Wissenschaftler: Heimkinder digital oft stark benachteiligt

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KÖLN. Heimkinder haben oft nur wenig Zugang zu digitalen Medien. Wissenschaftler aus Köln und Hildesheim wollen Handlungsempfehlungen erarbeiten, wie mehr digitale Teilhabe möglich wird.

In Deutschland leben rund 110.000 Kinder und Jugendliche in Wohnheimen der Kinder-, Jugend-, bzw. Behindertenhilfe und eine nicht nähere bekannte Zahl von Kindern und Jugendlichen in rund 300 Internaten. Im Unterschied zu den meisten jungen Menschen, die in privaten Haushalten leben, stehen ihnen oftmals weder Smartphones, Computer noch ein Internetzugang zur Verfügung. Das hat in vielen Fällen sowohl rechtliche, finanzielle und fachliche Gründe.

In den Heimen der Erziehungshilfe lebten auch Kinder, die in einem problematischen Umfeld aufgewachsen sind und Leid erfahren haben, erläutert die Kölner Sozialrechtlerin Julia Zinsmeister. Heime sollen ihnen Schutzräume bieten. Digitale Medien ermöglichen jedoch den zeit- und ortsunabhängigen Zugang zu Kontakten, auch zu solchen, die belastend sein können. „Pädagogische Fachkräfte in Heimen und Internaten befinden sich deshalb in einem schwierigen Spannungsverhältnis“, so Zinsmeister. „Einerseits wollen sie Kindern und Jugendlichen den Zugang zu digitalen Medien ermöglichen, gleichzeitig sehen sie sich dazu aufgefordert, sie vor Risiken zu schützen, mit der Folge, dass sie den Umgang mit den neuen Medien streng reglementieren“.

Heimkinder haben oft nur sehr beschränkten Zugang zu digitalen Medien. Foto: Aimee Malone / U.S. Army Photo (p.d)

Pädagogen, Sozial- und Rechtswissenschaftler der TH Köln und der Uni Hildesheim wollen nun untersuchen wie in Internaten und Heimen Medienbildung und digitale Teilhabe verbessert werden können. Ziel des Projektes „24/7 – Pädagogik – digital: Gelingende Digitalisierung in Heimen und Internaten“ ist es, herauszuarbeiten, welche Relevanz digitale Medien in Bildungsinstitutionen haben, in denen sich Kinder und Jugendliche rund um die Uhr aufhalten. „Gemeinsam mit den Kindern, Jugendlichen und pädagogischen Fachleuten beleuchten wir, wie sich Bildungsprozesse und Erziehungspartnerschaften zwischen Kindern, Eltern und pädagogischen Fachkräften durch Medien und das Medienhandeln verändern.“, erläutert Projektinitiatorin Tanja Rusack von der Uni Hildesheim.

Ihre Kölner Kollegin Angela Tillmann verweist indes auf die Bedeutung, der digitalen Teilhabe im Rahmen der Inklusion. „Teilhabe bedeutet heute immer auch digitale Teilhabe. Wer nicht online ist, kann nur bedingt partizipieren und hat somit auch keine Möglichkeit, die digitale Welt mitzugestalten. Und wer nicht teilhaben kann, kann auch die neuen digitalen Bildungs- bzw. Möglichkeitsräume nicht für sich nutzen und damit auch keine Medienkompetenz entwickeln.“

Über einen begrenzten Zeitraum wollen die Wissenschaftler Kinder, Jugendliche und Fachkräfte aus vier verschiedenen Einrichtungen in ihrem alltäglichen Medienhandeln begleiten um zu ermitteln, Welche Formen digitaler Mediennutzung zugelassen, befördert, ignoriert oder verhindert werden und welche Auswirkungen dies für die Bildung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung hat. Parallel wollen sie rechtlichen Rahmenbedingungen zur Mediennutzung in den Einrichtungen beleuchten und rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten für die Mediennutzung aufzeigen, die auch den pädagogischen Anforderungen Rechnung tragen.

Die im Projekt gewonnenen Erkenntnisse sollen in Orientierungsrichtlinien und Handlungsempfehlungen, wie zum Beispiel in einen Leitfaden, FAQs oder Informationsangebote, einfließen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt mit insgesamt 570.000 Euro. (pm)

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