schulen doch arg wenige positive Fälle erkannt und ich frage mich, ob das rein statistisch überhaupt noch sein kann angesichts der Inzidenzen unter den Schüleraltersgruppen oder ob mit dem gesamten Ablauf oder auch mit den Tests etwas grundlegend nicht stimmt …?
Meine Sehnsucht nach „normalem“ Präsenzunterricht, also der vollen Klassenstärke, hält sich nach meinen überaus positiven Erfahrungen mit dem Teilungsunterricht sehr in Grenzen. Auch wenn Sie nicht Chemie unterrichten können Sie sich sicherlich gut den Unterschied zwischen 12-15 und 24-30 Schülerinnen und Schülern mit brennenden Bunsenbrennern vorstellen. Und für alle Fächer gilt, dass kleine Lerngruppen die wirklich Benachteiligten und Vernachlässigten des Schulsystems zum Zuge kommen lässt: die Unauffälligen, Introvertierten, Ruhigen. Das gilt vor allem für den nur zweistündigen Fachunterricht.
Kleinere Gruppengrößen sind unrealistisch, nicht finanzierbar? Ich habe das etwa 20 Jahre lang (ca. 1980 bis 2000) an meiner Gesamtschule erlebt, damals sogar noch von zwei Laboranten unterstützt. Danach kamen die Sparmaßnahmen, verkauft als pädagogischer Fortschritt (innere statt äußerer Differenzierung).
@Michael Kratz, ich stimm in vollem Umfang zu!Und eigentlich auch die meisten Lehrer,die ich kenne,sagen,mit kleineren Gruppen und abgespecktem Lehrplan läuft es besser als mit Vollpräsenz,es gibt kaum Rückstände.Leider wird in den Medien nur kommuniziert,dass die Schüler unaufholbare Lücken haben.Stimmungsmache,nichts weiter.Wirkt auch.Genug Eltern feiern die Rückkehr in den Regelunterricht.