Zehn Jahre Bologna: Rektoren halten Reform für verfehlt

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BERLIN. Der Bologna-Prozess hat das Studium an den Hochschulen gründlich verändert. Doch gemessen an den Zielen bleibt für alle Beteiligten noch viel zu tun. Sorge bereitet die hohe Zahl von Studienabbrechern.

Fassade der Berliner Humboldt-Universität. Foto: Rolf Handke / pixelio.de
Fassade der Berliner Humboldt-Universität. Foto: Rolf Handke / pixelio.de

Die «Bologna»-Hochschule in Deutschland steht – doch es sind noch viele Baustellen offen. Zehn Jahre nach dem Start sind inzwischen nahezu alle Studiengänge (86,3 Prozent) auf die gestufte Struktur mit den Abschlüssen Bachelor und Master umgestellt. Doch Fragen der Qualität von Studium und Lehre, sozialer Gerechtigkeit und ungeplanten Nebenwirkungen werden drängender. So bricht fast ein Drittel (28 Prozent) der Bachelor-Studenten das Studium ab. Und nur zwei Prozent der Studierenden stammen laut der Studie «Eurostudent IV» in Deutschland aus bildungsfernen Elternhäusern.

Aus europäischer Sicht ist das hierzulande heftig umstrittene Projekt ein Erfolg: Rund 50 Staaten gleichen ihre Hochschulsysteme an – und finden damit weltweit Beachtung, auch in den USA. Binnen einer Dekade strukturieren die Länder Europas mit teils jahrhundertealten Universitäten ihr Studienangebot um. In Deutschland stehen seit dem 15. August 2002 Bachelor (BA) und Master (MA) gleichberechtigt neben den traditionellen Abschlüssen wie dem Diplom. Damals trat die entsprechende Änderung des Hochschulrahmengesetzes in Kraft.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) zieht eine positive Bilanz. Bologna sei eine „europäische Erfolgsgeschichte“. Die Reform habe Mobilität befördert und einen enormen Aufschwung bei den Erstsemesterzahlen gebracht. «Vor zehn Jahren waren es noch 37 Prozent, die ein Studium aufnahmen, 2010 waren es bereits rund 50 Prozent.» Darin sind allerdings die rund 15 Prozent  Studenten enthalten, die aus dem Ausland zum Studium nach Deutschland gekommen sind.

Die 1999 von zunächst 29 europäischen Bildungsministern unterzeichnete «Bologna-Erklärung» sieht auch vor, die internationale Mobilität von Studierenden zu steigern. Europaweit sind die Deutschen hier Spitze. 2009 studierten 115 500 junge Frauen und Männer aus Deutschland an Hochschulen im Ausland – mehr als doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Allerdings geht der Trend dahin, erst nach dem Bachelorabschluss einen Auslandsaufenthalt zu verwirklichen.

Mit Hilfe des internationalen Punktesystems ECTS sollte der Wechsel zwischen den Hochschulen eigentlich einfacher werden. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, meint jedoch gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“, das neue System mache es Studenten nicht leichter, ins Ausland zu gehen. Viele Studenten beklagten nach wie vor den straffen Zeitplan des Studiums und Probleme bei der Anerkennung von Leistungen, hieß es in dem Bericht. Das Deutsche Studentenwerk (DSW) bestätigt diese Probleme. «Ein Auslandsstudium sollte ursprünglich ein konstitutives Element des Bachelors sein», sagt DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde. Die Sorge um die Finanzierung von Studium, Praktikum oder Sprachkurs im Ausland oder um Zeitverlust im Studium bremsten aber weiterhin viele Studenten bei ihren Plänen aus.

Noch belastender waren allerdings die Studienbedingungen an den Hochschulen: Noch vor drei Jahren gingen bundesweit viele Zehntausende auf die Straße, um gegen überfüllte Hörsäle, Stofffülle in den sechssemestrigen BA-Studiengängen und zu hohe Prüfungsdichte zu protestieren. Kultusministerkonferenz und Hochschulen reagierten und milderten die besonders strengen deutschen Vorgaben ab. So kann jetzt ein BA-Studiengang auch sieben oder acht Semester dauern. Der Qualitätspakt Lehre, für den der Bund von 2011 bis 2020 insgesamt rund zwei Milliarden Euro zur Verfügung stellt, soll zudem die Lehre verbessern helfen.

Nachfrage nach Beratung ist gestiegen

Nach Worten Schavans sind im Zuge der Reform «viele neue attraktive Studiengänge» geschaffen worden. Doch das birgt auch einen Nachteil: Die Vielfalt und Spezialisierung der Bachelor-Studiengänge erschwert einen Hochschulwechsel innerhalb Deutschlands. Auch hier versprachen die Verantwortlichen Abhilfe und mehr Abstimmung. Viele Studenten klagen zudem über Stress. «Die Nachfrage der Studierenden nach Beratung ist im Zuge der Bologna-Reformen kräftig gestiegen», berichtet DSW-Generalsekretär Meyer auf der Heyde. «Deshalb müssen die Beratungsangebote und auch deren Finanzierung aufgestockt werden», fordert er.

Bologna sollte auch die Studiendauer der Mehrheit der Studenten verkürzen. Doch über 75 Prozent der BA-Absolventen wollen direkt im Anschluss den Master machen und bleiben so länger an den Hochschulen, als von den Planern gedacht. Einer Studie zufolge sehen die jungen Akademiker mit einem Master größere Berufschancen. Die Wirtschaft hält mit ihrer Aktion «Bachelor Welcome» dagegen. Derzeit beschäftigen bereits 25 Prozent der kleinen, 37 Prozent der mittleren und 70 Prozent der Großunternehmen Bachelorabsolventen – und sind mit ihnen durchaus zufrieden.

„Der Jugendwahn ist vorbei“

Ohnehin hält der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Hippler, das Ziel einer Beschleunigung von Studienzeiten an den Universitäten für verfehlt. Was an den Fachhochschulen funktioniere, gelte nicht unbedingt für die Unis. Das habe inzwischen auch die Wirtschaft erkannt.  So sei der sechssemestrige Bachelor-Abschluss an den Universitäten zwar berufsqualifizierend, reiche aber in vielen Fächern und Branchen nicht aus. Die Unternehmen bräuchten Persönlichkeiten, nicht nur Absolventen. In Zeiten, in denen alle Menschen immer länger arbeiteten, sei es sinnvoll, am Anfang mehr Zeit zu investieren und eine Persönlichkeit auszubilden. Hierzu gehöre auch, dass Studenten über den Tellerrand des Fachs hinausschauen könnten. Der Jugendwahn sei an dieser Stelle vorbei, sagte Hippler der „Süddeutschen Zeitung“.

Es seien noch viele Probleme zu lösen, meint auch der Vorsitzende der niedersächsischen Hochschulrektorenkonferenz, Jürgen Hesselbach. So habe Bologna stark verschulte Studiengänge gebracht und damit die Freiheiten der Studenten eingeschränkt.  «Ich habe nie verstanden, warum die Reform flächendeckend eingeführt worden ist», sagte Hesselbach. dpa
(14.8.2012)

Zum Interview mit Bundesbildungsministerin Schavan zur Bologna-Reform

 

 

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