Geschlechter getrennt unterrichten? Die Kanzlerin unterstützt Löhrmann

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DÜSSELDORF (Mit Kommentar). Der Vorstoß von NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne), Schülerinnen und Schüler zeitweilig und in bestimmten Fächern getrennt nach Geschlechtern zu unterrichten, hat eine lebhafte pädagogische Diskussion ausgelöst. Aufgeschlossen zeigten sich Lehrerverbände. Und die Kanzlerin. Widerspruch kam von der Schüler Union (SU), von der Piraten-Partei  – und aus der Wissenschaft.

Hält nach Geschlechtern getrennte Experimente in den Naturwissenschaften für sinnvoll: Bundeskanzlerin Angela Merkel (selbst Physikerin). Foto: Aleph / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.5)
Hält nach Geschlechtern getrennte Experimente in den Naturwissenschaften für sinnvoll: Bundeskanzlerin Angela Merkel (selbst Physikerin). Foto: Aleph / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.5)

„Sicherlich hat Frau Löhrmann Recht, dass Menschen einen unterschiedlichen Zugang zu Lerninhalten haben. Die Verkürzung auf die Geschlechterrollen greift an dieser Stelle aber deutlich zu kurz“, befand der SU-Vorsitzende Lutz Kiesewetter. Stattdessen müsse der Lehrer in seinem Unterricht bei Bedarf der gesamten Klasse verschiedene Zugänge zu den Unterrichtsinhalten vermitteln. Darüber hinaus sei es für die Persönlichkeitsentwicklung wichtig, gemeinsam mit dem anderen Geschlecht zu lernen. „Nur so bereiten wir unsere Schüler auch auf das spätere Leben vor“, meinte der Chef der CDU-nahen Jugendorganisation.

„Die Aussage der Ministerin, dass Mädchen sich eher mit Chemie anfreunden könnten, wenn sie wüssten, dass man damit Kosmetika herstellen kann, ist besonders peinlich“, sagte Klaus Hammer, Bildungspolitiker der Piratenpartei in Nordrhein-Westfalen. Der Landesverband teile dieses „bemerkenswert sexistische Klischee“ nicht. Löhrmanns Vorschlag führe ohnehin in die falsche Richtung. „Es ist gut und sinnvoll, Schülern entsprechend ihrer Interessen und ihrer Vorkenntnisse Bildungsangebote zu machen. Die Geschlechtertrennung löst aber nicht die Probleme, die durch fehlende Qualität des Unterrichts entstehen“, erklärte Hammer.

Kritisch gegenüber Löhrmanns Vorstoß zeigte sich auch der Siegener Erziehungswissenschaftler Prof. Hans Brügelmann. Unterschiede in den Mittelwerten bei nach Geschlechtern getrennt erhobenen Leistungsdaten gebe es durchaus, allerdings sei die Streuung innerhalb der Jungen- und Mädchengruppen wesentlich größer. Brügelmann: „Darum macht es wenig Sinn, nach Geschlecht zu trennen, wie auch nicht nach Schicht, Religion oder Herkunft.“ Besser sei es, Schülerinnen und Schüler Themen und Aufgaben nach ihrem jeweiligen, individuellen Bedarf selber wählen zu lassen. „Und dann am wichtigsten: Es muss ein Raum angeboten werden, in dem die Unterschiede zum Austausch kommen, damit Kinder auch ‚das Andere‘ kennenlernen.“  Nur der koedukative Unterricht biete die Chance, Probleme und Stereotype zu thematisieren und mit ihnen umzugehen.

Was hält der Bildungsforscher davon, wenn Schulen etwa in den Stufen 7 bis 9 zeitweilig und in bestimmten Fächern oder zu bestimmten Themen die Geschlechter trennen, um pubertäres Verhalten einzudämmen? Brügelmann: Eine phasen- oder themenweise Trennung könne sinnvoll sein, auch nach Geschlecht – wenn sie sich an den besonderen Bedingungen vor Ort orientiere. Das heiße konkret: „nicht von oben,  sondern als mit den Schülern und Schülerinnen gemeinsam abgestimmte Lösung konkreter Probleme“, erklärte er gegenüber News4teachers.

„Auch Lehrerinnen und Lehrer arbeiten unterschiedlich“

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Philologenverband begrüßten hingegen Löhrmanns Idee uneingeschränkt. „Davon würden beide Geschlechter profitieren“, sagte Maike Finnern, Vize-Vorsitzende der GEW NRW gegenüber dem Nachrichtenportal „Der Westen“. Sie erhoffe sich auch eine positive Wirkung auf „Sorgenkinder“ in den Klassen. Das seien oft Jungs, die sich in Gegenwart der Mädchen ständig profilieren müssten und dadurch stark abgelenkt seien. Finnern schlug dem Bericht zufolge vor, die Mädchen von Lehrerinnen, die Jungen von Lehrern zu unterrichten. „Nur so ist der gewünschte Effekt gewährleistet. Denn auch Lehrerinnen und Lehrer arbeiten unterschiedlich.“

Auch Peter Silbernagel, Vorsitzender des Philologenverbandes NRW, sieht laut „Westen“ Vorteile vor allem während der Pubertät. Die Lehrer müssten aber in Fortbildungen darauf vorbereitet werden. „Die Jungen sind in dieser Phase häufig dominanter im Unterricht. Dadurch könnten sich Mädchen eingeschüchtert fühlen.“ Auch habe sich gezeigt, dass sich in reinen Mädchenschulen mehr Schülerinnen für Leistungskurse wie Physik und Informatik entscheiden.

Löhrmann hatte gesagt:  „Es kommt darauf an, dass wir dem unterschiedlichen Zugang von Jungen und Mädchen zum Lernen gerecht werden.”  Möglich seien zeitweilig getrennte Kurse oder nach Jungen und Mädchen getrennte Gruppen in einer Klasse zur Bearbeitung bestimmter Themen – auch unter verschiedenen Aufgabenstellungen. Dies könne – zumindest zeitweise – etwa in Naturwissenschaften, Mathematik oder Informatik sinnvoll sein. Eine komplette Trennung sei dafür aber nicht nötig, betonte sie.

„Lehrkräfte müssen darauf vorbereitet werden, dass Mädchen einen anderen Zugang brauchen, um anzubeißen”, sagte die Grünen-Politikerin. “Mädchen brauchen eher einen Anwendungsbezug, während viele Jungen Technik an sich fasziniert.” In Chemie etwa wollten Mädchen vor allem wissen: Wofür brauche ich das? Löhrmann: „Wenn sie dann wissen, dass das zum Beispiel für Kosmetik interessant ist, haben sie einen eigenen Zugang.”

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ bereits vor einigen Wochen ihre Sympathie für den Vorschlag erkennen, Mädchen in den naturwissenschaftlichen Fächern öfter getrennt von den Jungen experimentieren. Das ermögliche ihnen die notwendigen Erfolgserlebnisse, um sich für eine Ausbildung in technischen Fächern zu begeistern. Nach ihrer Erfahrung seien Jungen nicht immer besser oder schneller. Sie gingen jedoch häufig als erste ans Werk und besetzten die Geräte, während den Mädchen die Zuschauerrolle bleibe. Sie selbst habe sich im Physik-Studium bei Experimenten auch zurückgehalten, sagte Merkel. NINA BRAUN

 

 

 

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sofawolf
11 Jahre zuvor

Ob das gut ist oder schlecht, wage ich mir im Moment nicht einzuschätzen, aber es wundert mich, dass dieser Vorschlag in einer Zeit kommt, wo man überall eher alles zusammenschmeißen will und sich davon Positives verspricht: z.B. behinderte und nicht-behinderte Kinder; Kinder unterschiedlichen Alters (Stichwort JÜL); längeres gemeinsames Lernen. Warum ist überall das Gemeinsame das Bessere, aber im Falle des Geschlechts soll es das Trennende sein???

ingwertee
11 Jahre zuvor

Gute Frage, sofawolf. Ich bin auch etwas ambivalent was Koedukation betrifft. Grundsätzlich denke ich, der Trend zum gemeinsamen Lernen sollte fortgesetzt werden und dennoch in jedem konkreten Fall überlegt werden, ob nicht für bestimmte Fächer – Themen – wie auch immer – wieder phasenweise getrennt wird. Zumindest bei jahrgangsübergreifenden Lerngruppen der Jenaplanschulen ist es doch auch so, dass es dort dann auch Niveaugruppen für Mathe und Deutsch gibt, in anderen Fächern aber dann wieder zusammen gelernt wird. Für Kinder mit besonderem Förderbedarf wäre das doch sicher auch sinnvoll,einerseits integriert in eine Regelklasse, andererseits aber auch besondere Förderangebote wahrnehmen zu können. Ebenso könnte das dann auch für Pupertierende gelten, die in einigen Fächern in Mädchen und Jungs getrennt werden. Ich könnte mir vorstellen, dass davon auch die Jungs profitieren könnten, nicht nur die Mädchen, wie es meist berichtet wird.