MÜNCHEN. Welchen Sinn macht es, Schülerinnen und Schüler unvermittelt im Unterricht zu testen? Um die sogenannten “Exen” – unangekündigte kleine Prüfungen also – tobt in Bayern ein hitziger Streit, der an die Grundlagen der Pädagogik rührt. Zuletzt hatte der Bildungsforscher Prof. Klaus Zierer die “Rechenschaftsablagen” und “Stegreifaufgaben” auf News4teachers im Grundsatz verteidigt. Hier kommt nun eine Gegenrede dazu. Der Verfasser Roland Grüttner ist ehemaliger Rektor einer Grund- und Mittelschule und einer Montessorischule in Bayern; er betreibt den Blog paedagokick.de.
Streit um die Ex – ein notwendiger Widerspruch
Prof. Klaus Zierer hat auf News4teachers eine Stellungnahme zu der Petition einer Schülerin veröffentlicht (hier geht es hin), die aus verschiedenen Gründen nicht unwidersprochen so stehen bleiben darf. Ich beschränke mich auf einige Aspekte.
1 Feedback-Kultur
Richtig verstanden zeigen mündliche Rechenschaftsablagen („Abfragen“) und unangekündigte Stegreifaufgaben („Exen“) auf, was der Schüler kann (Feed-Back), wie er lernt (Feed-Up) und was er noch nicht kann (Feed-Forward). Sie geben damit dem Schüler und dem Lehrer wichtige Informationen für die Weiterarbeit. Damit decken sich diese Formate mit mehreren wirkmächtigen Faktoren von Unterrichtsqualität, wie sie in der Hattie-Studie, dem größten Fundus der empirischen Bildungsforschung, beschrieben werden: nämlich Rückmeldungen vom Lehrer zu den Schülern, Übungstests und formative Evaluationen.
1.1 Exen „richtig verstanden“
Daran sind mehrere Dinge bemerkenswert: Erstens das vorausgeschickte „richtig verstanden“. Hier wird also die Idealform einer Ex beschrieben, mit der sich natürlich trefflich argumentieren lässt. Aber wie oft erleben die Schüler:innen die Realform, nämlich die Ex als Machtinstrument, als eine scheinbar notwendige Maßnahme, um die Schüler:innen zum Lernen zu zwingen, also sie zu etwas zu motivieren, was der Unterricht, die Lehrkunst oder der „Stoff“ nicht hergibt?
Wenn Prof. Zierer mit gut durchgeführten Studien argumentiert: Hier wäre ein Forschungsfrage („Wie lernwirksam sind Stegreifaufgaben?“), dem einmal abgeholfen werden sollte.
1.2 Verweis auf die Hattie-Studie
Der Verweis auf die Hattie-Studie ist im Prinzip gerechtfertigt; man muss aber dabei zwei sehr entscheidende Einschränkungen machen:
1.2.1 Fragliche Individualisierung
Feed-Back, Feed-Up und Feed-Forward erleben die Schüler:innen nach Erhalt der benoteten Stegreifaufgabe wie genau? Das Ideal der formativen Evaluation sieht eine individuelle Behandlung genau dieser drei Rückmeldungen vor. Wie oft erleben die Schüler:innen das am Gymnasium? Kann das ein gleichschrittiger Unterricht überhaupt leisten? Das ist kein Lehrer-Bashing, denn wenn ich mehrere Klassen mit Schülerzahlen zwischen 20 und 33 zu unterrichten habe, kann ich das nicht schaffen, auch wenn ich es noch so sehr wollte.
1.3 Fragliche Notenbewehrung
Die Stegreifaufgaben sind notenbewehrt, damit verlieren sie ihren unschuldigen Charakter als formatives Feedback und machen nicht nur Fehler und Richtiges deutlich, sondern auch emotionalen Druck. Wer Hattie gelesen und übersetzt hat, muss den Abschnitt über anxiety kennen und in seine Argumentation einbauen:
Für unsere Argumentation: Evaluation anxiety im speziellen bekommt in der Hattie-Studie eine negative Effektstärke von d = – 0.21, das heißt, sie ist für den Lernerfolg absolut kontraproduktiv! Prof. Zierer, der auch die zweite Hattie-Studie übersetzt hat, weiß das natürlich, zeichnet aber dennoch ein sehr unvollständiges Bild vom evaluativen Wert der Stegreifaufgaben.
2 Persönlichkeitserziehung
Hier beschränke ich mich auf folgende Anmerkungen:
2.1 Kontinuierliches Lernen vs. teaching to the test
Ich finde es interessant, dass Prof. Zierer genau diesen Gegensatz formuliert und konstruiert. Kann er das wirklich so meinen: Kontinuierliches Lernen kann nur motiviert werden mit der stets drohenden Möglichkeit, unvorbereitet zu sein und Wissen nicht wiedergeben zu können (und entsprechend sanktioniert zu werden)?
Der Gegensatz ist bei ihm dann das teaching to the test, also das Lernen nur für Tests als „Saisonarbeit“ zwischen „Wellnessperioden“. Also will Prof. Zierer dieses rein testbezogene Lernen dadurch bekämpfen, das die Schüler:innen ständig mit der Möglichkeit rechnen müssen, einen Test zu schreiben. Ist das nicht dasselbe? In einem Fall lernen die Schüler:innen nur, weil sie wissen, dass eine Ex ansteht; im anderen Fall nur, weil sie mit der Möglichkeit rechnen, dass abgefragt wird. In meinen Augen führt beides zu dem von ihm kritisierten „Bulimie-Lernen“.
2.2 Das Motivationsproblem
Meine Kritik ist an dieser Stelle, dass Prof. Zierer das Motivations-Problem anscheinend nicht anders lösen kann (will?), als durch Verweis auf eine Drohung. Hier fehlt mir der Hinweis auf die Möglichkeit, dass wir Lehrer:innen jahrelang gut darin ausgebildet werden, unseren Unterricht wenigstens einigermaßen interessant zu gestalten und den Schüler:innen die Relevanz der Inhalte nahezubringen. Das funktioniert nicht? Ich verweise auf den deutschen Schulpreis und die inzwischen sehr vielen Schulen, denen es offensichtlich gelingt, die Schüler:innen auch ohne diesen dem erfolgreichen und nachhaltigen Lernen fremden Druck zu guten Abschlüssen zu bringen.
3 Leistungserziehung
In diesem Abschnitt beginnt Prof. Zierer damit einen fatalen Zusammenhang aufzubauen: Leistung braucht Stegreifaufgaben. Zwar stellt er dies in den allgemeinen Kontext von „Rechenschaftsablagen“, aber wir wollen uns mal auf den einen Punkt konzentrieren, denn darauf zielt ja der ganze Beitrag.
Eustress und Distress werden referiert, aber letzterer nicht ernstgenommen. Ich empfehle eine Lektüre von https://derkinderarztblog.com/, um zu erkennen, was Distress mit Kindern macht. Hier ein Zitat daraus:
“Schätzen Sie mal, wie häufig wir jede Woche wegen Problemen im Zusammenhang mit der Schulleistung kontaktiert werden! 5-mal? 10-mal? mehr als 20-mal? Genau! Mehr als 20-mal klären wir jede Woche vermeintliche Störungen im Zusammenhang mit Schulleistungen ab. Es sind auch viele Kinder, die sich mit Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Herzrasen, Schwindel oder noch intensiveren Problemen vorstellen… Es sind selten die Eltern (was viele vorschnell glauben), die bewusst diesen Druck aufbauen. Es kommt aus der Schule. Nicht persönlich auf ein einziges Kind. Nicht persönlich durch den Lehrer. Es ist das System.”
Und das ist nur die Oberfläche. Gegenüber diesen für die Kinder störenden, verstörenden oder gar zerstörenden Wirkungen schulischer Leistungsforderungen erscheinen mir Prof. Zierers Ausführungen leichtfertig. Dies umso mehr nach Lektüre seines vierten Punktes.
4 Bildung
“Letzten Endes geht es also darum, in der Schule eine humane Lern- und Prüfungsatmosphäre zu schaffen, so dass (unvermeidliche) Prüfungssituationen gut bewältigt werden können. Damit rückt die Lehrerprofessionalität ins Zentrum der Debatte, die in den letzten Jahren nicht geführt worden ist, stattdessen wurden Struktur- und Digitalisierungsdebatten über alles gestellt”, so schreibt Zierer.
4.1 Lehrerprofessionalisierung statt Struktur- und Digitalisierungsdebatten!
Ich weiß nicht, welche Debatten Prof. Zierer in den letzten Jahren wahrgenommen hat. Dass die Lehrerprofessionalisierung kein Thema gewesen wäre, ist mir nicht aufgefallen. Herr Zierer hat doch selbst dazu beigetragen, indem er die erste Hattie-Studie übersetzt und dem deutschen Sprachraum zugänglich gemacht hat. „Es kommt auf den Lehrer an“ war 2009 ff das Stichwort dieser Debatte, und viele Kolleg:innen haben sich durch Erkenntnisse und Hinweise der Hattie-Studie professionalisieren lassen.
4.1.1 Digitalisierungsdebatte
Aber das nur nebenbei, denn der nun formulierte Gegensatz geht in meinen Augen völlig an der Wirklichkeit vorbei: Die Digitalisierung geht nicht mehr weg, damit muss sich jede:r auseinandersetzen, der oder die mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat. Es wäre vielen Lehrer:innen lieber, sie müssten sich nicht ständig mit den Fragen nach Handy, Tablet oder Notebook, Lernmanagementsystemen, Learning Apps und Datenschutz auseinandersetzen. Aber dahinter können wir nicht mehr zurück. Diese Debatte muss geführt werden.
4.1.2 Strukturdebatte
Die Strukturdebatten, von denen ich Kenntnis habe, werden nicht aus politischen oder ideologischen Motiven heraus geführt, sondern weil zwei wesentliche Bildungsoffensiven an strukturelle Grenzen stoßen: Die Inklusion und die Entwicklungen an den Graswurzeln des Lernens.
Den Leser:innen ist vielleicht bekannt, dass die UN-Behindertenrechtskonvention im Bereich Schule darauf zielt, die Sonderstruktur Förderschule nach und nach abzulösen durch eine Inklusion möglichst aller Kinder und Jugendlichen in die „normalen“ Schulen. Der UN-Fachausschuss hat darauf schon mehrmals mit unschöner Regelmäßigkeit hinweisen müssen, aber unsere bestehenden Strukturen erweisen sich als durchaus hartnäckig und widerspenstig in Bezug auf dieses Menschenrecht.
Und an den Graswurzeln des Lernens gibt es viele Entwicklungen, die sich zum Teil innerhalb der bestehenden Strukturen verwirklichen lassen, zum Teil aber auch immer wieder an strukturelle Grenzen stoßen. Mir fallen spontan das „Churer Modell“ für mehr individualisierten Unterricht ein, das „Lernen/Abitur im eigenen Takt“, die „notenfreie Schule“ und anderes. Hier in Bayern ist das Übertrittsreglement für die 4. Klasse ein Strukturelement, das freieren Lernformen durch eine hohe Anzahl an Schulaufgaben enge Grenzen setzt.
Im Folgenden greift Herr Prof. Zierer zu einer Ausdrucksweise, die mich nur den Kopf schütteln lässt.
4.2 „Entlastungsideologie und Kuscheleckenpädagogik“
“Anstatt im Sinn einer weiteren Entlastungsideologie und Kuscheleckenpädagogik Schüler weiter in Watte zu packen, ihnen das Leben leichter zu machen, sie vor allen Herausforderungen, Problemen und Schwierigkeiten zu bewahren …”
Man muss sich einmal verdeutlichen, wen Prof. Zierer mit diesen Worten in die Ecke der „Entlastungsideologie und Kuscheleckenpädagogik“ steckt:
Nicht nur die Initiatorin der Petition zur Abschaffung der Exen, sondern auch die – per Stand heute –22 500 Unterzeichnenden; den Bayerische Landesschülerrat, der schon 2023 dasselbe forderte; das Forum Bildungspolitik mit seinen über 40 Mitgliedsverbänden vom Paritätischen Wohlfahrtsverband über die Aktion Humane Schule, die GEW, den BLLV, bis hin zum Bayerischen Elternverband u.a.; und nicht zuletzt etliche Kolleg:innen aus den Wissenschaften: Prof. Dr. Eckhard Klieme, Prof. Dr. Jörg Ramsegger, Prof. (em.) Dr. Klaus Klemm, Prof. Dr. Krassimir Stojanov, Prof. Dr. Ludwig Haag, Prof. Dr. Markus Schaer, Prof. Dr. Sandra Fink, Prof. Dr. Uta Hauck-Thum.
4.2.1 Leistungskultur
Laut Prof. Zierer umfassen „Elemente einer Leistungskultur“ auch „Elemente der Herausforderung und damit auch Elemente des Scheiterns und Gelingens“.
Über den Begriff „Leistung“ kann man schon reichlich diskutieren, noch mehr und heftiger über den sehr, sehr fragwürdigen Zusammenhang von Leistung und Noten, aber diesen Streit will ich an dieser Stelle außen vor lassen, sondern stattdessen fragen:
Muss es wirklich sein, dass wir die „Leistungskultur“ unserer Gesellschaft (die den Fleißigen belohnt – wirklich?) in der Schule so vorbereiten, dass wir sie dort auch bereits üben? Und zwar mit allen Folgen – also mit Druck, mit Siegern und Verlierern? Wer diese „Leistungskultur“ befürwortet, sagt auch, dass es notwendig solche geben wird, die nicht genug leisten (wollen? können?), also Opfer. Selbst schuld, dann muss man sich halt mehr anstrengen! Ist die Schule nicht als Schonraum gedacht, als Raum der Bewährung, in dem man sanktionsfrei Fehler machen kann?
5 Schlusswort
Das Schlusswort überlasse ich einem geschätzten Pädagogen:
“Den Kindern gegenüber verpflichte ich mich für eine wertschätzende, angstfreie und bildungswirksame Atmosphäre und Beziehung zu sorgen und für die leibliche, geistige und seelische Unversehrtheit der mir anvertrauten Kinder einzustehen.”
Ach, sieh an: So sprach Prof. Zierer in seinem „Sokratischen Eid“ (Hintergrund: Einen solchen hatte der Bildungsforscher für Lehrkräfte in Buchform entwickelt; News4teachers berichtete). News4teachers
Wir stellen also fest: Es gibt verschiedene Meinungen und Positionen zu dem Thema mit den unterschiedlichsten Argumenten, dafür und dagegen, auch unter den Lehrkräften und sogar den Eltern selbst. Dann macht es doch Sinn, den Lehrkräften weiterhin diesen pädagogischen Freiraum zu lassen und zu entscheiden, ob sie Tests ankündigen oder nicht, da es auch stark vom Fach und von der Klasse selbst abhängt. Ich würde mir wünschen, dass diese Diskussion endlich ein Ende hat.
So ist es: Exen weiterhin als MÖGLICHKEIT zulassen, Vertrauen in die Fachkompetenz und Verantwortung der Lehrer legen und auf educational cancel culture im Sinne einer social correctness verzichten. Die Petition ist im Hinblick auf 1,6 Millionen Schüler und 3,2 Eltern Millionen ohnehin gescheitert.
Ja, das habe ich mir auch schon überlegt. 25.000 Unterschriften bei 1,6 Mio Schüler/-innen in Bayern ist auch nicht überzeugend, in den Medien wird das immer als wahnsinnig viel dargestellt.
Perspektivwechsel
von der Vielheit der Positionen
zur fundamentalen Grundfrage jeder Bildung
BILDUNG WOZU?
– learning to be (UNESCO) a democrat?
ODER
– to function as a slave in any system?
Ich habe die Praxis jeden Tag vor Augen. Wird kein Test angekündigt bei Lehrern, die sie ankündigen, hat sich kein Schüler den Stoff zuhause vor einer Stunde noch einmal angeschaut.
Bei Lehrern, die Tests nicht ankündigen, wo man also jederzeit damit rechnen muss, gucken sich die leistungswilligen Schüler den Stoff immer vor der Stunde nochmal an. Und so soll es doch sein, wenn nachhaltig gelernt werden soll.
Einen Teil der Schüler erreicht man damit nicht. Aber mit beiden Varianten nicht.
Welche ist also lernpsychologisch effektiver?
Eine Lehrerin meines Kindes macht beides, sowohl angekündigte als auch unangekündigte, mit der Begründung, dass sie einerseits dadurch kontinuierlich lernen (sollten), was sie dann mal spontan abprüft, andererseits aber bei einem angekündigten Test auch mal die Chance haben, gezielt lernen können. Finde ich gar nicht so schlecht. Da mein Kind immer vorbereitet in den Unterricht geht, ist es ihm eigentlich egal, ob angekündigt oder nicht.
Die Frage muss doch lauten: Warum lernen die jungen Menschen nicht, wenn kein Test zu erwarten ist – und was ist wann schief gelaufen, dass das so ist?
Ach, das ist doch sehr einfach. Der berühmte innere Schweinehund. Was nehmen wir uns nicht alle Silvester vor für das neue Jahr. Und was davon setzen wir um? Es ist einfach menschlich. Ohne jemanden, der kontrolliert und nachhakt und auch mal Druck macht, gehen wir lieber den einfachen Weg.
Wie viele Kinder machen HA, wenn sie nie kontrolliert werden?!?
Schauen Sie sich Preisträgerschulen oder andere Schulmodelle (Montessori bekommt das auch recht gut hin) an, die vermehrt auf eine intrinsische Motivation setzen. Da können sie das Gegenteil ihrer Ausführungen antreffen.
Es geht nicht darum, dass extrinsisch böse und intrinsisch gut ist. Es geht nur darum die Radikalität und Einseitigkeit von Schule, denn sie setzt fast nur auf extrinsische Motivation infrage zu stellen.
Kann sein, dass etwas schief gelaufen ist. Aber warum werden immer neue Fächer für die Schule gefordert? Weil die fordernden Leute der Meinung sind, dass Kinder die entsprechenden Kenntnisse nicht haben.Wollen also Kinder gar nicht so gerne lernen wie immer von einigen Seiten propagiert wird? Wer würde wohl 40 Stunden arbeiten, wenn er dasselbe Geld mit 20 Stunden verdient?
Die Kinder haben ein Recht auf prüfungsfreie Zeiten. Diese dauerhafte Prüfungssituation ist einfach extrem stressig. Das ist so, als würde die Schulleitung und die ADD unangekündigt in einem ein bis zweiwöchigen Rhythmus kommen und Ihren Unterricht nochmal neu abprüfen. Mit Note, die in die Akte kommt. Und es ist nicht so, als müssten die Kinder nicht auch noch für Klassenarbeiten anderer Fächer gezielt lernen. Apropos lernen und nicht lernen. Lernen Ihre Kinder etwa nichts während Ihrer Unterrichtszeit? Warum müssen die Kinder Ihren Stoff denn zu Hause permanent nochmal gezielt einüben? Es gibt mittlerweile so viele andere Schulmodelle die sehr gut funktionieren und nein, da gehen nicht nur leistungswillige privilegierte Kinder hin.
Als Lehrer bekomme ich tausendfach Fragen gestellt, auf die ich mich teilweise jahrelang (jahrzehntelang) vorbereitet habe, die trotzdem teilweise unangekündigt kommen, die teilweise fachfremd sind (,weil sie nichts mit einem Fach zu tun haben,) und die ich trotzdem alle richtig beantworten muss. Sollte ich das mehrfach nicht tun, wird es (noch) stressig(er) für mich, denn dann kommt tatsächlich die Schulleitung (oder es kommen die Eltern). Ich werde also im Minutentakt „geprüft“.
Um mal in die gegenteilige Richtung zu denken:
Wir geben den Kindern (nicht den Eltern) einfach den Lehrplan und 10000 € im Jahr, ganz viel stressfreie Freiheit und schauen, wohin es führt.
Drei Monate Ferien, nach Schulstart und nach Notenschluss macht ca. 4 Monate ohne jegliche Prüfungen und Noten!
Die Aussage verstehe ich nicht. Normalerweise – ich denke an meine Dienstzeit in NRW – beginnt der Unterricht Ende Juli/Anfang August. Die ersten Klassen-/Kursarbeiten werden kurz vor den Herbstferien geschrieben. Die zweite KA erfolgt dann spätestens Mitte November und die dritte kurz vor den Weihnachtsferien, damit die SuS nicht Mitte Januar noch die letzte Arbeit kurz vor den Notenkonferenzen für die Halbjahreszeugnisse schreiben müssen.
Das zeitliche Problem bei drei Arbeiten je Halbjahr liegt in der Tatsache begründet, dass die maximal 20 Wochen je Schulhalbjahr sich allenfalls in drei Epochen a 5 bis 6 Wochen aufteilen lassen, in denen der Unterrichtsstoff für die nächste arbeit erarbeitet werden muss.
Das Sommerhalbjahr ist noch trickreicher, da es durch mehrere gesetzliche Feiertage und mögliche “Brückentage” sowie Abschlussprüfungen eingeengt wird. Wer das Pech – und damit meine ich die SuS – hat, dass eine Doppelstunde in einem Fach der Fächergruppe I (aka Hauptfach) an einem DO oder FR eingeplant ist, weiß wo von ich spreche.
Bei zwei mindestens 60-minütigen Klassenarbeiten sieht das Ganze wesentlich entspannter aus, hat aber den nachteil, dass es keine “monothematischen” Aufgabenstellungen mehr geben kann. Diese Arbeiten umfassen dann vermutlich mindestens zwei Aufgabenbereiche. Dabei beziehe ich meine Kenntnisse der Materie auf den Mathe-Kernlehrplan, der sechs bis acht Themengebiete je Schuljahr vorgibt.
// Den Kindern gegenüber verpflichte ich mich für eine wertschätzende, angstfreie und bildungswirksame Atmosphäre und Beziehung zu sorgen und für die leibliche, geistige und seelische Unversehrtheit der mir anvertrauten Kinder einzustehen. //
Schließt sich das denn mit Exen kategorisch aus? Meiner Meinung nach nicht. Wenn einzelne Schüler Angst vor Leistungskontrollen haben, dann sollte man die Ursachen der Angst suchen und angehen. Nicht die Leistungskontrollen verbieten.
Dieses “Argument” sollten Sie noch einmal überdenken, denn Leistungsnachweise werden in allen Bundesländern geschrieben. Nur eben meist angekündigt. Jeder Schüler weiß also morgens auf dem Weg in die Schule, was ihn in dieser Hinsicht erwartet, und es fällt nur die Angst weg, spontan eine besondere Leistung erbringen zu müssen. Diese nicht vorhandene Angst ist in meinen Augen Teil einer “wertschätzenden, angstfreien und bildungswirksamen Atmosphäre und Beziehung”.
Nö, ich sehe das anders. Wenn Kinder in der richtigen Schulform sind, daheim keinen Stress bei schlechten Noten bekommen, sie halbwegs im Unterricht mitarbeiten und sonst psychisch fit sind, sollten sie keine Angst vor unangekündigten Tests haben. Vielleicht ist das Problem ja die fehlende Gewöhnung und dadurch fehlendes Selbstvertrauen?
Mich stört an der Debatte einfach, dass man den Lehrern schon wieder in ihre Freiheiten greift. Es reicht nicht über Sinn/Zweck/Häufigkeit/Nutzen/Einschränkung nachzudenken, nein, es muss gleich ein Verbot her. Warum?
Vor allem ist es nie genug mit der Abschafferei: erst die Exen, dann die Noten, dann die Hausaufgaben, dann die Fächer und zum Schluss die Schule…
Jeder Schüler weiß also morgens auf dem Weg in die Schule, was ihn in dieser Hinsicht erwartet, und es fällt nur die Angst weg, spontan eine besondere Leistung erbringen zu müssen.
Wenn ich bspw. die Aufgabe hatte, bestimmte Vokabeln zu lernen oder mich in einer Hausaufgabe mit einem bestimmten Thema auseinanderzusetzen,
ist es dann so grausam, wenn ich dazu auch einen Kurztest schreiben muss?
Für manche offenbar schon. Ich persönlich empfinde es als selbstverständlich, vorbereitet in die Schule zu gehen – egal ob eine Ex kommt oder nicht. Wir haben das unseren Kindern jedenfalls so beigebracht und sie schlagen sich sehr erfolgreich am Gymnasium (klar kommt phasenweise auch viel zusammen, aber das Stresslevel ist absolut im Rahmen). Schließlich will (fast) jeder ein Abitur haben. Ich habe schon mehrfach Klassen übernommen, deren vorherige Lehrkräfte nie Wert darauf gelegt haben, z.B. Vokabeln regelmäßig abzufragen (sei es mündlich oder in (un)angekündigten Leistungsnachweisen – das ist ja jedem selbst überlassen, zumindest bis jetzt noch), die hatten wenig bis keine Grundlagen und darauf soll man dann den weiterführenden Unterricht aufbauen… Das Niveau sinkt leider immer weiter.
Eine sehr lesenswerte Gegenrede.
Stimme dem sehr zu 🙂
Ich nicht 🙂
Wundert mich nicht. Viel Spaß dabei, sich bis zum Ruhestand über die faulen Kinder und Eltern aufzuregen. Ich wünsche Ihnen Kraft 🙂
Also nur mal so ein paar Gedanken zum Thema. Die Diskussion scheint mir sehr von gymnasialen Gedankengut geprägt. Mein Sohn besucht gerade die 10. Klasse eines Gymnasiums in Bayern. 13 Fächer 34 Wochenstunden. Außer Sport alles Vorrückungsfächer. Also 32 Möglichkeiten von Exen überrascht zu werden. Grundsätzlich finde ich den Gedanken das dauerhaften und nachhaltigen Lernens sehr gut. Bei der Stoffdichte und Fächervielfalt am Gymnasium nimmt Schule schon einen sehr großen Raum im Leben der Gymnasiasten ein. So anstrengend habe ich meine eigene Schulzeit nicht empfunden. Abitur (1991). Ich kann auch in keinem der unterrichteten Fächer meines Sohnes feststellen, dass die heutige Generation das Abitur nachgeworfen bekommt. Aber er ist ja auch erst in der 10. Klasse…Das Niveau in Englisch, Deutsch, Französisch, Informatik , Physik und Mathematik ist schon sehr fordernd. Ich unterrichte an einer Mittelschule, bin eierlegende Wollmilchsau, aber in Deutsch (Grammatik) und in Physik habe ich oft nicht mal die Fragestellung der 9. Klasse verstanden. Taschenrechner und Formelsammlung sind natürlich nicht erlaubt. Das war ganz sicher bei uns nicht so. Da konnte man sich nämlich manchmal ganz gut retten…heute nicht mehr möglich. Vogel friss oder stirb. Das Herunterbrechen auf Schülerniveau findet leider bei den wenigsten Kollegen statt. Häufig werden die Schüler von jungen fachlich top ausgebildeten Lehrern unterrichtet, denen es schwer fällt sich in den Schulalltag und die Belastungsgrenzen einzufühlen. Bei uns an der Mittelschule, ist in den Regel- und Ganztagesklassen keine unangesagte Leistungserhebung mehr möglich, da sonst noch mehr Schüler die Schulen ohne Abschluss verlassen würden. Bei uns hat man das Niveau politisch so sehr abgesenkt (bin seit 2002 dabei), dass auch ein bestandener QA nicht zwangsläufig einen ausbildungsfähigen Schulabgänger produziert. Die Ausbildungsmisere trägt nicht unerheblich dazu bei, dass sich unsere Schüler noch weniger anstrengen. Die Firmen haben einfach zu wenig Bewerber…Unangesagte Proben gehören bei uns schon langen der Vergangenheit an…wir sind froh wenn wir unsere Lehrplaninhalte halbwegs an die Schüler heranbringen und das muss komplett ohne Druck funktionieren…Beziehung ist das Schlüsselwort. Am Gymnasium bei 6 Eingangsklassen a 27 Schüler und nur Zweifachlehrern eher nicht möglich. Wenn man von den Exen spricht, sollte man die Schularten trennen und dann sehen worüber wir uns hier eigentlich streiten…
Meine Tochter auch. Aber: “Also 32 Möglichkeiten von Exen überrascht zu werden.” finde ich absolut übertrieben, denn in einem 3- oder 4-stündigen Fach schreibt man ja nicht mehrfach die Woche eine Ex. Und auch noch nicht einmal jede Woche. Es fällt auch immer mal wieder Unterricht aus, es ist ein Ausflug oder ein Projekt geplant, an Tagen mit großen Leistungsnachweisen darf in der Regel keinen kleinen Leistungsnachweis geschrieben werden, dann fehlt mal wieder ein Lehrer oder was auch immer – meine Kinder “ahnen” außerdem fast immer vorher, wann eine Ex kommt, weil die meisten Lehrkräfte das durchblicken lassen, sehr häufig ist eine Ex dann doch indirekt angesagt. Wie oft habe ich schon erlebt, dass die Schüler/-innen sagen: “Wir WUSSTEN es” – und viele haben dennoch nicht gelernt. Das Grundproblem ist die schlechte Lernhaltung vieler, die Überforderung derer, die zwar unbedingt ans Gymnasium sollen/wollen, aber nicht geeignet sind, nicht ob ein Test angesagt ist oder nicht, denn jeder muss vorbereitet in den Unterricht gehen, das sollte eigentlich jedem klar sein.
Nochmal zum Mitdenken. 12 Fächer in denen Druck ausgeübt wird. Sehr abhängig vom Lehrer wie er mündliche Abfragen oder kleine Leistungstest einsetzt. Miteinander eher selten vorhanden. Freut mich das Ihre Kinder die Begabung, Motivation und Eignung für das Gymnasium mitbringen. Meiner fährt schon mal 10 Stunden Bus in der Woche. 34 Wochenstunden und dann bemüht er sich im Rahmen seiner Möglichkeiten. Ich habe es anders erlebt. Wir hatten weniger Druck und weniger Stoff. Zugänglichkeit und Kritikfähigkeit bei gymnasialen Kollegen eher nicht vorhanden. Gestützt von solchen Eltern wie Sie es sind, wird es auch so bleiben. Meinen Kindern geht es gut, na dann passt ja Alles! Ich empfehle nur noch sehr fleißigen Schülern das Gymnasium. Mädels bringen hier eher die gewünschten Voraussetzungen mit und das ist in ganz Bayern so. Oder warum glauben Sie werden es immer mehr Frauen in Studiengängen, in denen gute Notenschnitte erforderlich sind… In meinem Lehrerumfeld der Mittelschule haben viele Eltern ähnliche Erfahrungen gemacht. Gymnasium nur noch für Streber und Nerds…und die werden dann wieder Gymnasiallehrer, Ärzte, Anwälte usw. Die Empathie hält sich bei dieser Gruppe der Begabten oft in Grenzen…die sind gerne unter sich. So erlebe ich das Gymnasium und die so wichtigen unangesagten Test sind oft ein Machtinstrument dessen man sich aus Mangel an pädagogischen Fähigkeiten bedient. Zum Glück gibt es auch noch dem Schüler zugewandte Gynasiallehrer, das ist aber nicht die Mehrzahl…leider.
Sie haben ein sehr vorurteilsbehaftetes Bild von Mädchen/ Frauen und Hochbegabten (hochbegabten Frauen?) Schon ihre Bezeichnung “Streber und Nerds”…
“Fächer, in denen Druck ausgeübt wird” – dieser Druck ist eine persönliche Empfindung, das empfindet jeder anders. Bei mir in der Schulzeit gab es auch unangekündigte Tests und mündliche Abfragen und ich empfand das nicht als “Druck”, das gehörte einfach dazu. Klar, je schwerer man sich tut als Schüler/-in, desto höher der Druck, vor allem wenn das Gymnasium und das Abitur quasi erzwungen werden müssen.
“Eltern wie Sie es sind” – Was wollen Sie mir damit sagen? Woher wollen Sie wissen, wie ich als Elternteil bin? Ich habe hier aus Elternsicht geschrieben, genau wie Sie vorher auch taten.
Und selbstverständlich muss die Arbeitshaltung (auch!) am Gymnasium passen.
Auch finde ich es immer erstaunlich, wie manche scheinbar generell über alle Lehrkräfte Bescheid wissen (die “Mehrzahl”, “eher selten” usw.). Nur weil Sie bzw. Ihr Kind scheinbar schlechte Erfahrungen gemacht haben, gilt das genauso wenig für alle wie die Situation, in der meine Kinder sich befinden. Dass Ihr Kind außerdem 10 Stunden Bus fährt ist ein Faktor, den man bei der Diskussion um die Exen nicht berücksichtigen kann, genauso wenig wie die Wohnsituation oder ob Eltern unterstützen oder nicht oder andere private Angelegenheiten.
Ansonsten, wie Lisa schon sagte, haben Sie eine komische Sichtweise von guten Schülerinnen! Woher nehmen Sie das “Wissen”, dass gute Schülerinnen (“Streberinnen/Nerds”) weniger Empathie haben als andere?
“die so wichtigen unangesagten Test sind oft ein Machtinstrument dessen man sich aus Mangel an pädagogischen Fähigkeiten bedient.” – ebenfalls ein Vorurteil bzw. eine Unterstellung! Ich kenne keine Lehrkraft, die Exen als “Machtinstrument” nutzt (was für eine Macht überhaupt?), so einen Unsinn habe ich noch nicht gehört!
Eine spannende Diskussion, allerdings zum Thema Macht-Instrument kenne ich persönlich mehrere SuS die sehr wohl diesbezüglich ein Gefühl von Macht Unterlegenheit kennen. Ich bin keine Lehrkraft, beschäftige mich aber mit Kindern. Es kommt halt wie immer auf den Einzelnen drauf. Der Eine kann SuS ohne Druck motivieren und der Andere eben nicht.
Den Punkt “Leistung braucht Stegreifaufgaben” habe ich Artikel von Prof. Zierer nicht gefunden. Steht das da tatsächlich so drin? Werden in Bayern auch Stegreifaufgaben in der Grudschule geschrieben, da im Artikel von Kindern die Rede ist? Bisher war eigentlich immer die Rede von weiterführenden Schulen.
Auch an den Grundschulen gibt es unangekündigte Tests / Lernzielkontrollen (es heißt dort allerdings nicht Stegreifaufgabe/Ex), aber nicht in der 4. Klasse, da ist alles angesagt.
Es gibt durchaus auch Grund- und Sek1 Schulen, die auf diese umstrittene Form der Leistungsabgabe verzichten können.
Ich habe den Text nur überflogen. Er ist mir zu lang. Asche auf mein Haupt. Also vielleicht irre ich mich auch, aber die Aussage mit der Motivation kenne ich (Titel). Wenn Schüler stören, ist der Lehrer schuld, er hat sie nicht genügend motiviert. Das sagen immer irgendwelche Hochschuldozenten, die nie als Lehrer arbeiteten, oder hoffnungslos idealistische Reformpädagogen. Die Wirklichkeit ist aber leider oft eine andere.
Warum ist ein unangekündigter Test eine Drohung und ein angekündigter Test nicht? Ist dann nicht jeder Test eine Drohung, dass eine schlechte Note herauskommt, wenn man nicht lernt? Dann sind wir wieder bei “keine Noten = kein Stress = mehr Spaß”. Lassen wir also alles weg, was anstrengend und mindestens anfangs auch mühsam ist? Kommt man in der Berufswelt so besser zurecht? Machen da alle immer nur, was Spaß macht?
Lieber Roland Grüttner,
vielen Dank für die Replik auf den Artikel von Prof. Zierer. Stimme der Analyse voll zu. Ich hoffe, Prof Zierer zieht Nutzen aus dem Feedback zu seiner Arbeit (Hattie lässt grüßen), die er wohl als “nicht angekündigt” erstellt hat. Wenn sie auch nicht benotet wurde, so könnte sie nur mit mangelhaft bewertet werden.
LG Grüsse Gerd Möller
Das Motivationsproblem ist doch nicht neu. Das gibt es, solange es Schule gibt. Wieso konnte es bisher nicht gelöst werden? Trotz aller Reformen in Richtung “Spaßschule” freuen sich die Kinder am meisten über Unterrichtsausfall, Wochenenden und Ferien.
Lösung? Noch mehr “Spaßschule”? Und später dann “Spaßberufe”?
Das Problem beider Texte ist m.E., dass es sich um Grundsatzdiskussionen handelt. Es gibt also nur die Möglichkeiten, dass Kurztests gut sind – oder eben eine bösartige Drohung gegenüber den unschuldigen kleinen Kinderchen.
Eine Differenzierung gibt es nicht, weder nach Schulform noch nach Alter der Kinder, nicht nach Fächern, Unterricht, und nichtmal nach Art und Inhalt der Tests. Wenn jemand bspw. im Unterricht aufgibt, Vokabeln als Hausaufgabe zu lernen und in der nächsten Stunde einen Kurztest darüber schreibt, ist das keine Drohung, keine bösartige Schikane der Lehrkraft, sondern eine einfach Überprüfung, ob die Aufgabe auch gemacht wurde.
Das Beispiel Vokabeln zeigt doch, dass man manchmal Dinge einfach lernen muss. Das macht nicht immer Spaß, das ist anstrengend, man muss sich dafür anstrengen. Dazu müssen Schüler*innen den inneren Schweinehund überwinden und sich mit etwas beschäftigen, das zunächst keinen Spaß macht, was “der Unterricht, die Lehrkunst oder der „Stoff“ nicht hergibt“. Anschließend kann ich dafür aber Dinge, die ich ohne diese Anstrengung nicht erreicht hätte, schlussendlich kann ich mich bspw. auf einer Fremdsprache gut verständigen.
Ich versuche in bestimmten Jahrgängen auch in meinen MINT-Fächern, jede Woche einen Kurztest zu schreiben. Das spreche ich vorher mit den Schüler*innen ab und erkläre, warum ich das mache.
Die Kurztests sind so gestrickt, dass man durch einfaches Verstehen (in der Stunde) und kurzes Wiederholen der Inhalte (zu Hause) die Tests gut bestehen kann. Dafür gebe ich selten eine andere Hausaufgabe als “eigenständiges Wiederholen” auf. Und wenn ich doch mal eine klassische Hausaufgabe aufgebe, kann es sein, dass ich danach in einem Kurztest die Inhalte abfrage – auch das wissen die Schüler*innen. Denn in dem Fall will ich keine (abgeschriebenen?) Texte sehen, mich interessiert nur, dass sie den Stoff beherrschen.
Allen Alltagsbezügen, haptischen Modellen, schönen Experimenten und dem vermeintlichen natürlichen Lernwillen der Schüler*innen zum Trotz durchlaufen sie die Pubertät, haben keinen Bock und man bekommt Aussagen wie: “Was soll ich machen? Ich bin halt faul...”.
Wenn ein Schüler dann bspw. in der 9. Klasse in Chemie bestimmte Grundlagen und Begriffe nicht lernt, dann ist er in kurzer Zeit so abgehängt, dass der Anschluss kaum noch gelingt. Dann kann man die Inhalte der 10. Klasse eigentlich vergessen. Daher finde ich gerade dort einen gewisser Druck sinnvoll, regelmäßig kurz die Inhalte nochmals zu wiederholen. Und die Schüler*innen verstehen und akzeptieren das auch.
Es ist eine Grundsatzdiskussion, die über alle Schultypen (die ganz unterschiedliche Anfoderungen haben) gehalten wird, tw. Nicht wissend über die Vorgaben dieser Schultypen und unterschiedlichen Interpretationen, was unter einem ungekündigter Leistungsnachweis verstanden wird und vieles mehr.
Bsp. Manch ein Schüler fühlt sich schon unwohl, wenn sie von der Lehrkraft aufgerufen wird, ohne sich gemeldet zu haben und empfinden das als unangekündigten Leistungsnachweis (Frage nach der Stunde: Wird das benotet? Auch wenn man zuvor gefühlt hundert mal erläutert hat, das dem nicht so sei,
Bis hin zur unangekündigten (zumindestens offiziell) Stegreifaufgabe, bei der die Lehrkraft zuvor ganz heftig mit dem Zaunpfahl gewunken hat.
Zumindestens bei unserem Schultyp muss die Lehrkraft für das Halbjahr festlegen, ob sie nun schriftlich Kurzarbeiten oder Stegreifaufgaben schreibt. Ein Mix ist nciht erlaubt. Und von SuS einer Oberstufe muss man erwarten können, dass sie kurzfristig Rede und Antwort stehen können. Das gehört auch zur Vorbereitung aufs spätere Berufsleben, auf das ja vorbereitet wird. Den SuS sollte nur klar sein, dass Schule hier noch zur Übungsphase ist.
Bravo. Entscheidender Satz: “Das spreche ich vorher mit den Schüler*innen ab” – und schon ist es keine unangekündigte Abfrage mehr, die den Anschein einer Disziplinierung erwecken könnte, sondern eine gemeinsame Maßnahme, um Lernerfolge zu dokumentieren und Rückmeldung zu geben. Gerade in Vokabelfächern kann das eine sehr sinnvolle Sache sein.
Grundsatz der gewollten Abschaffung ist der Wunsch nach Vermeidung eines Klimas der Angst, in der die Abfragen und Exen intransparent erfolgen, weil Lehrkräfte die Haltung transportieren, ohne diesen Druck würden Kinder nichts lernen – in meinen Augen ein Missbrauch dieser Instrumente zum Zweck der Disziplinierung. Statt motivierender Stundeneinstiege, Konzentration auf Lernprozesse im Unterricht und demokratischer Beteiligung der Lernenenden wird der Fokus darauf ausgerichtet, autoritär zu überprüfe, was zuhause (oder im Bus, in der Pause, im Unterricht davor) nicht gelernt wurde – in meinen Augen ein grundsätzlich falscher Ansatz. Wer nur lernt, weil er die Abfrage erwartet, lernt aus den falschen Motiven und nicht nachhaltig.
Den Artikel von Prof. Zierer habe ich so verstanden, dass unangekündigte Tests leistungsfördernd sein können, wenn sie von den Lehrkräften richtig eingesetzt werden, bei unprofessionellen Umgang damit aber auch negativ wirken können. Den Artikel von Herrn Grüttner würde ich so interpretieren, dass er es für ziemlich ausgeschlossen hält, dass bei unangekündigten Test eine angstfreie und wertschätzende Atmosphäre im Unterricht geschaffen werden kann und die geistige und seelische Unversehrtheit der anvertrauten Kinder nicht gewährleistet werden kann. Das erscheint mir schon ein ziemlich massiver Vorwurf gegenüber allen Schulen und Lehrkräften zu sein, die diese Mittel einsetzten. Kann aber natürlich auch sein, dass ich die beiden Herren falsch interpretiere.
So verstehe ich das auch. Herr Zierer polarisiert an der Stelle, an der er von „Kuschelpädagogik“ spricht, was ich für unnötig halte, aber die latente Verknüpfung von vermeintlichen Lehrerabsichten der Machtausübungen, Bloßstellung und einer Kultur der Angst mit den unangekündigten Tests ist halt auch nicht gerade sachlich.
“Meine Kritik ist an dieser Stelle, dass Prof. Zierer das Motivations-Problem anscheinend nicht anders lösen kann (will?), als durch Verweis auf eine Drohung”
Vergleichen wir es mit dem Straßenverkehr. Die meisten Verkehrsteilnehmer fahren vernünftig, weil sie vernünftige Entscheidungen treffen. Einige fahren vernünftig, weil beispielsweise Geschwindigkeitsübertretungen bestraft werden. Daraus zu schließen, den Straßenkatalog abzuschaffen, weil die Menschen doch von sich aus motiviert sein müssten, gut und umsichtig zu fahren und Leben zu schützen….Hmmm, keine gute Vorstellung.
Exen sind ein mögliches Instrument der Lehrerarbeit. Das ist gar nichts Grundsätzliches. Der eine Lehrer hat sie in seinem Repertoire, der andere hat bevorzugt eine der anderen mindestens zwanzig Möglichkeiten. Das hat viel mit der Lehrerpersönlichkeit und der Klasse zu tun.
Es ist vielleicht auch viel verlangt, von Menschen 300 Tage im Jahr intrinsische Motivation für ein Fach, dass sie sich gar nicht selber ausgesucht haben, zu erwarten.
Ich habe dafür Verständnis, doch ” Wat mutt, dat mutt”
Ganz herzlichen Dank für die Entgegnung. Aus meiner Perspektive großartig argumentiert und zusammengefasst. Ich habe auch geschluckt, als ich Zierers Einlassungen las. Gleichermaßen ging es mir bei Engartners neuem Buch “Raus aus der Bildungsfalle”, das noch einen weiteren Aspekt, nämlich die Ökonomisierung der Bildung, betrachtet. In seinen Einlassungen in Bezug auf Schule äußert er sich so, dass Lernen nicht immer leicht sein muss und sich SchülerInnen ja auch mal anstrengen sollten. Dazu kann ich nur sagen, dass jeder Mensch lernen will – das ist in uns so angelegt. D.h. auch, dass sich SchülerInnen sehr wohl auch freuen, wenn sie erfolgreich sind und sich in der Anstrengung gespürt haben. Es kommt aber darauf an, wofür ich mich anstrenge, was ich am besten Fall gemeinsam mit anderen herausfinden und umsetzen will und mich dann überhaupt in der Anstrengung spüren kann und will. Zierer war 2023 bei dem Bildungsprotest Bildungswende-jetzt als Redner in München angekündigt. Das bedeutet, dass er ziemlich genau weiß, dass dieses System mit seinen undemokratischen Strukturen und seinen gefährlichen Auswirkungen (alle jungen Menschen, die sich jetzt entschieden haben, rechts zu wählen, waren in Schule) und seinen fragwürdigen Selektions- und Prüfungsstrukturen, sofort verändert werden muss. Es ist also schade, dass er die Initiative der SchülerInnen zu den Exen nicht uneingeschränkt unterstützen kann. Mich beschleicht bei der Debatte auch ein wenig der Eindruck, dass Zierer und Engartner nicht so genau wissen, was jenseits der PreisträgerInnenschulen im Deutschen Schulpreis in der bundesdeutschen Wirklichkeit der Schulräume immer noch abgeht. Da hat sich zu meiner Schulzeit, die 50 Jahre zurück liegt, kaum etwas verändert.
„Mich beschleicht bei der Debatte auch ein wenig der Eindruck, dass Zierer und Engartner nicht so genau wissen, was jenseits der PreisträgerInnenschulen im Deutschen Schulpreis in der bundesdeutschen Wirklichkeit der Schulräume immer noch abgeht. Da hat sich zu meiner Schulzeit, die 50 Jahre zurück liegt, kaum etwas verändert.“
Echt jetzt? Schule von heute ist genauso wie Schule vor 50 Jahren?
Nach diesen zwei Sätzen tritt der Eindruck, dass Sie keine Ahnung von den heutigen Zuständen in deutschen Schulräumen haben, mit maximaler Heftigkeit gegen mein Knie. Da ist nix mit Schleichen…
Falls Sie „die echte“ Martina Zilla Seifert sein sollten: Sie sind tatsächlich der Ansicht, dass Schule sich in den letzten 50 Jahren nicht verändert hat? Wie kommen Sie auf dieses schmale Brett???
Dazu kann ich nur sagen, dass jeder Mensch lernen will – das ist in uns so angelegt. D.h. auch, dass sich SchülerInnen sehr wohl auch freuen, wenn sie erfolgreich sind und sich in der Anstrengung gespürt haben.
Diese Aussage wird gerne verwendet, aber würde Sie so weit gehen zu sagen, dass jeder Mensch immer auch die Inhalte aus allen Fächern lernen will? Haben Sie immer brav, aus innerstem Drang nach Wissen, alle Inhalte der Schule gelernt?- Dann ziehe ich meinen Hut.
Denn mir ging es so, dass ich in der Schule durchaus Fächer hatte, die mich kaum interessiert haben. Das ging mir im Studium genauso, für manche Bereiche brennt man, andere macht man gezwungenermaßen mit. Auch im Studium hätte ich mich ohne Klausuren mit bestimmten Themen nicht genauer beschäftigt.
Als Lehrkraft entscheide ich größtenteils nicht, welche Inhalte ich vermitteln muss und was in Abschlussprüfungen abgefragt wird. Ich versuche aber, den SuS klarzumachen, warum ich etwas spannend finde, was mich dafür begeistert. Aber alle SuS wird man damit nicht erreichen, selbst mir Themen, die den eigenen Körper betreffen.
Und wenn SuS dann einfach “keinen Bock” haben, weil sie am Pubertieren sind, weil das Internet mit vielen suchterregenden Angeboten lockt o.ä., dann muss im Zweifelsfall auch eine externe Motivation über Tests her.
„dieses System mit seinen undemokratischen Strukturen und seinen gefährlichen Auswirkungen (alle jungen Menschen, die sich jetzt entschieden haben, rechts zu wählen, waren in Schule) und seinen fragwürdigen Selektions- und Prüfungsstrukturen“
Ich wiederhole die Frage: Ihr Ernst? Alle jungen Menschen, die rechts gewählt haben, waren in Schule. Logisch. Alle jungen Menschen, die nicht rechts gewählt haben, auch. Alle Mörder waren in Schule. Alle Nichtmörder auch. Was für einen Zusammenhang wollen Sie hier konstruieren? Die Schule trägt die Verantwortung für das Wahlverhalten der jungen Menschen, weil sie Ihrer Ansicht nach undemokratisch ist und durch ihre Selektions- und Prüfungsstruturen die Jugend der AfD in die Arme treibt?
Schule war vor 50 Jahren wesentlich undemokratischer und deutlich autoritärer in den Selektions- und Prüfungsstrukturen als heute. Nach Ihrer Logik müssten damals viel mehr jungen Leute „rechts“ gewählt haben als heute. War aber nicht so.
Ich find Ihre Unterstellungen echt anmaßend und unverschämt!
System mit seinen undemokratischen Strukturen und seinen gefährlichen Auswirkungen (alle jungen Menschen, die sich jetzt entschieden haben, rechts zu wählen, waren in Schule)
Alle jungen Menschen, die rechts gewählt haben, gehen regelmäßig auf Toilette.
Lasst uns also Toiletten anschaffen und das Problem ist gelöst. 😉
// Das bedeutet, dass er ziemlich genau weiß, dass dieses System mit seinen undemokratischen Strukturen und seinen gefährlichen Auswirkungen (alle jungen Menschen, die sich jetzt entschieden haben, rechts zu wählen, waren in Schule) und seinen fragwürdigen Selektions- und Prüfungsstrukturen, sofort verändert werden muss. //
Das kann eigentlich nur Satire sein.
„Dazu kann ich nur sagen, dass jeder Mensch lernen will – das ist in uns so angelegt.“
So will auch jeder eigentlich gerne in Frieden und Harmonie mit seinem Nachbarn leben. Die Frage ist nur, wem gibt er die Schuld, wenn er es nicht tut.
Bei diesem Satz ist also weniger interessant, was er aussagt, sondern was er nicht explizit sagt, wohl aber meint.
So “hitzig” ist die Diskussion jetzt auch wieder nicht, schon gar nicht vor Ort. Das Thema wird deswegen hochgekocht, weil sich daran sehr unterschiedliche Vorstellungen von Schule und Bildung anknüpfen. In etwa: CDU/CSU vs. SPD/Grüne.