Wissenschaftler: Intensive Nutzung sozialer Medien verringert digitale Kompetenzen

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BAMBERG/KIEL. Selbst wenn heutige Jugendliche entgegen weitverbreiteten Vorurteilen nicht ständig nur auf ihre Handys starren, ist die Bedeutung sozialer Medien im Kommunikationsverhalten von Jugendlichen in den letzten Jahren stark gestiegen. Dass dies nicht zur Verbesserung ihrer digitalen Kompetenzen beiträgt, zeigt eine aktuelle Datenauswertung.

Beim Hausaufgabenmachen oder Vokabeltraining schnell nebenbei eine Chatnachricht beantworten, ein Video teilen oder ein Selfie hochladen. Für Jugendliche sind soziale Medien selbstverständlicher Bestandteil ihrer Alltagswelt, meist schon weit vor dem 16. Lebensjahr. Digitale Medien anderweitig, etwa zur Informationsbeschaffung zu nutzen, sollte daher die „Digital Natives“ zumindest nicht vor allzu hohe Hürden stellen.

Lächelnde Frau mit Kopfhörern, die auf ihr Handy blickt.
Die instrumentelle und die sozial-interaktive Mediennutzung unterscheiden sich in ihren kognitiven Ansprüchen erheblich. Foto: Shutterstock

In einer neuen Studie kommen Timo Gnambs vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe in Bamberg und Martin Senkbeil vom Kieler Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik zu ganz anderen Ergebnissen. Aktivitäten wie Chatten oder das Teilen von Bildern und Videos wirken demnach nicht positiv auf die Kompetenzen beim Umgang mit digitalen Kommunikations- und Informationstechnologien. Im Gegenteil kann eine zu intensive Nutzung sozial-interaktiver Dienste sogar zu insgesamt geringeren digitalen Kompetenzen bei den Jugendlichen führen.

Gemeinsam hatten die beiden Wissenschaftler Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) zu den Kompetenzen von 15- bis 18-Jährigen im Bereich der digitalen Medien (ICT-Kompetenzen) ausgewertet. Diese zählen heute neben Schreiben, Lesen und Rechnen zu den Schlüsselqualifikationen. Für ihren Erwerb ist laut den Wissenschaftlern das mittlere Jugendalter ebenso von herausragender Bedeutung, wie in den traditionellen Kompetenzbereichen, beispielsweise Mathematik oder Naturwissenschaften.

Jugendliche nutzen soziale Medien häufig zur Unterhaltung, Zerstreuung und Ablenkung. Und genau diese Verhaltensmuster könnten sich negativ auf ihre Fähigkeiten auswirken, digitale Kommunikationsmedien zielgerichtet und fachkundig zu nutzen – zum Beispiel zur Recherche und bei der Bewertung von Suchergebnissen. Timo Gnambs und Martin Senkbeil sprechen vom Gegensatz zwischen sozial-interaktiven und instrumentellen Nutzungsmotiven. Während die Nutzung digitaler Medien zur Unterhaltung und zum sozialen Austausch wenig anspruchsvoll sei, zahle dagegen etwa die kognitiv anspruchsvollere gezielte Informationssuche bei einer Online-Recherche direkt auf die Fähigkeiten der jungen Erwachsenen ein, souverän mit digitalen Informationstechnologien umzugehen.

Nebenbei-Nutzung schadet
Doch nicht nur die wenig anspruchsvollen Aktivitäten, seien schlecht für die Verbesserung der ICT-Kompetenzen. Als problematisch beurteilt Martin Senkbeil die Gewohnheit der Nebenbei-Nutzung: „Soziale Online-Medien werden von den Jugendlichen häufig parallel zu schulischen Aufgaben genutzt. Dieses Multitasking beeinträchtigt jedoch Verstehens- und Lernprozesse und im Ergebnis sehen wir insgesamt geringere ICT-Kompetenzen.“ Gemeinsam mit Mit-Autor Gnambs fordert Senkbeil deshalb, dass die Vermittlung anspruchsvoller informationsbezogener Fertigkeiten standardmäßig in den fachbezogenen Unterricht integriert werden sollte. Schülerinnen und Schüler sollten beispielsweise lernen, wie sie gezielt Informationen mit einer Online-Recherche suchen, diese beurteilen, weiterverarbeiten und präsentieren und so ihre Fähigkeiten im komplexen Denken und Problemlösen trainieren.

Mädchen und Jungen gleich kompetent
Gnambs und Senkbeil warfen bei ihrer Untersuchung der repräsentativen Stichprobe von 15- bis 18-jährigen Jugendlichen in Deutschland (mehr als 14.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Nationalen Bildungspanel) auch einen Blick auf die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen. Ihr Ergebnis: Entgegen der weitläufig verbreiteten Annahme unterscheiden sich die Geschlechter kaum in ihren ICT-Kompetenzen.

Allerdings schätzen männliche Jugendliche ihre eigenen Fähigkeiten systematisch höher ein. Die Forscher vermuten deshalb, dass Frauen technologiebasierte Berufsfelder und Ausbildungen eher deshalb meiden, weil sie in Bezug auf ihre Kompetenzen weniger Selbstvertrauen haben. Da sich die Unterschiede in der Selbsteinschätzung in Jugendalter schon stark verfestigt haben, rät Timo Gnambs zu frühzeitigen Fördermaßnahmen bereits in der Kindheit: „Frühe Förderung kann zu mehr Chancengleichheit in späteren Lebensjahren beitragen und die Entwicklung tatsächlicher Unterschiede bei den ICT-Kompetenzen verringern.“

Die meisten jungen Menschen informieren sich über Politik nur aus sozialen Medien – und erkennen Desinformation dort nicht

 

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3 Kommentare
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Carsten60
1 Jahr zuvor

Also: Die Digitalisierung der Schulen könnte das Gegenteil dessen erreichen, was beabsichtigt war, nämlich noch mehr Ablenkung von dem, was man eigentlich für wichtig hält.

Georg
1 Jahr zuvor

Früher wurde doch immer gesagt, dass die digital natives, wie die heutige Jugend immer mal wieder bezeichnet wurde, den Erwachsenen bei digitalen Themen weit überlegen seien. Das scheint sich nicht zu bewahrheiten, die Befürchtungen der Erwachsenen (verringerte Aufmerksamkeitsspanne, Müdigkeit, weniger geistige Anregung usw.) haben sich mal wieder erfüllt. Ich prognostiziere, dass aus der Digitalisierung in der Schule ähnliches folgen wird.

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Georg

Die Frage ist, was GENAU die können.
Extrem schnelles passives Nutzen vorstrukturierter Inhalte? Jepp, Megakompetenz.

Aber lassen Sie mal einen Text schreiben am PC oder sonstwo…