„Permanenter Krisenzustand“: Studie von Katastrophen-Forschern zeigt auf, wie anfällig das Schulsystem ist

24

BERLIN. Dass es in den Schulen während der Pandemie an allen Ecken und Enden knirscht, ist offensichtlich. Tatsächlich hat das wohl systematische Gründe: Politik und Verwaltung betrachten das Bildungswesen nicht als „kritische Infrastruktur“ – weshalb ihm in Krisen vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Forscherinnen und Forscher haben im Auftrag des Bundesamts für Bevölkerungsschutz mit Blick auf mögliche künftige Katastrophen das System unter die Lupe genommen. Sie kommen zu der Schlussfolgerung, dass große Anstrengungen notwendig sind, um es widerstandsfähiger zu machen.

„Das System befindet sich auch im Alltag keineswegs im Ruhezustand“, so stellen die Forscher fest. Illustration: Shutterstock

Die Coronavirus-Pandemie hat „deutlich gemacht, dass das Bildungswesen in Deutschland auf eine länger andauernde, großflächige und derart komplexe Krisenlage offenbar nur unzureichend vorbereitet gewesen ist. Wie problematisch sich die Situation im Bildungswesen dargestellt hat, kann nicht nur zahlreich verfügbaren Medienberichten und diversen wissenschaftlichen Untersuchungen entnommen werden. Auch die Tatsache, dass einige verbeamtete Lehrkräfte und Schulleitungen sich offenbar auf ihre Remonstrationspflicht berufen haben, lässt sich als ein Indiz dafür werten, dass es vielerorts äußerst schwierige Situationen gegeben haben muss, die aus Sicht der Akteurinnen und Akteure vor Ort kaum zu verantworten gewesen sind“, so heißt es in der Studie.

Die untersucht die Fragestellung, ob das Bildungswesen in Deutschland als „kritische Infrastruktur“ (und damit als „Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen“) anzusehen sei – was durchaus Folgen hätte. Kitas und Schulen gelten nämlich bislang nicht als solche, anders etwa als der Energiesektor, das Gesundheitswesen oder „Staat und Verwaltung“. Dass zum Beispiel mobile Luftfilter schnell in Staatskanzleien und Landtagen aufgestellt wurden, aber in den meisten Bundesländern nicht flächendeckend in Schulen, dürfte dieser Systematik folgen. Ohnehin spielten, trotz aller Beteuerungen der Politik, die Schulen beim Infektionsschutz kaum eine Rolle – formal Präsenzunterricht aufrecht zu erhalten, stand über allem.

Zur Analyse der Situation haben die Autoren zahlreiche Medienberichte ausgewertet – News4teachers wird als oft verwendete Quelle ausdrücklich genannt. Darüber hinaus dienten Experteninterviews als Grundlage, darunter eins mit News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.

„Etwa die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland ist direkt oder indirekt von der Funktionsfähigkeit des Bildungswesens abhängig“

Mit Blick auf die „Kritikalität“ der Kitas und Schulen stellen die Autoren um den Hamburger Krisenforscher Prof. Harald Karutz fest: „Die während der Coronavirus-Pandemie gesammelten Erfahrungen haben jedoch aufgezeigt, dass hier ein Umdenken angebracht sein könnte: Durch ein systemisches Versagen des Bildungswesens droht keineswegs nur vorübergehend hinnehmbarer Unterrichtsausfall; vielmehr ist von einer erheblichen Kritikalität des Bildungswesens auszugehen“, so schreiben sie.

„Immerhin ist etwa die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland direkt oder indirekt von der Funktionsfähigkeit des Bildungswesens abhängig: Von Krisensituationen, die sich auf Bildungseinrichtungen auswirken, sind nicht nur zahlreiche Kinder und Jugendliche, Lehrkräfte und weitere Mitarbeitende im direkten institutionellen Kontext betroffen, sondern immer auch die jeweiligen Eltern bzw. Sorgeberechtigten sowie das weitere soziale und berufliche Umfeld der Familien. Funktionseinschränkungen im Bildungswesen wirken sich unmittelbar auf andere Kritische Infrastrukturen aus: Elternteile, die sich ggf. ganztägig selbst um die Betreuung ihrer Kinder kümmern müssen, können beispielsweise nicht oder nur sehr begrenzt ihrer Arbeit nachgehen, sodass es in anderen Bereichen, etwa dem Gesundheitswesen oder auch Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, zu einer Verknappung personeller Ressourcen kommt.“

Weiter heißt es: „Darüber hinaus haben Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit des Bildungswesens bereits nach relativ kurzer Zeit erhebliche psychische, soziale und nicht
zuletzt ökonomische bzw. volkswirtschaftliche sowie juristische Auswirkungen; die
Verletzung fundamental bedeutsamer Rechte von Kindern und Jugendlichen, die
Verschärfung von Bildungsungerechtigkeiten sowie die Gefährdung von Bildungsabschlüssen seien hier nur beispielhaft genannt. Je länger Funktionsbeeinträchtigungen im Bildungswesen andauern, umso gravierender zeichnen sich diese Auswirkungen ab. Perspektivisch kann ein funktionsbeeinträchtigtes Bildungswesen mit Benachteiligungen im internationalen Wettbewerb, der Gefährdung von gesellschaftlichem Wohlstand und Wohlergehen sowie nicht zuletzt auch einer politischen Destabilisierung verbunden sein.“

Verletzlich sei das Bildungswesen allemal. „Ganz aktuell zeigte die verheerende Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, dass nicht nur eine Pandemie, sondern auch eine Extremwetterlage zu einer massiven, langfristig anhaltenden und großflächigen Beeinträchtigung des Bildungswesens führen kann: Im Katastrophengebiet wurden rund 150 Schulen so schwer beschädigt, dass in ihnen auf absehbare Zeit nicht mehr unterrichtet werden kann. (…) Doch nicht allein die anhaltende Coronavirus-Pandemie oder das aktuelle Hochwassergeschehen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz stellen große Gefahren und Risiken für sämtliche Einrichtungen des Bildungswesens dar. Allgemein kann festgestellt werden, dass es in Deutschland regelmäßig Ereignisse gibt, die negativ auf die Fortführung des Unterrichts und damit direkt auf die Funktionsfähigkeit des Bildungswesens einwirken. Diese Ereignisse unterscheiden sich in Form und Schwere teils sehr stark voneinander und reichen von den erwähnten Naturkatastrophen über Unfallereignisse und subtile kriminelle Akte bis hin zu massiver Gewaltanwendung wie etwa bei Amokläufen und anderen Tötungsdelikten im Schulkontext.“

Anzeige

Verschärfend komme hinzu, dass Lehrkräfte als vulnerable Gruppe zu betrachten sei, „die grundsätzlich als in hohem Maße vorbelastet zu betrachten ist. Zahlreiche Studien zur Gesundheit von Lehrkräften haben in den vergangenen Jahren aufgezeigt, dass Lehrkräfte im Vergleich zu anderen Berufsgruppen häufiger krank sind, insbesondere psychische
Störungsbilder wie Erschöpfungszustände, Burn-out und Depressionen bei ihnen häufiger auftreten und auch häufiger eine Frühpensionierung erforderlich ist als bei anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Im Rahmen der Coronavirus-Pandemie wurde davon ausgegangen, dass bis zu 20 Prozent der Lehrkräfte in Deutschland entweder aufgrund eigener gesundheitlicher Vorbelastungen oder im Haushalt lebender Risikopatienten von vornherein nicht dienstfähig gewesen sind.“

„Eine Lehrkraft stellt gewissermaßen schon an sich ein kritisches Element innerhalb des Bildungswesens dar“

Generell könne in Deutschland von einem Lehrkräftemangel und von einer überalterten Lehrerschaft ausgegangen werden. „Dies führt dazu, dass sich der Ausfall einer einzelnen Lehrperson direkt auf die Betreuung bzw. den Unterricht vieler Schülerinnen und Schüler auswirkt. Eine Lehrkraft stellt dadurch gewissermaßen schon an sich ein kritisches Element innerhalb des Bildungswesens dar. Dies gilt umso mehr, wenn man nicht nur von einem ‚technischen‘ Verhältnis zwischen Lehrkräften und den Schülerinnen und Schülern ausgeht, sondern wenn man auch auf die Bedeutung von persönlichen Beziehungen für gelingende Bildungsprozesse fokussiert. Aus diesem Grund kann der Ausfall einer Lehrperson – anders als in vielen anderen Berufen – auch nur begrenzt durch eine andere kompensiert werden: In wirklichen Bildungsprozessen geht es nicht einfach darum, dass ‚irgendjemand da ist und aufpasst‘, sondern es muss darum gehen, dass sich entsprechend qualifizierte Bezugspersonen tatsächlich um Kinder und Jugendliche kümmern und diese fachlich, sozial, persönlich und methodisch kompetent in ihren Bildungsbemühungen unterstützen.“

Zugleich ergebe sich aus diesem besonderen Tätigkeitsprofil von Lehrkräften in Pandemien noch ein weiterer vulnerabilitätserhöhender Aspekt: „Durch die erforderliche (physische) Nähe zu Kindern und Jugendlichen sind Lehrkräfte immer auch einem besonderen Infektionsrisiko ausgesetzt. Unabhängig davon, wie das Infektionsrisiko in der aktuellen COVID-19-Pandemie eingeschätzt wird, muss dies bei einer Einschätzung des Gefährdungspotenzials von Lehrkräften, die immerhin die zentralen Akteure im Bildungswesen sind, berücksichtigt werden.“

„Insgesamt kann das Bildungswesen in Deutschland als eine Kritische Infrastruktur betrachtet werden“

So gelte grundsätzlich ein „permanenter Krisenzustand“ in Schulen. „Das System befindet sich auch im Alltag keineswegs im Ruhezustand, sondern ist vielerorts schon unabhängig von der Coronavirus-Pandemie bzw. auch anderen Krisensituationen in einem mehr oder weniger stark ausgeprägten Krisenmodus. Lehrkräfte sind aus den unterschiedlichsten Gründen generell stark belastet und die Situation an zahlreichen Schulen ist permanent angespannt; mitunter „am Limit“: Personalnot bzw. Lehrkräftemangel, Anforderungen durch bildungspolitische Reformen und Curriculumsrevisionen, die Umsetzung der Inklusion, Disziplinschwierigkeiten bzw. die Zunahme von Schülerinnen und Schülern mit Verhaltensauffälligkeiten, zunehmend heterogene und zugleich größere Lerngruppen tragen u. a. dazu bei. Großflächige und lang anhaltende Schadens- bzw. Krisenlagen konfrontieren das Bildungswesen insofern nicht mit einer Krise, sondern mit einer weiteren Krise. Belastbarkeitsgrenzen sind bei Betroffenen im Schulkontext daher umso eher erreicht; Bewältigungsressourcen auch umso eher verbraucht.“

Als zentrale Botschaft halten die Autoren fest: „Insgesamt kann das Bildungswesen in Deutschland als eine Kritische Infrastruktur betrachtet werden, auch wenn die Kritikalität einzelner Teilfunktionen und Teilbereiche sicherlich noch differenzierter analysiert und diskutiert werden muss. Die Auswirkungen von Funktionseinschränkungen im Bildungswesen sind gravierend, betreffen sehr viele Menschen in unterschiedlichster Weise und wirken äußerst nachhaltig, d. h., sie sind kaum zu kompensieren.“

Um die Krisenfestigkeit des Bildungswesens zu erhöhen, seien Anstrengungen in zahlreichen Handlungsfeldern erforderlich. „Lediglich auf die Digitalisierung oder andere technische Aspekte der Ausstattung von Schulgebäuden zu fokussieren, wird der Komplexität der Problematik bei Weitem nicht gerecht. Einem umfassenden Bildungsverständnis bzw. einem systemischen Ansatz folgend müsste beispielsweise auch die Zusammenarbeit mit Eltern intensiviert und die „Krisenkompetenz“ von Lehrkräften gestärkt werden. Darüber hinaus fehlen pädagogische Konzepte, die die Krisenbewältigung thematisieren, und innerhalb des Bildungswesens scheinen strukturelle bzw. bildungsorganisatorische Veränderungen angebracht.“ News4teachers

Hier lässt sich die komplette Studie herunterladen.

Der Verharmlosungskurs der Kultusminister manövriert die Schulen in die Sackgasse – Corona ohne Ende droht

 

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

24 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Dil Uhlenspiegel
2 Jahre zuvor

„Das System befindet sich auch im Alltag keineswegs im Ruhezustand, sondern ist vielerorts schon unabhängig von der Coronavirus-Pandemie bzw. auch anderen Krisensituationen in einem mehr oder weniger stark ausgeprägten Krisenmodus.“

– Irgendjemand überrascht? Also ich meine natürlich bei echtem Einblick ins System und bei echter Ehrlichkeit …

potschemutschka
2 Jahre zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

Doch, Indra Rupp wird sehr überrascht sein, verteidigt sie doch immer so vehement das (west-)deutsche Bildungssystem.

Stromdoktor
2 Jahre zuvor
Antwortet  potschemutschka

Zwei Reflexe:

1.) Von „Außen“ könnte das Bildungssystem anders wahrgenommen werden als von „Innen“. Insofern würde ich das grundsätzlich erst einmal als positive Einstellung zum System Schule und den Mitwirkenden auffassen (ohne Ost-West-Betrachtung).
2.) Gibt es gute Gründe, dass Bildungssystem in Gänze (inkl. duale Berufsausbildung, kostenlose Hochschulbildung, Wissenschaft) positiv zu bewerten.

Worauf wir wohl alle gemeinsam abzielen, dass in Relation zu unseren Möglichkeiten und dem Niveau, von dem wir (ggf.) kommen, keine Weiterentwicklung zu sehen ist bzw. auftretenende Fehlentwicklungen nicht benannt und korrigiert werden. Und dass die resultierenden Herausforderungen nicht homogen über alle Bundesländer, Städte, Stadtteile und Bildungszweige verteilt sind.

potschemutschka
2 Jahre zuvor
Antwortet  Stromdoktor

@Strodoktor
Da stimme ich Ihnen zu. Vor allem Ihr letzter Absatz ist leider wahr, aber was folgt daraus?

Georg
2 Jahre zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

Wenn immer neue Säue durchs Dorf getrieben werden wollen, kann keine Ruhe einkehren.

Lehrer mit Seele
2 Jahre zuvor

Ein interessanter Ansatz auf jeden Schule, da Schule hier einmal quantifiziert wird. Die Aussage, die über eine ausfallende Lehrkraft gtrofdenjwird, finde ich, sollte man aufgreifen. Weder die Beziehung der Lehrkraft zu den Schülern, noch die Kenntnis über die Besonderheiten der Lerngruppe sind von einem Kollegen so schnell auffangbar. Das ist eine Tatsache, der meiner Meinung nach viel zu wenig Beachtung geschenkt wird. Dieser Faktor ist schwerwiegend, wenn man versucht Bildung zu quantifizieren.

Meiner Meinung nach wird es Generationen an Bildung, nicht nur für Kinder, sondern auch für Eltern benötigen, um aus diesem Desaster wieder herauszukommen.

Realist
2 Jahre zuvor

Wichtige Studie, die aber sicherlich keine Konsequenzen haben wird: Denn sie wurde von einem Bundesamt in Auftrag gegeben und jeder der „Glorreichen 16“ wird sie ignorieren, da es sich ja um keine für das jeweilige Bundesland spezifische Studie handelt und „jeder wisse, dass es im eigenen Bundesland ja bei weitem nicht so schlimm, im Gegenteil sogar viel besser sei“.

Zudem: Bei den Schlussfolgerungen fehlen die drei wichtigsten Forderungen: Mehr Personal, mehr Personal und mehr Personal! Noch mehr „pädagogosische Konzepte“ oder „Krisenkompetenz“ braucht wirklich niemand.

Canishine
2 Jahre zuvor
Antwortet  Realist

Ich mag in diesem Zusammenhang das Wort „Krisenkompetenz“ auch besonders. Quasi als Schlüssel- oder Kernkompetenz, schon in der Lehrerausbildung, im Kernlehrplan verankert („Die Lehrkraft soll am Ende der Ausbildungsphase Krisen kompetent und zuverlässig bewältigen/ignorieren können.“). Man stelle sich allerdings vor, die Krise würde bewältigt, dann wären wir alle überqualifiziert.

Mein Name ist Hase
2 Jahre zuvor

„Wenn ich nicht mehr weiter weiß, bild‘ ich einen Arbeitskreis“, der dann -anstatt einfach die Ist-Stärke zu erhöhen- mit der Forderung nach herrlichen Konzepten noch ein paar Beschäftigungstherapien mehr für die in der Schule am Limit werkelnden Restanten empfiehlt. Das ist kostensparend und hat zugleich eine gar verheerende Wirkung. Was sollte noch grad die „Kernkompetenz“ von Schule sein?

Teacher Andi
2 Jahre zuvor

Das ist überaus interessant. Habe ich etwas verpasst? Unsere 16 Oberhäuptlinge haben doch unisono immer wieder betont, dass immer und überall alles in Ordnung ist und sie die Lage komplett im Griff haben. Man wird doch nicht behaupten wollen, dass diese erhabenen und gut ausgebildeten Damen und Herren die Unwahrheit sprechen? Und die ganzen zuständigen Ministerialräte? Schweigen die dazu? Kommt da nichts? Ist es Angst oder Bequemlichkeit?
Ach ja, da ist ja das Budget, das wie ein Damoklesschwert über allem hängt. Das Budget erlaubt dies nicht, kann jenes nicht fördern, das Budget ist bereits erschöpft. Tja, es gibt tatsächlich wichtigere Staatsaufgaben als die Bildung, auch wenn sie unser „höchstes Gut“ sein sollte.
Lehrer am Limit? Ach was! Die faulen Säcke sollen sich mal nicht so anstellen. Sollen ihren Mittagsschlaf weglassen, dann schaffen sie ihr Pensum locker. Außerdem haben sie einen Eid geschworen auf uneingeschränkte Zuverlässigkeit, egal was da kommt. Also, los gehts.
Ansteckungsgefahr ist Teil der Stellenbeschreibung. Wie möchte man im einem miefigen Klassenzimmer, das mit 28 Schülern auf engstem Raum vollgepfercht ist, ohne Klimaanlage (Privileg der „Oberen“ und ohne Luftfilter (Privileg der „Oberen“), ohne praktikable Lüftungsmöglichkeit (Privileg der „Oberen“) auch vor Corona den ganzen Viren und Bazillen entgehen? Man wird permanent angehustet und angeniest, die Waschbecken haben, wenn sie überhaupt Wasser spenden, oft nicht mal Handtücher. Aber auch das gehört zur Stellenbeschreibung, bitte nicht beschweren.
Dass uns diese Einsparungen und Untätigkeit in der Bildungspolitik massiv auf die Füße fallen werden, das dürfte jedem (außer den Verantwortlichen) klar sein. Lehrer und Erzieher haben einfach noch nicht den Status in der Politik, den sie verdienen, und daran scheitert letztendlich das Bildungssystem, denn hier in Deutschland wird in bürokratischer Kleinstarbeit erst reagiert, wenn es zu spät ist. Und auch dann ist das Budget leider erschöpft.

Klugscheisser
2 Jahre zuvor
Antwortet  Teacher Andi

Sic est 🙁

undheitergehtsweiter
2 Jahre zuvor
Antwortet  Teacher Andi

Die Beschreibung und Analyse sind treffend und realistisch. Und die Schlussfolgerung:
„Einem umfassenden Bildungsverständnis bzw. einem systemischen Ansatz folgend müsste beispielsweise auch die Zusammenarbeit mit Eltern intensiviert und die „Krisenkompetenz“ von Lehrkräften gestärkt werden.“
Achso, nee, ja klar, da wäre ich jetzt gar nicht drauf gekommen, wo ich doch schon Yoga, Meditation und Mediation mache, damit ich bei all dem Zickzackkurs durch Corona einerseits aber auch den Entscheidungen der verantwortliche Kumis noch ruhig, gelassen und ständig zur Verfügung stehend diesen ausfüllende Arbeit machen darf und mich doch alle paar Wochen mit irgendwas anstecke und bald auch noch der Mindestschutz wegfällt. Alles klar!!??

Stromdoktor
2 Jahre zuvor

„News4teachers wird als oft verwendete Quelle ausdrücklich genannt.“

„Oft“ lässt sich im Quellenverzeichnis exakt quantifizieren mit „drei“.

Das soll die Feier in der Redaktion allerdings nicht trüben!

potschemutschka
2 Jahre zuvor
Antwortet  Redaktion

@Redaktion
Danke und bitte weiter so.“ Macht ja sonst keiner.“ – so ist es leider.

Stromdoktor
2 Jahre zuvor
Antwortet  Redaktion

Liebe Redaktion,

ich finde, man muss auch mal feiern können. Ohne Anführungszeichen. Den Anlass bestimmt jeder selbst.

Wer nicht die gesamte Studie lesen möchte (308 Seiten), der findet den Verweis auf die N4T-Quellen im Literaturverzeichnis (Seite 252 – Seite 292) mittig auf Seite 280.

Grüße
Stromdoktor
(der sehr an einer seriösen Berichterstattung interessiert ist und diesen Weg gemeinsam mit Ihnen gehen möchte!)

Verwendete Beiträge in der Studie:

Experteninterview mit Hrn. Priboschek (64 Minuten)

Einmal hier im Kontext der Definition des Begriffes „kritische Infrastruktur“ [Seite 32]:
https://www.news4teachers.de/2021/03/streit-zwischen-landesregierung-und-staedten-um-offene-kitas-und-schulen-eskaliert

Zweiter Artikel (nicht mehr direkt über den Link abrufbar) um auf „relevante Diskussionsthemen in der Öffentlichkeit zu stoßen“ [Seite 48] sowie „Mindeststandards im Kontext von Schulschließungen“ [Seite 113]:
News4teachers (2021b): Bildungsforscher: Jeder siebte Grundschüler erfüllt derzeit nicht die Mindeststandards.

Dritte Quelle im Kontext eines „besonderen Risikos für Lehrkräfte“ [Seite 83]:
https://www.news4teachers.de/2021/02/krankenkassen-daten-corona-grassiert-vor-allem-in-sozialberufen-erzieher-mit-an-der-spitze-minister-relativiert-das

Stromdoktor
2 Jahre zuvor

Grundsätzlich lohnt es sich in jedem Fall einmal die vielfältige Studie genauer zu betrachten. Hier werden viele Aspekte differenziert.

Bei meiner zweiten Sichtung ist mir beispielsweise (wirklich nur ein Beispiel) folgende Quelle aufgefallen:

„In den Ergebnissen zeigen sich einige aufschlussreiche Unterschiede zwischen den Familien.
Die Schließung von Kita und Schule hat aufgrund der vorher gelebten Familien- und Erwerbsarbeitsform unterschiedliche Auswirkungen: Die durchgängig höchste Zufriedenheit mit der Betreuung der Kinder zeigen Personen, die sich vor allem um den Haushalt und Care-Arbeit kümmern, während Berufstätige durchgängig niedrigere Werte aufweisen. Statistisch lässt sich nachzeichnen, dass der Wegfall der Betreuungsinstitutionen für sie eine deutlich stärkere Belastung bedeutet, die sich in Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation äußern kann. Auch unter der Gruppe der Arbeitslosen bzw. Arbeitssuchenden sind die Zufriedenheitswerte niedriger, wobei sich diese Tendenz mit steigender Kinderzahl verstärkt.
Differenziert man in der Gruppe der Berufstätigen nach unterschiedlichen Corona-bedingten
Einschränkungen, dann zeichnen sich folgende Tendenzen deutlich ab: Homeoffice und wegbrechende Betreuung der Kinder ist eine starke Belastung, die sich in niedrigen Zufriedenheitswerten widerspiegelt. Darüber hinaus zeigt sich, dass bei den Personen ohne berufliche Veränderung die Unzufriedenheit mit zunehmender Kinderzahl ansteigt, während man die höchsten Zufriedenheitswerte in der Gruppe der ‚Nicht-Berufstätigen‘ findet.
Wenn sich diese Differenzen auch in anderen Studien zeigen, ist zu diskutieren, ob Home-schooling und Erwerbstätigkeit zusammen – zumindest so wie sie gegenwärtig organisiert sind – für Mütter die größte Herausforderung darstellt. An dieser Stelle sei noch einmal auf die offenen Antworten hingewiesen, in denen vielfach Schuldgefühle gegenüber Arbeitgeber*innen thematisiert wurden.“

https://hildok.bsz-bw.de/files/1081/KiCo_FamilienCorona.pdf

Kätzchen
2 Jahre zuvor

Das sehe ich auch so. Vielen Dank an die Redaktion, die auf Missstände in der Bildungspolitik aufmerksam macht. Bitte weiter so.

kanndochnichtwahrsein
2 Jahre zuvor

Ist ja mal ein Anfang, wenn er denn von denen gelesen und ernst genommen würde, die (theoretisch) etwas dran ändern könnten.

Mir fehlen naheliegende Krisenfaktoren, die wir nicht mehr Jahre ignorieren können:
Für alles, was mit dem Klimawandel auf uns zu kommt, ist Schule nicht vorbereitet.
Die Räume sind schon heutigen SOmmertemperaturen nicht gewachsen, Schulhöfe und Aufenthaltsmöglichkeiten schon auf heutige Kälteperioden oder Regenperioden nicht ausgelegt, Schulwege und Schülertransport sind weder bei Glatteis noch bei Sturm funktionsfähig. Ein bisschen kalt oder Regen und Hunderte Schüler kommen zu spät zum Unterricht. Ein heute üblicher Sommertag ist auf gepflasterten und geteerten Schulhöfen spätestens gegen Mittag nicht auszuhalten; Kinder lösen das Problem mit Wasserbomben und werden dann dafür bestraft…
Auf plötzliche Wetterereignisse oder Umweltkrisen (Störfälle in der Industrie etc.) ist keine Schule vorbereitet. Nirgendwo gibt es Möglichkeiten, alle Mitglieder der Schulgemeinde länger als bis zum Schulschluss zu beherrbergen und zu versorgen, geschweige denn bei ernsthaften Zwischenfällen über Nacht.

Wann sollen denn Klimaanlagen, Warmwasser, dichte Fenster, leistungsfähige Heizungen, entsiegelte Schulhöfe umgesetzt werden? Lernt man aus der Flutkatastrophe, dass man auch die Lage von Schulen überdenken muss? Passen wir Unterrichtszeiten an Hitzewellen an oder reagieren wir weiter altmodisch mit „hitzefrei“, wenn die ersten Schüler oder Lehrer kollabiert sind?

Wann denken wir daran, unter welchen Begleitumständen junge Kollegen noch 35 oder 40 Jahre lang unterrichten sollen??

Welche Werte vermitteln wir den Kindern, wenn sie sehen, wie wenig Schule auf Krisen vorbereitet ist?

Zuletzt: Wie lange sind wir noch motiviert (oder grundlos optimistisch), unsere Vorgesetzten auf all dies hinzuweisen, unsere Bedenken offenzulegen, wenn wir monatelang keine oder (vorsichtig ausgedrückt) bestenfalls „beruhigende“ oder niemals Antworten erhalten?

Realist
2 Jahre zuvor

Wegen der Räume bei zu hohen Sommertemperaturen und den Aufenthaltsmöglichkeiten bei Kälte, Regen und Sturm machen Sie sich mal keine Sorgen: Da in Schulen der Arbeitsschutz weder für Schüler noch für Lehrer gilt (hat man ja bei Corona immer wieder betont), wird man einfach weitermachen wie bisher: Recht auf hitzefrei gibt es ja nicht mehr.

Schlaue Schüler und Berufsanfänger bekommen das mittlerweile natürlich mit und suchen sich etwas Besseres: Mangelhafter bis nicht existenter Arbeitsschutz, jahrelange Nullrunden, die dank der aktuellen Inflation zu massiven Reallohnverlusten führen, Pensionen, die alles andere als sicher sind, da der Staat mit immer weiteren zusätzlichen Ausgaben belastet wird, die offentsichtlicher „wichtiger“ als Bildung und dir dort Beschäftigten sind, jedes Jahr eine neue „Herausforderung“ ohne entsprechende Ressourcen, entweder künstlich erzeugt (Integration, Inklusion, Ganztag) oder der internationalen Lage geschuldet (wann kommen eigentlichen die ersten „Klimaflüchtlinge“?), die nächsten 10 Jahre sind schon als „Corona-Jahre“ angekündigt, bevor das ganze wirklich endemisch wird (und damit jedes Jahr eine neue Chance auf „Long Covif“ in überfüllten, schlecht zu lüftenden Klassenräumen), Lehrermangel und unbezahle Mehrarbeit, die den Burnout früher oder später gerantiert,… wer tut sich das noch freiwillig an? „Unbelehrbare“ und solche, die sonst nichts anderes mehr finden… der Zug für das Bildungssystem ist abgefahren. Mindestens bis Mitte der 30er-Jahre.

kanndochnichtwahrsein
2 Jahre zuvor
Antwortet  Realist

So wird es kommen… neue Lehrer werden nicht kommen, alte nicht (mehr lange) bleiben (können) … Klimaflüchtlinge und Wirtschaftsflüchtlinge kommen dafür umso sicherer…

Sissi
2 Jahre zuvor

@ Realist
Mensch, da könnte man ja depressiv werden, wenn man das liest.
Es ist so verflixt anschaulich wahrscheinlich und eindringlich dargestellt: man sollte die Amtsräume der Glorreichen und wohl auch zunehmend den Gesamtolymp in Schneiderei umbenennen, weil überall nur Löcher geflickt werden.

Stromdoktor
2 Jahre zuvor

@potschemutschka

Leider wird wohl nichts daraus folgen.

Wir werden das deutsche Bildungssystem wohl ohne größere Rückschläge mit unseren Kindern überleben. Sind in einer beschaulichen niedersächsischen Kleinstadt mit wenig bis gar keinen sozialen Verwerfungen unterwegs.

Meine Schulbildung habe ich in den 80er / 90er in Bremen „genossen“. Wäre nicht in jedem Stadtteil und in jeder Schulform „gerne“ zur Schule gegangen.

Wahrscheinlich muss das System wirklich erst einmal komplett kollabieren, dass sich substanziell etwas ändert. Vielleicht, wenn der Fachkräftemangel ernsthafte Auswirkungen hat, kümmert man sich um das jahrzehntelang vernachlässigte Potential, verkleinert Klassen und stellt Personal ein.

Wir haben noch 9 Jahre im Schulsystem mit unseren Kindern. Hoffen darauf, dass sich bis zur nächsten Generation etwas tut. Das wären dann in 20 Jahren…ein bisschen optimistisch wahrscheinlich.