MÜNCHEN. Grundschullehrkräfte sollen fünf Jahre lang eine Stunde mehr Unterricht geben. Später dürfen sie das wieder ausgleichen. So war zumindest der (als „Piazolo-Paket“ bekannt gewordene) Plan des bayerischen Kultusministeriums – nun hat ihn der Verwaltungsgerichtshof aber gekippt. Der BLLV will jetzt mit der Staatsregierung an den Verhandlungstisch.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat das umstrittene verpflichtende Arbeitszeitkonto für Grundschul-Lehrkräfte für nicht rechtens erklärt. Das Modell, das für Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen eine Ansparphase von fünf Jahren vorsieht, in der sie eine zusätzliche Unterrichtsstunde pro Woche leisten, die sie später wieder zurückbekommen, sei unwirksam, urteilte der Verwaltungsgerichtshof. Geklagt hatte die Leiterin einer Grundschule mit Unterstützung des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV).
„Die Einführung eines verpflichtenden Ansparmodells setzt laut gesetzlicher Grundlage (Art. 87 Abs. 3 Satz 1 BayBG) einen länger andauernden, aber vorübergehenden Personalbedarf voraus. Zuschnitt und Laufzeit des Ansparmodells müssen sich dabei an der Bewältigung des vorübergehenden Bedarfs ausrichten“, so heißt es in dem Urteil. Und das sei nicht der Fall gewesen.
Die Entscheidung ist zwar noch nicht rechtskräftig, der Freistaat Bayern kann allerdings nur eine Beschwerde über die Nichtzulassung der Revision beantragen. Das Gericht räumte dem Freistaat jedoch die Möglichkeit ein, die Regelungen rückwirkend neu zu fassen.
Das Kultusministerium unter dem damaligen Minister Michael Piazolo (Freie Wähler) hatte neben dem verpflichtenden Arbeitszeitkonto noch weitere Maßnahmen eingeführt, um dem Lehrermangel in bestimmten Schularten zu begegnen, nämlich: die Anhebung des Mindeststundenmaßes bei Antragsteilzeit und der Altersgrenze bei Antragsruhestand sowie ein Aussetzen von Sabbatmodellen. Infolge der so gewonnenen Kapazitäten sollten zudem erfahrene Grundschullehrkräfte an Mittel- und Förderschulen versetzt werden können. Die Arbeitszeitgewinne aus diesen Maßnahmen seien bei der Kalkulation des Arbeitszeitkontos nicht berücksichtigt oder nicht ausreichend berücksichtigt worden, argumentierte das Gericht.
Zudem sei eine Lehrerbedarfsprognose zugrunde gelegt worden, die nicht mehr aktuell gewesen sei. Das Kultusministerium den Lehrkräftebedarf in den Jahren vor 2020 systematisch um 25 bis 35 Prozent zu hoch angesetzt, erklärte der BLLV.
Unter diesen Prämissen sei ein Arbeitszeitkonto in den Schuljahren 2020/21, 2026/27 und 2027/28 für den Bedarf an Grundschullehrkräften nicht erforderlich, so urteilte das Gericht. Die danach zu lange Laufzeit des Arbeitszeitkontos könne nicht mit der Absicht gerechtfertigt werden, die gewonnenen ‚Überhänge‘ dazu zu nutzen, erfahrene Grundschullehrkräfte (zusätzlich) an Mittel- bzw. Förderschulen einzusetzen. Denn erst der Verordnungsgeber selbst – also das Kultusministerium – schaffe durch diese Versetzungen den Fehlbedarf an Grundschulen. Er umgehe so den Sinn und Zweck der Rechtsgrundlage: Diese sehe nur die Kompensation eines vorübergehenden, nicht aber eines dauerhaften Personalbedarfs vor. An Mittel- und Förderschulen bestehe jedoch ein dauerhafter Bedarf. Da durch die Regelungen aber nur Grundschullehrkräfte zur Ansparung verpflichtet würden, würden diese einseitig und gleichheitswidrig in Anspruch genommen.
„Das Ergebnis ist ein starkes Signal für die Lehrkräfte und die gesamte Öffentlichkeit. Wir sind im Recht und entsprechend werden wir jetzt auch verhandeln“
Wie es jetzt weitergeht und wie eine Rückabwicklung des Arbeitszeitkontos funktionieren kann, muss jetzt am Verhandlungstisch entschieden werden – stellt der BLLV heraus. Präsidentin Simone Fleischmann: „Das Ergebnis ist ein starkes Signal für die Lehrkräfte und die gesamte Öffentlichkeit. Wir sind im Recht und entsprechend werden wir jetzt auch verhandeln. Natürlich geben jetzt nicht morgen alle Lehrerinnen und Lehrer ihre Stunden zurück und lassen den Stift fallen. Wir kennen unsere Verantwortung und werden diese erfüllen. Wir werden lösungsorientiert aber auch hart für eine faire Umsetzung kämpfen und stehen natürlich für Verhandlungen bereit.“
„Die Belastung von Grundschullehrkräften ist über viele Jahre kontinuierlich gestiegen. Das Arbeitszeitkonto war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Vor allem müssen wir dabei auch die Laufzeit dieser Maßnahme berücksichtigen, die für die Betroffenen sehr weit in die Zukunft reicht – und das, aufgrund einer unklaren Datenlage“, sagt die klagende Grundschulleiterin und ergänzt: „Diese lange Wartezeit, bis das Thema jetzt vor Gericht verhandelt wurde war auch deshalb eine große Belastung und es wurde jetzt wirklich Zeit das Thema zu beschließen.“ News4teachers / mit Material der dpa
“Das Ergebnis ist ein starkes Signal für die Lehrkräfte und die gesamte Öffentlichkeit.”
… Ja, die Öffentlichkeit fieberte lange mit und rastet nun völlig aus. Ich hörte, die Menschen in Köln, Düsseldorf und Mainz zogen gestern jubelnd durch die Straßen 😉
Man könnte auch einen Teil der Sozialpädagogen von den Schulen an die Jugendämter abordnen, die haben schließlich auch hohen Bedarf. Zum Ausgleich erhöht man die Arbeitszeit der an den Schulen verbleibenden Sozialpädagogen um 2 Zeitstunden pro Woche. Schon passt es wieder, oder? Vielleicht gefällt das der “Öffentlichkeit” besser?
Ich glaube nicht, dass die Öffentlichkeit IRGENDWAS aus der Bildungspolitik aufnimmt, geschweige danach Ausschau hält
Hessen arbeitet schon 1 Std mehr-dank der damaligen Kochregierung. Soll das jetzt nochmal erhöht werden??
Das kenne ich doch irgendwo her? “Temporäre Arbeitszeiterhöhung” für alle Lehrer in Berlin von 2003 bis 2014, mit Arbeitszeitkonto! Danach – die Arbeitszeiterhöhung blieb (temporär?), aber kein Ansparen auf AZK mehr. 🙂
Meiner Meinung nach wäre auch die Information durchaus interessant, dass das Gericht die Möglichkeit für einen “rückwirkenden Neuerlass” mit angepasster Begründung offen gelassen hat.
Wieso “wäre”? Steht doch drin. Herzliche Grüße Die Redaktion
Das “neu zu fassen” habe ich wohl überlesen. Eigentlich ist die Regelung an sich ja nicht neu. Ähnliche verpflichtende Arbeitszeitkonten gab es m.W. in Bayern schon mehrfach für verschieden Schularten.