Fall Schavan: Sie hat recht – und sollte doch zurücktreten

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Ein Kommentar von NINA BRAUN.

Die Bildungsjournalistin Nina Braun. Foto: www.bildungsjournalisten.de
Die Bildungsjournalistin Nina Braun. Foto: www.bildungsjournalisten.de

Es gehört schon viel Fantasie dazu, aus dem Votum des Düsseldorfer Wissenschaftlergremiums für die Aberkennung des Doktortitels von Annette Schavan eine politische Verschwörung zu machen, wie es Teile der CDU derzeit versuchen. Andererseits: So klar, wie das Abstimmungsergebnis von zwölf zu zwei ausdrücken scheint, ist die Sache auch nicht. Ist es ein Plagiat oder – um mit Schavan zu sprechen – ein „Flüchtigkeitsfehler“, wenn ein zitierter Autor zwar benannt, aber nicht jeder von ihm übernommene Gedanken eindeutig zugeordnet wurde? Um solche Einschätzungsfragen geht es hier zumeist. Im Fall Schavan ist mit drakonischer Strenge  geurteilt worden. Unverhältnismäßig streng. Um eine jahrzehntelang untadelige politische und wissenschaftliche Karriere zu zerschlagen, sollte man schon bessere Gründe anführen als 33 Jahre alte Textpassagen, die durchaus unterschiedlich bewertet werden können. Zum Vergleich: Selbst Totschlag verjährt nach 30 Jahren.

Frau Schavan hat also Anlass genug, sich gegen die Aberkennung ihres Doktortitels juristisch zu wehren (und damit auch gegen die Aberkennung ihres Studienabschlusses, denn ihre Promotion war damit gleichbedeutend). Und man sollte sich hüten, den Stab über sie zu brechen.

Ob Schavan deshalb als Bundesbildungsministerin noch tragbar ist, steht auf einem anderen Blatt. Das nun folgende Gerichtsverfahren wird sich über einen längeren Zeitraum hinziehen, womöglich über Jahre, und es dürften dabei schwere Geschütze aufgefahren werden. Sich mit Vertretern eines Wissenschaftsbetriebs existenziell auseinandersetzen zu müssen, dessen oberste Repräsentantin zu sein das Amt vorgibt – das ist ein Interessenkonflikt, der nur durch Rücktritt lösbar ist.

Zumal der Fall Schavan dringenden Handlungsbedarf bei den Hochschulen erkennen lässt. Dass jede Fakultät nach Gusto über Abschlüsse und Titel entscheiden kann, mag der Freiheit der Wissenschaft geschuldet sein. Es führt aber in der Praxis zu unguten Situationen wie der jetzt in Düsseldorf, bei der eine grundlegende Entscheidung nach strittigen Regeln in einem (zu) kleinen Zirkel getroffen wurde. Standards bei der Vergabe fehlen, so dass mancher Doktorand seine Promotion schon nach einigen Monaten fertig haben kann, während ein anderer dafür Jahre einplanen muss. Solche Ungerechtigkeiten zu beseitigen, dafür benötigt ein Bundesbildungsminister viel Energie. Mehr, als Schavan in nächster Zeit wird aufbringen können.

(6.2.2013)

Zum Bericht: „Schavan lehnt Rücktritt ab – wie lange noch steht Merkel zu ihr?“

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mehrnachdenken
11 Jahre zuvor

Ein fair und ausgewogen geschriebener Kommentar. Er gefällt mir gut.