„Größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg“: Berlin bereitet Willkommensklassen vor

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BERLIN. Der Berliner Senat will so schnell wie möglich Willkommensklassen für geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine schaffen. «Die Vorbereitungen laufen auf vollen Touren. Hierzu sind wir mit den bezirklichen Schulämtern und den Schulen in enger Abstimmung», sagte ein Sprecher der Bildungsverwaltung am Freitag auf Anfrage. Sozialsenatorin Kipping (Linke) erwartet eine Flüchtlingswelle in historischen Ausmaßen. Auch die Schulen in Brandenburg bereiten sich nach Angaben des Bildungsministeriums in Potsdam auf den Unterricht für Kinder und Jugendliche aus der Ukraine vor.

Der Krieg in der Ukraine wird absehbar Millionen von Menschen in die Flucht gen Westen treiben. Foto: Shutterstock

Im Berlin verlautete die Bildungsverwaltung, es beginne die Suche nach Lehrkräften vor allem im Fach Deutsch als Fremdsprache. Überlegt werde zudem, wie geflüchtete ukrainische Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher als Muttersprachler womöglich eingebunden werden könnten. Einzelne junge Geflüchtete könnten direkt in Regelklassen integriert werden, erläuterte der Sprecher weiter. «Ansonsten ist es das Ziel, geflüchtete Kinder und Jugendliche möglichst zügig wenigstens teilweise in Regelklassen zu integrieren – beginnend mit Fächern wie Sport, Musik oder Kunst.» Zudem bereite sich die Bildungsverwaltung sehr konkret auf die Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und Waisenkindern aus der Ukraine vor.

In Brandenburg hieß es: Für junge Menschen, die nicht in einer Aufnahmeeinrichtung des Landes untergebracht seien, beginne die Schule sechs Wochen nachdem sie einen Wohnort gefunden haben, sagte eine Sprecherin des Bildungsministeriums am Freitag auf Anfrage. Für junge Menschen in einer Aufnahmeeinrichtung starte die Schule nach drei Monaten. Die Schulpflicht ruhe in dieser Zeit, sagte sie. Das gebe den Kindern und Jugendlichen Zeit, um in der neuen Umgebung und nach der Fluchterfahrung «anzukommen».

An allen Aufnahme-Standorten bietet das Ministerium den Angaben zufolge freiwillige Sprachförderkurse schon in den ersten drei Monaten an. Zudem werden Vorbereitungsgruppen eingerichtet, sollte der Aufenthalt länger als drei Monate dauern. Sollten die Sprachkenntnisse nicht ausreichen für die Teilnahme am Unterricht, besteht zusätzliche Förderung in der Schule. Für Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern, mit Freunden oder Verwandten flüchten, werde geprüft, welche Hilfe sie benötigen, hieß es. Die Jugendämter bereiteten sich aktuell darauf vor, unbegleitete Kinder und Jugendliche vorläufig in Obhut zu nehmen. Sie werden dann in einer Einrichtung untergebracht.

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„Es braucht vor allem die kurzfristige Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen, die die Schulen unbürokratisch abrufen können“

Der VBE hatte gestern davor gewarnt, die Schulen mit der bevorstehenden Herausforderung allein zu lassen. Bundesvorsitzender Udo Beckmann erklärte: „Die Politik muss in einer Verantwortungsgemeinschaft aus Bund, Ländern und Kommunen schnellstmöglich geeignete Maßnahmen ergreifen und die Schulen in die Lage versetzen, Flüchtlingskinder aufzunehmen. Dabei kann sie auf die Erfahrungen aus dem Jahr 2015 zurückgreifen. Es braucht vor allem die kurzfristige Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen, die die Schulen unbürokratisch abrufen können.“

Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) rechnet wegen des Angriffs Russlands auf die Ukraine mit der größten Flüchtlingswelle seit mehr als 80 Jahren. „Was wir jetzt erlebt haben, ist erst die Spitze eines Eisberges“, sagte Kipping am Freitag im Deutschlandfunk. Allein am Donnerstag seien 6.500 Menschen mit Direktzügen nach Berlin gekommen.

Die Linken-Politikerin verwies aber darauf, dass nur ein Teil der Ankömmlinge von den Behörden erfasst werde. „Auf Europa kommt die größte Fluchtbewegung seit Ende des Zweiten Weltkriegs zu“, so Kipping weiter. Das Land registriert nach ihren Angaben nur diejenigen, die es selbst unterbringe oder mit Bussen in andere Bundesländer bringe. Das Land Berlin bringe schätzungsweise ein Drittel der Geflüchteten selbst unter, der Rest mache das ganz selbstständig.

Fachleute gehen davon aus, dass junge Menschen aus der Ukraine ein gutes Bildungsniveau haben. Viele sind durch das Erlernen einer Fremdsprache bereits gut geübt mit dem lateinischen Alphabet. News4teachers / mit Material der dpa

Flüchtlingskinder aus der Ukraine: VBE warnt Politik davor, Lehrkräfte (schon wieder) allein zu lassen

 

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TaMu
2 Jahre zuvor

Kinder und Jugendliche brauchen zuerst psychologische Hilfe. Darüber lese ich nirgends etwas, zumindest nichts, was mir irgendwie ausreichend erscheint. Einfach anzunehmen, dass geflüchtete Kinder aus der Ukraine schulpflichtig sein und funktionieren müssen, ist in meinen Augen Kindswohlgefährdung. Schläft es denn nachts ruhig und kann es sich gut konzentrieren? Möchte es zur Schule gehen und kann es sich gut integrieren? Tut es dem Kind also gut, betreut zu sein? Dann soll es selbstverständlich zur Schule oder in eine Kita gehen dürfen. Das erscheint mir bei vielen Kindern aber ausgeschlossen. Kinder sind in ihren Einrichtungen in der Ukraine mit Streumunition beschossen worden. Sie haben tagelang in Kellern auf das Ende der Bombardierungen gewartet, wurden aus ihren zerstörten Häusern gerettet, waren unter Lebensgefahr auf einer langen Flucht, auf der sie beschossen wurden, mussten ihre Väter in den Krieg zurückkehren lassen und mit ihren verzweifelten Müttern in ein Land mit unbekannter Sprache weiter reisen. Und dann sollen sie mal eben hier schulpflichtig werden? Können wir nicht einfach mal solche Traumata als das sehen, was sie sind- extreme psychische Verletzungen? Hätten die Kinder diese Verletzung körperlich, würde man sie erst einmal gesund pflegen. So zersplittert würden sie kaum in Schulen sitzen können. Hier „Willkommensklassen“ anzubieten, hört sich ja irgendwie nett an, übersieht aber die tatsächliche Situation der Kinder. Ich vermisse von politischer und kinderärztlicher Seite die Trauma-Stationen, die überall errichtet werden müssten für diese Menschen. Ein Trauma kann weder durch Schule noch durch Kita bewältigt werden, es wird höchstens überspielt. Innerlich wirkt es wie ein Geschwür, es vergeht nicht, sondern zerstört im Verborgenen. Das geht schon den Flüchtlingen aus Syrien und anderen Ländern so und nun passiert es den Menschen aus der Ukraine. Das sind Notfälle, keine Kinder, die man irgendwie in die überquellenden Klassenzimmer dazu pferchen und es „Willkommensklassen“ nennen sollte. Ich finde das naiv. Wenn schon Schule, dann unbedingt mit permanent anwesenden Psychologen, die für ihre Patienten da sind, während diese beschult werden. Dann gäbe es eine realistische Chance nicht nur auf Bildung, sondern auch auf seelische Gesundheit. Das wäre ein ehrlicher Umgang und damit vertrauensbildend.

ysnp
2 Jahre zuvor
Antwortet  TaMu

Ich stimme Ihnen zu. Die Kinder haben noch vor 2 Wochen in einer geordneten Welt gelebt. Sie mussten mit ihren Müttern Hals über Kopf fliehen, haben meistens die Väter im Krieg zurückgelassen und sind traumatisiert. Wann sie zurück können, ist ungewiss.
Da braucht es einen sanften, empathischen Übergang. Lernen ist da erst einmal nebensächlich.

Susanne
2 Jahre zuvor
Antwortet  TaMu

Genauso…jetzt ist es doch erstmal wichtig, das die Familien zusammenbleiben können und nicht in einem fremden Land mit fremder Sprache als erstes in Fremdbetreung und Unterricht gezwungen werden. Ich frage mich wirklich, es mit den Verantwortlichen dort oben los ist. Empathie gleich null, Hauptsache funktionieren

kanndochnichtwahrsein
2 Jahre zuvor

Genau das ist das Problem seit Jahrzehnten!
Es ging nicht und nie um die Kinder, muss man mutmaßen.
Es ging darum, Arbeitskräfte zu generieren?
Es ging darum, Ruhe in die Gesellschaft zu bringen?
Es ging darum, Abwehr gegen Fremdes durch „Normalität“ zu beruhigen?

Kinder sind natürlich im Einzelfall „gut angekommen“ und Teil einer Gesellschaft geworden.
Welcher Gesellschaft? Der, die vorher da war… IN die sie sich integrieren mussten.
Wenn es „gelang“, war Ruhe im Karton und vermeintlich alles gut.

Ist es nicht, war es nicht – es gärt. Da helfen auch nicht die wunderschönen Konzepte zur Integration, die mit viel Personalaufwand erstellt und durchgesetzt werden müssen, immer wieder, schon allein um Lehrerstellen für solche Aufgaben überhaupt zu bekommen.

Helfen würden Lehrer, die ihrer Profession gerecht werden dürften.
Menschen, die sich der Kinder annehmen, die mit ihnen einen neuen Weg gehen.
Der wäre in den meisten Fällen zumindest am Anfang ein anderer als in kürzester, normierter Zeit Deutsch zu lernen, Schulpflicht, Abschluss und Ausbildungsfähigkeit herzustellen.
Der Weg wäre m.E. die Bereitstellung von Lehrern, die die Kinder auch unterrichten, aber auch mal 7 gerade sein lassen dürfen, mit ihnen spazieren gehen, erzählen, was immer die Kinder brauchen.
Da das aber in meinen Augen für ALLE Kinder gelten müsste – die hier geborenen haben auch zu großen Teilen ihr Päckchen zu tragen und brauchen mehr als nur Unterricht – wird sowas nie Realität werden.
Dazu bräuchten wir unendlich viele gute Lehrer, Sozialarbeiter/Sozialpädagogen, Klassenräume, Spielplätze und Schulgärten, Ruhe- und Aktivitätsräume, Mittel für mehr und anderes als nur Schulbücher…

Wir werden also auch diesmal wieder unser Bestes geben, wohlwissend, dass es nie reichen und schon gar nicht individuell angemessen sein kann.

Miri
2 Jahre zuvor

Danke TaMu!

Ich fand die ganzen Artikel dazu auch so seltsam. So nüchtern irgendwie. Als ginge es nur darum, plötzlich auftauchende Kinder zu beschulen. Ich bin momentan in einer Willkommensklasse eingesetzt, allerdings ohne jegliche Qualifikation dafür (außer ein bisschen DaZ und DaF) und ich fühle mich mitnichten darauf vorbereitet, mich einem Haufen traumatisierter Flüchtlingskinder gegenüber zu sehen, die eben erst hier angekommen sind.

Jane
2 Jahre zuvor

In der selben Woche wurde es angekundigt, dass es im Berliner Haushalt weniger Geld für die Schulen gibt…

Krivvin
2 Jahre zuvor

@ Redaktion: Seid Ihr Euch sicher, dass das verwendete Foto am 24. Februar in Kiew aufgenommen wurde, wie Eure Bildunterschrift suggeriert? Offenbar wurde es von Shutterstock bezogen (https://www.shutterstock.com/de/image-photo/kyiv-ukraine-february-24-2022-putin-2128738142). Der „Fotograf“ hat überwiegend bearbeitete Grafiken im Angebot und ist gerade sicher nicht in Kiew tätig, sondern am Computer.
Gerade in Kombination mit der Bildunterschrift finde ich das falsch.

Rudi Richtig
2 Jahre zuvor

Die Schüler in der Ukraine lernen heutzutage meist Englisch als Fremdsprache und nicht mehr Deutsch. Ja, dann kennen sie das lateinische Alfabet schon. Mehr aber nicht.