Studienauswertung konstatiert Nutzung digitaler Medien in nie da gewesenem Ausmaß und warnt vor den Folgen

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JENA. Wissenschaftler haben aktuelle Datenerhebungen zur Nutzung digitaler Medien ausgewertet. Gerade in Zeiten pandemiebedingter Schutzmaßnahmen komme es auf Medienkompetenz an.

Medienkonsum und Digitalisierung haben mit Homeschooling und Homeoffice eine völlig neue Dimension bekommen. Eine Arbeitsgruppe um Professor Stephan Degle und Dr. Michaela Friedrich von der Ernst-Abbe-Hochschule (EAH) Jena hat nun einen Blick auf aktuelle Datenerhebungen zu Nutzungszeiten sowie Studien zum Medienkonsum von Kindern geworfen.

Ein Junge mit dicken Kopfhörerrn vor drei Computerbildschirmen im Dunkeln
Blaues Licht stört den Schlaf. Foto: ExplorerBob / Pixabay (P. L.)

Den Studien zufolge seien die 14- bis 69-jährigen in Deutschland, digitale Medien wie E-Mails, Nachrichten und Telefonate der Individualkommunikation eingeschlossen, rund 13 Stunden täglich digital unterwegs und selbst die Ruhe- und Schlafenszeiten seien davon betroffen. Erwachsene, Jugendliche und Kinder nutzten digitale Endgeräte in einem bisher nicht da gewesenen Ausmaß. Aufgrund der pandemiebedingten politischen Maßnahmen bestimmten digitale Medien seit über zwei Jahren bei vielen Erwachsenen die Arbeit und ihre Freizeit, aber besonders bei immer jüngeren Kindern seien steigende Nutzungszeiten zu verzeichnen.

Die von den Bundesländern bereitgestellten finanziellen Mittel für den digitalen Unterricht dienten fast ausschließlich dem Kauf von Hardware, nicht aber für Konzepte für einen sinnvollen Umgang mit digitalen Medien. Darüber hinaus werde der private Umgang mit digitalen Medien in Deutschland grundsätzlich nicht reglementiert, anders als der soziale Umgang in der Pandemiesituation, etwa durch Kontaktverbote.

Den unbestreitbaren Vorzügen der Digitalisierung stünden starke negative Effekte gegenüber. Die WHO-Studie „Health Behaviour in Schoolaged Children“ (HBSC, Gesundheitsverhalten bei Kindern im Schulalter) etwa hätte gezeigt, dass je mehr Zeit die Jugendlichen (ca. 5000 Schulkinder) vor dem Bildschirm oder dem Display verbrachten und je häufiger sie soziale Medien nutzten, sie umso häufiger von chronischen Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und Schwindel belastet würden. Als Hauptursachen sähen die WHO-Wissenschaftler eine schlechte Körperhaltung und/oder die Ermüdung der Augen an.

Besonders die Augen litten unter den Folgen des täglich hohen digitalen Konsums, sekundieren Stephan Degle und Michaela Friedrich. Sie würden durch dauerhaftes Nahsehen auf Bildschirme und Displays stark belastet. Viele Kinder hätten außerdem weder schulisch noch privat die Möglichkeiten einer ergonomischen Optimierung ihrer Arbeitsplätze, wie es bei vielen Erwachsenen der Fall sei. Umso mehr bestehe Aufklärungsbedarf für einen sinnvollen zeit- und inhaltsbedingten Umgang mit digitalen Medien bei Kindern und Jugendlichen sowie den Aufbau von Medienkompetenz.

Auswirkungen von Bewegungsmangel und dauerhafter Naharbeit
Durch die pandemiebedingten Einschränkungen seien Kinder und Jugendliche geradezu gezwungen gewesen, häufiger ohne Bewegung zu sein und digitale Medien zu nutzen. Eine weitere aktuelle Studie habe ergeben, dass in der Corona-Pandemie die Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen deutlich gestiegen sei. Insbesondere bei Computerspielen sei ein Anstieg um 52 % festgestellt worden. Michaela Friedrich zieht einen eindeutigen Schluss: „Unsere Aufgabe sollte es sein, Perspektiven und konstruktive Lösungsvorschläge aufzuzeigen und nicht durch „Schutzmaßnahmen“ die gesamte Entwicklung von Kindern und Jugendlichen negativ zu beeinflussen.“ Gefordert seien umso mehr „Eltern, Erzieherinnen und Pädagoginnen, die durch aktive Begleitung im Umgang mit digitalen Medien, Einfluss auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nehmen und vor allem Bewegung und Ausgleich zu digitalen Medien anbieten.“

Zunehmende Kurzsichtigkeit
Eine weitere gesundheitliche Folge beschreibt Stephan Degle: „Bei Schülern und Studierenden sehen wir sowohl in der optometrischen Forschung als auch in der Praxis, dass es in den vergangenen Monaten in zahlreichen Fällen zur einer ,coronabedingten´ starken Zunahme von Kurzsichtigkeit kommt. Dabei hat der Anstieg von Kurzsichtigkeit nichts direkt mit der Sehschärfe zu tun, vielmehr ist er die Folge davon, dass die Kinder so viel mehr in der Nähe schauen und weniger Bewegung haben. Auch wenn Kurzsichtigkeit selbst keine Krankheit ist, so ist es wichtig einem raschen Anstieg gezielt entgegenzuwirken. Denn ein schneller Anstieg kann fatale Folgen für die Augengesundheit haben und irreparable Schäden bewirken.“ Mit speziellen Brillengläsern und Kontaktlinsen sowie gezielten Augenübungen könne das Voranschreiten der Kurzsichtigkeit gehemmt werden. Darüber hinaus sei vor allem eine Verhaltensänderung notwendig, wie etwa kontrollierter Umgang mit digitalen Medien statt passiver Nutzung.

Blaulicht als Gefahr
Eine weitere Gefahr digitaler Medien stelle das blaue Licht dar, das Bildschirme und Displays ausstrahlen. Mittlerweile sei es nachgewiesen, so Degle, dass Kinder und Jugendliche schlechter und weniger schlafen, wenn sie am Abend Smartphone, Tablet und Co benutzt haben. Viele von ihnen wüssten nicht, dass das blaue Licht von den Bildschirmen und Displays die Produktion des Schlafhormons Melatonin reduziere. Digitale Endgeräte sollten spätestens eine halbe Stunde vor der Schlafenszeit ausgeschaltet und nicht im Schlaf- oder Kinderzimmer abgelegt werden, damit der Tag-Nacht-Rhythmus stabil bleibe, rät Degle

Aufbau von Medienkompetenz und sinnvoller altersentsprechender Umgang mit digitalen Medien
Die Nutzung digitaler Medien sei grundsätzlich nichts Schlechtes und sollte nicht pauschal abgelehnt werden, betonen Degle und Friedrich. Es könne aber nicht davon ausgegangen werden, dass Menschen – und vor allem Kinder, automatisch von sich aus damit sinnvoll umgehen könnten. Medienkompetenz müsse erlernt werden und sei demzufolge altersentsprechend unterschiedlich. Elemente zum Aufbau von Medienkompetenz und für einen sinnvollen, altersentsprechenden Umgang mit digitalen Medien seien etwa eine zeitlich begrenzte und inhaltlich bezogene Nutzung digitaler Endgeräte, eine sinnvolle Gestaltung der Umgebungsbedingungen (wie etwa durch einen höhenverstellbaren Stuhl) und die Vorbildwirkung von Bezugspersonen. (zab, pm)

Studie: Lockdown (mit viel Bildschirm) fördert Kurzsichtigkeit bei Grundschülern

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2 Kommentare
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Mein Name ist Hase
2 Jahre zuvor

Über kurz oder lang wird auch die Frage beantwortet werden müssen, wie es mit der Anwendung der Arbeitsschutzvorschriften für Bildschirmarbeitsplätze in Schulen bestellt ist.

Büro München
1 Jahr zuvor

Sehr interessanter und notwendiger Artikel zu dieser Zeit. Wir müssen die Zeit im Auge behalten, die wir vor einem Computermonitor verbringen.

Last edited 1 Jahr zuvor by Büro München