„Wir stecken mitten in einer Bildungskrise“: Elternschaft droht Scheeres damit, die Zusammenarbeit einzustellen

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BERLIN. Zum Start des neuen Schuljahres in Berlin schlägt der Landeselternausschuss Alarm und attackiert Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). „Berlin steckt mitten in einer schulischen Bildungskrise, und wir (…) nehmen nicht wahr, dass hier entschieden genug gegengesteuert wird“, erklärte der Vorsitzende der Elternvertretung, Norman Heise, am Montag. Der Verband droht, die Zusammenarbeit mit Scheeres einzustellen, sollte nicht umgehend ein Krisengipfel einberufen werden.

„Die Senatorin hat bei diesen Themen für uns ihre Glaubwürdigkeit verloren“: Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres steht unter Druck. Foto: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0

Heise verwies auf das wiederholt schlechte Abschneiden Berliner Drittklässler bei Vergleichstests in Lesen, Schreiben und Rechnen, viel Unterrichtsausfall sowie die Quote von Schulabgängern ohne Abschluss – zuletzt 11,7 Prozent (2017). All das mache rasches Handeln nötig statt permanentes „Schönreden“. Scheeres verspreche seit Jahren Verbesserungen, es tue sich aber nichts. „Die Senatorin hat bei diesen Themen für uns ihre Glaubwürdigkeit verloren“, so Heise.

„Lesen, Schreiben und Rechnen müssen im Grundschulalter erlernt werden“

„Wenn ca. 30 Prozent der Schülerinnen und Schüler die Mindeststandards in der dritten Klasse nicht erfüllen, ist das ein deutliches Alarmsignal. Lesen, Schreiben und Rechnen sind die elementaren Grundtechniken, die im Grundschulalter erlernt werden müssen“, heißt es in einer Erklärung des Landeselternausschusses. Weiter: „Jeder einzelne Jugendliche oder junge Erwachsene, der die Schule ohne einen Abschluss verlässt, ist einer zu viel. Berlin hat hierbei die höchste Quote im bundesweiten Vergleich. Selbst wenn man die herausrechnet, die aus unterschiedlichen Gründen keinen Abschluss erreichen können, ist die Quote zu hoch. Auch hier sind weder eine Analyse noch Lösungen und Verbesserungen in Sichtweite.“

Der Unterrichtsausfall sei eine „Blackbox“, heißt: Es fehlt an konkreten Informationen. „Hier wurde uns seitens der Politik Aufklärung versprochen. Bis heute haben wir hier nichts gesehen. Das Thema wird in der Bildungsverwaltung nicht verfolgt“, so moniert die Elternschaft. Seit Jahren würden bei all diesen Kernthemen der Bildung Verbesserungen angekündigt – ohne, dass sich dies in sicht- und messbaren Veränderungen niederschlagen würde.

Heise forderte Scheeres auf, einen „Krisengipfel“ einzuberufen, um über Ursachen und Lösungen für die Probleme bei der Bildung zu beraten. Bildungsverwaltung, Politik, Hochschulen, Gewerkschaften, Lehrerverbände, Vertreter des pädagogischen Personals, Landesschüler- und Landeselternausschuss gehörten an einen Tisch. Notfalls müsse der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) das Thema zur Chefsache machen, forderte Heise.

Entlastungen für Familien? Eine Farce angesichts der schulischen Defizite

Die aktuellen Entlastungen für Familien beim Schülerticket, beim Gratis-Schulmittagessen und bei den Hort-Kosten in der 1. und 2. Klasse seien sozialpolitische Maßnahmen, die der Elternausschuss begrüße, ergänzte Heise. „Sie haben aber keinen beziehungsweise kaum Einfluss auf gute und bessere Bildung.“ Im Gegenteil, durch die schlechte Bildungsqualität würden die Familien immer stärker belastet. „Die Aussage, dass durch die finanziellen Entlastungen beim Schulessen usw. Bildung nicht mehr vom ‚Portemonnaie der Eltern‘ abhängig sein wird, ist eine Farce im Vergleich zu den Kosten für Nachhilfe, die unter anderem wegen des nicht erteilten Unterrichts benötigt wird – oder gleich für den Wechsel an eine Privatschule“, so heißt es in der Erklärung.

Dazu kämen Personalentwicklungen innerhalb der Verwaltung, die auf Unverständnis beim Landeselternausschuss stießen, „sichtbar durch den Weggang der ersten Antidiskriminierungsbeauftragten für Schulen, Saraya Gomis, deren Arbeit nicht nur vom Landeselternausschuss äußerst positiv bewertet wurde“.

Die Grünen, Koalitionspartner im Berliner Senat, sprachen gegenüber dem „Tagesspiegel“ davon, dass Gomis entscheidende Befugnisse gefehlt hätten. „Ohne diese kratzt jede Beauftragte nur von außen an den Schulmauern, ohne innen Veränderungen bewirken zu können.“ Mit Gomis gehe Berlin „eine Riesen-Chance“ verloren. „Sie wird weit über Berlin hinaus geschätzt, gerade auch bei der Bekämpfung von Antisemitismus, das haben uns jüdische Verbände oft bestätigt.“ Ihre Arbeit und ihre Expertise hätten Pioniercharakter und bundesweit Maßstäbe gesetzt, hieß es. Scheeres hatte sich nicht zum Ausscheiden geäußert.

Warum werden kritische Daten nicht transparent gemacht, fragen die Eltern

„Schönreden und Intransparenz helfen hier nicht weiter“, meint nun der Landeselternausschuss „Kritische Daten werden nur auf parlamentarische Anfragen, die teils mit Nachdruck betrieben werden müssen, veröffentlicht. Warum wird der Öffentlichkeit zum Schuljahresbeginn nicht transparent und visualisiert aufbereitet, wie die Verteilung von Laufbahnbewerbenden und Quereinsteigenden in die Bezirke und die einzelnen Schulformen erfolgt ist? Warum werden keine Daten zum Anmeldeverhalten auf die einzelnen Oberschulen veröffentlicht? Die Begründung, man wolle kein Ranking unter den Schulen befördern, ist aus unserer Sicht fadenscheinig. Unserer Erfahrung nach gibt es dieses Ranking bereits und bestätigt sich jedes Jahr mit leichten Schwankungen aufs Neue.“

Bitteres Fazit: „Berlin steckt mitten in einer schulischen Bildungskrise und wir als Landeselternausschuss Schule nehmen nicht wahr, dass hier entschieden genug gegengesteuert wird.“ News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

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xxx
4 Jahre zuvor

Geliefert wie bestellt. Linke Bildungspolitik halt…

Biene
4 Jahre zuvor

Ich denka jedoch auch, dass die Lehrkräfte in Berlin, mehr mit Domptieren und Hinterhererziehen sind, weil ein Teil der Eltern dazu nicht mehr in der Lage ist. Oder gar Kinder dabei sind die den Lehrkräften keinen Respekt entgegenbringen selbst aber höchsten Respekt erwarten, weil die meisten Lehrkräfte an der GS in der Regel weiblich sind.
Hier sollte auch mal von der Landeselternschaft geprüft werden. Jede Medaille hat zwei Seiten.

Heinz
4 Jahre zuvor

Wenn die Eltern ihrer Aufgabe, die im Grundgesetz verankert ist, der Erziehung nachkommern würden, dann könnten die Grundschullehrer ja stattdessen unterrichten! Heute können doch viele 5. Klässler sich nicht mal die Schuhe binden geschweige denn eine analoge Uhr lesen, da will ich gar nicht wissen, an welchen Basics die Kollegen an der Grundschule in den 4 Jahren arbeiten mussten!

Pälzer
4 Jahre zuvor
Antwortet  Heinz

Es gibt verschiedene Arten von Eltern. Vielleicht trifft Ihr Vorwurf nicht die Leute vom Landeselternausschuss.

D. Orie
4 Jahre zuvor

Ein Blick mal an die FU Berlin, Grundschulpädagogik, Didaktik Deutsch: https://www.ewi-psy.fu-berlin.de/einrichtungen/arbeitsbereiche/grundschulpaed/2_deutsch/mitarb/index.html. Wie man sehen kann, gibt es dort für alle Grundschul-Lehramtstudierende nur eine einzige Professur, eine Gastdozentur und etliche wiss. Mitarbeiterstellen. Zum Bereich Grammatik/Rechtschreibung gibt es keine Professur. Sinkende Schülerleistungen, Lehrkräftemangel? Ein Blick auf diese „minimalistische“ Ausbildungssituation reicht, um zu wissen, dass es SO nicht besser werden KANN!

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  D. Orie

An der Ausbildung der Lehrer wird es nicht liegen bzw. scheitern. Sie müssen sich nur mal an die eigene Schulzeit zurück erinnern und dann noch 50% Hausaufgaben drauf packen. Bei Problemen mit der gesprochenen deutschen Sprache oder mit der westlichen Kultur gibt es Förderkurse, die allerdings die Verweildauer in der Grundschule verlängern. Beim leisesten Verdacht, dass die Schule in der Priorität nicht an erster Stelle liegt, gibt es eine strenge Attestpflicht.

Pälzer
4 Jahre zuvor
Antwortet  D. Orie

Außerdem hat die FU Berlin hier wohl nur Mitarbeitende und keine Mitarbeiter.

Daniel Haase
4 Jahre zuvor

Am 29. Juli 2019 wurde die jüngste Umfrage von Forsa für Abgeordnetenhauswahl in Berlin veröffentlicht: 59% für SPD/GRÜNE/LINKE … selbst wenn man 4-5% davon abzieht, weil Forsa in früheren Umfragen die späteren Ergebnisse von SPD/GRÜNE/LINKE meist etwas überzeichnet hat, bliebe es bei einer satten Mehrheit in Berlin für genau diese Politik: Geliefert wie bestellt. Kann man da nur sagen.