NEUSTRELITZ. Wie kann man in Corona-Zeiten mehr Unterricht an Schulen möglich machen? Ein Versuch dazu läuft in Neustrelitz. Hier werden Tests auf das Virus in den Unterricht integriert, um infizierte Schüler schnell erkennen und isolieren zu können. Auch Schulen in anderen Bundesländern sind interessiert.
«Sie haben sich vor der Tür auch desinfiziert?», fragt Lehrerin Heike Kindermann im Testzentrum, bevor sie die Tüte mit dem Corona-Testmaterial übergibt. Der 18-jährige Magnus Voigt nickt und stellt sich mit vorgeschriebenem Abstand an. Nach wenigen Minuten nimmt er vor einem Spiegel, routiniert den Abstrich in seinem Mundraum vor, verschließt die Plastik-Ampulle und gibt sie ab. «Das geht echt Fixi-Foxi», sagt Voigt.
Der Elftklässler ist einer von mehreren hundert Schülern am Gymnasium Carolinum in Neustrelitz, das seit Ende April als einzige Schule im Nordosten Corona-Abstrichtests in den Unterricht integriert hat. «Das könnte ein Modell für das Bundesland sein», sagt Schulleiter Henry Tesch. Dabei blickt der 57-Jährige schon auf das nächste Schuljahr, das Anfang August startet. Er bekommt Zuspruch von Schulen aus anderen Bundesländern, vom Landeselternrat Mecklenburg-Vorpommern und von den eigenen Schülern.
Die Tests laufen in einem Zelt auf dem Hof
«Uns kamen die engen Beziehungen zur Universität Rostock zugute», erläutert Tesch. So gebe es seit Jahren gemeinsame «Summer-Schools» für einen Teil der rund 1000 Schüler, die an dem Gymnasium lernen. Über die Universität kam Tesch mit der Rostocker Biotechnologiefirma Centogene AG in Kontakt, die dem Carolinum kostenlos Testmaterial zur Verfügung stellt. Der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte als Schulträger genehmigte, dass in einem Zelt auf dem Hof – wenn es warm genug ist – oder in einem Raum der Schule die Tests laufen.
«Das muss so integriert werden, wie Zähneputzen», sagt Tesch. Das größte Problem sei unter Schülern «Abstand, Abstand, Abstand.» Ihm schwebt vor, dass in jedem Schulamtsbereich eine größere Schule die Tests integriert. «Ich kann mir vorstellen, dass die Rostocker Firma so ein Modellprojekt auch mitträgt», sagt der Schulleiter. Denn die Zeit dränge, das Schuljahr ende Mitte Juni. «Wir brauchen möglichst viel Daten, um politische Entscheidungen zu untermauern.» Am 3. August startet das neue Schuljahr.
Das Ergebnis des Coronatests kommt einen Tag später
In Neustrelitz kann sich – freiwillig – jeder zweimal die Woche testen lassen. Das Ergebnis kommt einen Tag später an die private Mailadresse. Bisher waren alle Coronatests negativ, was für Tesch angesichts der geringen Infektionszahlen im Nordosten auch kein Wunder ist.
«Das mit den Tests ist eine enorme Erleichterung im Schulalltag», sagt Schülersprecherin Lisa Günther. Die 17-Jährige hat gerade ihre Abiturprüfungen geschafft. «Ich konnte mich besser auf die Prüfungen konzentrieren», sagt sie. Zu Hause lebt sie mit Eltern und der Urgroßmutter zusammen und besucht ihre Großmutter, die Vorerkrankungen habe. «Da bin ich viel beruhigter, wenn ich die Tests absolviert habe.»
Ein solches Modellprojekt würde auch der Vorsitzende des Landeselternrates Kay Czerwinski begrüßen. «Wir brauchen einen Mix aus kreativen Maßnahmen, und das ist ein hervorragender Ansatz», lobt Czerwinski, der auch Elternratschef an einer ähnlich großen Schule in Rostock ist. Den Eltern sei es sehr wichtig, dass es im neuen Schuljahr wieder deutlich mehr Präsenzunterricht gibt. «Wir brauchen größere Räume, um mit weniger Lehrern mehr Schüler unterrichten zu können.» Der Neustrelitzer Ansatz schaffe auch für die Lehrer mehr Sicherheit.
Mehr Schüler in einem Raum möglich – dank der Tests
Auch Tesch will mit seinem Modell erreichen, dass künftig wieder mehr Schüler in einem Raum von Pädagogen unterrichtet werden. «Das ist auch eine statistische Aufgabe», verdeutlicht der Schulleiter. Bei einer bestimmten Zahl an Tests pro Schüler und der entsprechenden Infektionssituation könne man vielleicht auch nur einmal die Woche testen. Zudem spiegele der Test die gesamte Region wieder. Die Schüler kommen aus vielen Gemeinden in der dünn besiedelten Region und seien damit repräsentativ für große Teile der Seenplatte.
Dazu kommt, dass sich auch Angehörige testen lassen können. So wie Jens Fleischer. Der Vater einer Zehntklässlerin hat sich auch ein Testset von Lehrerin Kindermann abgeholt, nimmt eine Probe und gibt sie ab. Das sei eine gute Möglichkeit für Eltern, aber nach seiner Ansicht kommt das zu spät. «Wir hätten schon längst wissen müssen, was ist eigentlich los in unserer Population», sagt Fleischer.
Wie Schülersprecherin Günther und Elftklässler Voigt einräumen, gibt es bei etwa zehn Prozent der Schüler Bedenken wegen der Tests. Das sei aber meist dem Elternhaus geschuldet. «Manche sagen, “was mache ich, wenn ich positiv bin”», berichtet Günther. Dann würde sie sich erst recht testen lassen, sagt die Schülersprecherin. «Für mich ist alles abiturrelavanter Stoff, es wäre toll, wenn ab August ein Lehrer wieder ganz für die Klasse da wären», sagt Voigt. Derzeit sei die Klasse in zwei Gruppen geteilt und der Lehrer wechsle zwischen den Klassenräumen. Von Winfried Wagner, dpa