Sachsen: 15.000 Lehrer streiken – Tillich massiv unter Druck

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DRESDEN. Der Zustrom hat selbst die Lehrergewerkschaften überrascht: 9.000 der insgesamt 32.000 Lehrer in Sachsen würden sich wohl am Warnstreik beteiligen, sagte die Landesvorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, Sabine Gerold, voraus – tatsächlich versammelten sich allein vor dem Landtag in Dresden 15.000 Menschen, um für einen sogenannten Generationen-Tarifvertrag zu demonstrieren. Laut Landtagsverwaltung war dies die größte Demonstration, die es je vor dem Parlament gab.

"Keine Faxen für Sachsen" hatte Stanislaw Tillich im Wahlkampf versprochen: Bemaltes CDU-Plakat. Foto: acidpix / Flickr (CC BY 2.0)
„Keine Faxen für Sachsen“ hatte Stanislaw Tillich im Wahlkampf versprochen: Bemaltes CDU-Plakat. Foto: acidpix / Flickr (CC BY 2.0)

Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) gerät wegen der Schulpolitik zunehmend unter Druck. Innerhalb seiner Partei ist ein heftiger Streit ausgebrochen, der Ende der vergangenen Woche im Rücktritt des bildungspolitischen Sprechers der CDU-Fraktion, Thomas Colditz, gipfelte.

Dazu jetzt der Warnstreik. Der Unterricht lief auf Sparflamme: Wegen des Warnstreiks der sächsischen Lehrer betreute an vielen Schulen im Freistaat nur eine Notbesetzung die Kinder und Jugendlichen. Die Lehrergewerkschaft GEW und der Sächsische Lehrerverband (SLV) fordern einen Demografie-Tarifvertrag. Dieser soll mit neuen Regelungen zur Altersteilzeit die Einstellung junger Pädagogen ermöglichen. Dies sei nötig, um bei steigenden Schülerzahlen den Unterricht langfristig zu sichern, sagte der SLV-Vorsitzende Jens Weichelt. Bereits jetzt wanderten viele Lehramts-Absolventen in andere Bundesländer ab. Sachsens Regierung hatte solche Verhandlungen bislang abgelehnt.

Anlass für die Proteste war der Auftakt der Beratungen zum Haushalt für die Jahre 2013/14, dessen Entwurf zur gleichen Zeit in den Landtag eingebracht wurde. Sachsens Finanzminister Georg Unland (CDU) zeigte sich dabei hart. Er lehnte erneut Verhandlungen für einen Generationen-Tarifvertrag ab. «Die Altersteilzeit löst nicht unsere Probleme, sondern verschärft sie. Altersteilzeit leistet keinen Beitrag zur Sicherung der Unterrichtsversorgung», sagte der Minister im Landtag in Dresden, als er die Schwerpunkte des Doppelhaushalts 2013/14 vorstellte. Durch Altersteilzeitregelungen würde Sachsen mehr Lehrkräfte verlieren als ausgebildet und eingestellt werden könnten, sagte der Minister. Ziel müsse es sein, die Unterrichtsversorgung zu sichern, «und nicht Partikularinteressen zu bedienen».

Auch CDU-Fraktionschef Steffen Flath erklärte im Landtag, er habe kein Verständnis für den Lehrerwarnstreik zu Beginn des Schuljahres. Es stimme, dass es Bundesländer gebe, in denen Lehrer weniger arbeiteten und mehr verdienten als Pädagogen in Sachsen. Im Vergleich mit anderen Berufsgruppen gehe es den Lehrern in Sachsen aber zugleich auch besser. «Es wäre ungerecht, hier draufzusatteln», sagte er zu Forderungen nach besserer Bezahlung.

Der ehemalige bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Thomas Colditz, äußerte hingegen Verständnis, dass die Lehrer bei den Protesten auch eine bessere Bezahlung forderten. «Sachsens Schulen liegen in bundesweiten Vergleichen an der Spitze. Das muss irgendwann honoriert werden.» Colditz hatte Ende vergangener Woche im Streit um eine zukunftsfähige Schulpolitik das Handtuch geworfen und war von seinem Amt als bildungspolitischer Sprecher zurückgetreten.

„Die Bildungspolitik der CDU ist in der Krise“, sagte Colditz in einem Interview mit der „Zeit“. „Die FDP treibt uns vor sich her. Mit ihrem unbedingten Willen, die Mittelschule in eine »Oberschule« umzuwandeln, ohne das tatsächliche Problem zu lösen – den Lehrermangel. Ein verzweifelter kleiner Koalitionspartner will sich profilieren, und wir gebieten dem keinen Einhalt! Wir wollen groß »Oberschule« über den Eingang der Mittelschulen schreiben, aber drinnen fehlen immer noch die Lehrkräfte. Ich weigere mich, so einen Etikettenschwindel mit zu verantworten.“ Vor Colditz war Roland Wöller (CDU) vom Amt des Kultusministers zurückgetreten.

„Tillich versteckt sich“

Auch am Ministerpräsidenten übt Colditz scharfe Kritik:  „Wenn der Unterricht ausfällt, wird es kritisch. Dann werden Sie abgewählt. Und deshalb verstehe ich nicht, dass Stanislaw Tillich ein so wichtiges Thema nicht zur Chefsache macht. Er versteckt sich hinter seinen Ministern, damit nichts auf ihn zurückfallen kann. Wenn um Geld für die Schule gestritten wird, kann ein Kultusminister aber gegen den Finanzminister nur verlieren! Da muss Tillich doch mal ein Machtwort sprechen, er hat die Richtlinienkompetenz. Stattdessen machen wir Finanzpolitik, als ginge morgen die Welt unter. Strategisches Denken gibt es nicht mehr. Das betrifft nicht nur die Bildung.“

Die SPD-Landtagsfraktion sprach noch einmal von einer falschen Bildungspolitik. «Es wird derzeit nicht mehr über die Qualität der Schule gesprochen, sondern nur noch über die Absicherung des Unterrichts», sagte Fraktionschef Martin Dulig. Die Koalition habe mit der Neueinstellung von Lehrern zum Schuljahresbeginn lediglich Beruhigungspillen verteilt. Er nehme derzeit nur Durchhalteparolen von CDU und FDP wahr. Zukunftsfähige Bildungspolitik sehe anders aus.

Dulig unterstrich mit Blick auf die Haushaltsberatungen, dass sich seine Fraktion auf das Thema Bildung konzentrieren werde. Die Überlegungen müssten aber weit über die kommenden beiden Jahre hinausgehen. «Wir wollen langfristig, dass für die Bildung genau so viel Geld ausgegeben wird, wie für die Absicherung der Landesbank eingeplant ist.» Sachsen bürgt für mögliche Ausfälle bei der inzwischen verkauften Bank mit 2,75 Milliarden Euro. Diese Summe solle in den kommenden zehn Jahren in Kitas und Schulen fließen, von Investitionen bis hin zu Lehrerstellen, forderte Dulig.

SPD-Bildungsexpertin Eva-Maria Stange sprach mit Blick auf das neue Schuljahr von einem Krisenjahr. Sie äußerte Verständnis für den Lehrerwarnstreik. Altersteilzeitregelungen und Chancen für junge Lehrer, wie sie die Gewerkschaften mit dem Warnstreik einfordern, seien überfällig.

Das Kultusministerium widersprach: «Die Unterrichtsversorgung ist voll gesichert», hieß es in einer Erklärung. Das Schuljahr stehe nicht auf der Kippe. Alle 919 Lehrer, die im vergangenen Jahr aus dem Dienst ausgeschieden seien, seien ersetzt worden. Angesichts weiterer Maßnahmen wie der Gelder für Honorarkräfte laute das Fazit: «Damit wird das neue Schuljahr besser als das vorangegangene.»

Ob das reicht, um die Debatte zu beruhigen, bleibt abzuwarten. Klar ist aber schon jetzt: Der Schulstart ist für Ministerpräsident Stanislaw Tillich verhagelt. dpa/bibo (6.9.2012, aktualisiert am 7.9., 16.30 Uhr)

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