Was soll am Gymnasium gelernt werden? Bekenntnis zum „Nutzlosen“  

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ST. GALLEN. „Wie kann das Gymnasium angesichts der aktuellen Herausforderungen wie Klimawandel, Digitalisierung, KI oder einem erstarkten Rechtspopulismus die Kinder und Jugendlichen auf die Welt in 30 Jahren vorbereiten?“ – Die pointierte Antwort des Grazer Philosophen Peter Strasser lautete: „Gar nicht“. Denn niemand wisse heute, welche Probleme in 30 Jahren tatsächlich gelöst werde müssten. Wie und welche Entscheidungen zur Ausrichtung des Gymnasiums dennoch heute getroffen werden können, war das zentrale Anliegen des Internationalen Bodenseetreffens der Lehrkräfte an höheren Schulen in St. Gallen.

Dunke Wolken über Rom: Nimmt das Interesse an Latein ab? Foto: johnc24 / flickr (CC BY 2.0)
Latein wäre unter dem Aspekt der „Nützlichkeit“ wohl verzichtbar. Foto: johnc24 / flickr (CC BY 2.0)

Bereits zum 60. Mal trafen sich nun Lehrkräfte aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein, um abseits des eigenen Schulsystems und bürokratischer Schranken über zentrale Bildungsfragen zu diskutieren. Einen wichtigen Impuls lieferte dabei Festredner Peter Strasser bei der Frage nach dem Bildungswissen: „In der Pflege gerade des als nutzlos beargwöhnten Bildungswissens liegt für mich der Schlüssel, um den Einzelnen gegen die Synchrongewalten des ökonomischen Kalküls und einer Stabsstellenmentalität zu verteidigen, die der Kontrolloptimierung dient.“ Und Michael Schwägerl, Vorsitzender des Bayerischen Philologenverbandes, ergänzt: „Dieses Bildungswissen muss der inhaltliche Kern des Gymnasiums sein. Wir brauchen also nicht ständig neue Fächer und Inhalte, sondern genügend Zeit und gut ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen, die mit ihrem fachlichen Wissen und ihrer Begeisterung die Schülerinnen und Schüler mitnehmen und begleiten.“

Andererseits: Neuer gymnasialer Bildungszweck gefordert

Beim Impulsvortrag von Prof. Dr. em. Walter Herzog, Ordinarius für Pädagogische Psychologie der Universität Bern, wurde allerdings ein neuer Bildungszweck für die Gymnasien gefordert: „Die zentrale Leistung schulischer Bildung im Allgemeinen und der gymnasialen Bildung im Besonderen besteht darin, junge Menschen zu befähigen, sich in einer komplexen, dynamischen und zukunftsoffenen Gesellschaft orientieren zu können und dabei einen eigenen, persönlich befriedigenden Lebensweg zu finden. Um diese Leistung zu erbringen, sind die Gymnasien allerdings herausgefordert, ihren Bildungszweck zu aktualisieren und neu zu definieren.“

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Demokratie braucht Bildung

Und auch Peter Strasser sieht neben der Persönlichkeitsbildung die Sicherung der Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaft im Vordergrund: „Gymnasien sollten das Grundprinzip der Chancengleichheit auf ihre Fahnen heften und seine Einhaltung politisch fordern. Sie müssen sich, abgesehen von der Vermittlung des ohnehin üblichen Bildungskanons, bemühen, nicht bloß als Zulieferbetriebe zur Universität zu funktionieren. Vielmehr sollte es ihr ureigenes Anliegen bilden, den jeweils Schutzbefohlenen beizubringen, was es heißt, ein liberaler Demokrat, eine liberale Demokratin, ein toleranter Bürger, eine tolerante Bürgerin zu sein und daher notfalls couragiert genug, gegen jegliche Form von Intoleranz zivilgesellschaftlich vorzugehen – auch und vor allem gegen eine zunehmende Form von reli­giöser und nationalistischer Intoleranz toleranten kulturellen Einstellungen gegenüber.“ News4teachers

Bodenseetreffen 2019

Am Bodenseetreffen 2019 waren folgende Verbände beteiligt:

  • Bayerischer Philologenverband
  • Gymnasiallehrerverein des Fürstentums Liechtenstein
  • Kantonaler Mittelschullehrerinnen- und Mittelschullehrer-Verband St. Gallen
  • Mittelschullehrerpersonenverband Zürich
  • Österreichische Professorenunion
  • Philologenverband Baden-Württemberg

 

Thurgauische Konferenz der Mittelschullehrpersonen

 

Verein Schweizerischer Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer

 

 

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