Den Schuldienst gekündigt – um pädagogisch mehr zu bewegen: Eine Lehrerin, die umgestiegen ist, im Interview

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BRAUNSCHWEIG. Stefanie Göhmann hat in unterschiedlichen schulischen Kontexten als Lehrerin, Konrektorin und didaktische Leiterin gearbeitet. Mit Engagement hat sie ihren Beruf ausgeübt, ist aber auch an ihre persönlichen Grenzen gestoßen. Nun hat sie den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt – als Gründerin und Leiterin des „CoolturLabors“, einer Beratungsagentur, die in Bildungseinrichtungen und Unternehmen nachhaltige Bildungsprozesse anstoßen möchte. Im Interview mit News4teachers erklärt sie, warum genau sie den Schuldienst quittiert hat – und wieso ihr die Bildung von Kindern auch weiterhin am Herzen liegt.

Ein Berufswechsel bietet neue Perpektiven (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

News4teachers: Welche Beweggründe haben Sie dazu gebracht, Ihren Beruf als Lehrerin aufzugeben?

Stefanie Göhmann: Es zeichnete sich ab, dass das System für mich festgefahren war und ich mit meinen Ideen zunehmend gegen die Wand lief. An der ein oder anderen Stelle hätte ich mir mehr Wertschätzung und ein durchlässigeres System gewünscht. Auch würde ich mir wünschen, dass diejenigen in den höchsten Leitungspositionen der Schulbehörden mehr Präsenz im Praxisalltag zeigen.

News4teachers: Was müsste aus Ihrer Sicht am deutschen Bildungssystem verändert werden?

Stefanie Göhmann: Mit einem System und mit Mitteln von vorgestern versuchen wir, Kinder und Jugendliche aus der schnelllebigen Welt von heute auf ein zukunftsfähiges Morgen vorzubereiten. Wir brauchen dafür aber eine andere Kultur – nämlich eine der offenen Türen. Wir müssen miteinander sprechen und innovativere Konzepte entwickeln, wie zum Beispiel neue Rhythmisierungsformen. Es gibt Alternativen zu den klassischen 45-Minuten-Einheiten. Stattdessen könnte man Modelle wie den 80-Minuten-Unterricht einführen, bei dem durch geschickte Planung zusätzliche Ressourcen, wie eine Doppelbesetzung, generiert werden.

“Klar, dass ich keine halben Sachen machen möchte”: Berufsumsteigerin Stefanie Göhmann. Foto: Dennis Göhmann / CoolturLabor GmbH Agentur für nachhaltige Entwicklung

Wir müssten uns auch von den traditionellen Noten verabschieden. Stattdessen sollten wir Lernentwicklungsberichte und kompetenzorientierte Rückmeldungen einführen und neue Bewertungsformen finden. Weg vom bloßen Auswendiglernen, hin zu mehr praktischen Erfahrungen, zu mehr Gamification, zu mehr Haptik. Schauspiel könnte wieder stärker integriert werden. Ein Kollege beklagte sich einmal bei mir über seine Matheklasse, dass nichts funktioniere. Ich sagte: „Dann bring doch mal Kugeln oder anderes Material mit.“ Daraufhin meinte er: „Wir sind doch hier keine Förderschule.“ Diese Denkweise – meine ich – müssen wir überwinden.

Es gibt bereits gute Konzepte und wir möchten diese mit Ideen aus unserem CoolturLabor erweitern. Wir brauchen mehr individuelles Lernen und Differenzierungskonzepte. Es kann nicht sein, dass alle Schülerinnen und Schüler den selben Zettel bearbeiten. Wir müssen auch beim Sozialverhalten differenzieren. Wir können nicht erwarten, dass Kinder, die in schwierigen häuslichen Umständen aufwachsen, sich so verhalten wie jene, die in stabilen finanziellen und emotionalen Verhältnissen leben.

Vor allem brauchen wir eine andere Fehler- und Feedbackkultur. Wir müssen nicht nur mit uns selbst offener umgehen, sondern auch Raum dafür schaffen, um darüber zu sprechen, warum Dinge nicht funktionieren und was wir anders machen können. Wir sollten Vertrauen schenken, anstatt ständig zu sanktionieren. Wie wäre es zum Beispiel, im Klassenbuch auch mal positive Kommentare zu hinterlassen, wie: „Die Klasse hat heute 15 Minuten mucksmäuschenstill gearbeitet, ich bin stolz auf euch.“

News4teachers: War für Sie der Schuldienst denn nur frustrierend – oder haben Sie auch positive Erfahrungen gemacht?

“Die größte Herausforderung war für mich immer der Umgang mit veralteten Denkmustern und traditionell eingefahrenen Perspektiven”

Stefanie Göhmann: Ich habe während meines Masterstudiums eine Stelle als pädagogische Mitarbeiterin an einer Haupt- und Grundschule angenommen. Eines Morgens um 7:00 Uhr wurde ich angerufen, ob ich spontan sechs Stunden Sportunterricht an der Hauptschule vertreten könnte. Als ehemalige Handballspielerin und Teamsportlerin habe ich zugesagt. In meiner ersten Stunde stand ich dann vor einer Gruppe Neuntklässler, die mich mit höhnischen Blicken fragten: „Was willst du denn hier?“

Ich bin jemand, der in solchen Momenten in jugendsprachlicher Intonation zurückfragt: „Was willst du denn jetzt hier?“ Diese unkonventionelle Art der Ansprache ermöglichte mir schnell einen Zugang auch zu schwierigen Schülerinnen und Schülern. Der besondere Zugang zu herausfordernden Heranwachsenden war immer meine größte Stärke. Nichts ist schöner, als zu sehen, wie ein vermeintlich „schwieriges“ Kind aufblüht, wenn man ihm Empathie, Gehör, Zeit, Verständnis und Wertschätzung schenkt.

Seit dem Beginn meiner Dienstzeit 2012 habe ich den Aufbau von zwei Gesamtschulen begleitet. Zunächst war ich an einer fünfzügigen städtischen Gesamtschule im Entstehen als Tutorin tätig, später als Konrektorin und Fachbereichsleiterin für musisch-kulturelle Bildung und Ganztag. Schließlich übernahm ich im ländlichen Raum an einer Gesamtschule im Entstehen als Gesamtschulrektorin in Funktion einer didaktischen Leiterin die Verantwortung für alle didaktisch-pädagogischen Prozesse an der Schule. Ich hatte das große Glück, tagtäglich etwas Neues gestalten zu können. Das war natürlich sehr herausfordernd, weil es keine bestehenden Strukturen gab, auf die man zurückgreifen konnte. Doch die Möglichkeiten, die sich boten, waren großartig.

Die erste integrierte Gesamtschule, an der ich arbeitete, war von Anfang an auf Lernbüros und innovatives Lernen, etwa mit einem Mitmach-Zirkus und Glück als Schulfach, ausgerichtet. Es gab spezielle Differenzierungsräume, in denen die Schüler*innen individuell arbeiten konnten. Außerdem hatten wir Sozialtraining und ein Gruppentischkonzept, sodass niemand allein saß. Meine damalige Schulleiterin und Mentorin hatte ein innovatives Gespür, Mut zum Unkonventionellen und war sehr wertschätzend. Davon habe ich nachhaltig gelernt und maßgeblich profitiert.

Später durfte ich eine Gesamtschule im ländlichen Raum als didaktische Leiterin begleiten, nachdem ich zuvor anderthalb Jahre in der Initiativarbeit tätig war. Der Landkreis war sehr großzügig und innovativ weitsichtig: Jedes Kind, unabhängig von der Herkunft, erhielt im Rahmen eines Pilotprojektes ab der fünften Klasse ein iPad, das zentral administriert wurde. Wir setzten das Tablet mit seinen Basisfunktionen vor allem als methodisches Werkzeug ein und arbeiteten außerdem mit der Lernplattform itslearning. Außerdem hatten wir tägliche Lernbürozeiten, pädagogische Nächte in der Schule und ein Jahrmarktkonzept, das handlungsorientierte, differenzierte Leseförderung mit Talentförderung kombinierte.

News4teachers: Und welche Probleme gab es für Sie?

Stefanie Göhmann: Die größte Herausforderung war für mich immer der Umgang mit veralteten Denkmustern und traditionell eingefahrenen Perspektiven. Es ist schwer nachvollziehbar, dass heute noch an Hausaufgaben, ans Nachsitzen oder ans Abschreiben von Schulordnungen geglaubt wird. Viele Erwachsene scheinen vergessen zu haben, wie man sich mit 14 fühlt.

In meiner Erfahrung an Schulen, insbesondere an einer integrierten Gesamtschule (IGS), ist organisatorisch eines der größten Probleme die enorme Klassengröße. Eine IGS muss Klassen bis zu 30 Schüler*innen auffüllen. Diese heterogene Schülerschaft mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Lernständen zu managen ist herausfordernd – aber auch sehr erfüllend.

Ein weiteres Problem ist allerdings die Starrheit des Systems. Viele etablierte Regeln und Regularien werden hingenommen und nicht ausreichend hinterfragt. Sie scheinen einfach festgelegt zu sein – wie das Notensystem. Der Beamtenstatus trägt meiner Meinung nach zu dieser Trägheit bei. Es gibt wenige Anreize zur Veränderung. Die Hierarchien bieten nur begrenzte Aufstiegsmöglichkeiten. Entsprechend langsam ist das System. Eigentlich müssten wir viel schneller auf neue Herausforderungen reagieren, doch das passiert nicht, weil die Bereitschaft zu Wandel nicht von allen mitgetragen und dadurch ausgebremst wird. Gleichzeitig werden von außen zu wenig Impulse aufgenommen.

Ein weiteres Problem ist die große technologische Lücke. Wir sprechen viel zu wenig darüber, dass viele Kolleg*innen, vor allem Frauen, Hemmungen haben, digitale Medien im Unterricht einzusetzen. In den Achtzigern wurden Computer oft als Spielzeug betrachtet, aber heute müssen wir Gamification und digitale Medien viel stärker in den Unterricht integrieren, uns mit den Medien auseinandersetzen, sie ausprobieren. Wir müssen die Schüler*innen dort abholen, wo sie sind. Stattdessen arbeiten wir mit veralteten Materialien und Kopien, die mit der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen kaum etwas zu tun haben. Videospiele sind ein entscheidendes Werkzeug zur Förderung von MINT und Lesekompetenzen, dessen Mehrwert nur erfasst werden kann, wenn man selbst gespielt hat – wie ich: Meine Eltern haben beide schon in den frühen 80er Jahren Videospiele gespielt und ich bin von klein auf aktiv damit sozialisiert worden.

“Auch jemand, der dreimal von der Hauptschule geflogen ist, gehört für mich dazu”

News4teachers: Mit welchen Erwartungen und Wünschen wurden Sie didaktische Leiterin einer Gesamtschule? Konnten Sie Ihre Ziele erreichen?

Stefanie Göhmann: Ich war der pädagogische Teil des Leitungsteams. Wir hatten einen Schulleiter und eine stellvertretende Schulleiterin, und wir arbeiteten vernetzt im Team zusammen, was man als kollegiale Schulleitung bezeichnet. Zu meinen Aufgaben gehörten die Fachbereiche, Personalverantwortung für pädagogische Mitarbeiter*innen und die Begleitung von Anwärter*innen und Studierenden. Ich war gern Teil des dreiköpfigen Leitungsteams. Wir ergänzten uns gut und waren in unserer Haltung vereint.

Es war genau diese kreative Position, die ich angestrebt hatte, und in meinem Personalentwicklungsgespräch an meiner vorherigen Schule habe ich klar geäußert, dass ich didaktische Leiterin werden wollte. Mit diesem Ziel bin ich in die Initiativarbeit eingestiegen.

Es wurde schließlich eine Planungsgruppe einberufen und wir haben ein halbes Jahr lang nebenberuflich im Team die ersten Schritte für diese neue Schule geplant. Die Schule wurde praktisch mit mir zusammen eröffnet. Mein Ziel war es, Veränderungen zu bewirken. Obwohl ich schon an einer sehr innovativen Schule tätig war, bin ich von Natur aus ein rastloser Mensch.

Durch meine Erfahrungen als Tutorin und Fachbereichsleiterin wusste ich, dass es bei der Gründung einer neuen Schule viel Handlungsspielraum gibt, vor allem wenn man ein innovatives Team um sich hat. Diesen Gestaltungsspielraum wollte ich in einer Leitungsfunktion weiter nutzen. Vieles davon ist auch gelungen. Wir haben sehr innovative Konzepte entwickelt und sind dreizügig gestartet. Im darauffolgenden Jahr sind wir sogar auf vier Züge angewachsen. Ich habe viel selbst mitgestaltet, merkte jedoch mit dem zunehmenden Verwaltungsaufwand und dem Wachstum der Schule, dass ich immer weniger Möglichkeiten hatte, direkt am Unterrichts- und Schulleben teilzunehmen und Vorbild zu sein.

News4teachers: Welche Hürden gab es auf dem Weg?

Stefanie Göhmann: Für den starken Innovationsgedanken, den ich verfolgt habe, insbesondere die Idee, dass eine Gesamtschule wirklich eine Schule für alle sein sollte, hatte ich eine klare Vorstellung. Auch jemand, der dreimal von der Hauptschule geflogen ist, gehört für mich dazu, und ich bin überzeugt, dass wir einen Weg finden müssen, das zu ermöglichen. Doch mit der Zeit wurde mir immer deutlicher, dass dies nicht an allen Stellen umsetzbar ist und vor allem nicht von allen mitgetragen wird. Ich merkte, dass es von innen heraus schwierig ist, etwas zu bewegen, vor allem mit meiner unkonventionellen Art. Man muss sich sehr stark in das System und seinen Takt einfügen.

News4teachers: Was bedeutet für Sie Zufriedenheit im Job?

Stefanie Göhmann: Dass ich morgens aufstehe, in den Spiegel schaue und mir bewusst mache, dass ich mit der Haltung, die ich in meinem beruflichen Alltag lebe, im Reinen bin. Denn wir Erwachsenen tragen eine große Verantwortung – nicht nur in der Schule, sondern allgemein. Wir neigen dazu, immer alles erklären zu wollen, und besonders bei Kindern und Jugendlichen tun wir das sehr intensiv. Dabei verhalten wir uns oft so, als würden wir selbst keine Fehler machen. Doch ich glaube, wir müssen uns viel häufiger auf Augenhöhe begegnen, uns wirklich zuhören und uns die nötige Zeit füreinander nehmen. Wir können unsere Meinungen nicht einfach anderen aufdrücken.

Genau hier beginnt meine Zufriedenheit. Ich möchte etwas bewegen, um mehr Humanität in unser Miteinander zu bringen. Das war auch der Grund, warum ich Lehrerin geworden bin und warum ich Schulen begleiten und leiten wollte. Es ging mir nie um eine entsprechende finanzielle oder formale Anerkennung. Ich habe alles, was ich getan habe, mit viel Liebe und Leidenschaft gemacht. Ich bin überzeugt, dass wir in allen Bereichen wieder menschlicher miteinander umgehen müssen. Wir müssen pluraler denken und mehr auf unsere Mitmenschen achten. Daraus entwickelt sich dann eine Haltung, die eine wirklich inklusive und integrative Gesellschaft ermöglicht.

“Ich habe nach wie vor großen Respekt vor allen Kolleginnen und Kollegen, die jeden Tag versuchen, die großen und wachsenden Herausforderungen in der Schule zu meistern”

News4teachers: Durch den Wechsel in die Selbstständigkeit mussten Sie Ihren Beamtenstatus aufgeben…

Stefanie Göhmann: Das sind natürlich enorme finanzielle Einbußen. Für mich war jedoch klar, dass ich keine halben Sachen machen möchte. Ich kann nicht einerseits den Rettungsschirm des Beamtentums in Anspruch nehmen und andererseits mein eigenes Ding machen. Deshalb musste ich eine klare Trennung vornehmen.

Ich möchte aber klarstellen: Ich liebe den Beruf als Lehrerin – ich bin nicht davor weggelaufen. Im Gegenteil: Ich möchte ihn weiter mitgestalten und als „Bildungsarchitektin“ mehr Schüler*innen einen guten Lernraum sowie Lehrkräften mehr Zufriedenheit im Beruf ermöglichen. Ich habe nach wie vor großen Respekt vor allen Kolleginnen und Kollegen, die jeden Tag versuchen, die großen und wachsenden Herausforderungen in der Schule zu meistern. Ich durfte einige sehr inspirierende Lehrkräfte treffen, viel von ihnen lernen, weiß aber auch, dass insgesamt viel Fortbildungsbedarf und oftmals auch ein Haltungswechsel notwendig ist. Dabei kann jede und jeder selbst aktiv werden. Nina Odenius, Agentur für Bildungsjournalismus, führte das Interview.

https://cooltur-labor.de/

Immer mehr Lehrkräfte suchen den Ausstieg aus dem Schuldienst! Ein Interview über ihre Gründe – und ihre Möglichkeiten

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DieHoffnungstirbtzuletzt
1 Monat zuvor

Soso…ich liebe den Beruf und die Schüler, aber… Ich lasse mir immer gerne von vor Energie strotzenden Menschen mit unendlich vielen Ideen wie man ALLES besser, anders, effizienter macht, endlich die Schüler da abholt wo Sie sich gerade befinden. Jeden Einzelnen und streubt er sich noch so gegen unser Leistungsprinzip. Wer soll eigentlich in die vielen Berufe einsteigen, die unseren Alltag so begleiten? Müllfahrer, Einzelhandel, Kranken- und Altenpflege, Bauberufe, Reinigungsberufe, Kindergarten, Grundschule, Hauptschule in Brennpunkten, usw…??? Wenn wir Schule zur Spaßinstitution umfunktionieren, dann wird die Gesellschaft nicht mehr funktionieren. Es gibt einfach zu viele Arbeiten, die eben nur dann Spaß machen, wenn die Entlohnung stimmt…Ja ich würde mir auch gerne eine Schule bauen, die viele Gesichtspunkte der Dame berücksichtigt. Dafür wird es aber die nächsten Jahrzehnte weder Geld noch den politischen Willen geben…Und sich aus dem System verabschieden und dann tolle Vorschläge machen wie es die betroffenen, belasteten Personen besser machen sollen…finde ich ehrlich gesagt fast ein bisschen anmaßend.

Realist
1 Monat zuvor

Naja, das System zu verlassen und sich woanders einzubringen, ist schon ein konsequenter und mutiger Schritt. Frau Göhmann hat ja so ca. 10 Jahre im System Schule verbracht (“Beginn der Dienstzeit 2012”), da ist es wohl noch nicht zu spät, andererseits hat sie viele Erfahrungen gesammelt, wo die Problemstellen liegen. Insofern traue ich ihr deutlich mehr Expertise zu als irgendwelchen “Bildungswissenschaftler”, die die Schule nur aus der Elfenbeinturm-Perspektive kennen.

Das wir nicht alle aussteigen und “Berater” werden können, ist auch klar. Wobei, wenn wir ALLE aussteigen würden, wäre die Politik gezwungen, uns eine faire Vergütung (Stundensätze von Freiberufler ab 100€ aufwärts), eine faire Berechnung unserer Arbeitszeit (ja, die würden wir dann selbst erfassen!) und faire Arbeitsbedingungen zu bieten: Für verschimmelte Schulen oder “schwierige Klientel” würden wir dann das 2,3-fache berechnen oder das 3,5-fache (wie Ärzte…). Wird aber nicht passieren…

Einige Ideen von Frau Göhmann sehe ich aber skeptisch: “80-Minuten-Stunden”. Heißt dann nur mehr Lerngruppen und mehr Stunden für die Lehrkräfte. Woher sonst soll denn daraus eine “Doppelbesetzung” generiert werden? Oder “Gamification”. Wenn man es gut machen will, ist das wieder extrem aufwändig (soll ja wohl nicht bedeuten, dass man nur noch Kahoot spielt…) und das Leben besteht eben nicht nur aus Spaß…

Am Ende ist es wie immer das selbe Problem: Die Probleme in den Schulen (die ja nur ein Abbild der Gesellschaft sind) nehmen exponentiell zu, die Ressourcen, vor allem das Personal, reicht bei weitem nicht aus, und die Situation wird nicht besser werden, wenn man sich die internationale Lage ansieht (Politik, Wirtschaft, Migration, Kriege)…

Realistin
1 Monat zuvor
Antwortet  Realist

Wir brauchen dringend die
4-Tage Woche &
30% Homeschooling!

anka
27 Tage zuvor
Antwortet  Realistin

Und wie sieht es konzeptionell damit aus?
Ich frage nur, zum nunmehr dritten Mal.
Oder müssen wir Zweifler alle dumm sterben?

Leerkörper
30 Tage zuvor
Antwortet  Realist

Gerade die 80-Minuten-Stunden finde ich prima. Bei Corona haben wir das gemacht und gute Resultate erzielt.

Gerade sickert doch ein wenig Kenntnis und Wissen ins Hirn … und dann ist keine Zeit mehr für die Umsetzung.

Ist bei den 80-Minuten-Stunden anders – man hat Zeit und ist nicht so gehetzt.

Das revolutioniert nun nicht das ganze “Bildungs”system und in manchen Klassen wünscht man dich eher 10-Minuten-Stunden, doch es wären nur drei Fächer zum Vorbereiten – für Lerner und Lehrende.

Realist
26 Tage zuvor
Antwortet  Leerkörper

Sicher, dass Sie nicht 90-Minuten-Stunden “prima” finden?

Bei den “80-Minuten-Stunden” geht es darum, 10 Minuten zu gewinnen, um “Doppelbesetzungen” oder mehr Unterrichtsstunden anzubieten, was de facto einer Deputatserhöhung gleichkommt…

Tina
1 Monat zuvor

scheint eine hohe Dunkelziffer zu geben und momentan ist es draußen einfach attraktiver.
Belastung, Durchschnittsgehalt ohne Bonus, teilweise 50 Stunden Woche und Pension immer später.
Für Akademikerinnen gibt es da draußen viel besseres.
Das Angebot stimmt nicht mehr und junge Leute kommen kaum noch nach!

Realistin
1 Monat zuvor
Antwortet  Tina

vor allem Bildungsurlaub, Zeitausgleich, Geld in Urlaubstage bringen (oft 8-10Tage) und Homeoffice (gerne montags und freitags zuhause)
deshalb 4-Tage Woche und 30% Homeschooling für Lehrkräfte auf den Weg bringen!

anka
25 Tage zuvor
Antwortet  Realistin

Und wie sieht es konzeptionell damit aus?
Ich frage nur, zum nunmehr vierten Mal.
Oder müssen wir Zweifler alle dumm sterben?

vhh
1 Monat zuvor

Wir müssen dafür da sein, dass möglichst viele (eigentlich alle) Schüler am Ende die fachlichen und Kompetenzziele erreichen. Die Vorschläge klingen aber nach ‘Hauptsache Spaß, Ergebnisse kommen schon irgendwie’ (Gamification, Haptik, Schauspiel, unterschiedliche Maßstäbe beim Sozialverhalten usw.). Eine didaktische Leitung mit Schwerpunkt im musisch-kulturellen Bereich kann im Fach Darstellen und Gestalten sicher spannend unterrichten, da helfen die Entlastungsstunden und der Lehrplan, auch die intrinsische Motivation derer, die dieses Fach wählen. Wenn der Mathekollege allerdings nach ‘nichts funktioniert’ die Idee ‘Kugeln und anderes Material’ ablehnt, hat er vermutlich auch fachliche Gründe dafür. Es könnte an den zentralen Prüfungen am Ende liegen und an Abstraktion als wichtigem Aspekt. Einfach mal über den Zaun sehen, Vorurteile sind zwar einfacher, aber auch im MINT-Bereich haben die KuK Gründe, ihren Unterricht so zu halten wie sie es tun. Sie beissen auch nicht und wenn sie Zeit haben, erklären sie das sogar.
“…Lernentwicklungsberichte und kompetenzorientierte Rückmeldungen einführen und neue Bewertungsformen finden. Weg vom bloßen Auswendiglernen, hin zu mehr praktischen Erfahrungen”. Berichte und Rückmeldungen sind großartig, alle Schüler und Eltern lesen sie begeistert und kommen zum Sprechtag, um sie dort detailliert zu besprechen, weiß doch jeder. Wer lernt noch auswendig? Vokabeltests mit Schnitt 5,1 sind nicht ungewöhnlich. Weg damit, wer braucht Vokabeln, die Ergebnisse werden sofort besser? Die bedeuten dann nur nichts mehr. Praktische Erfahrungen in Form von Projekttagen, außerschulischen Lernorten und Ausstellungen machen kontinuierlichen Unterricht inzwischen oft unmöglich, bei zweistündigen Fächern ist gerne mal zwei Wochen Pause.
Wir sind in der Schule, um Schülern bei ihrer fachlichen und sozialen Entwicklung zu helfen. Die meisten kommen nicht nur aus Spaß am Lernen, darum am besten mit Empathie und halbwegs interessant. Wir sind nicht in der Schule, um uns selbst zu verwirklichen, insofern ein konsequenter Schritt, etwas anderes zu versuchen.
Die Sprüche zum Fortbildungsbedarf und Haltungswechsel, von einer anderen Kultur, sind allerdings unnötig und nur das, Sprüche. Von einer Lehrerin, die sich nicht mit der Notwendigkeit von Kompromissen abfinden kann und will, die scheinbar aus ihrer Leitungsfunktion die durchgehende Überlastung des Kollegium zum großen Teil nur als Haltungsproblem sieht. Niemand kommt auf die Idee im laufenden Maximalbetrieb, alle Mitarbeiter an ihrer Leistungsgrenze, einen Betrieb komplett umzubauen. Didaktische Leitung bedeutet nicht nur Konzepte entwickeln, es geht um Konzepte, die realisierbar sind, ohne dafür Unmögliches fordern zu müssen. Die U30 sehen Work-Life-Balance, die Ü40 sind inzwischen fast alle gesundheitlich angegriffen, aber es liegt ja eigentlich an der innovationsfeindlichen Einstellung.
Glückwunsch, Textende erreicht (sorry).

Katze
1 Monat zuvor

Ein Mitmach-Zirkus und Glück als Schulfach, weg vom bloßen Auswendiglernen, hin zu mehr Gamification, zu mehr Haptik und Schauspiel wieder stärker integriert. Oh, ja. Oh, unbedingt!
Das ist es, was ernsthafte fachliche Bildung besonders im MINT-Bereich wieder beflügeln wird. Übrigens mit “bloßem” Auswendiglernen hat wissenschaftspropädeutische MINT-Bildung noch nie funktioniert. Das Erwerben von Fakten- und Basiswissen ist nur die Grundlage für das Erfassen von Gesetzmäßigkeiten und die Fähigkeit des Anwendens auf komplexe neue Zusammenhänge. Ach egal, viel zu anstrengend und fordernd.
“Stattdessen könnte man Modelle wie den 80-Minuten-Unterricht einführen, bei dem durch geschickte Planung zusätzliche Ressourcen, wie eine Doppelbesetzung, generiert werden.”
Oh, du rosa Wolke vor dem Kuckucksheim.
In unseren schon lange eingeführten 90-Minuten-Unterricht, kommen sich MINT-Kollegen
durch die immer stärker forcierte Verflachung im fachlichen Anspruch und die uns aufgezwungene Abkehr von angemessenen Forderungen an die kognitiven Fähigkeiten und an die emotionale Leistungsbereitschaft der SuS zunehmend wie Fehlbesetzungen vor, bei welchen ein Verschleiß der physischen und psychischen Ressourcen generiert wird.
„Dann bring doch mal Kugeln oder anderes Material mit.“ Daraufhin meinte er: „Wir sind doch hier keine Förderschule.“ Diese Denkweise – meine ich – müssen wir überwinden.
Wer sind wir? Was dürfen wir noch denken und fordern neben all dem Fördern? Aber keine Sorge, bald gibt es KuK mit dieser Denkweise an unseren Schulen nicht mehr.
Dann können die gequälten und durch uns überstrapazierten SuS endlich aufatmen. Alles wird neuer und besser.
O-Ton vom Mathe-Kollegen: “Ich glaub, ich geb mir die Kugel”.
umgangssprachlich; “Ich geb mir die Kugel” ist meist nicht ernst gemeint und soll eher zum Ausdruck bringen, dass es etwas gibt, was einen zur Verzweiflung treibt oder Überdruss erzeugt.
Sag ich doch, Überdruss im Überschuss und kein Talent zum Schauspieler, Gamificator oder Animateur im Fühli-Fühli-Mitmach-Zirkus, aber als “anderes Verschleißmaterial” bestens geeignet.
Ich glaube, ich werde meinen Kollegen zum Weihnachtszirkus als Doppelbesetzung einladen. Um das fachliche Abspecken und den Schauspielunterricht kümmern wir uns dann im neuen Jahr.

Frohes Fest!

vhh
1 Monat zuvor
Antwortet  Katze

S.o., wir leben wohl alle im gleichen Film.
Ein wenig Rechnen und etwas Biologie, das reicht doch als MINT. Nennen wir dann NaWi und streichen jedes Jahr die Hälfte vom restlichen Physik- und Chemiestoff. Dann wären wir nach zwei Jahren bei Null, oder, Moment mal, dauert das nicht vier Jahre oder noch länger oder wie? Egal, was mit plus und minus nicht geht, braucht sowieso niemand.
Einfach Reagenzgläser und Spritzflaschen als Spielgeräte aufbauen, Schüler zufrieden, Eltern zufrieden, Schulleitung zufrieden, nur FachlehrerIn unzufrieden. Das nennt man wohl Optimierung, erfordert nur einen mentalen Reboot.(vielleicht hat @447 dazu hilfreiche Ideen…?)
Schöne Feiertage!

Tobias
1 Monat zuvor

Einiges davon könnte man gerade mit Blick auf die Ergebnisse, die derzeit erzielt werden, genau anders sehen.
Z. B. denke ich, dass heutzutage deutlich zu wenig auswendig gelernt wird. Es ist einfach ein gutes Training für das Gehirn.
Weniger Medien, weniger Gamification etc. wären gerade angesagt, mehr Lesen, Schreiben, Rechnen und auswendig lernen. Und weniger den SuS das Gefühl vermitteln, sie werden ihr Leben lang da abgeholt, wo sie stehen und jeder hat immer unendlich Verständnis für sie.
Wenn sie nach der 10 Klasse die Schule verlassen und in einer Ausbildung arbeiten sollen, dann wird es nämlich auch nicht so laufen.
Ist natürlich eine Grundsatzfrage: Sind die Ergebnisse so schlecht im Vergleich zu früher, weil wir zu wenig auf die SuS eingehen oder weil wir zuviel Gamifacation, Medieneinsatz und haptisches Lernen statt abstraktem Lernen machen.

Hannah Halloumi
1 Monat zuvor

Spannende Lektüre! Nur eine Frage bleibt am Ende:

…wenn im “festgefahrenen System” doch “zu wenig Impulse aufgenommen” wurden,
…wenn Videospiele als “entscheidendes Werkzeug zur Förderung von MINT und Lesekompetenzen” nicht genug Einsatz fanden,
…wenn “etablierte Regeln und Regularien hingenommen und nicht ausreichend hinterfragt” wurden,
…wenn die “traditionellen Noten” keinen Sinn ergaben,
…wenn Schule geprägt war vom “bloßem Auswendiglernen”,
…wenn es im “System von vorgestern” so stark “praktischen Erfahrungen, Gamification und Haptik” mangelte…

wie kommt es dann, dass dieses alte, verknöcherte, träge System über Jahrzehnte hinweg in der Lage war, der breiten Masse an Schüler*innen, selbst solchen aus “einfachen”, nicht-akademischen Verhältnissen, solide Grundkompetenzen, Kulturtechniken und Teilhabefähigkeiten zu vermitteln, und, mehr noch: einen zunehmend größeren Anteil (~40% schon ums Jahr 2000) von ihnen sogar zu anspruchsvollen Universitätsstudien in mitunter hochkomplexen, voraussetzungsreichen Wissenschaften zu befähigen?

Was hatten die Generationen von Lehrer*innen (Erziehungswissenschaftlerinnen, Bildungspolitikern usw.) in den, sagen wir, 1950er bis 1990er-Jahren noch “auf dem Kasten”, das uns heute so bitter fehlt? Wie haben die das geschafft, damals, ganz ohne praktische Erfahrungen und Gamification, dass die Leute trotzdem z.B. Germanistik studieren konnten, *ohne* dass sie erstmal ein Semester lang sich mit dem Kennenlernen der Unterschiede zwischen Drama, Lyrik und Prosa befassen mussten?

“Mir hat es sehr gut gefallen, dass wir über verschiedene Autoren gesprochen haben, da ich mich bisher mit deutscher Literatur nicht so viel beschäftigt habe. Mir hat es auch gefallen, dass wir auf die Unterschiede zwischen Drama, Prosa und Lyrik eingegangen sind. Ich wusste natürlich, dass es welche gibt, aber die Frage ist dann: Welche? Jetzt weiß ich es.” (Josefine, Erstsemesterin Goethe-Universität Frankfurt, über ihren dortigen Vorbereitungskurs 2017)

Weiß da jemand mehr?

Fräulein Rottenmeier
1 Monat zuvor

Interessante Vita, die Frau Göhmann hat (die Homepage ist allerdings sehr gruselig und nichts für Augen ab 50 Jahren….flimmer, Glimmer, Schrift unleserlich vor schwarzem Hintergrund…uhhhhh), allerdings habe ich den Eindruck gewonnen, dass sie zwar kreative Ideen hat, aber vom Alltagsgeschäft noch nicht ganz so viel abbekommen hat. Nach eben mal drei Jahren nach dem Referendariat Konrektorin werden (da hat man sich eigentlich als normale Lehrkraft gerade so eingearbeitet) und in wenigen Jahren zweimal die Schule gewechselt mit tausend Sachen noch noch nebenbei. Das zeugt eigentlich davon, dass sie im Aufbau von Konzepten groß ist, aber nicht lange genug bleibt, um auch zu schauen, wie sie funktionieren, wo die Schwachstellen sind, ob es den erwünschten Erfolg hat, wo was geändert werden muss…und ob sie selber mit ihren Konzepten gearbeitet hat? Wer weiß….
Ich wills gar nicht schlechtreden, würde aber ihr Expertise aufgrund fehlender Erfahrung eher nicht in Anspruch nehmen, sondern mir lieber best practice (z.B. gelebte Lernstudios) an Schulen anschauen und mich dort von funktionierenden Konzepten inspirieren lassen….

anka
25 Tage zuvor

Hier spricht die Praxis.

Anne
1 Monat zuvor

Den Schuldienst kündigen, um pädagogisch mehr zu bewegen??
Jeder einzelne Lehrer im Schuldienst ist meiner Vorstellung nach viel wichtiger als die vielen Experten und Ratgeber von außen – auch wenn sie oder er sich für noch so berufen halten.

RenatD
1 Monat zuvor

“.. . Es ist schwer nachvollziehbar, dass heute noch an Hausaufgaben, ans Nachsitzen oder ans Abschreiben von Schulordnungen geglaubt wird. Viele Erwachsene scheinen vergessen zu haben, wie man sich mit 14 fühlt. .. “

Tatsächlich geht es um die Beziehungen- also wie waren die ?

Meist funktional? Also tue dies, dann bekommst du eine “2” und du bist gut, wenn du eine “5” bekommst, bist du ungenügend. Diese antrainierte Funktion wird, gerade von der LuL weitervererbt. Nicht (mehr) in der Lage einen anderen Zugang zu sich, zu anderen, zum Leben zu finden, ist da oftmals nichts als eine tiefe innere Leere. Von der, Kraft des Amtes, behauptet wird sie sei eine Tugend.

PaPo
1 Monat zuvor

“Stattdessen könnte man Modelle wie den 80-Minuten-Unterricht einführen, bei dem durch geschickte Planung zusätzliche Ressourcen, wie eine Doppelbesetzung, generiert werden.”
Wir haben an unserem Gymnasium so eine “neue Rhythmisierungsfor[m]” – ursprgl. Agens war wohl die ‘Entschleunigung’ des Unterrichts, um Stress zu reduzieren und den Schülern mehr Zeit zum Lernen, zur Bearbeitung von Aufgaben etc. zu gewähren.

Das Resultat ist, dass die Schüler sind im absoluten Gros am Ende einer derart ‘langen’ Unterrichtseinheit komplett erschöpft, ja i.d.R. ‘bereits’ nach einer 3/4 Std. fahrig im Denken, demotiviert etc. Und sie werden von Jgst. 5 an zur ‘Langsamkeit’ erzogen:
An der grundlegenden Phasierung einer Unterrichtsstunde ändert sich ja nichts, d.h. statt drei Mal 45 Min. Fachunterricht haben die Schüler dann zwei Mal 70 Min., aber wer meint, dass in der Zeit das Gleiche an Lehrinhalten bewältigt würde, wie in drei kürzeren Unterrichtsstunden, der irrt. Die zwei Unterrichtsstunden werden auch wie zwei Unterrichtsstunden wahrgenommen, man schafft also in zwei 70-minütigen Unterrichtsstunden i.d.R. lediglich so viel wie in zwei 45-minütigen Unterrichtsstunden. Und der Leistungsfähigkeit zeitigt das auch engative Effekte, so brauchen unsere Schüler im Schnitt doppelt so lang für jeden Arbeitsschritt wie an einer Schule mit 45-minütigen Unterrichtsstunden – 20 Min. Erarbeitungsphase werden 40 Min., bei gleichem Inhalt und Umfang, ein Text, der in 10 Min. gelesen und bearbeitet werden könnte, braucht mind. 20 Min.; etc. etc. etc.

Die allg. Erosion der Leistungsfähigkeit, -bereitschaft und -demonstration und die enorme Leistungsheterogenität auch infolge nicht stattfidnender leistungsbasierter Selektion und Allokation wirkt sich hier nochmal besonders dramatisch aus. Und es ist eben am Ende nicht dieselbe Leistung, wenn ich z.B. dieselbe Aufgabe in 20 oder erst in 40 Min. gelöst habe (wenn überhaupt).

Einziger ‘Vorteil’ ist, dass wir deutlich weniger Unterricht vorbereiten müssen (und max. fünf 70-min. Fachstunden am Tag haben). Und bevor die ü.V. kommen: Das ist ein fach- und kollegiumsübergreifendes Problem, betrifft auch andere Schule im Umrkeis, die ähnliche Modelle haben und wird mir auch von Kollegen bundesweit rückgemeldet.

“Wir müssten uns auch von den traditionellen Noten verabschieden. Stattdessen sollten wir Lernentwicklungsberichte und kompetenzorientierte Rückmeldungen einführen und neue Bewertungsformen finden.”
Wenn in diesen Zusammenhängen ein ‘Müssen’ postuliert wird, frage ich eigtl. immer: Warum? Also: Warum? Und: In der gegenwärtigen Situation mit der enormen Leistungsheterogenität, den überfüllten Lerngruppen, von denen wr ohnehin viel zu viele pro Kollegem unterrichten, der immer weiter überbordenden Aufgaben, Verwaltungs- und Dokumentationspflichten, klingt das maximal kontraproduktiv, um die Produktivität und Motivation der Kollegen aufrecht zu erhalten und den Beruf attaktiv(er) zu machen.

“zu mehr Gamification”
OK, gerne.

“Wir brauchen mehr individuelles Lernen und Differenzierungskonzepte. Es kann nicht sein, dass alle Schülerinnen und Schüler den selben Zettel bearbeiten.”
Und abermals: Warum?
Bei zieldifferentem Unterricht mag das sinnvoll sein, wobei man dann auch gleich E-Kurse und G-Kurse o.ä. einführen kann, statt an einer weiterführenden Schule lerngruppenintern derat zu fdifferenzieren (s.o. zur allg. Überlastung der Lehrer).
Dort, wo zielgleich utnerrichtet wird, ein ganz klares: Nein (spätestens bei der LEsitungsüberprüfung)! ich ahtte hier vor ein paar jahren entsprechende Ideen des Dezernats auf dem Tisch, wie das bei uns in Englisch in der Zukunft aussehen könnte, bspw. bei der Textanalyse: Die einen bekommen eine klassische Analyseaufgabe (‘analyse the […]’), die anderen Lückentexte, Satzbausteine und Co., die sie lediglich richtig arrangieren müssen und die dritten irgendwelche multiple– oder gar single-choice-Aufgaben, aber alle sollen dann am Ende bei gleicher Note das gleiche geleistet haben… nein, einfach nein.

“Wir müssen auch beim Sozialverhalten differenzieren. Wir können nicht erwarten, dass Kinder, die in schwierigen häuslichen Umständen aufwachsen, sich so verhalten wie jene, die in stabilen finanziellen und emotionalen Verhältnissen leben.”
Wahrscheinl. nicht, aber im Rahmen unserer Erziehungs-, d.h. unserer Sozialisations-/Enkulturationsaufgabe muss zu einem Zeitpunkt X dann (nach aller Förderung und Co.) doch Sozialverhalten Y (von dem ja auch Leistungsfähigkeit, -bereitschaft und -demonstration abhängen) gegeben sein, auch im Interesse der gesamten Lerngruppe.

“Vor allem brauchen wir eine andere Fehler- und Feedbackkultur.”
Als welche?

“Wir sollten Vertrauen schenken, anstatt ständig zu sanktionieren.”
Tun wir das nicht?

“Wie wäre es zum Beispiel, im Klassenbuch auch mal positive Kommentare zu hinterlassen, wie: ‘Die Klasse hat heute 15 Minuten mucksmäuschenstill gearbeitet, ich bin stolz auf euch.'”
Ist nicht Sinn und Zweck eines Klassenbuchs. Und warum absolute Selbstverständlichkeiten ‘belohnen’ (ja, ja, ja… positive Verstärkung und so, I know).

“Es ist schwer nachvollziehbar, dass heute noch an Hausaufgaben […] geglaubt wird.”
Oh man…

Ragnar Danneskjoeld
29 Tage zuvor
Antwortet  PaPo

Ein Hinweis zu den 80-Minuten-Stunden: an meinem neuen Gymnasium fahren wir auch das sog. “Doppelstundenmodell”. Damit muss aber eine andere Unterrichtsdramaturgie einher gehen, sprich: im ersten Teil (der sich ja nicht automatisch auf 45 Minuten reduziert, es dürfen auch 50 oder 60 sein) muss geklotzt werden, aber die verbleibende Zeit kann und muss dann entstresster gearbeitet werden. Das ist aber problemlos machbar. Nach meiner Erfahrung kommt auch nicht mehr oder weniger Inhalt an, aber man ist tatsächlich entspannter dabei. Dass “in zwei 70-minütigen Unterrichtsstunden i.d.R. lediglich so viel wie in zwei 45-minütigen Unterrichtsstunden” vermittelt wird, kann ich definitiv nicht bestätigen.

PaPo
29 Tage zuvor

Das ist aber unser Konzept.
Und wenn ich mit ‘Gewalt’ mehr ‘reinsrücken’ wollte, würde das nicht funktionieren. Die Schüler sind nach einer 70er-Unterrichtsstunde schon erschöpft, wären dann noch erschöpfter… und müssten dass dann noch vier weitere Stunden pro Tag ertragen.

Na ja
29 Tage zuvor

Ich habe es ähnlich wie PaPo erlebt bei einem 60-Minuten-Modell: Das Argument lautete “Entschleunigung”und das ist auch so eingetreten. Am Ende des Schuljahres waren immer noch so viele Themen übrig…

vhh
29 Tage zuvor

Einzelstunden: Sprachfächer sind zufrieden, am besten jeden Tag, kann ich gut nachvollziehen
Doppelstundenbänder (90 min, Pause wenn/wann sinnvoll): NW, Kunst, Technik, Sport usw sind glücklich, die Stunden hören nicht mehr vor der Auswertung des Versuchs auf.
Ein Dilemma, das sich wohl nicht lösen lässt, wir haben seit einigen Jahren größtenteils 90 min, es hat sich etwas eingespielt, das bei der Erstellung des Stundenplans zu berücksichtigen. Die Stunden sehen tatsächlich etwas anders aus, nur die armen Referendare müssen alles in die eine Demostunde packen, auch für die SuS mittlerweile ungewohnt.

mx304
18 Tage zuvor
Antwortet  PaPo

“Wir müssten uns auch von den traditionellen Noten verabschieden. Stattdessen sollten wir Lernentwicklungsberichte und kompetenzorientierte Rückmeldungen einführen und neue Bewertungsformen finden.”

Ich habe 20 Fächer (1 bis 4 Fächer in 9 Klassen) zu unterrichten und in jedem dieser Fächer zu benoten.

Sollte also in diesen Klassen, unrealistischerweise, nur 20 Schüler sein, dann hätte ich (weil ja als Ersatz für die Noten) nur 400 Berichte zu schreiben?!

PaPo
5 Tage zuvor
Antwortet  mx304

Daa Zitat ist nicht von mir.

Canishine
1 Monat zuvor

Liebe Redaktion, vielen Dank für Ihr Jahreswerk, frohe Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr.