FRANKFURT/MAIN. Überraschende Experimente helfen Kindern, naturwissenschaftliche Fehlvorstellungen zu korrigieren, besonders, wenn die Ergebnisse vorherigen Vermutungen widersprechen. Kommt die Osterhasen-Pädagogik wieder zu Ehren?
Unterricht als Naturwissenschaftslehrer ist oft eine Herausforderung, besonders dann, wenn es gilt, naive Vorstellungen von Kindern und Jugendlichen über die Welt zu verändern. Weit verbreitet ist etwa die Überzeugung, dass es vom Gewicht eines Objekts abhängt, wie viel Flüssigkeit es verdrängt, wenn man es unter Wasser taucht, was aber nun einmal von seinem Volumen abhängt. Solche falschen Vorstellungen von den Zusammenhängen in der Natur halten sich oft hartnäckig. Ergebnisse einer aktuellen Studie des DIPF, Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation legen nun nahe, dass Kinder diese tief sitzenden Fehlvorstellungen umso leichter ablegen, je überraschter sie vom Resultat eines Experiments sind. Als probates Mittel, um diese Überraschung und damit den Lerneffekt hervorzurufen, habe es sich erwiesen, die Kinder im Vorhinein Vermutungen über die Abläufe äußern zu lassen, bevor sie die korrekte Lösung zu sehen bekommen.
„Es ist teilweise wirklich schwer, naturwissenschaftliche Fehlvorstellungen aus den Köpfen von Kindern zu bekommen. Ein Beispiel ist die Vorstellung, dass die Erde eine Scheibe ist. Es reicht oft nicht aus, sie auf die eigentlichen Tatsachen hinzuweisen“, erläutert Maria Theobald, Forscherin am DIPF und Erstautorin der nun veröffentlichten Studie.
Bereits in früheren Untersuchungen hatte die verantwortliche Arbeitsgruppe ermittelt, dass Vorhersagen, wie man sie etwa bei einem Quiz abgibt, helfen, sich die richtigen Ergebnisse anschließend besser zu merken. Die größten Lerneffekte zeigten sich dabei bei falschen Vorhersagen und der mit ihnen einhergehenden Überraschung, sobald Probandinnen und Probanden von den korrekten Antworten erfuhren. Die aktuelle Studie baute auf dieser Erkenntnis auf und ging der Frage nach, ob der Effekt helfen könne, sich nicht nur eher simple Quiz-Fakten besser zu merken, sondern auch die genannten hartnäckigen Fehlvorstellungen zu revidieren.
Die Forscherinnen und Forscher führten die Studie mit insgesamt 94 Kindern im Alter von sechs bis neun Jahren durch. In einem Wissenstest stellten sie zunächst anhand obiger Frage nach der Wasserverdrängung, fest, dass die meisten teilnehmenden Kinder tatsächlich der Fehlvorstellung aufsaßen, dass es vom Gewicht eines Objekts abhänge, wie viel Wasser es verdrängt. Die Kinder bearbeiteten dann am Computer Aufgaben zu der Thematik – anhand von zwei Kugeln im Vergleich. Die Kinder wurden dazu in zwei Gruppen eingeteilt: Die eine Gruppe äußerte im Vorhinein Vermutungen, was das richtige Ergebnis ist. Die andere bekam erst die Lösung zu sehen und sollte dann angeben, welches Ergebnis sie eigentlich erwartet hatten. Bei einem Teil der Aufgaben führte das Fehlkonzept der Kinder zu einer falschen Lösung. Das galt immer dann, wenn eine der beiden Kugeln zwar schwerer, aber genau so groß oder sogar kleiner war als die andere Kugel.
Als die Kinder die korrekten Ergebnisse präsentiert bekamen, erfassten die Wissenschaftler bei beiden Gruppen die Überraschung. Dafür nutzten sie die Erweiterung der Pupillen als Indikator, die sie mit einem Kamerasystem vermaßen. Zum Schluss absolvierten die Kinder zwei Tests: die gleiche Wissensabfrage aus dem Vorabtest und einen weiteren, der ermittelte, inwieweit die Kinder das gelernte Wissen auf verwandte Themenbereiche transferieren konnten und damit, ob sie das Konzept auch auf einer abstrakten Ebene verstanden hatten.
Bei den Kindern, die vorab Vermutungen über das Ergebnis angestellt hatten, ergaben sich wie von den Forschern erwartet die größeren Lerneffekte. Sie schnitten sowohl im Wissens- als auch im Transfertest besser ab. Im Gegensatz zu der anderen Gruppe zeigten sie die deutlichere Pupillenerweiterung als Überraschungsreaktion, wenn sie bei den falsch bearbeiteten Aufgaben die Lösung präsentiert bekamen. Die Auswirkungen dieser Überraschung ordneten die Forscherinnen und Forscher mit mehreren Aufgabenreihen und statistischen Verfahren relativ genau jedem einzelnen Kind und seiner Lernentwicklung zu. Dabei stellte sich heraus: Je stärker sich die Pupillen erweiterten, je überraschter die Kinder also waren, desto größer fielen die Lerneffekte aus und desto eher korrigierten sie ihre Fehlvorstellungen. Bildungsforscherin Theobald fasst zusammen: „Falsche Vorhersagen helfen, Überraschung auszulösen, und das Maß der Überraschung hat eine Auswirkung darauf, wie sehr Kinder hartnäckige Fehlvorstellungen korrigieren.“
Die Ergebnisse hätten für den Schulalltag ganz praktische Relevanz, stellt Maria Theobald fest: „Lehrkräfte können Schülerinnen und Schüler Vorhersagen treffen lassen, bevor sie die richtige Lösung verraten. Liegen die Lernenden mit ihrer Annahme falsch, sind sie überrascht und stärker emotional involviert. Das begünstigt eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema.“ Allerdings müssten einige Einschränkungen der Studienergebnisse beachtet werden: So müsste das Ganze beispielsweise noch bei komplexeren Sachverhalten als nur bei der relativ einfachen Regel „Allein das Volumen ist für die Wasserverdrängung untergetauchter Objekte verantwortlich“ überprüft werden. Es könne auch noch nicht gesagt werden, wie dauerhaft die Kinder die Fehlvorstellungen ablegen. (zab, pm)