Studie: Wie angehende Lehrkräfte gesellschaftliche Themen diskutieren – inhaltlich mäßig

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BOCHUM. Strukturell vielversprechend, inhaltlich nur auf mittlerem Level: Wissenschaftler haben untersucht, wie angehende Lehrkräfte in den Naturwissenschaften sozialwissenschaftliche Fragestellungen diskutieren. Die Argumentationsfähigkeit solle besser in die Lehrerausbildung integrieren werden, fordern sie.

Impfpflicht, Klimawandel, Energiewende: Themen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft sind häufig kontrovers. Ein Hauptziel des naturwissenschaftlichen Unterrichts besteht darin, den Einzelnen in die Lage zu versetzen, derartige wissenschaftsbezogene Themen, die für sein persönliches Leben und die Gesellschaft im Allgemeinen relevant sind, zu verstehen und zu behandeln. Lehrerinnen und Lehrer sollen etwa ihren Schülerinnen und Schülern im Biologieunterricht beibringen, sich differenziert mit solchen „sozialwissenschaftlichen“ Themen auseinanderzusetzen, um fundiert entscheiden und Verantwortung übernehmen zu können.

Gruppe von sechs jungen Menschen, die im Stehen diskutieren.
Soziale Aushandlungsprozesse gehören elementar zum sozialen Zusammenleben und Schülerinnen und Schüler darauf vorzubereiten zum elementaren Bildungsauftrag der Schule. Foto: fauxels / pexels (P. L.)

Studien deuten allerdings darauf hin, dass Naturwissenschaftslehrerinnen und -lehrer dazu neigen, sozialwissenschaftliche Themen als Kontext zu nutzen, um in erster Linie das naturwissenschaftliche Inhaltswissen der Schüler zu fördern. Die Frage, inwieweit Lehrkräfte selbst in der Lage sind, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die sozialwissenschaftliche Fragen berühren, um ihre Schülerinnen und Schüler darauf vorbereiten zu können sozialwissenschaftlichen Fragen „auszuhandeln“ liegt da nah. Diese Frage hat nun Dr. Nina Minkley aus der Arbeitsgruppe Verhaltensbiologie und Didaktik der Biologie der Ruhr-Universität Bochum zusammen mit Prof. Dr. Moritz Krell und Dr. Carola Garrecht vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel mit 76 angehenden Biologielehrkräften untersucht. Ihr Fazit: Die strukturelle Komplexität ihrer Argumentation war gut. Inhaltlich sollten sie jedoch mehr verschiedene Perspektiven beziehungsweise Themenbereiche in ihre Argumentation einbeziehen.

Sollte es eine Impfpflicht gegen Covid-19 geben?
Gegenstand der Argumentation, die die 76 Teilnehmenden im Rahmen der Studie aufschrieben, war eine mögliche Impfpflicht gegen Covid-19. Die Studie fand im Frühjahr 2021 statt, zu einem Zeitpunkt, als noch ein Mangel an Impfstoffen vorherrschend war, eine Impfpflicht aber bereits diskutiert wurde.

Auf die Frage, ob es eine Impfpflicht gegen Covid-19 geben sollte, positionierten sich die Teilnehmenden in unterschiedlicher Weise. „In Bezug auf die strukturelle Komplexität des Themas erreichten sie ein relativ hohes Niveau und rechtfertigen ihre Position mit mehreren Argumenten. Ungefähr ein Drittel bezog sogar mögliche Gegenpositionen in die eigene Argumentation mit ein“, berichtet Nina Minkley.

Inhaltliche Komplexität findet sich nur eingeschränkt wieder
Auffällig sei allerdings auch gewesen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die inhaltliche Komplexität, das heißt die Verflechtung des Themas mit verschiedenen Bereichen wie Politik, Ethik und Gesellschaftswissenschaften, weniger souverän im Blick hatten. Hier berücksichtigten die Teilnehmenden im Schnitt nur zwei von möglichen sechs Inhaltsbereichen.

„Wir haben auch festgestellt, dass diejenigen, die eine Impfpflicht befürworteten, am häufigsten wissenschaftliche und ethische Argumente nannten, etwa den Schutz anderer. Politische Argumente zogen sie nur selten heran. Diejenigen, die sich gegen eine Impfpflicht äußerten, nannten etwas weniger häufig wissenschaftliche und ethische Gründe, dafür aber deutlich mehr politische Argumente“, so Nina Minkley.

In der Studie habe sich auch gezeigt, dass die angehenden Lehrerinnen und Lehrer aus dem Masterstudiengang ein deutlich höheres Niveau an struktureller Komplexität erreichten als die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Bachelorstudiengangs. Dies könnte darauf hindeuten, so die Wissenschaftler, dass das Lehramtsstudium sich positiv auf die Fähigkeit der angehenden Lehrer auswirken könnte, komplexer zu argumentieren. Da Masterstudierende jedoch in der Regel älter seien als Bachelorstudierende, könnte dieses Ergebnis auch auf einen Entwicklungseffekt hindeuten. Außerdem sei die Gruppe der Masterstudentinnen und -studenten en deutlich kleiner gewesen als die Gruppe der Bachelorstudentinnen und -studenten.

Auch wenn es weiterer Untersuchungen zum Zusammenhang von struktureller und inhaltlicher Komplexität der Argumentation bedürfe, empfehlen die Forscherinnen und Forscher, die Fähigkeit der Argumentation in Fragen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft besser in der Ausbildung künftiger Lehrkräfte zu verankern. „Die Perspektiven auf solche Fragen sind vielfältig, und idealerweise sollten sich Lehrkräfte mit der ganzen Breite auseinandersetzen, um diese Fähigkeit auch ihren Schülerinnen und Schülern vermitteln zu können“, so das Team. (pm)

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